56 DIE SCHATZHÄUSER war aus Inselmarmor, meist parischem Marmor, erbaut, eines der frühesten Beispiele von Marmorbau, und zwar im ionischen Stil, der hier die ganze farbige Pracht seiner Dekoration entfaltete. An der Fassade waren zwischen den Anten zierliche Frauengestalten als Gebälkträgerinnen verwendet, auf reichprofiliertem altarartigem Sockel, mit skulpturengeschmücktem Kopfansatz unter dem gleich falls skulptierten Kapitell. Über dem glatten Architravbalken zog sich ein reicher, 0,65 m hoher und 30 m langer Fries um das ganze Gebäude, oben und unten eingerahmt von Perlenstab und Kyma. Auch der Wandfuß ist durch einen mächtigen Perlenstab geschmückt, die Eingangstür zur Cella mit dreifachem Ornamentstreifen um rahmt. Der Giebel trägt reichen Figurenschmuck, die schräge Giebelsima darüber ist wieder mit Palmetten- und Lotosornament geziert. Endlich wird das Ganze gekrönt von Akroteren, in der Mitte eine Sphinx, an den Ecken Nikegestalten in dem bekannten Knie laufschema. Alle Skulpturen und Zierleisten waren polychrom, Rot, Blau und Grün sind verwendet, dazu glänzender Metallschmuck im Giebel und Fries. Der Wechsel zwischen den farbig leuchtenden Partien und den blanken Marmorflächen muß von besonders pitto resker Wirkung gewesen sein im Glanz der südlichen Sonne unter blaustrahlendem Himmel. Schauen wir uns Karyatiden, Fries und Giebelskulpturen etwas näher an. Wir wissen nicht, welcher Künstler zuerst den glücklichen Gedanken hatte, weibliche Figuren als Gebälkträgerinnen zu ver wenden. Jedenfalls ist er im ionisch-kleinasiatischen Kunstkreis zu suchen; an den beiden delphischen Schatzhäusern, dem von Siphnos und dem weiter unten zu besprechenden von Knidos, begegnen sie uns zum erstenmal. Der Name „Karyatiden“ gehört erst einer späte ren Zeit an. Sie hießen vielmehr einfach xogai „Jungfrauen“, in Delphi sowohl wie später am Erechtheion in Athen, und stellen edle Jungfrauen dar, wie sie bei den Festprozessionen einherschritten, auf dem Haupte Körbe tragend mit Opfergaben und Opfergeräten, daher auch Kanephoren genannt. Diese Körbe sind hier als hoher Kopf aufsatz, als Kalathos, verwendet, der zusammen mit dem darauf liegenden Kapitell und dem hohen Sockel dem Künstler die Mög lichkeit gab, die menschliche Gestalt ohne zu starke Vergrößerung in den Rahmen der Fassade einzufügen. Stilistisch stehen sie den im Perserschutt gefundenen weiblichen Figuren der Akropolis am