G E R M A N I A. 323 vor die Thore der Stadt ins Freie. Vor zahl reichen Zuschauern wurden gemeinsame Spiele aufgeführt, turnerische Übungen abgehalten, ge gessen und getrunken und schliefslich getanzt. Später freilich, im Jahre 1559> wurde es ver boten, bei solchen Aufzügen Trommeln, Pfeifen, Lauten oder andere Instrumente zu gebrauchen; auch wurde das Tanzen nicht mehr gestattet und verordnet, dafs nicht mehr als eine Schule an demselben Tage ausziehen und Knaben und Mädchen gesondert ihre Spiele betreiben sollten, bis dann endlich diese Sitte gänzlich aufhörte. So sehen wir denn, dafs, abgesehen von den auf unseren Gymnasien und anderen höheren Schulen in jüngster Zeit eingeführten, meist aus England stammenden neuen Spielen, unsere eigentlichen Kinderspiele auf ein Alter von Hun derten von Jahren zurückblicken, und dafs die selben sich trotz aller Veränderungen, die im Wechsel der Zeiten geschehen sind, fast unver ändert bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Mögen dieselben denn zur Freude unserer Jugend auch fernerhin gepflegt werden! Die Calandbrüderschaften des deutschen Mittelalters. Von H. Limbach. U nter den vielen im Mittelalter entstandenen geistlichen und weltlichen Gesellschaften und Brüderschaften nehmen unstreitig die sogenannten Calandbrüder unser Interesse in ganz besonderem Mafse in Anspruch, da sie sich, obwohl gemein hin zu den Gilden gezählt, von diesen in vielen Stücken durch ihre Eigenart unterscheiden. Unter »Caland« verstand man in früheren Zeiten eine Brüderschaft andächtiger und wohl- thätiger Personen, sowie die Versammlung der selben zu gewissen Zeiten; ferner das Haus, in dem sie zusammenkamen, gewöhnlich der »Calandhofc genannt, und die Pfründe der Calandbrüder. Über die Entstehung des Wortes »Caland« sind die verschiedensten Meinungen aufgetaucht. So will man es von dem isländischen »Kalla« (engl, to call) und von dem niedersächsischen »Kolant,« d. h. Freund, Handelsfreund, ableiten, sowie von dem griechischen Worte xaleTv, d. i. rufen, einladen, und von einem altdeutschen, noch jetzt in Dänemark gebräuchlichen Worte Kahle, d. i. versammeln. Allein da schon im Jahre 1087 in Frankreich das Wort »Kalendae« für die Versammlung der Geistlichkeit eines Sprengels vorkommt, so spricht die gröfste Wahrscheinlichkeit dafür, dafs es von dem lateinischen Worte Calendae abstammt, denn noch in einer Urkunde des 15. Jahrhunderts werden die Calandbrüder »fratres in calendis missas celebrantes« genannt, und die erst im 13. Jahrhundert entstandenen Brüderschaften ihre Benennung von den längst üblichen Calendis erhielten. Wurden bei den letzteren die Feste für die Lebenden im nachfolgenden Monate näher bestimmt, so sorgten die Calandbrüder auf ihren Versammlungen für die Einrichtung und Erhaltung der Feste für die Todten, durch Gebete und Messen, die man wenigstens an fänglich aus christlicher Liebe zum Heile ihrer Seelen hielt. Der ursprüngliche Zweck der Calandver- brüderungen war also die Abhaltung von Ge beten und Messen für die Todten, indem viele Leute in so grofser Armut sterben, dafs aus ihrer Hinterlassenschaft die Kosten für Vigilien nicht bestritten werden konnten. Sehr bald aber machten die Calande es sich auch zur Pflicht, die lebenden Armen zu unter stützen. Als Mitglieder wurden Priester und Laien beiderlei Geschlechts aufgenommen. Ins besondere hielten sie zwei öffentliche Umzüge,