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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.09.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18950905029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895090502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895090502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-09
- Tag1895-09-05
- Monat1895-09
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichnib- Tabellarischer und Zissernsap nach höherem Tarif. Ekrtr« »Beilage» (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförder,mg 60.—, mit Postbeförderuug Annahmeschluß für Anzeigen: (nur Wochentag«) Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Margen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je einr halbe Stunde früher. Vluieigen sind stets an di« Gxpehitiai» zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. ^429. Donnerstag den 5. September 1895. 89. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. September. Der vom Kaiser ausgesprochene Gedanke, dem soctaldemo- kratischen Treiben, wie es aus Anlaß der nationalen Gedenk tage wieder in seiner ganzen Verruchtheit das Volksgefühl gekränkt hat, ein Ziel zu setzen, wird, wie nicht anders zu erwarten war, von der nationalen Presse mit derselben Be reitwilligkeit in der Sache ausgenommen, wie eS bereits von unserer Seite geschehen ist. Zur besonderen Genugthuung muß es nun gereichen, daß ein Blatt wie der „Hann. Cour." gleich ein volles Einsetzen der Kraft für den Fall, daß überhaupt etwas geschehen soll, verlangt. „Mit Viertels- und halben Maßregeln", schreibt er, „ist da nichts gethan." Wir fügen hinzu: Viertels- und halbe Maßregeln oder gar ein abermaliger mißglückter Anlauf zur Bekämpfung des inneren Feindes sind schlimmer, als nichts. Die „Nordd. Allg. Ztg." bringt heute Auslassungen, von denen sicher ist, daß sie ihre Form von der Redaction dieses Blattes erhalten haben, von denen aber zweifelhaft bleibt, ob ihr Inhalt auf eine maßgebende Stelle zuruckzuführen ist. Sie be zwecken zuvörderst, darzuthun, daß auf den gegenwärtigen Reichstag trotz des kläglichen Verlaufs des jüngsten Versuchs, der Svcialrevolution mit gesetzlichen Mitteln entgegen zutreten, noch einige Hoffnung gesetzt werden könne. Die Roh heiten des „Vorwärts", das will das Blatt sagen, hätten die Socialdemokratie in einem Lichte gezeigt, das die An nahme von ihrer friedlichen Entwickelung zu einer gemäßigten Reformpartei lächerlich erscheinen lasse. Sodann geht aus der Auseinandersetzung der „Nordd. Allg. Zeit«." hervor, daß sie zunächst noch an die Möglichkeit denkt, die Be kämpfung der Socialdemokratie auf dem Boden des gemeinen Rechts zu unternehmen. Das Eine, wie das Andere er scheint uns als Illusion. Man braucht nur auf die Commen- e der freisinnigen Presse zur Kaisrrrede einen flüchtigen Blick werfen, um von dem Wahne curirt zu werden, daß dieDemo- tare r» Reichstag. Können wir von diesem uns überhaupt nur schwer Abhilfe versprechen, so noch weniger, wenn an ihn abermals die Forderung gestellt werden sollte, die Socialdemokratie mit Gesetzesbestimmungen zu treffen, die für die Allgemeinheit Geltung haben sollen. Die Aufgabe anders als auf dem Wege eines Specialgesetzes zu lösen, dürfte sich ver- muthlich auch ein für den Zweck günstiger als der jetzige zusammengesetzter Reichstag nicht gewachsen zeigen. Ihre Lösung ist nicht nur in der vorigen Tagung, sondern schon zwanzig Jahre früher einmal, den Anstrengungen eines Bismarck zum Trotz, gescheitert. Indessen diese Be merkungen sind vermuthlich überflüssig, da aus das Be stehen der Absicht, diesen Reichstag mit einer Ergänzung der allgemeinen Gesetze zu befassen, nicht« weiter als ein Zeitungs artikel schließen läßt. Sehr wahrscheinlich, daß an gesetzgeberische Maßnahmen zur Zeit überhaupt nicht gedacht wird. Eine Kund gebung der badischen Regierung spricht durchaus für diese An nähme. DaS amtliche Organ derselben, die „Karlsruher Zeitung", nimmt, wie schon mitgetheilt, die AuSschreitungen der Socialdemo- kratie zum Anlaß, die entschiedenere Anwendung der Gesetze, also natürlich der bestehenden Gesetze, zu fordern. Und dies mit gutem Grunde. Denn nach dem Mißlingen deS Versuches einer Erweiterung von Gesetzen, die den Regierungen zur Abwehr der revolutionairen Bestrebungen nicht ausreichend dünken, wird die bestehende Gesetzgebung nicht voll ausgenutzt. Das klingt unglaublich, ist aber dennoch wahr, und die Wahrheit wird bestätigt eben durch jene Auslassung des badischen Regierungsorgans. Vielleicht, daß die Wirkung der kaiserlichen Rede sich zunächst in einem energischeren Gebrauch der vorhandenen Waffen äußert; die gestern in Berlin erfolgte Beschlagnahme zweier Nummern des „Vorwärts" und die Verhaftung seines Redacteurs sind nicht ungeeignet, diese Annahme zu stützen. Bestehen aber weitergehende Pläne, so kann man nur hoffen, daß die Regierung aus der „Nordd. Allg. Ztg." spricht, wenn diese ihren Appell zur Niederkämpfung der ver wüstenden socialdemokratischen Propaganda mit den Worten schließt: „Und Niemand mag sich Rechnung darauf machen, als Patriot zu gelten, der sich der rückhaltlosen Be- theiligung an dieser Arbeit hinter der Coulisse von Privat wünschen und Sonderbestrebungen, die er bei dieser Gelegen heit in den Vordergrund schieben und zu deren Bestem er die Gelegenheit ausnutzen will, entzieht." Das gilt den Ultramontanen, die an den von der Socialdemokratie gelegten Bränden ihre Parteisuppe kochen wollten. traten etwas gelernt haben. Da parädirt eben jene Phantasie von der gemäßigten Reformpartei und der HymnuS auf die Segnungen des Gewährenlassens, ganz wie vor einem halben und wie vor zehn Jahren. Und, was schwerer ins Gewicht fällt, der, wenn er ernst gemeint ist, alberne Trost, daß die Socialdemokratie heute und morgen noch nicht eine be waffnete Abwehr nothwendig machen werde, findet sich nicht nur in der freisinnigen, sondern auch in der CentrumS- ^ . presse. Diese Parteien aber sind maßgebend imgegLuwärti-^n Igcgen gewifsd BcvötknüngSclaffen genügte Stimmung er- Zu der bekannten Auslassung der „Karlsruher Zei tung" über die entschiedene Anwendung der bestehenden Gesetze schreibt heute die „National-Liberale Correspondenz": „Es versteht sich von selbst, daß baS amtliche Organ der badischen Regierung nicht bei feierlichem Anlaß mit dieser Bemerkung hervorgetreten wäre, wenn es die Ueberzeugung hätte, daß von den zugänglichen Schutz- maßregeln gegen die Umsturzbestrebungen im vollen Umfang Gebrauch gemacht würde. Den Eindruck, daß dies nicht geschieht, hat man trotz der nicht seltenen Fälle staatsanwalilichen Uebereifers und Kopfschütteln erregender Auslegekunst von Gerichten auch außerhalb Badens ge wonnen. Insbesondere scheint die Anwendbarkeit des 8. 130 des Strafgesetzbuches (Aufreizung verschiedener Classen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander) in demselben Maße unterschätzt zu werden, als die Heranziehung deS „Groben-Unfugparagraphen" an Beliebtheit gewonnen hat. Jedenfalls sind häufig Zeitungs aufsätze und Reden, die dem Durchschnittsmenschen keinen Zweifel darüber lieDy^ düß sie eine zu Gewaltthätigkeiten" zeuge» mußten, außer strafgerichtlicher Verfolgung geblieben und damit dem öffentlichen Rechtsbewußtsein unlösbare und verwirrende Probleme gestellt worden. Die Zurückhaltung, die die Justiz in dieser Richtung übt, ist um so weniger zu erklären, als die Rechtsprechung des Reichsgerichts Versuchen, dem ß. 130 eine angemessene Anwendung zu geben, günstig ist. Erkenntnisse dieses Gerichts besagen, daß der öffent liche Frieden als gefährdet anzusehen ist, wenn die Möglichkeit vorliegt, daß der Zustand der Be ruhigung der Staatsangehörigen sich in einen Zustand der Beunruhigung verwandelt, und daß die Gefährdung keine naheliegende zu sein braucht. Andere Urtheile erklären die nähere Bezeichnung der Gewaltthätigkeiten als zur Straf barkeit nicht erforderlich und geben der Auffassung Raum, daß es nicht nothwendig ist, daß zu in nächsterZeit beabsichtigten Gewaltthätigkeiten aufgefordert wird. Die Zahl der Preß- erzeugnisse aber, die das Lesepublicum in beunruhigender Weise an den Gedanken. Gewaltthätigkeiten zu verüben, zu gewöhnen trachten, ist in den letzten Jahren eine sehr große gewesen. Daß die Erregung eines grenzenlosen Hasses gegen die nicht handarbeitenden Classen, eines Hasses, den sicher nur die materiellen Machtmittel des Staates vor der Betätigung durch Handlungen zurückschrecken, straflos zu bleiben hat, scheint aus den Erkenntnissen des Reichsgerichts nicht hervorzugehen." Ueber den russischen General Dragomirow, der, wie bekannt, bei den französischen Manövern eine hervor ragende Rolle spielen soll (er ist, wie gemeldet, bereits in Paris eingetroffen und gestern vom Kriegsminister Znrlinden empfangen worden) wird der „Köln. Z." aus Petersburg geschrieben: General Dragomirow ist, neben dein General stabschef Obrutschew, für das französische Heer der volks tümlichste russische Osficier. Er ist der militärische Führer des rothen PanslaviömuS, der im Falle eines unglücklichen Krieges in Rußland gern an Stelle des Zarenthums die Republik setzen würde; er hat in seiner langen Dienstzeit im Gencralstabe, namentlich als Direktor der Generalstabs- akademie von 1878 bis 1889, den panslavistischen Deutschenhaß und die Franzosenveraötterung im russischen Generalstab geschürt und zu dessen unabänderlicher Charaktereigen schaft gemacht; auch hat er das Seine gethan, um diesen Geist zum Gemeingut der ganzen russischen Armee, wenigstens deren europäischen Armeecorps, zu machen. General Drago mirow spielt in den jetzigen russisch-französischen Beziehungen eine so tonangebende Rolle, er ist eine so ausgesprochene Erscheinung, heiter und ernst zu nehmen, daß es sich wohl lohnt, näher auf ihn einzugehen, um so mehr, als der im Kriegsfall zum Führer gegen Oesterreich bestimmte 64jährige Oberbefehlshaber in Kiew heute noch den glühendsten Wunsch hegt, seine Truppen mit den französischen in Wien zu vereinigen. Er machte den Krieg 1866 im preußischen Hauptquartier mit und glaubt immer noch die Oesterreicher von damals vor sich zu haben. Aber auch die preußische Armee unterschätzt er, und wunderbarerweise gerade aus den Erfahrungen dieses Krieges her. ganz gewaltig, wozu natürlich sein Deutschenhaß, sein Widerwille gegen den deutschen Charakter viel beiträgt. Wo General Dragomirow sich als Soldat ge zeigt hat, im Krieg und Frieden, hat er seinen Platz im rein militairischen Sinne vortrefflich ausgesüllt. Aber in anderer Beziehung steht General Dragomirow auf nicht so hoher Stufe. ES ist dann von des Generals Neigung zum Trünke, von seiner Leidenschaft für Champagner und Cognac die Rede, worauf es weiter heißt: Sowie nach dem Essen die richtige Stimmung vorhanden, setzt sich General Dragomirow z» den jüngsten Lkeuteuains/ macht zunächst unter je dreimaligem Kuß und Leeren eines großen Glases mit Jedem Brüderschaft und befindet sich bald mit den jungen Leuten in anregender Unterhaltung, bei der die jungen Officiere ihm über ihre Vorgesetzten erzählen müssen. Je mehr sie schimpfen, desto besser. Bei einem Petersburger Garderegiment eingeladen, wandte er sich in seiner Tischrede an die Jugend und verspottete derart den Parade diensteifer des anwesenden Regimentscommandeurs, daß dieser mit Mühe durch einen neben ihm sitzenden Großfürsten ab gehalten werden konnte, einen unangenehmen Auftritt herbei zuführen. Bei solchen Gelegenheiten ist natürlich viel von dem ersehnten Kriege gegen Oesterreich und Deutschland die Rede, und die Officiere werden von ihrem obersten Befehls haber zum Panslavismus und Deutschenhaß geschürt. Man kann sich vorstellen, wie der General in französischen Officierskreisen gefeiert werden wird, und es liegt nicht außer dem Bereich der Möglichkeit, daß es zu Auftritten kommt, denen eine politische Bedeutung nicht abz'. sprechen wäre. Dodds, hatte. Nach dem Urtheil des Generals sind die Be ziehungen der beiderseitigen Behörden ausgezeichnete und sebr herzliche, was speciell auch für den persönlichen Verkehr mit Herrnv. PuttkamerGeltung habe. Was den Verkauf von Waffen von Seiten deutscher Häuser während der französischen Expedition betreffe, so meinte General Dodds, habe es sich hierbei durchaus um Ausnab men gehandelt. „Oui, xart'Liteirwut."; wir haben einige kleine Schwierigkeiten mit deutschen Häusern gehabt, allein dies sind ganz außergewöhnliche Vorfälle, (cke cas tont L t'ait exceptlonuels) gewesen. Man habe sich damit begnügt, die Schuldigen zu entfernen und deren Factoreien zuzn- schließen, soweit es sich bei diesen letzteren nicht um Niederlassungen gehandelt habe, deren in Deutschland wohnende Chefs nachweislich von dem ganzen Handel nichts gewußt batten. Mit diesen letzteren sei eine Einigung herbeigeführt worden (cm 8'68t. arrangö). Bei alle dem habe es sich aber, wie gesagt, um ganz vereinzelte Fälle gehandelt, denn, allgemein gesprochen, sei gegen die deutschen Häuser, von denen eine gewisse Anzahl ja noch immer auf französischem Gebiete etablirt sei, nicht das Geringste zu sagen. Von unseren Besitzungen in Kamerun und Togo sprach der General als von zwei schönen Colonien. die eine große Zukunft besitzen. Die Verwaltung sei eine ganz vorzügliche, ebenso müssen die gemachten Fortschritte als wirklich staunens- werthe bezeichnet werden. Man müsse diese Dinge aus der Nähe gesehen haben. Es werde sich, fügte der General noch hinzu, bei Dahomey und Togo indessen eine kleine Grenzregulirung über kurz oder lang nicht umgehen lassen, da die früheren Abgrenzungen ohne genügende Rücksichten ans tatsächliche Verhältnisse vorgenommen worden seien, so daß sich hinterdrein ergeben habe, daß Dörfer, die zu Togo ge hören, ihre Culturen aus französischem Gebiet besäße», und umgekehrt Dörfer, die zu Dahomey gehören, ihre Culturen auf deutschem Gebiet. Das Derhältniß der deutschen und französischen Colonialbehörden in Togo und Tahome kam in einer Unterredung zu erfreulicher Erörterung, welche letzter Tage der Sydneier Correspondent der „Franks. Ztg." mit dem be kannten Führer der französischen Dahomey-Expedition, General Deutsches Reich. ID Berlin, 4. September. DaS Sommerfest der Arbeiterbildungsschule, das vor Kurzem auf der Berliner Bockbranerei stattgefunden uv> da« die zrterrle Cafse wieder füllen sollte, hat ein Deficit von mehreren Hundert Mark ergeben. Diese Thatsache verdient deshalb besondere Beachtung, weil, nachdem der Polizeipräsident die Aufführung des Stückes „Die Erstürmung von Schorn dorf, eine Episode aus den Bauernkriegen" verboten batte, das Centralorgan der socialdemokratischen Partei den Besuch des Festes als obligatorisch für jeden zielbewußten Genossen hinstellte. Nachgerade aber werden dem Arbeiter derartige „Ehrensachen", die sich oft wiederholen, zu kostspielig. Noch tiefer hineingefallen sind die Socialdemokraten mit der vom Wahlverein des dritten Berliner Reichslagswahlkreises am Vorabend des Sedan je st es in der „Neuen Welt" veran stalteten Lassalle-Feier. Bei diesem Fest wurde ans be sonders starke Beiheiligung gerechnet, und es war auch, um die Unkosten decken zu können, eine Besucherzahl von 5000 Per sonen als nothwendig hingestellt worden. Statt dessen aber erschienen nur 500 Männer und Frauen, vor denen der Parteisecretair Auer seine Weisheit auskramte. Das Deficit des Unternehmens beträgt gegen 1000 Berlin, 4. September. Die Sedanfeier hat einem freisinnigen Organ einen jener lichten Momente beschcerl, die wegen deS sonst in jenem Lager herrschenden Dunkels der „Unentwegtheit" immer freudige Ueberraschungen bereiten. Die „Vossische Zeitung" schreibt nämlich über die Ver sa ssun g des Norddeut)chen Bundes, die später die des Reiches FrrriHetsir. Schwere Kampfe. Roman aus dem «rohe» Kriege. Von Carl Tanera. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Damit reichte sie ihm die Hand, die er leidenschaftlich küßte. Dann erhob er sich, flüsterte erregt: „Auf Wieder sehen in Hamburg" und setzte sich wie vorher auf die Ruder- bank. Nach wenigen Minuten landeten sie am Ufer deS Hotelgartens. Er half ihr stumm aus dem Boote. Niemand sah sie. Renate konnte unbemerkt in den Tanzfaal treten: Horn begab sich auf die Veranda. Dort wurde er vom Rath Strecker mit den Worten empfangen: „Ich suchte Sie schon seit einiger Zeit. Wir müssen jetzt da- Signal zum Aufbruch geben lassen, sonst versäumen wir den Zug. Bitte ordnen Sie alles Nöthige an." Im Nu war der Lieutenant wieder ganz Arrangeur. DaS Signal „Sammeln" rief die im Garten verstreuten Mitglieder herbei; der Rath und alle Festtheilnehmer verabschiedeten sich von Frau Strecker, ihrer Tochter und Fräulein Thorstraten, welche ja im Seehof verblieben, und dann setzte sich der Zug, voraus die Musik, nach dem Bahnhof in Be wegung. Als Lieutenant Horn sich von ven Damen ver abschiedete, reichte ihm diesmal Renate auch die Hand, und er fühlte einen leichten Druck. Sonst verrieth nicht« in ihrem Gebahren, was sich zugetragen hatte, und auch der Osficier, ihrem Beispiel folgend, beherrschte sich so vollkommen, daß Niemand, nicht einmal Fräulein Mechtildi«, etwas von dem Einvernehmen ahnte, da« doch zwischen Beiden bestand. Auf dem Bahnbof theilte Horn dem Vorstand und der Gesellschaft mit, daß er noch zu Fuß nach Bernried wandern und erst den morgigen Frühzug nach München benutzen wolle, weil er gern noch einmal seine Mutter begrüßen möchte. Die Musik spielte nun einen flotten Marsch, der Zug setzte sich in Bewegung und nachdem Horn nochmals Allen rugewinkt und „gute Ruhe" nachaerufen hatte, wandte er sich südlich und wandert» in die stille Nacht de», freundlichen Bernrird „nd den, idyllischen Häuschen am See zu. Während deS Marsches nach Bernrird rief sich Lieutenant Horn Alles, was er am heutigen Tage erlebt, noch einmal in die Erinnerung zurück. Er fühlte sich in einer glücklichen Stimmung, aber er empfand nichts von jenem bezaubernden LiebeSrausch, der die meisten jugendlichen Liebenden ergreift, wenn sich die Herzen gefunden und beide sich gegenseitig er klärt haben. Es stieg sogar eine leise Wolke von Unmuth gegen Renate in seinem Innern auf. Eigentlich betrug sie sich doch fürchterlich vernünftig. Einen Kuß konnte sie mir wirklich gewähren. Ich glaube, kein süddeutsches Mädchen hätte mir in einem solchen Augen blick meine Bitte abgeschlagen. — Aber freilich, sie ist eine Norddeutsche. Ihre Erziehung war eine ganz andere, als es bei unseren jungen Damen der Fall ist. Dort sind die Menschen überhaupt steifer und man hält soviel auf die gewohnte Form, daß diese ganz in Fleisch und Blut übergeyt und ein Mädchen selbst in den erregtesten Momenten nickt verläßt. Es hat da« auch sein Gutes. Ein Frau, wie Renate sie werden wird, kommt nie in den Fall, in Uebereilung oder Unbedachtheit einen Fehler zu begehen. Sie wird eine sehr kluge, eine sehr besonnene Frau werden. Sie ist kein Kind mehr. Unser LiebeSleben wird nicht aus Tändelei bestehen. Sie ist eine vollendete Dame. Eine solche muß ich aber als Osficier auch haben, be sonders wenn eS mir gelingt, durch die Akademie den General stab zu erreichen. Es ist eigentlich doch ein kolossale« Glück, daß sich mein Herz auf eine Dame von Renaten- Ernst und Erziehung und nicht auf ein halb reifes Dingelchen, wie z. B. MechtildiS Strecker, geworfen hat. Je mebr ich e« mir überlege, desto mehr muß ich mir sagen, ich hätte keine bessere Wahl treffen können. Durch die Liebe wird Renate schon vor einer zu nüchternen Lebensanschauung bewahrt bleiben. — Und sie liebt mickl Bei ihr genügt d,e schwache Andeutung, daß sie das Leben mit mir al« höchste« Glück ansehen würde, vollkommen, denn sie ist frei von jeder Phrase und wahr bi« auf da« Innerste ihrer Seele. — Sie hatte recht, mein zu stürmisches Vorgehen etwas zu mäßigen. Um Renate Thorstraten darf man nicht werben wie um einen Backfisch, der in romanhaftem LiebeSrausch alle Form und Sitte vergißt; mit Renate Thor- straten kann man nicht hinter dem Rücken de« Vater« eine Liebelei anfangen; um sie muß man freien wie um eine Fürstentochter, daS will ich nun thun. Sie selbst ließ ihre Liebe doch so laut sprechen, daß sie mir genau die richtig« Bahn bezeichnet?, die ich betreten muß, um in ihren Besitz zu gelangen. Bald, hoffentlich sehr bald wird dann die gött liche Renate mein, für ewig mein und macht mich dadurch zum Glücklichsten aller Sterblichen." Auf solche Weise hatte sich Horn allmählich doch in eine so gehobene Stimmung gebracht, daß seine Mutter ihn mit großer Befriedigung betrachten konnte, als er gegen IO>/r Uhr in daS kleine Häuschen trat und sie mit den Worten: „Mutter, in kurzer Zeit wirst Du Renate als Deine Tochter umarmen können", begrüßte. Sie antwortete: „Gott sei Dank", nahm seinen Kopf zwischen beide Hände und küßte ihn auf die Stirne. Dann mußte er in das Zimmer treten, Säbel und Mütze ablegen und erzählen. Während er ausführlich berichtete, stellte ihm Frau Horn Butter, Brod, Käse und Rettige sowie ein Maß Bier auf den Tisch, und er ließ es sich zwischen dem Sprechen recht gut schmecken. Er hatte ja noch gar nicht zu Abend gegessen und auf seinen nächtlichen Spaziergang trotz der mneren Erregung doch einen tüchtigen Hunger und Durst bekommen. Am anderen Morgen mußte der Lieutenant schon vor 5 Uhr aufstehen, um den Frübzug zu erreichen. Er rief seiner Mutter ein Lebewohl zu und eilte, ohne Kaffee oder etwas Anderes zu sich zu nehmen, zur Bahn. Wegen seiner Person die Köchin oder gar seine Mutter zu vorzeitigem Aufstehen zu veranlassen, hätte er für rin Unrecht gehalten. ES fiel aber den beiden Letzteren auch gar nicht ein, sich zu erheben, denn an eine solche Verwöhnung dachte keine von ihnen. Der Osficier fuhr ja jeden Montag mit dem Frühzug zur Stadt zurück, ohne vorher etwa« zu genießen. Dafür stand in seiner Wohnung in München der Kaffee schon bereit, als er in sein Zimmer trat, Witzelberger, der Bursche de« Lieutenants, hatte ihn mit großer Sachkenntniß gekocht, frisches Weißbrod gekauft und Alles fein säuberlich ausgetischt. „Guten Morgen, Witzelberger. Ist etwa« für mich an gekommen ?" „Nein, Herr Leitnaot." „Richte die gute Uniform, die Epauletten, da« dausseeol*) und den neuen Helm her. Ich will beim Herrn General um Urlaub bitten." *) Altbayerischer Ningkragen, damals an Stelle der jetzigen SchSrp« al« Dtenstzrichrn getragen. „Jetzt. Herr Leitnant? I' Hab' 'dacht, der Herr Leitnant genga erst im Juli aufs Land." „So isi es auch. Aber ich reise vorher nach Hamburg." „Nach Hamburg? Dees iS ja ganz drob'n in Nord deutschland. Was woll'n denn der Herr Leitnant dort thua?" „Mir eine Frau holen. Witzelberger." „A Frau? O mein, Herr Leitnant! Der Herr Leitnant mache' do' blos an Gspaß mit mir." „Nein, gewiß nicht. Ich will mich verloben." „Dort drob'n, in Norddeutschland! Do' halt! Jetzt gebt mir a Stalllatern' auf. Richti', dees scheene Fräulein, dees beim Herr Rath Strecker wohnt, is ja aus Hamburg. Hab' i' 'S nit derrath'n, Herr Leitnant?" „Du kannst recht haben". „O wie mi' deeS g'frcut! A so a schöne Fräulein Braut. Die muß aa a guati gnädige Frau wer'n. Aba soagn S' nur Herr Leitnant, wann heirath'n wir denn?" „Wir? Du heirathest doch nicht mit". „Ah, i moan halt nur so. Wissen S' Herr Leitnant, wann wir was Schlimm'S verlebt Hamm, wiea damals, wo der Herr Leitnant dees sakrischeNervensieber Hamm durchwache» müss'n, da woar der Hans Witzelberger aa derbei. Da moan i' halt, er derft aa derbei sein, wann so was Guats kimmt, wiea a Hochzeit mit dem schöne Fräulein aus Ham burg. IS nit a so, Herr Leitnant?" „Freilich ist eS so. Du hast recht. Du bist ein guter Mensch. Bei meiner Hochzeit darfst Du natürlich nicht fehlen." „Sell hob i' ja g'wußt. Inh! DeeS giebt a Freid! Wann 'S nur ball loSging!" „So schnell wird daS Wohl nicht sein. Ich bin ja noch nicht einmal verlobt. Ich muß erst um meine zukünftige Braut anhalten. Wer weiß, ob ihr Vater seine Zu stimmung giebt." „O, da fehlt si' nix. Wann a Osficier, wie mei' Herr, nach Hamburg kimmt, do wer'n die Norddeitsch'n Aug'n mach'». As an solch'« Schwiegersohn kann a Jeder stolz sein." „Na, so arg ist eS wohl nicht. Uebrigen« eile Dich jetzt und mache meine Sachen fertig, sonst komme ich zu spät zum Rapport de« General«." ..Glei' wer'n wir'« Hamm, Herr Leitnant." Mit diesen Worten verschwand der gemüthliche Bursche
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