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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 06.06.1895
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950606019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895060601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895060601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-06
- Tag1895-06-06
- Monat1895-06
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Bezugs-Preis fl» -er Hauptexpeditton oder den im Stadt bezirk nnd de» Vororten errichteten «»-- oabestellr» ab ge holt: vierteljährlich 4.50» bei iwetmaltger täglicher Zustellung ins Haus ö.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich ^l S.—. Directe tägliche Kreuzbandsenoung tu- Ausland: monatlich ^ 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint täglich mit Aus nahme nach Sonn- uns Festtagen '/,7 Uhr^ di« Abend-AuSgave Wochentags 5 Uhr. Redaktion «nd Expedition: Johannesgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis AbeudS 7 Uhr. Filialen: vtt» Ale««'- Sorttm. (Tiste- Haha), Universitätsstraße 1, Lonis Lösche. Aatharinenstr. 14, part. und König-Platz 7. Morgen-Ausgabe WorrLagMalt Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. Anzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich (-ge spalten) 50^, vor den Familirunachrich'tea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut uuferem Prris- verzeichniß. Tabellarischer und Ztffernlatz nach höherem Daris. Extra «Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—, mlt Postbrförderullg 70.-^. Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentags) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestelle» je rin« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz ln Leipzig. 272. Donnerstag dm 6. Juni 1895 88. IcchrganK Amtliche Bekanntmachungen. Bekanntmachung. Die Pflastern»- der Marienstratze, von der Langen Straße bis zur Solomon - Straße, mit Schlackensteinen 1. Classe soll an einen Unternehmer verdungen werden. Di« Bedingungen für diese Arbeiten liegen in unserer Tiefbau- Verwaltung, Rathhau» 2. Obergeschoß, Zimmer Nr. 23, aus und können dort eingcsehen oder gegen Entrichtung von 50 die auch in Briefmarken eingesendet werden können, entnommen werden. Bezügliche Angebote sind versiegelt und mit der Aufschrist: „Pflasterung der Marienstratze" versehen in dem oben bezeichneten Geschäftszimmer bis zum 14. Juni S. IS., 5 Uhr Nachmittag», einzuretchen. Der Nath behält sich das Recht vor, sämmtliche Angebote ab zulehnen. Leipzig, den 5. Juni 1895. Des RatheS der Stadt Leipzig Io. 2507. Stratzenbaudcputation. Bekanntmachung. Die Pflasterung der Langen Straffe hier mit Schlackensteinen 1. Classe soll an einen Unternehmer verdungen werden. Die Bedingungen für diese Arbeiten liegen in unserer Tiefbau. Verwaltung, Rathhaus 2. Obergeschoß, Zimmer Nr. 23 aus und können dort eingesehen oder gegen Entrichtung von 50 die auch in Briefmarken eingesendet werden können, entnommen werden. Bezügliche Angebote sind versiegelt und mit der Aufschrift: „Pflasterung der Langen Straffe" versehen in dem oben bezeichneten Geschäftszimmer bis zum 14. Juni d. I., 5 Uhr Nachmittags, einzureichen. Der Rath behält sich das Recht vor, sämmtliche Angebote abzulehnen. ^ Leipzig, den 5. Juni 1895. TeS NatheS der Stadt Leipzig Io. 2365. Straffenbaudcptttation. Gefunden oder als herrenlos angeineldet resp. abgegeben wurden in der Zeit vom 16. bis 31. Mai 1895 folgende Gegenstände: Portemonnaies mit 6 61 ^ und 5 2 /H, mehrere Portemonnaies mit Beträgen von unter 3 2 Flaschen Wein und ein Portemonnaie mit Inhalt, 3 verschiedene goldene Broschen, mehrere goldene Ringe, eine <Kra»at- und eine Corallenbrosche, eine Mosaiknadel, ein goldener Armreif, 3 Brillen, ein Klemmer, 3 verschiedene Taschen messer, eins mit Etui, ein Ctgarrenetui, ein silbernes ikigarettenetut mit Monogramm, 2 Damen-Schultcrkragcn, 1 Taillentnch, 1 Kindermäntelchen, 1 Damenschürze, 1 Kinder- schuh, 1 Damenzeugschuh, l wollener Schuh, eine Gartentischdecke, div. Herrenwäsche, eine neue hellgraue Hose, ein Bettinlet, ein neues Schurzfell mit div. Kleidungsstücken, ein Metall- Notenblatt, eine Anzahl Regenschirme, einige Sonnenschirme, eine Baumschcere. ein Waschbrett, ein Hebekorb, ein Ge- schirrtheil, eine Pferdedecke, eine 3 m lange Leiter, ein Sack mit grüner Maare, ein zugeflogener Canarienvogel. Zur Ermittelung der Eigenthümer wird dies hierdurch bekannt gemacht. Gleichzeitig fordern wir auch Diejenigen, welche im April und Mai 1894 Fundgcgenstäiide bei uns abgegeben haben, auf, dieselben zurückzufordern, andernfalls darüber den Rechten gemäß verfügt werden wird. Leipzig, den 1. Juni 1895. Las Polizei-Amt der Stadt Leipzig. Bretschnrider. Ml. Bekanntmachung. Die Lieferung von circa 1500 lezz Petroleum, 5000 Ctr. bester schlackenfreier Pechstück-Steinkohle und 1900 Ctr. trockener und staubfreier böhmischer Braunkohle aus das Winterhalbjahr 1895,96 für das Königliche Landgericht und die Königliche Staatsanwaltschaft Leipzig soll unter den bei der Cassenverwaltung des Landgerichts — Hochparterre, Zimmer Nr. 76 — einzusehenden Bedingungen und mit Vorbehalt der Aus wahl unter den Licitanten vergeben werden. Angebote sind bis zum 26. Jnnt dieses Jahres schriftlich anher einzureichen. Leipzig, am 4. Juni 1895. Königliches Landgericht. Priber. Mrschenverpachtung. Die diesjährige Nutzung von den fiskalischen Kirschbättinrn an den Straßen der nachgenannten Amtsstraßenmeisterbezirke soll gegen sofortige baare Bezahlung und unter den sonstigen bei Eröffnung der Termine bekannt zu gebenden Bedingungen im Wege des Meistgebote» öffentlich verpachtet werden, und zwar: 1. Freitag, den 7. Juni dss. Js., von Vormittag 10 Uhr an im Gasthofe „zum Zimmerhof^ in Borna die Nutzungen der Kirschalleen in den Bezirken der AmtSstraffenmeister Hautzmann in Borna und Grimm in Lobstädt, 2. Donnerstag, den 18. Juni dss. Js., von Vormittag 10 Uhr an im „vöggel'schen" Restaurant am Bahnhof zu Frohbnrg die Nutzungen der Kirschalleen im Bezirke des AmtSstraffenmeister» Kehrmann daselbst, 3. Freitag, den 14. Juni dss. Js., von Nachmittag v,4 Uhr an im Gasthofe „znm Kronprinz" in Groitzsch die Nutzungen der Kirschalleen im Bezirke deS ÄmtsstratzenmctsterS Nenbert daselbst. Nähere Auskunft über vie einzelnen Straßen und deren Unter abtheilungen, sowie über die Anzahl der anstehenden Kirschbäumr ertheilen die vorgenannten AmtSstraßenmeister und die Wärter der einzelnen Stroßenabtheilungen. Bemerkt wird, daff die Ktrschnutznngcn gegen Hag-Ischlag versichert sind. König!. Straffen- und Wasser- König!. Bauverwalterei Bautnspectton Leipzig. Borna, Michael, am 27. Mat 1895. Bahmann. Lirschen-Versteigeruny. Die diesjährige Nutzung von den fiskalischen Kirschbäumen an den Straßen des AmtSstraßenmeisterbezirkes Eolditz mit Ausnahme der 1. und 2. Abth. Ser Rochlitz-Leipziger Straffe soll Dienstag, am 11. Juni, Born». '/«10 Uhr im Gasthof zum Keldschlötzchen in Volditz, des Amtsstraßen ineisterbezirkes Wurzen an demselben Tage, Nachmittags 2 Uhr, in der Meyer'schen Schankmtrthschaft zu Wurzen, der beiden Amtsstraßenmeisterbezirke Grimma und Abth. 1 und 2 der Rochlitz-Leipziger Straße Donnerstag, an» 18. Jnni, vor,nittagS 6 Uhr. in der Schankwirlhschast zun« Wiesenthat in Grimma öffentlich gegen sofortige Vaarzahlung versteigert werden. Grimma, am 4. Juni 1895. Königliche Königliche Straffen- und Waflcr-Bautnspection. Vanvcrwaltcrei Köhler. R. Schmidt. Viebstahls-Lekanntmiichung. xS"«L!>7 2°' weiß, einer dunkelroth, am 3l. Mai; 3) 28 bnntr Tischdecken, - ^ai, und bezw. SüawlS, eine Bndenplmie. am 1^. Mat. ^ k Winkel- 6) ein Pueun'atte-Nover mit der Firm ^ch mann. Dresden", mit schwarzlack,rtem G steU ahne '-M Vorderrad«, mit Brrbindungsstangen von schwachem Y Rina an der Abstellvorrichlung, am 29. wcai, Norderstützen «r°2 V °°m L'L7"L' L, K"°S-7- Crimtnalabtheilung zur Anzeige zu bringen. °" ' 3""' '«tz,. E Bretschnrider. w". Oberalbanejische Zustände. i. Auf der Balkan-Halbinsel, diesem politischen Vulkan, herrscht niemals vollständiae Ruhe: und wenn mcht immer ein gefährlicher Ausbruch zu befurchten ,jt, s . man öfters einen drohenden Feuerschein oder eine besorgni^ erregende Rauchwolke am politischen Horizonte, Z? Symptomen letzterer Art gekört d,e s«'t.längerer Z .t m Ober-Albanien herrschende Gährung. deren eigentliche Wurzeln bis in Vas Jahr 1892 zurückreichen; und da die Rachrichten über den Orient oft unvollständig und deshalb nicht immer leicht verständlich sind, so sei es gestattet, der Schilderung des Aufstandes einige einleitende Bemerkungen vorauszu- Von einem unentwirrbaren Netz schroffer Gebirge durch' zogen, die im Gebiete der paßarmen albanischen Alpen dem Verkehr geradezu unüberwindliche Schranken setzen, ist,»^ber- Albanien eine der unwegsamsten Landschaften der europäischen Türkei. Die reißenden und in ihrer Wasserführung außer ordentlich wechselnden Bergflüsse haben als Verkehrsadern nur insofern Bedeutung, als ihre Thäler bei der Unzugäng lichkeit der Gebirge die einzige Verbindung zwischen den fruchtbaren Niederungen und Hochebenen darstellen. Aber auch die Wasserstraßen sind nickt jederzeit passirbar, denn sie führen meist durch schwer überschreitbare Canons und werden Monate lang von den gewaltigen Schneemassen des Winters versperrt. Um so werthvoller sind die Tiefebenen um den Scutari- See und die Hochflächen Jnner-AlbanienS. Sie liefern un erschöpfliche Vorräthe an Korn und Wein und haben wegen ihrer Lage am Adriatischen Meere bezw. wegen ihrer centralen Lage im Herzen der Balkan-Halbinsel zugleich eine hohe politische und militairische Wichtigkeit. Don ihnen aus steht längs der Flüsse der Zugang zu den umgebenden Staaten und Provinzen offen, und daher waren jene Gegenden von jeher der Tummelplatz zwischen Serben, Bulgaren, Albanesen und Türken. Hier entwickelte sich das serbische Kaiserthum mit seiner Hauptstadt Uesküb; in Jpek befand sich lange Zeit der alte Bischofssitz, in Delschani das heilige Grab des ersten errschergeschlechtes, der Nemanjiden, und mit der verlorenen Schlacht auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld, wurde 1389 das großserbische Reich zu Grabe getragen. Kein Wunder, daß die jetzigen Besitzer, die Türken, deren Macht im Ge birge auf scbr schwachen Füßen steht, die Ebenen um so zäher behaupten. Denn wer sie in seiner Hand halt, be herrscht die Flußverbindungen und setzt den abgeschlossenen Bergstämmen gewisse Schranken. Die Albanesen, Arbanasi, Arnauten oder Schkipetaren zerfallen in die beiden Hauptstämme der Gegen und Tosken. Sie sind über sechs Staaten, die Türkei, Serbien, Montenegro, Oesterreich, Griechenland und Italien, zerstreut, und die unter osmanischer Herrschaft Verbliebenen gehören den verschiedensten Verwaltungsbezirken an, da die Hohe Pforte überall den Grundsatz durchzuführen sucht, größere Stämme durch eine getrennte Verwaltung und durch Vereinigung mit .anderen Völkern zu zersplittern und zu schwächen. Nach dem Unter gänge von Skanderbeg's Reiche traten die Arnauten, die vordem ein Bollwerk der Christenheit waren, massenhaft zum Islam über, und so kommt es, daß wir beute unter ihnen 70 Procent Mohammedaner zählen, die mit Vorliebe als Keile zwischen die christliche Vevölkeruug geschoben wurden. Ueberbaupt verfolgt die türkische Regierung mit unverkenn barer Absicht das Ziel, durch eine gewaltsame Arnautisirung, d. h. durch die Vertreibung oder Ausrottung der Christen und die Besiedelung des frei gewordenen Grund und Bodens mit Albanesen, die AnnexionSgelüste der Nachbarstaaten zu dämpfen. Die tagtäglich sich wiederholenden Greuel sind der Ausfluß einer planmäßig burchgeführten Schreckensherrschaft, zu der die Arnauten geflissentlich ermuntert werden. Die Steuern, welche sie nicht bezahlen wollen, werden den Christen aufgebürdct und drei- oder viermal von ihnen erhoben, an Christen begangenes Unrecht bleibt straflos, und wehe dem, der eine Anzeige bei den türkischen Behörden wagen wollte. Ans solche Weise ist das Ziel natürlich leicht zu erreichen. Dutzende von Dörfern liegen in Trümmern, aus andern sind die Bewohner verjagt, und daS alles in einem Lande, daS noch vor wenigen Jahrhunderten von albanesischen Horden vollständig frei und bis zum UnglückStaae von Kosovo aus schließlich von Serben besetzt war. AlS aber infolge der maßlosen Bedrückungen Hunderttausende von ihnen in Süd- Ungarn und Slavonien eine neue Heimath suchten, nahmen die Albanesen der übervölkerten Alpcngebiete die leeren Sitze der Ausgewanderten ein und maßten sich eine solche Willkür an, daß viele der Zurückgebliebenen den Islam annahmen und zum Theil in den Arnauten aufgingen So ist Albanien eine der barbarischsten Provinzen deS türkischen Reiche-, obwohl cS dem civilisirten Europa näher liegt als viele Länder deS Orients und daher vom Abend lande einen wohlthätigen Einfluß erhalten sollte. Seine Be wohner sind ein Volk in Waffen, und jeder einzelne ist ein geborener Soldat. Nicht mit Unrecht hat man die Albanesen die Schweizer deS Orients genannt; denn obgleich sie sich massenhaft zum türkischen Kriegsdienst drängten, so kam es ihnen nicht darauf an, auch gegen den Sultan zu kämpfen oder als Söldner in ausländische Heere einzutreten. Der beständige Kriegszustand und daS in Fleisch und Blut über- gegangene Krieger- und Räuberleben haben es aber mit sich gebracht, daß die Schkipetaren auf einer tiefen Culturstufe verharrten und jeden Fortschritt zum Besseren als einen Ein griff in ihre ängstlich gehüteten Vorrechte betrachteten. Statt des völlig darniederliegenden Handels sind Raub und Blut- FeirrHetsir» Londoner Brief. Von FranciS Brömel. (Nachdruck verboten.) Man bat England wegen seiner vielen eigenthümlichen Gewohnheiten einen „sechsten Welttheil" geheißen. Ein stolzer Brite schrieb sogar einmal den Satz: „England ist ein an Europa nur vor Anker gegangenes Schiff". Wie viele ab sonderliche, von den Urahnen angeerbte Sitten! Auch aus gestorben, bleibt deren immer noch eine Fülle in der Stadt und auf dem Lande, in Berg und Thal. ES sind zwanzig Jahre her, wo beispielsweise ich noch der sogenannten „Peitschung der Grenzen", d. h. der Stadt grenzen der alten City von London, beiwohnte. Eine Schaar costümirter Knäblein, von einem Citybeamten ge führt, erschien in den Gaffen und peitschte mit einem Rohre gewisse Steine, welche auf alter Stadtkarte als Grenz marken galten. Oft war die Grenzlinie überbaut. Dann marschirten sie durch das Haus und peitschten im Hofe oder gingen in Kramläden hinein, die Dielen mit dem Ronre schlagend, und so fort ringS um jenes alte Mittelstück unseres „neuen Babylon", dessen fünf Millionen Bewohner nach einer eben veröffentlichten amt lichen Prophezeiung unseres GrasschaftSratheS in weniger als einem halben Jahrhundert auf siebzehn Millionen angeschwollen sein werden! Die zur alljährlichen Grenz- peitschnng verwendeten Knäblein beißen beute „Blaurock-Buben" und werden in einem großen WohlthätigkeitS-Pensionat er zogen. Sie tragen mittelalterliche enganschließende Höschen von gelber Farbe, einen langen blauen Rock und müssen allezeit auch auf der Gasse in allen Wettern barhäuptig gehen! Würde ihnen die Mütze von der Schulbehörde er laubt , so ginge der Anstalt rin unter jener sonderbaren Bedingung Übermächte« TestamentS-Capital verloren. Die gute alte Zeit! Noch leben Leute, die sich erinnern, daß damals noch hier und da die Kinder in England um Weihnachten vor dem darauffolgenden 28. Decrmber zitterten, dem „Jahrestage" der durch König Herodes verordneten „Massacre der Unschuldigen". Es erhielten Jahrhunderte lang alle Kindlein der Familie die Ruthe in memoriam! Heute kommt es dagegen vor, daß mitunter ein Knabe seinen Vater vor Gericht verklagt, weil er ihn „gesetz widrig" gezüchtigt! Doch — und doch — liegt zur Stunde ein Bericht vor mir, wonach alle Polizeirichter Londons ein dringendes Gesuch an die Negierung gerichtet haben, hinfort die männliche Jugend, so sie eines Vergehens sich schuldig macht, bis zum 16. Jahre einer Prügelstrafe anstatt der Einjperrung u unterwerfen, denn letztere flöße ihnen viel geringeren »essernden Schrecken ein, als die Ruthe. Unter dem Titel „Gilbert Gurney" liefert Theodor Hook Schilderungen der „guten alten Zeit", wie sie sich in der Old-Bailey, dem Jahrhunderte alten Criminalgerichtsbof der londoner City, bethätigte. Gilbert Gurney wurde von einem GerichtS-Sheriff zu einem Banket „über der Gerichtshalle" mit den Worten eingeladen: „Sie werden gute Verurtheilungen mit anhören und dann herrlichen Pudding genießen". So zeschahs. Gurney sah die Verhandlung gegen einen Taschen dieb mit an. Ein „Nichtschuldig" der Jury erfolgte, und der Gefangene „verbeugte sich dankbar mit vor Freude leuchtendem Antlitz". Der Sheriff flüsterte seinem Gaste zu, daß der Freigesprochene ein Gewohnheitsschuft sei. Er habe diesmal 17 Uhren, 32 seidene Taschentücher, 4 goldene Brillen und 5 silberne Tabakdosen gestohlen. Sein Gast bemerkte, daß demnach Mangel an Bewei- vorhanden sein mußte, erhielt jedoch die erstaunliche Antwort: „Sie wissen wenig von unserer Old-Bailey. Wenn unsere Geschworenen immer sich mit der Erwägung der Beweisaufnahme aufhalten müßten, würde man mit den Geschäften der Session niemals fertig!" Die Geschworenen, wie sich herausstellte, erleichterten sich damals die Arbeit, „im Zickzack ihr Urtheil zu fällen". Wurde ein Angeklagter schuldig gesprochen, erfreuten sie den nächsten mit Freispruch, den darauf folgenden verdonnerten sic wieder, und so ging eS fort in regelmäßiger Abwechselung. „Für eine Hälfte Freispruch im Kalendermonat, für die andere Kerker oder Galgen!" Damals henkte man noch für Diebstahl auf Höhe weniger Schillinge! Der Sheriff sagte zu seinem Gaste: Im Durchschnitt komint es bei diesem Verfahren zum rich tigen Punct und ich glaube Justiz wird hier ebenso recht geliefert, als in sonstigen Gerichtshöfen der Christenheit." Als der Lord Mayor in einem Falle der Jury denselben erläuterte, steckte ein Perrücken-Lakai den Kopf durch die Thür und wisperte etwas. Sofort zog jener „City-König" dir Uhr aus der Tasche, schrieb einige Worte auf ein Blatt Papier und reichte es herum. Es war ein Memorandum, besagend, „daß das Diner oben fertig sei". Ein Stellvertreter Ubernabm den Rest deS Verhörs. Sonst ging Alle- nach oben, Richter und Advocaten; auch der Geistliche, der eben zu einem zum Tode Berurtbeilten gesprochen, sorgte dafür, daß die Weinflasche ihren Umgang machte. Plötzlich wurde der Henker aiigemeldet, der eben eine Tour auf dem Lande beendet. Auch ihm wurde eingeschenkt und er erzählte u. A.: „In fünf Wochen batte ich nur drei Mal meine Pflicht zu erfüllen, aber eS geschah bei herrlichem Wetter. Es waren die schönsten Wochen meine« Lebens!" Darauf begaben sich die Männer deS Gesetzes wieder in die Halle der Verdammungen. Eine hübsche Zahl Wein laschen folgte mit, „und daS Geschäft ging rasch. Ein ganzer Zause von Verbrechern wurde zum Tode verurtheilt". Äurney, der alles dieses mitangesehen, wurde von einem ächelnden Gerichtsbeamten, der ihm Erschütterung vom Gesichte las, gefragt: „Warum so erregt? Wollen Sie nicht der Hinrichtung beiwohnen? Wir denken morgen früh um acht Uhr und frühstücken um neun! Und wir dinirrn zweimal, um drei und um fünf Uhr." In den Zwischenpausen löste eine Gruppe Richter die andere ab. Diese Diners blieben bis zum Jahre 1879 in großartigem Maße alte Gewohnheit — oben getäfelt — unten geweint, oben toastirt — unten verdonnert in farbiger Abwechselung. Nebligen« trifft eS sich noch heutigen Tage- sehr oft, daß bei einer Verhandlung der Vertheidigrr mitten in seiner Rede durch den leisen Ruf: „Halt, jetzt erst speisen!" unterbrochen wird. Inzwischen wird oft dem Angeklagten leichter zu Muthe, die Rückkehr des Richters und der Geschworenen erwartend. Er erinnert sich deS volksthümlichen Sprichworts: »Der kürzeste Weg zu englischen Herzen geht durch den Magen". Den Machthabern und Gildenchef- der City stehen alljährlich 90 000 Pfund Sterling alter Capitals-Zinsen zur Magemrflege zur Verfügung. Dazu gehören auch die Zinsen eines ErbcapitalS, welche der Testator ehedem zur „Holz- beschaffung für gute Scheiterhaufen" bestimmte. In unser» modernen Tagen wird dieses Geld heiter verspeist! Auch »st eS noch heute ein Recht englischer Gemeinde-Räthe, sich bei der wöchentlichen Zusammenkunft an einem Diner auf Gemeinde-Kosten zu delectirrn. Der Kostenpunet schwankt zwischen 10 und 20 „E, je nachdem, mit oder ohne Cham pagner. Wenden wir uns zum Lande, so finden wir, daß dir Schilderung altbergewohnter Curiositäten Bände füllen würde. So wird alljährlich in der Stadt Coventry «in Volksfest zu Ehren der „Lady Godiva" gefeiert. „Es gab einmal" eine Dame dieses Namen-, deren Gatte über der Stadt al« brutaler Feudalherr waltete und dieselbe mit hohen Abaaben preßte. Sie bat mitleidsvoll um Schonung der Aermllen und bot ihm an, alles zu thun, wa« er von ihk verlang." h^nlachend zur Bedingung, daß^ „unbekleidet wi« Eva durch dir Stadt reite " -r die Steuern fahren lassen!" Und Lady Godiva Gasse wahrend de- Durchritt». Heute wird am Ä, ->b,r die «a,u Schin? °°n'. Li,'."'"" Paul,».Mus,, Andere Beispiele auS verschollenen Tagen liefert unter vielen die alte Grafschaft Kent und vor Allem daS ehedem „glorios" getaufte, vom Moos des Mittelalters umgraute Fordwick. Es soll da ehedem eine Reliquie gegeben haben, (wie auch einst in einer pommerschen Stabt der Fall gewesen) darstellend ein „Stück der Leiter, die Jakob im Traum ge sehen". Auch „Zähne des heiligen Apollonia" gab es dort, die als ein „Schutzmittel gegen Zahnweh" am Halse getragen wurden. Wie der Chronist Kilgenan erzählt, machten sich diese Zähne so gut bezahlt, daß mehrere Crntner davon unter das leidende Publicum kamen, was von interessirter Seite damit erläutert wurde, daß jene heiligen Ueberbleibsel die Eigenschaft der Selbstvermehrung besäßen. — Ein Finger deS heiligen Andreas ist im Besitze eines Edelmanns, Nachkomme eines Ahnen, der in Geldverlegenheit da« Object für 40 Pfund Sterling verpfändete. Eine andere Reliauie auS der guten, alten Zeit wird im sogenannten „Taucher-Stuhl" gezeigt, ehe dem bestimmt zur Bestrafung zanksüchtiger Weiber. Auf dem Stuhl festgebunden, wurden sie ins Flußwaffer so lange getaucht, bis nur noch ein Athemzug übrig bliev, und dann in dem Sitzungssaal der Stadtbehörde niedergesetzt, „bis sie getrocknet". Auch Hinrichtungen erfolgten durch Ertränken, wobei der Henker den Kopf des Verurteilten so lange unter Wasser zu Hallen batte, bis sein Leben erloschen. DaS ist heute anders. Die Justiz in diesen alt-englischen Landstädten hier und da fand die Criminal-Procefsr zu kostspielig, ins besondere, weil die Bürgermeister diese Ausgaben aus ihren eigenen Bezügen >u bestreiten hatten. So half man sich in sehr origineller Weise. Ein Er oder eine Sie, welche gegen dir Gesetze des Landes gesündigt, wurden in den unteren Räumen deS Stadthauses eingekrrkert, aber die Pforte blieb unverschlossen! Nur eine Holzklobe wurde der Form halber gegen dir Thür gelehnt, dem geringsten Stotz nachgrbend. Am Morgen waren dann die Ärrestaten über alle Berge, und der Mayor behielt seine Guineen in der Tasche. „Die gute, alte Zeit!" Die „edle Fuchsjagd" wird seltener. Belgien muß halb zahmes Wild dazu liefern. Noch jagen Ladies mitunter auch dabei, aber wo ist der Pastor, der mit- gejagt? Der letzte starb vor einigen Jahren! Einst war Rauschgesellschaft mit Portwein landadlige Standespflicht. Noch j,t in manchem alten Landhause ein riesiger Lehnstuhl ausbewahrt. Der galt dem »nitzechenden Pastor, der sich zum Schlummer darauf niederstrrckte, während die „Edlen", einer nach dem andern, unter den Tisch glitten und dort ungestört sich wieder nüchtern schlafen konnten. — Der „Minstrel" auch singt und barst nicht mehr, geehrt und geliebt, neben dem Banket-Tisch! Er bettelt als Flötenbläser oder lärmt als Dreh-Orgler auf der Gaffel — ^nrsvsUl rnrevell!
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