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Dresdner Nachrichten : 11.06.1873
- Erscheinungsdatum
- 1873-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-187306111
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18730611
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18730611
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1873
- Monat1873-06
- Tag1873-06-11
- Monat1873-06
- Jahr1873
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 11.06.1873
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,» t« d^»r»ed^n rlexftraßk IS. Abon- nlmcnl«prel» »iert,lt»»r. lich »y« Ngr.. durch dt« P>!li «ü Ngr. Htujklne Nummern 1 Ngr. Aullagr: 21.000 Lxempl. gllr die Rliltgate etnge- sandter ManMcrlpte macht sich die Redallton nicht verbindlich. Inserate».ilnnalime au», wärt«: Uansnn-teiv uinl Vo»>«, in Hamburg, ver- Nn. Wien, Lciv-ig. Basel. Breilau. Araulkurt a. Äi. — liuL lla«,, in Berlin, Leipzig. Wien. Hamburg, granksnrt a. M.. Mün chen. — Uauda ch t.a. t» ssranlsurt a. M. — Nr. Voigt in Lbemnitz. — lla- V»»,lutLtt». llaliioe ch tia. in Pari». Druck und Eigenthum der Herausgeber: Liepfch <r Neichardt in Dresden. Verantwortl. Rebacteur: Juliv» Neichardt. »niemeteMMcheuBWrieqe «rage I» nirgend»»»«« »i» «b. n Udr. Sonn,«ach «» Mittag, 12 Udr. I« Nerrstadt: grobe »lolier« «affe » bi» «lbd. » Udr. Der Raum einer ein paUtaen Peittjetle «°s,e< U Psa. Stugeiandt bi« Zeile L Ngr. Eine Barantie itir da» «itchslliigia« itrscher- nen der Inserat« Wirt» nicht gegeben. >u»«irttgc «nnoneen» rlustriige von un» unbc« kaniUen Zirmen u. Per sonen intcriren wir nur gegen Pränumerando- Zadlung durch Brief marken »der Posteinzaii- lung. « Silben kostcir 1», Ngr. Auswärtige Sinnen die Zahlung auch »us eine DrcidnermrniE »nwetscn. Die ikrb. Kr. 162. AchtzeWer^ahrgang. Mstredacteur: Dr. Lmtkl Für daS Feuilleton: Ln»I»vl« lU»rtm«ni». Dresden, Mittwoch, 11. Juni 1873. Politisches. Kräftigen Wortes und mit dein Selbstgefühl, welches dem er sten Beamten eines Reichs, wie das deutsche, zulommt, hatBismarct die Würde Deutschlands gegen die verletzende Sprache des Papstes allezeit gewahrt. „Nach Canossa gehen wir nicht!" rief er unter dem Beifall des deutschen Volks im vorigen Jahre aus, als die Position des Reichshaushalts berathen wurde, die das Gehalt eines deutschen Botschafters beim Papste betrifft. Der Papst hatte damals die Sen düng des deutschen Cardinals, Fürsten Hohenlohe, als deutschen Botschafters an Bedingungen geknüpft, die zu erfüllen der Selbst achtung jedes Deutschen uiimöglich war. Als jetzt wiederum dieselbi Position zur Berathung stand, gab Bismarck eine im Wesentlichen gleichlautende Erklärung ab. Obwohl wir Protestanten sind, so wür den wir nicht viel dagegen haben, daß das deutsche Reich nicht bloc bei dem Könige von Italien, sondern auch bei dem Papste in Nom einen Botschafter unterhält. Vergessen wir nicht, daß unser evange lisches sächsisches Volk durch die Gründung des deutschen Reichs mi> den Millionen katholischer Staatsangehörigen von Preußen, Bayern Baden u. s. w. in eine unauflösliche Staatsgemeinschast getreten ist Diesen unfern katholischen Reichsmitbürgern ist die Unterhaltung guter Beziehungen zwischen ihrem kirchlichen Oberhaupt«: in Nom, dem Papste, und ihrem weltlichen Chef, dem Kaiser in Berlin, He« zenSbedürfniß; sie sind, leider Gottes, durch die schwunghaft betrie bene Hetzerei der Ultramontanen an und für sich-zum guten Theil gegen Kaiser und Reich aufsässig oder doch mißtrauisch. Eine um sichtige Regierung rechnet mit dem Factor, daß im Reiche neben , Evangelischen 2/5 Katholiken leben und zerreißt nicht durch Auf Hebung des Botschafterpostens in Rom den letzten Faden, der doci noch zur Anknüpfung eines erträglichen Verhältnisses führen kan» Natürlich bleibt dieser Posten so lange unbesetzt, als sich nicht de, Papst das Fluchen abgewöhnt und im Verkehr mit dem Vertrete! oes deutschen Reichs eine in den gesellschaftlichen Umgangsformci: übliche Sprache führt. An und für sich freilich hätten wir gegen da« Fluchen des Papstes nicht viel einzuwenden. Wenn Göthe seine Iphigenie sagen läßt: „Es wirkt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch", so trifft beim Papste nahezu das Umgekehrte ein. Zivar wollen wir es nicht absprechen, daß der Segen, den er spendet, die gläubigen Herzen stärkt, erquickt und tröstet; aber viel wirksamer erweist sich sein herzhaftes Fluchen. Ohne sein« fortgesetzten Verwünschungen aller freiheitlichen Fvuschrittc im Staate, in der Kirche und Gesell schaft wäre die Menschheit lange nicht so aus ihrem Schlaf aufgc ''üttelt worden, zur Prüfung der ihr werthen Güter zum Nachdenken und zum Handeln gekommen. Sein Segen hat eine innere, sein Fluch eine direete, äußerlich wahrnehmbare HeilSwirkung gehabt. Bleibt zunächst der deutsche Botschafterposten in Rom unbesetzt, jo vürfte der gleiche Platz in Paris bald zur Erledigung kommen. Bismarck ist nämlich mit der Handlungsweise des deutschen Bot lchasters in Paris, des Grafen Arnim, vor und während des Stur zes von Thiers aufs Aeußerste unzufrieden. In welcher Weise frei lich den Grafen ein Verschulden trifft, läßt sich aus den knapp g. halreneu und geheimnißvollen Andeutungen, die wir in den osstcic sen preußischen Blattern finden, nicht hcrauöwittern. Die gesammi europäischeDiplomatie war, das istThatsache, durch den Umschwung der Verhältnisse in Frankreich aufs Aeußerste überrascht worden Wie ein Blitz aus heitrem Himmel traf sie ebenso wie uns gewöhn liches Publikum der Sturz von Thiers. Vom Kaiser von Oesterrcici ist cs constatirt, daß er die erste Nachricht hiervon am Sonnabend Nachmittag telegraphisch bei einein Wettrennen erhielt und, wie vom Schlage gerührt, lange Zeit sprachlos wurde! Macht es Bismarck dem Grafen Arnim zum Vorwurfe, daß er nicht genug Spürkrasi entwickelt und das clerical-monarchische Gras hat wachsen hören .-- Oder hat sich Arnim als unfähig erwiesen, die Bildung der Mac Mahon'schen Regierung mit ihrem römischen Beigeschmack zu ver hindern V Wie dem auch sei, Arnim hat langem Urlaub erhalten geht nach Berlin, um vielleicht nicht wieder nach Paris-Versailles zurückzukehren. Es lohnt sich nicht mehr, sich über das Monstrum des Preßgc- sctzcntwurfs zu cchauffiren. Nach den Berathungen der Vertrauens männer aller Neichstagsfractionen wird der jetzige Reichstag nur noch die wichtigsten Angelegenheiten erledigen. Damit will er bis zum 25. Juni zu Ende kommen. Das Militärgesetz, die obligato rische Civilehe und andere werden zurückgclcgt, das Preßgesetz komm: nicht mehr zur Berathung. Nur der Ncichshaushalt und die bereits in Angriff genommenen Stoffe werden erledigt. Mochte wenigstens für den Rest der Session den säumigen Abgeordneten das Gewissen schlagen! Berlin gewährt ja bei der heurigen Sommerlühle keinen unerträglichen Aufenthalt; der Geruch in den Straßen, der Staub im Thiergarten sind nicht groß, die Cholera ist nicht im Anzuge. Beschlußfähig weit über die Nothwendigkeit war der Reichstag zur Spritzfahrt nach Wilhelmshaven und bei den opulent gedeckten Ta feln am Bord des PanzerwiddcrschiffS „Wilhelm" hätte eine Aus zählung weit mehr als über die Hälfte aller „Hier!s" ergeben. Warum nicht auch bei den Arbeiten? Mac Mahon hat große Mühe, sich der immer unUsättlicher hervortrctcnden Ansprüche der Clericalen zu erwehren. Selbst die entschieden gut katholischen Minister, der Herzog von Broalie und seine College», genügen den Heißspornen der Römlinge nicht mehr; ein Nömerzug nach Italien, zur Herstellung der weltlichen Herrschaft des Papstes, erscheint ihnen als das zunächst Nöthige. Die Bona- partistcn von der Partei der Exkaiserin sind durch das plötzliche Er scheinen des rothcn Prinzen in nicht geringe Verlegenheit gesetzt worden. Derselbe will einen corsischcn Deputaten zurNicdcrlegung seines Mandats veranlassen, um als Abgeordneter dessen Sitz in der Nationalversammlung einzunchmen und energischer für Wiederher stellung des Kaiserreichs wühlen zu können, als den vorsichtigen Vonavartisten vom Scblaae Roubers lieb ist. Die ungarische Regierung schickt sich an, den siebenbürgischen Lachsen den Todesstoß zu geben. Dieser deutsche Volksstamm be geht das in den Augen der Magyaren todcswürdige Verbrechen, sein Bewußtsein als Deutsche aufrecht zu erhalten. Während sonst sie Deutsche» in Ungarn die Speichellecker und Stiefelputzer der Magyaren sind, fühlen sich die Sachsen Siebenbürgens als die Trä ger deutscher Kultur. Jetzt sollen ihre Kreisoeebände aukgelöst und cn Atome zerschlagen werden. Locales und Sächsisches. — Dienstag Vormittag ist der LandeSculturrath zu einer öf scntlichen Sitzung hiersclbst zusammengctreten, in welcher zunächst sie Einführung des gewühlten Generalsecretärs Herrn v. Langsdorfs aus Darmstadt) erfolgt ist. Die Verhandlungen dürften einige Tage in Anspruch nehmen. lDr. I - — Aus Dresden vom 2. Juni schreibt man dem „Nürnberg. Corrcspondcnt: Auf Requisition des preußischen Gcneralstabcs sind «cht sächsische Offiziere nach Frankreich gereist, um im Vereine mu Offizieren aller anderen Eontingente des Neichsheeres topographisch« Aufnahmen des noch vom deutschen Heere occupirten französische» Terrains zu bewirken. Die beschleunigte Rückkehr unserer Truppe» verursacht auch die Beschleunigung dieser für die Zwecke des Große» ieneralstabes erfolgenden wissenschaftlichen Arbeiten. — Gestern Vormittag 11 Uhr traf die Herzogin von Hamilton, «eb. Prinzeß von Baden, nebst Dienerschaft pr.Bahn kommend hier in. Dieselbe wurde von I. k. Hoheit der Frau Kronprinzessin am Bahnhofe einpfangen und fuhren die hohen Herrschaften sodann zu ammen nach der kronprinzlichen Villa in Strehlen. — Nach der „N.-Z " ist der Schritt, den die Regierung gegen ne maßlose Sprache des Regierungs-Amtsblattes, des „Leipzigc: Tageblattes", thun zu müssen geglaubt hat, nicht ohne Folgen ge .lieben. Der Leipziger Stadtrath, unter dessen Oberaussicht bekannt «ich das „Leipz. Tgbl." erscheint, hatte nämlich von der Regierung Weisung erhalten, dieses Blatt zu verwarnen. Zugleich wurde ihn: nach der Darstellung der „N.-Z.") eine alte Verordnung aus de: Beust'schen Zeit zur Nachnchtuug mitgetheilt, die selbst Beust damals ^egen das Leipziger Blatt in Anwendung zu bringen nicht gewagt tzatte. Diese Verordnung soll die Anweisung zur ausdrückliche:: Verpflichtung der Amtsblätter enthalten, nichts gegen die Regierung «u schreiben, dagegen Artikel, die ihnen vom „Dresdner Journal" >us lUArhrn Werden, iMrzeit unweigerlich aufzunehmm. Der Stadtrath zü Leipzig hat mm, wie weiter verlautet, gegen diese Maßregel in sehr scharfen Ausdrücken remonstrirt und die gesetzliche Fulässigkeit des ganzen Verfahrens angezwcifelt. Darauf ist in oiescr Woche eine fulminante (?) Verordnung vom Ministerium des Innern gekommen, worin jener Befehl wiederholt und für den Fall, >aß demselben nicht binnen 3 Tagen nachgekoimncn wäre, mit Dis .iplinar-Untersuchung gegen den Stadtrath gedroht wird. Das würde, wenn es cinträte, zunächst die Suspendirung des Bürgermeisters, viel ,-icht die Auflösung des ganzen Stadtrathcollegiums und Einsetzung ines königlichen Commissars zur Folge gehabt haben. Der Stadt- ath hat sich — nach der Städteordnung — nunmehr der Ausfüh ung des Negicrungsbesehls nicht länger entziehen zu dürfen ge Raubt, jedoch gleichzeitig Beschwerdcsührnng bei»: Gesammtministc- ium und eventuell beim Landtage beschlossen. Ehe wir diese Thai sachen für richtig halten, wäre eine Darstellung derselben durch die Regierung unbedingt nothwcndig. Nach unserer, hierbei völlig un oefangenen und unbetheiligtcnAnsicht sollte die Regierung dasAmts- ,'lattwesen ganz undgar ausgeben. UnterBeust mochte'ich dicRegierung aavonNutzen versprechen,heute hatsie,ivieFigura zeigt,nurAcrger,Ver druß und Spott davon, Es ist freilich ein Widerspruch in sich selbst, wenn ein „Amtsblatt" wie das Leipziger sich in einer so maßlosen Sprache gegen die 'Regierung äußert. Dann lasse, iveixn die Re daktion das Unschickliche dieser Stellung dickfellig nicht selbst fühlt, die Regierung das betr. Blatt als Amtsblatt gänzlich fallen und das Blatt nach Herzenslust als Oppositionscrgan spektakeln, trete ihm in angemessener Weise in ihren Organen gegenüber und verwalte im klebrigen das Land so gerecht, umsichtig und kraftvoll, daß die Ur sache zum Tadel wcgfallt. Wir sind keine Freunde des Leipziger Tageblattes, aber wenn der Preßfreiheit zu nahe getreten wird, findet man uns an der Seite des Bedrohten. — Gelegentlich der in unserem Blatte von Zeit zu Zeit sich wiederholenden Warnungen vor sogenannten „Wcißläufern", die auch auf dem Neustädtcr Jahrmarkts sich einsinden könn ten, sei hier auf das einschlagendc Capitel aus Am- Laklemant's Geschichte des Gaunerthums hingcwiescu. In diesen: Werte findet sich der Ausdruck „Weißkaufen" nirgends, vielmehr gilt daselbst als Terminus technicus der des „SchottenfellmL", letzterer abgeleitet von Schote, Schaute, der Narr, der Dumme, und feilen, betrügen; der gewerbsmäßige Ladendieb bezeichnet Seinesgleichen mithin als Narren- oder Tummmbetrüger, Kein Industriezweig des Gaunerthums, sagt unser Gewährsmann, hat sich i» das Han- delölcben so tief eingebürgert wie das Schottcnsellcn, das ebenso gut unter der Maske einer schlichten Bürgerfrau und manicrirten Gou vernante betrieben wird, als von der Baronin oder dein Grafen, der in der Equipage vorfährt und um die theiicrsten Maaren handelt. Das Schottcnsellcn hat keinen technischen Apparat, keine andere Manipulation als das geschickte Verschwindcnmachcn unter dem Gange des alltäglichen Scbcins, Gesprächs und Handels. Dieser Umstand ist cs, welcher dem Schottcnfeller so große Sicherheit giebt, daß er schon bei einiger Hebung allein, auf eigene Hand und Gefahr Schätze aus den Läden hebt, die in das Unglaubliche gehen, nnd von deren Größe man eine Ahnung bekommen kann, wenn inan auf die Spottpreise sieht, für welche eine Unzahl der verschiedensten Waaren aus den Läden wie auf der Hausirkarrc „unter der Hand, durch besondere Gelegenheit, unter Einkaufspreis, im Ausverkauf re, re." oder wie sonst die Redensarten lauten, verkauft wird. Gewöhnlich geht der Scholtcnfellcr, oder etwas häufiger, die Schottmsellenn, in Begleitung eines oder mehrerer Genossen in die Läden. Sein Aeußeres ist mindestens ehrbar und anständig. Er begehrt dies oder jenes zu kaufen, prüft, macht Aus stellungen, lobt, kaust, bezahlt auch Etwas, verlangt noch mehr, und beschäftigt die Aufmcrlsamkeit des Kaufmanns, den Moment aber, wo sich der Verkäufer bückt oder den Rücken wendet, nimmt der Schottcnfeller wahr, um Waaren vom Ladentische verschwinden zu lassen, was um so leichter gelingt, je mehr Waaren auf dem Laden tische ausgchäuft sind. Zum Verbergen der Waaren an seinem Leibe hat der mit einem Mantel, Paletot, oder langem Ueberrock bekleidete Schottcnfeller in dem Unterfutter des Brusttheils und der Schöße seiner Obcrkleidung weite und lange Taschen. Um das schwere Herunterhängcn der Obcrkleidung zu vermeiden, tragen Planche einen Gurt mit einem kleinen Ringe an der Seite um den Leib, in welchen Ring ein an der Tasche befindlicher Haken gehängt wird, sodaß der Rock frei und leicht herunterfallend bleibt und vorne sogar auf geknöpft werden kann, wenn auch die Taschen schwer gefüllt sind. Bei der weiblichen Kleidung werden zwei Unterröcke zusammen- genäht und vorne im faltenreichen Obcrkleid ein langer Schlitz ge lassen, um die Waarc einsteckcn zu können, doch tragen erfahrene Weiber auch einen mit einem starken Bande um den Leib zu binden- ven Sack unter dem Lberkleide, der für sie den Bortheil hat, daß sie ihn schnell entfernen können. Von der unglaublichen Virtuosität einer Cchottenfcllerin hier ein Beispiel. In einer bedeutenden Leidcnhandlung hatte sie als Baronesse —u— für nahe an 300 Thalcr gekauft, eine Kleinigkeit bezahlt, und gebeten, die Waaren bis zum anderen Tage zurückznlegen, wo sie mit ihrem Manne, dem Baron, dann das Uebrige bezahlen wolle. Anderen Tags kam sie allein wieder, gab vor, daß sie noch Einiges kaufen wolle und com- pletirte die Rechnung auf 300 Thaler. Bei diesem Besuche däuchte rcm Kaufmann, als ob die Baronin ein Packet Seide unter dem Mantel habe. Er faßte die Dame scharfer in's Auge, und da einer oer Ladendiener auch einige ausfällige Bewegungen in der Haltung der Käuferin bemerkt hatte, näherte sich dieser ihr sogar mit vorsich tiger Betastung des Mantels. Es entging ihr nicht und mit Em pfindlichkeit redete sie den Kaufmann an: „Ich weiß nicht, wie man dazu kommt, mich so verdächtig zu behandeln. Sic sind ein älterer Mann, und weil ich als Dame mich offener gegen Sie aussprechen kann, als gegen Ihre jungen Leute, so muß ich Sie bitten, mich in sin besonderes Zimmer zu führen, wo ich mich offen aussprechen werde." Der Kaufmann führte die Dame höflich in ein Zimmer, nnd hier erklärteste ihm, daß sie sich gerade in einer Situation be finde, welche ihr das Reißen einer Leibbinde doppelt unangenehm mache. Nach einem flüchtigen Arrangement erbot sich die Dame, ihre Kleider visitircn zu lassen, hob einen Theil auf, reichte dem Kaufmann«: den abgenoinmeuen Mantel hin, und — ward mit vie len Entsckiuldigungcn entlassen. Am Abend desselben Tages aber noch ermittelte die Polizei, daß diese Schottcnfellerin vor den Augen veS Kaufmanns nicht nur das unter den: Mantel erblickte Stück Seidenzeug, sondern auch 3 andere Stücke Seidenzcug und ein gan zes Stück Mo> sseline de keine in ihre „Gole" practicirt. Um ganz sichern „Vertust", naimntlich in größeren Handlungen, zu machen, wo mehrere Verkäufer hinter dem Ladentische stehen, geht der Schottcnsellcr nicht allein, sondern mit einem seiner Gewerbsgehil- scn, seinem „Chawer", den: ein Dritter oder Vierter nachkommt, ohne daß einer die Bekanntschaft mit dem andern vcrräth, in den Ladsn. Bei dieser Verbindung macht der eine den Vortuß, indem er des Verkäufers Aufmerksamkeit fesselt, während der Begleiter als „Schautcnpickcr" handelt, d. h. die zur Hand liegenden Waaren stiehlt. Ost nehmen die Schottenfellerinnen außer männlicher- Be gleitung auch wohl eine Gesellschafterin, am liebsten eine solche als Amme coslümirt, mit. Diese hat die Aufgabe, das Kind zum Schreien zu bringen, damit die Aufmerksamkeit auf Kind und Amme abgelcnlt wird. Auch größere Kinder werden zu diesem Zwecke ab- gcrichtct und in die Läden nntgcbracht. Kleinere Packcte werden in die aus den Ladentisch gelegten Muffe, oder in Schachteln und Körbe mit doppeltem Boden gesteckt. Auch werden in den gegen die Ladentische gestemmten Regenschirmen unglaublich viel Waaren forlgetragcn, wie ein Fall beweist, wo eine Schotten- lclleriu im Regenschirme zwei ganze Stücke Wollmousseline, jedes zu einigen 30 Ellen, fortgcschasft hatte. Zu gleichem Zwecke dienen kleine Täschchen innerhalb der Halsbinde, unter dem Rockkragen, innerhalb der Weste u. s. s. Viele Schottenfeller besitzen die an- geübtc besondere Geschicklichkeit, mit einen: zwischen die Schenkel ge steckten Paäete nicht nur behende zu gehen, sondern sogar laufen zu können. Diese Art Künstler werden „Rnchwcncr", vom hebräischen rachaf, also Reiter, genannt. Je lebhafter der Verkehr in einem Laden, je dichter das Gewühl vor einer Bude, desto leichter gelingt es den: Schottcnfeller von den Tischen herab zu langen und in die Golc zu stecken. Der Kaufmann hat »un eben ini und beim Ge dränge nicht Zeit, psychologische Beobachtungen anzustellen, aber jeder geschwätzige Fremde, der viel zu suchen und zu mäkeln hat, und nicht gleich bezahlt, sondern Waare zurücklegen läßt, muß ihm verdächtig Vorkommen, ebenso aber auch der, welcher, um nicht später den Rock Zurückschlagen zu müssen, gleich Anfangs das scheinbar gut acsülkte Portemonnaie aus der Hosentasche, oder wenn er schon gefüllte Golm hat, aus der Rocktasche zieht. — Zu einem in Neustriesm wohnhaften, aus Eibenstock ge bürtigen Lackircr kam dieser Tage ein unbekannter junger Mensch, gab sich für einen Eibcnstocker aus, brachte Grüße von des Lackirers dort wohnhaften Schwager, thcilte mit, daß dessen Frau, Jenes Schwester, gestorben sei und bat im angeblichen Aufträge deSSchwa- gcrs zur Bestreitung der Beerdigungskosten um ein Darlehn. Der Lackircr biß zu s mein Glücke nicht an, sondern cntgegaete, er wolle doch lieber erst die schriftliche Mittheilung seine* Schwagers über den Todesfall abwarten, konnte cs aber dem jungen, unverdächtig aussehcndcn Manne doch nicht abschlagcn, als derselbe ihn um ein Nachtquartier bat, und gewährte ihm dies. Diese Gutherzigkeit
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