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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.10.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-10-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951016025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895101602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895101602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-10
- Tag1895-10-16
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Oktober 1895. Ter Math der Stadt Leipzig. vr. Georgi. G. Die socialdemokratische Partei und der Landtag. Wenn eS noch eines Beweises bedurft hätte, daß die socialdemokratische Partei in der Hauptsache von dem Zwiespalt der OrdnungSparteicn unter sich lebt, so wäre er jetzt angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen für Sachsen geliefert. Auf diesen Zwiespalt stützen sich auch die Programme der socialdemokratischen Partei, mit welchen sie ihre Candidaten empfehlen. Will man von der socialdemokratischen Partei reden, so muß man nach meiner unmaßgeblichen Meinung ganz streng scheiden zwischen den Führern der Partei und der Gefolgschaft; wären die jenigen Schichten unserer Bevölkerung, welche den Lockrufen der socialdemokratischen Agitatoren folgen, in der Thal so beschaffe», wie die Führer es wünschen und vorzugeben pflegen, so wäre es um unsere sächsische Industrie, die einen so hohen Rang unter allen Industrieländern einnimmt,' geschehen. Da aber unsere Arbeiterbevölkerung im Großen und Ganzen sich nicht nur durch Geschick, sondern auch durch Eifer und Pflichttreue auszeichnet, so will mir eine Scheidung zwischen den Agitatoren und den Schichten des Volkes, die sie zu ihrer Gefolgschaft rechnen, um so richtiger und noth- wcndiger erscheinen, als die Feier deS Sedan-TageS den Be weis geliefert hat, daß die große Masse unseres Volkes nicht geneigt ist, den Rathschlägen zur Vaterlandslosigkeit, wie sie von den Führern der Socialdemokratie ausgegangen sind, zu folgen. Gegenüber der eigenthümlich wohlwollenden Beur- theilung, welche die Socialdemokratie in gewissen Kreisen findet, ist es geboten, immer wieder darauf hinzuweisen, daß es sich für diese nicht sowohl darum handelt, den Uebel- ständen, welche naturgemäß aus unserer derzeitigen wirth- schastlickeu Entwickelung erwachsen, zu begegnen und billige Anforderungen der Arbeitnehmer ihren Arbeitgebern gegen über zu erfüllen, sonder» die große Masse für die jeweiligen besonderen Interessen und politischen Zwecke als Wähler für Land- und Reickslag zu gewinnen. Die echte Socialvemokratie erkennt weder den Kaiser und das Reich, noch die derzeitige Gesetzgebung als zu Recht bestehend a». Sie bekämpft Alles und will auch von der Kirche — in welcher Gestalt sie auch auftrete — nichts wissen. Hierdurch ist ihre Stellung den übrigen Bevölkerungsclassen gegenüber, welche in einem geordneten monarchischen Slaatswesen unter Kaiser und Reich leben und die Vortheile staatlicher Einheit genießen wollen, die wir nach langem Sehnen und blutigem Ringen endlich er worben haben, genügend gekennzeichnet. Von dem Gesichtspunkte aus, daß die Socialdemokratie nur davon leben kann, daß sie um jeden Preis Unzufriedenheit erregt und daß sie die Erregung allgemeiner Unzufriedenheit für ihre Hauptaufgabe ansiebt, hat man auch die Wahlaufrufe zu beurtheilen, welche für die bevorstehenden Landtagswahleil von der socialdemo- kratischen Partei zur Empfehlung ihrer Eandidaten erlasse» werden. Wenn in diesen Wahlaufrufen von den elenden Wirtbschaftsverhältnissen, von dem schlechten Er werb, sowie von den maßlosen Hetzereien und Verfolgungen die Rede ist, so kann man solche Behaup tungen ruhig als Uebertreibungen, ja als Unwahrheiten bezeichnen. In der Tbat ist die Einheit deS Reiches und die dadurch gegebene Möglichkeit, einheitliche Gesetze und Be stimmungen zu erlassen. Niemanden so zu gute gekommen, wie der sogenannten arbeitenden Classe. Unter unseren früheren Zuständen — vor Begründung desReicheS— hätten wir nimmer mehr die so segensreiche einheitliche Gesetzgebung über Kranken cassen, Unfallversicherung, Gewerbeinspection rc. bekommen können; auch die Invaliden- und Altersversorgung ist in unserem Reiche trotz aller Uebelstände, welche dieser Gesetzgebung anhaften, in einer Weise geregelt, welche den Bedürfnissen der arbeitenden Classe soviel wie möglich Rechnung trägt. Wenn freilich die Socialdemokratie über einem Programm brütet, welches unter Verschleierung ihrer eigentlicken Ziele und unter Erregung allgemeiner Unzufriedenheit die Grundbesitzer und die in der Landwirthschast beschäftigten Arbeiter ihren Zielen dienst bar machen soll; wenn ohne Rücksicht auf die wirklichen Resultate unserer Einkommensteuereinschätzung die Fort schritte in der Lebenshaltung der Arbeiter und des Mittel standes geleugnet werden; wenn vor Allem die Jugend in einer Weise gegen die Arbeitgeber und die besitzenden Classen, gegen das Reich, gegen den Kaiser, gegen den König, gegen die Kirche, mit einem Wort — gegen Alles, was uns gewöhnlichen Menschen noch heilig ist, gehetzt und er regt wird, wenn die Socialdemokratie nicht nur unterläßt, auf die Jugend, sondern überhaupt auf ihre Anhänger erziehlick einzuwirken, und es allen Organen durch ihre Hetzerei geradezu unmöglich macht, ihre Untergebenen in Pflichttreue und in der Unterordnung unter das Gesetz und die zur Zeit giltigen staatlichen Verhältnisse zu erhallen: so wäre es kein Wunder, wenn in der Thal unsere Wirthschaftsverhältnisse und unser Erwerb zurückgingen. WaS die Klage der socialdemokratische« Fraktion üb.r ihre Stellung im Landtage anlangt, so darf man zunächst wohl die Frage aufstellen, ob nach ihren Anschauungen und Grundsätzen die soeialdemokratischcn Führer überhaupt be fähigt und berechtigt sind, eine Stellung als Landtags abgeordnete zu bekleiden. Nach den Grundsätzen, welche für die Socialdemokratie maßgebend sind, nach der Art und Weise, wie die socialvemokratischen Führer gelegentlich des Sedan festes ausgetreten sind, darf man eine solche Frage wohl ver neinen. Es ist deshalb auch nur eine Conseguenz ihrer Stellung, wenn man die socialdemokratischen Landtagsabgeordneten, obwohl sie den zu ihrem Eintritt in den Landtag nöthigen Eid*) geschworen haben, von der Mitwirkung in den Depu tationen ausschließt. Daß die socialdemokratische Fraction die einzige oppo sitionelle Gruppe im Landtage sei, ist eine unbegründete Be hauptung. Den »«gemessenen Forderungen der socialdemo kratischen Landtagsabgeordneten und den unberechtigten Vorwürfen gegenüber, welche sie der Regierung machen, ver schwindet natürlich die sachliche Opposition, welche die übrigen Parteien der Regierung auf verschievenen Gebieten zu machen pflegen, vollständig. *) Die Socialdemokraten selbst Helsen sich über diese» Widerspruch bekanntlich (nach den Verhandlungen des Frankfurter Parteitages) dadurch hinweg, daß sie diesen Eid für „bedeutungslos" erklären. Die Socialdemokratie verlangt die Aufhebung der Schul gelder, die unentgeltliche Lieferung der Lehrmittel, die Be seitigung der Schlachtstener und ferner eine bessere Besoldung der Unterbeamten und Staalswerkstättenarbeiter; sie mag aber nur bedenken, daß sie die Beschaffung der hierzu nöthigen Mittel unter dem Vorgeben verweigert, daß sie neue Mittel nickt bewillige, so lange der Staat und das Reich so viel Geld für die Heeresverwaltung ausgeben. Ihr schwebt, wie aus verschiedenen Anssprüchen hervorgeht, das Liebknecht'sche Volksheer vor, welches ungeheuere Summen verschlingen, unserem Reiche aber die Dienste nicht leisten würde, ans welche es vermöge seiner Lage und Zukunft angewiesen ist. Ueber die Zweckmäßigkeit einiger Bestimmungen unserer Gesindeordnung läßt sich streiten, unbestreitbar aber ist, daß der Wunsch der Socialdemokraten, das Gesinde einfach untcr die Bestimmungen der Gewerbeordnung für gewöhnliche A.- beiter zu stellen, unannehmbar ist. Ebenso unannehmbar er scheint die Forderung der Anwendung des allgemeinen Wahl rechts für die Wahl zum Landtage im gegenwärtigen Augen blick, wo die Meinungen über die Richtigkeit des allgemeinen Wahlrechts überhaupt so getheilt sind. UebrigenS kommt der derzeitig bestehende Ccnsus nahezu dem allgemeinen Wahl recht gleich. Die socialdemokratischen Landtagsabgeordneten stellen eS als ein besonderes Verdienst hin, daß sie allein gegen die drohende Tabakfabrikatsteuer, gegen die Mängel des Fabrik- inspectionswesens, für die Reform des Berggesetzes von 1868 und der Berggesetznovclle von 1884, für ein schnelleres Tempo im Eisenbahnbau. für die Verbilligung der Personen- und Güterbeförderung auf Eisenbahnen, für die Verbesserung des Transportes und der Transport mittel, für eine anderweitige sogenannte gerechtere Ein kommensteuer eingelrcten seien. Diese Behauptungen ent sprechen den Thatsachen nicht. Nicht allein haben die Cartell- parteien des Landtages dem nicht entgegengewirkt, sondern sie haben verschiedene dieser Puncte ausdrücklich auf ihrem Pro gramm gehabt, angeregt und unterstützt. Freilich mit der Art und Weise, wie socialdemokratische Lanvtagsabgeordnete ihre Forderungen und Meinungen aussprachen, konnte man sich nicht befreunden, und man wird kaum zu viel sagen, wenn man behauptet, daß dieselbe nur geeignet ist, der Sache/ welcher sie dienen soll, zu schaden. Wenn aber die socialdemokratische Partei in ihren Wahlaufrufen sich darüber beschwert, daß die politischen Gesetze gegen sie gebandbabt werden, und wenn sie die bestehende Polizri- wirtbschaft in Sachsen aufs Schärfste kritisirt, so wird man unwillkürlich an die Fabel von dem Wolf und dem Lamm erinnert. Unsere derzeitigen Landtags- und Reichstagsver tretungen, unsere Regierungen und unser Volt trifft über haupt nur ein Vorwurf, nämlich der, daß sie leine wirksamen Schritte tbun, um durch eine besondere Gesetzgebung der socialdemokratischen Verhetzung unseres Volkes zu steuern. (Corr. d. Nat.-Lib. Vereins f. d. Königr. Sachsen.) politische Tagesschau. * Leipzig, 16. October. Das Telegramm, das der Kaiser nach Empfang der Nach richt von der Ermordung des Fabrikanten Schwartz in Mülhausen an den Statthalter Fürsten Hohenlobe- Langenburg gerichtet hat, hat begreiflicherweise im social- -emokrattschcn Lager eine hochgradige Erregung hervor- gcrusen. Nicht aber eine solche, die zu innerer Einkehr und zur Neue führt, sondern eine solche, die ihren Ausdruck findet m Versuchen, die kaiserlichen Worte als ungerecht erscheinen zu lassen und den Mörder von den Rockschößen der social demokratischen Partei abzuschütteln. Die ganze jesuitische Dialektik, in der die socialdemokratische Presse Meister ist, wird aufgeboten, um diesen Zweck zu erreichen, das ReichS- oberhaupt ins Unrecht gegen diese Partei und alle ihre Anhänger zu setzen und ihre Führer und Worthalter als böslich verleumdete Unschuldslämmer erscheinen zu lassen. Energisch tritt diesen Versuchen die „Post" in einem Artikel entgegen, der in unanfechtbarer Weise die moralische Mit schuld der socialdemotratischen Hetzer auch au dieser neuesten Greuelthat nachweist. Es heißt in ihm: „Zunächst behauptet der „Vorwärts", Meyer habe dem Mül- hausener socialdrmokratischen Wahlverein nicht angehört und über haupt nichts voin Soclalismus verstanden; gleichzeitig aber giebt das Blatt doch zu, daß Meyer Mitglied des Fachvereins der Textilarbeiter und zur Zeit des Boulangisten-Rummels begeisterter Zolllang ist gewesen sei. Unter seinen Arbeitskaineraden habe er a!Z überspannt „verwirrt durch anarchistische oder Roman- Phrasen", gegolten. Im Uebrigen habe es sich nicht um ein politisches Attentat, sondern um Privatrache ge handelt. Daß die socialdemokratische Partei den Attentäter von ihren Rockschößen abzuschütteln sucht, entspricht ihrer bisherigen Gepflogenheit gegenüber in Deutschland verübten derartigen Ver brechen, während sie ausländische Attentäter niemals ver dammt, sondern in der Regel ihre Handlungen beschönigt oder verherrlicht hat. An dein Morde Caserio's z. B. fand ein socialdemokratischer Hauptführer nur tadelnswertst, daß sich der Mörder kein anderes, „würdigeres" Opfer als den Präsidenten Carnot ausgesucht habe. Meyer ist zngestandermaßen Mit glied des socialistischen Textilarbeiter-Vereins und enragirter Boulangist gewesen. Die französischen Socialdemokraten waren ja auch Anhänger Boulanger's, auf den sie große Hoffnungen gesetzt hatten, wie noch heute in socialdeinvkrcitischen Preßorganen nnchzn- lesen ist, und Boulanger soll ja auch an ausländische resp. deutsche Führer der Socialdemokratie Gelder gezahlt haben. „Verwirrt" mag ja das Hirn Meycr's geworden sein, aber nicht allein durch anarchistische, sondern auch durch socialdemokratische Schriften und Reden, durch die er Haß und Rachgefühle gegen die „Blutsauger", die Capitalisten und Unternehmer, eingesogen Hai. Und in Consequenz dieser aufheyenden Lehren zückle Meyer den Dolch gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber. Dem nach handelt es sich entschieden um ein politisches Attentat, dessen intellectuelle Urheberschaft in der socialdemo kratischen Propaganda zu suchen ist. Niemand wird heute noch im Ernst behaupten wollen, die Socialdemokrate stehe in keinein Zusammenhang mit dem Anarchismus, verurtheile vielmehr aus das Schürfst« anarchistische Mordthatrn. Die socialdemokratische Partei verdammt weniger die Handlungen und Verbrechen der Anarchisten, als ihre Angriffe gegen die socialdemokratischen Parteiführer. Die Attentäter Hödel, Reinsdorff und deren Com- pliccn hatten vorher die socialdemokratische Schule dnrchgemacht, durch die sie genügend „präparirt" worden ivaren, um alle staat lichen Einrichtungen und alle Besitzenden zu hassen und sie für ver- nichtenswcrth zu halten. Auch der verstorbene Reichstagsabgcordnete Hasenclever, der dem rechten Flügel der socialdemokratischen Partei leitung angebörte, gab bei der Erstattung des Rechenschaftsberichts über den kleinen Belagerungszustand Seitens der Regierung im Jahre 1881 im Reichstage seiner Sympathie für die Anarchisten resp. deren Gewalt acte unverhohlenen Ausdruck. Er führte nämlich Len Fall der Aus weisung eines Berliner „Genossen", eines jungen, verheirathetcn Sattlers an, der, als Mitglied des socialdemokratijchen Geheimcomilös ausgewiesen, in Dresden, wohin er sich zunächst gewandt, ein Flug blatt heimlich verbreitet hatte, wobei er abgefaßt worden war. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und erhängte sich bald darauf im Gefüngniß. Hasenclever, als Sprecher seiner Fraction, bemerkte ^ La>u: Eine weniger feige Natur hätte sich erst an dem , .letstörer seiner Ehe, seines Familienglücks gerächt! Also .ein Wort davon, daß sich der Selbstmörder durch seine ungesetzlichen, reoolutionairen Handlungen selbst in die Lage gebracht hat, sondern er wirft seinem Genossen Feigheit vor, weil er nicht zuvor Rache, etwa an einem hohen Beamten, genommen. Eine geistige Ver bindung zwischen Socialdemokraten und Anarchisten läßt sich sonach nimmermehr leugnen, und die Social- dcmokraten sind als die Väter der Anarchisten für deren Sünden mitverantwortlich." Fsiiilletsir» Schwere Kampfe. Roman aus dem grosten Kriege. 39j Von Carl Toners. Nachdruck Veristen. (Fortsetzung.) Nun Wandte er sich wieder in französischer Sprache an den Capitaine: „Ich frage Sie noch einmal, wie Sie hierher- kameck!? Sie haben doch Ihr Ehrenwort gegeben, sich nicht aus München zu entfernen'? Wie verträgt sich dies mit Ihrer hiesigen Anwesenheit?" „Ich habe mein Ehrenwort als kaiserlicher französischer Officier gegeben. Von dem Augenblick an, wo man aber die Canaille von einem Napoleon zum Teufel gejagt und in Frankreich die glorreiche Republik errichtet hat, war doch mein Ehrenwort nichtig geworden, weil eS keinen kaiser lichen Capitaine Gaston Ändert mehr giebt. Da man es in München versäumte, auch den gefangenen republikanischen Officieren das Ehrenwort abzunehmen, benutzte ich eine Anfang November sich mir bietende Gelegenheit, um über die Schweiz in mein Vaterland zurückzukehren und ihm von Neuem meine Dienste zu weihen." „Mein Herr, Sie wissen ganz genau, daß Sie schriftlich aus Ihr Ehrenwort sich verpflichteten, während der ganzen Dauer des Krieges keinen Fluchtversuch zu unternehmen, und daß man Sie nur daraufhin frei in München herum gehen ließ." „Gewiß. Aber ich verpflichtete mich nur für die Dauer des Krieges der ?rn°sion8 gegen den Sckuft Napoleon. Von einer Verpflichtung meinerseits im Falle eines Krieges Deuisch- landS gegen die franrösische Republik! war keine Rede." „Das sind leere Ausreden. Als Sie bei Wörth gefangen wurden, ahnte kein Mensch, daß die Franzosen im Unglück sofort ihren Kaiser verlassen und die alte Regierung stürzen würden. Sie haben einfach als französiscker Officier Ihr Ehrenwort gegeben. Von einem neuen Krieg ist auch keine Rede, da vor demselben kein Friede mit der früheren Regierung Frankreichs geschlossen wurde. Wir bekämpfen einfach Frank reichs Armee. Ob sie kaiserlick oder republikanisch ist, kann unS ganz gleichgiltig sein. DaS müssen Sie ebenso genau wissen wie wir. Sie haben also einfach Ihr Ehrenwort ge brochen, und damit den Tod durch Erschießen verwirkt. Ich werde Sorge tragen, daß Sie vor ein Standgericht kommen, dem ich selbst die genaueren Angaben über Ihr Verhalten machen werde." „Ich bin in Ihrer Gewalt. Vielleicht besteht aber Ihr Standgericht doch aus Leuten, die keine verdummten, urtheils- losen Söldlinge, sondern Männer sind, welche erkennen, daß ein Officier der glorreichen französischen Republik ein anderer Mann ist als einer, der der Vergewaltigung eines Napoleon erlag, und daß man den Elfteren nicht für die Handlungen deS Letzteren verantwortlich machen kann." Horn kümmerte sich nicht mehr um den Schwätzer, sondern wandte sich zu dem preußischen Lieutenant und bemerkte so laut, daß der Franzose den Namen des Officiers deutlich verstand: „Thorstraten, ich mache Sie aufmerksam, daß dieser Mann ein äußerst durchtriebener Mensch ist. Sie müssen ihn ganz besonders scharf bewachen lassen." Kaum hatte er geendet, so wandte sich der Capitaine an den preußischen Lieutenant mit den Worten: „Habe ich recht verstanden'? Führen Sie den Namen Tborstraten?" „Ja, ich heiße so. Das kann Ihnen aber gleichgiltig sein. Folgen Sie jetzt meinen Leuten. Ich mache Sie aufmerksam, daß Sie beim ersten Fluchtversuch niedergeschossen werden". „Ob, Ihr Name ist mir keineswegs gleichgiltig. Ich möchte noch wissen, ob Sie der Bruder von Renate Thorstraten sind, welche im letzten Sommer in München weilte." „Wenn Sie „Fräulein" Renate Thorstraten meinen, dann ja. Es sind nun aber genug Worte gewechselt. Folgen Sie jetzt gefälligst diesem Musketier, sonst müßte ich ernstere Schritte ergreifen." Während der Capitain sich nun anschickte, als ob er das Zimmer verlassen wolle, bemerkte er mit einem stechenden, auf Lieutenant Thorstraten gerichteten Blick: „Welch ein eigenthümliches Geschick, daß ein Schwager den anderen verhaften und vor ein Standgericht bringen lassen muß!" „Was wollen Sie damit sagen?" „Einfach die Wahrheit. Ich bin Ihr Sckwager. Wenn auch noch kein Pfaffe den Bund zwisclxen Ihrer Schwester und mir gesegnet hat, sie war aber und ist mein!" Der Erfolg dieser Worte war ein ganz anderer, als ibn der Franzose beabsichtigt hatte. Lieutenant Tborstraten war zuerst wie vom Donner gerührt. Plötzlich raffte er sich aber auf, riß den Säbel auS der Scheide und wollte den Franzosen durchbohren. Da siel ihm jedoch Horn in den Arm «nd rief: „Thorstraten, behalten Sie doch die Ruhe. Erkennen Sie denn nicht, daß dep gemeine Schuft eine solche Un geheuerlichkeit nur erfindet, um Ihr Mitleiden zu erregen oder Sie vielleicht zu bewegen, ihn frei zu lassen?" In der Stimme des preußischen Lieutenants lag eine Mischung höchster Wuth und entsetzlichster Angst, als er nun ausrief: „Wenn er aber hoch die Wahrheit gesprochen hätte!" Sofort erwiderte der Oberlieulenant: „Thorstraten, Thor straten, Sie sind nicht bei Sinnen! Kennen Sie Renate so wenig? Eher könnte eine Heilige im Himmel sündigen, als daß ihre edle, unantastbare Schwester sich mit einem solchen Kerl vergehen würde." „Verzeihen Sie, wenn ich Sie an Ihre Pflicht erinnere. Ihre Musketiere wissen an und für sich nicht, was diese Scene bedeuten soll. Lassen Sie den elenden Schuft einfach binden, wenn er noch eine Miene macht, nicht jedem Befehl sofort zu folgen. Sperren Sie ibn in einem gesonderten Raum ein und morgen übergeben Sie ihn Ihrem Regiment. Ich werde noch heute Nacht einen ausführlichen Bericht über seine gemeine und niederträchtige Handlungsweise erstatten. Dann wird man mit dem wortbrüchigen Hallunken kurzen Proceß machen." Der Lieutenant raffte sich auf und ertbeilte die nöthigen Befehle. Er war aber nicht mehr im Stande, den Capitaine anzureden. Horn übernahm es, indem er ihm in barschem Ton befahl: „Folgen Sie nun sofort diesen Musketieren. Die Leute sind beordert, Sie auf der Stelle niederzustechen oder niederzuschießen, wenn Sie die geringste Miene zu einem Widerstand oder Fluchtversuch macken." Nun setzte sich der kleine Zug in Bewegung. Die Musketiere hatten auS der verflossenen Scene dock entnommen, daß eS sich um einen Officier bandle, der sein Wort gebrochen habe und aus der Gefangenschaft entflohen sei. WaS die folgenden Worte bedeuteten, war ihnen nicht klar geworden. Sie entnabmen nur auS Allem, daß ihr Lieutenant einen besonderen Haß gegen den Franzosen empfinde. Daber be handelten sie ihn nicht besonders glimpflich, so daß der Capitaine bald zur Ueberzeugnng kam, er babe seine Lage durch die schnell erfundene Lüge nicht verbessert. Daß ihm seine gegen Horn geäußerte Auffassung deS von ihm gegebenen und dann gebrochenen Ehrenwortes auch nicht viel Helsen werde, konnte er sich ebenfalls sagen. Seine Aussichten waren also nach seiner eigenen Meinung gänzlich verzweifelte. Nun beschloß er in seinem Innern, wenigstens die deutschen Officiere noch soviel zu kränken, als es ihm möglich war. Er drängte daher etwas vor, und rief Tborstraten zu ».Grüßen Sie wenigstens Ihre Schwester, wenn Sie ihr schreiben." Nun fuhr ihn aber Horn an: „Noch eine Silbe und ich schlage Ihnen die Zäbne in den Hals, Sie erbärmliches, niedriges Subject." Zugleich forderte er einen Musketier ans, durch einen Kolbenstoß den Gefangenen auf seinen Platz zurückzuweisen. Der Mann kam dem Wunsche des Ober leutnants buchstäblich nach, so daß der Franzose nach dem erhaltenen Stoß sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er rief nur noch: „Rohe Söldner", was natürlich die Leute nickt verstanden, und marsckirte dann willig in Mitte der Musketiere mit. Ohne weiteren Zwischenfall kam man bei der Stalionswacke an. Dort fand sich kein geeignetes Local, in dem man den Capitaine getrennt von den anderen Ge fangenen cinsperren konnte. Dagegen zeigte sich etwa 30 Sckriuc von der Wache entfernt ein kleines Häuschen, welches ter Octroi Einnehmer vor dem Kriege al« Wach- und Sleuerciiinebmerhäuschen tagsüber benutzt hatte. Es besaß nur eine Thür und in diefer zugleich das Fenster. Eine Ucbcrwachung war dort sehr leicht, ein Entrinnen des Ge fangenen unmöglich. Deshalb wurde er auf den Ratb Horn s dort eingesperrt, und ein Posten vor die Thür gestellt. Der Oberlieutenant wurde von dem Compagniechef des Lieutenants Tborstraten, sowie von den Kameraden des Letzteren ans das Freundlichste empfangen. Er flüsterte Thorstraten schnell zu, jetzt nichts von der ganzen Affaire mit dem Capitaine zu erwähnen, bevor nicht sie Beide sich noch genauer darüber besprochen, und setzte sich dann zu den Officieren. Bei Tbee und Wein besprach man die Erlebnisse der vergangenen Scklacht, und Horn wußte die Unterhaltung durch Fragen und Einwendungen so zu lenken, daß sich Niemand nack den zuletzt eingeliefertcn Gefangenen erkundigte. Man hatte für sie auch kein besonderes Interesse mehr, da man an die Gesangennahmc von Franzosen nack jedem Treffen sckon zu sehr gewöhnt war. Sie wurden einfach am nächsten Morgen an die zu ihrem Transport bestimmte Abtbeilnng abgeliefert und nach Deutschland gebracht. Ihre Sieger kümmerten sich kaum mehr um ihre Zahl. Nach einiger Zeit bemerkte Horn, er müsse nun zu seinem Stabe zurückkchren, bitte aber den Herrn Hauptmann zu erlauben, daß ihn Lieutenani Tborstraten noch ein Stück begleite, da er mit diesem noch eine Privatsache zu besprechen habe. Der Compagniechef des Lieutenants gab seine Zu stimmung, unv beide Officiere verließen zusammen den mun»
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