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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.07.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-07-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970710010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897071001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897071001
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-07
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Neclamett unter deut Nedactionsstrlch (4g»i spalten) SO^Z, vor den Famtltennachrtchln» (6gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrnsa- nach höherem Tarif. tkl,tra-Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbesürderung .»t 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Vrpedittoii zu richten. Druck und Verlag von E. Polx in Leipzig. 91. Jahrgang. Geschichtliches Ostelbierthum. Die „Berliner Neuesten Nachr." haben jiingst vor dem Gebrauch des Schlagworts „Ostelbierthum" warnen zu müssen geglaubt. Man stelle damit eine neue „Mainlinie" an der Elbe her und zerreiße die deutsche Einheit. Das „Ostelbier thum" begreife diejenigen Provinzen und socialen Schichten in sich, die unter dem ärgsten Drucke der Fremdherrschaft am Vaterlande nicht verzweifelten und im Frühling 1813 freudig zu den Waffen eilten, als daS „Westelbierthum" noch in den Reihen des Rheinbundes unter französischen Fahnen stand. „Das sollte eine nationale Partei und ihre Presse nicht vergessen; der ostelbische Adel hat damals in Opfer mut h und Heldenmuth ein hellleuchtendes Beispiel ge geben." So die „Berl. Reuest. Nachr." Wir wollen heute nicht darüber rechten, ob die zwischen dem Osten und dem Westen thatsächlich bestehenden Gegensätze wirthschaftlicher und socialer Natur dadurch beseitigt werden, daß ein bestimmtes Schlagwort nicht gebraucht wird: die geschichtliche Beleuchtung aber, ,n welche die „Berl. Reuest. N." weniger die ostelbischen Provinzen mit ihrer gejammten Bewohnerschaft als den ost elbischen Adel allein rücken, fordert zu einer geschichtlichen Betrachtung heraus. Wohl hat 18l3, wie alle Classen deS preußischen Volkes, so auch der ostelbische Adel Opfermuth und Heldenmuth be wiesen. Aber gab eS damals einen Stand, der in dem Maße wie der ostelbische Abel moralisch verpflichtet war, durch Opfer an Gut und Blut die Schande auszutilgen, die Feigheit und Verrath der StandeSgenossen auf ihn gehäuft hatten? Wir ersparen eS uns, die lange Reihe jener nichts würdigen Capitulationen aufzuzäblen,und begnügen unS damit, daö neueste wissenschaftliche Urtheil über jene Elenden wieder- zngeben. Ein adligerGeschichtSforscher,derVorsitzende des letzten deutschen Historikcrtages, Prof. Or. Ha n s vonZwiedineck- Südenhorst, schreibt in seiner im Erscheinen begriffenen „Deutschen Geschichte von der Auflösung des alten bis zur Gründung des neuen Reiches" (Bibliothek deutscher Geschichte. Stuttgart, I. G. Cotta'sche Buchh. N.) I. S. 53 Folgendes: „Es ist zu bedauern, daß der König den Herrn v. Benckendorf und seine zahlreichen Nachahmer, die später von den Kriegsgerichten zum Tode verurtheilt wurden, nicht erschießen ließ. Es ist doch das Mindeste, was König und Staat von den zur Vertheidigung des Landes erhaltenen und bezahlten Leuten verlangen können, daß sie die Beschießung einer Festung ertragen lernen und ihr dem Kriegsherrn verfallenes Leben am Zahltage auch wirklich einsetzen." Die Schmach von 1806 hat der ostelbische Adel 1813 auf dem Schlachtfelde gesühnt. Die Vorbereitung der Erhebung Preußens aber hat er, in erster Linie aus Eigennutz, so nicht gefördert, wie er es konnte und sollte. Preußens Erhebung beginnt mit der Reform der Verwaltung durch Stein, mit der Reform des Heerwesens durch Scharnhorst, und diese Reformen hat der ostelbische Adel nicht weniger bekämpft als die Finanz- und Socialpolitik Hardenberg's. Professor v. Zwiedineck schreibt hierüber auf Seite 222 seines Werkes: „Stein war entschlossen, auch das Adelswesen einer Reform zu unterziehen und den Unterbau der Staates, den er anS freien Bauernschaften und autonomen Städten gebildet hatte, durch Ein« Achtungen zu krönen, die aus dem Nepräsentativshstem hervorgeben sollten. Was den Adel betraf, glaubte er die Berechtigung desselben nicht anders begründen zu können, als indem er ihn mit großem, Unabhängigkeit gewährendem Grundbesitz oder persönlichem Ver- dienste in Zusammenhang brachte und den Ehrenrechten, die er ihm erhalten wissen wollte, die Pflicht gegenüberstellte, auch einen wahr- haft edlen Geist zu bewahren und sich durch vorzügliche Tüchtigkeit im Dienste des König» und de- Landes auSzuzeichnen. Er beab sichtigte die Errichtung von Standesgerichten, welche unwürdige Genoßen auszustoßen berechtigt sein sollten; dagegen erwog er die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die der geordneten Rechtspflege, namentlich der Rechtssicherheit hinderlich war. Eine dagegen von dem mächtigen Hause Dohna eingeleitete Agitation konnte sich nicht mehr gegen Steiu richten, da die Durchführung seiner Anschauungen durch die zweite Entlassung ab- geschnitten worden war. Seine Nachfolger waren nicht gewillt, sich dem Anstürme der Privilegirten auszusetzen, die auch nach dem Siege der Demokratie in Frankreich die letzten Reste des unhaltbar gewordene» Feudalsystems der modernen Gesellschaft auf zwingen zu können glaubte», sondern ließen die Stein'schen Reformpläue ruhen. Dasselbe Schicksal hatten die Vorstudien über die Einrichtung der Provinzialstände und einer Reichsvertretung, die den König mit den Wünschen des Volkes bekanntmachen und ihr Gutachten bei neuen Gesetzen abgeben, vielleicht auch einen Einfluß auf die Steuerbewilligung erhalten sollte." Nicht so glücklich waren die Privilegirten bei ihrem Wider stande gegen Hardenberg's Finanz- und Social politik. Wir lesen darüber bei von Zwiedineck auf S. 265/66 Folgendes: „Hardenberg's Absicht ging dahin, di« Befreiungen von der Grundsteuer ganz aufzuheben, in allen Provinzen Len gleichen Kataster für die Einhebung der Grundsteuer einzuführen, dagegen alle Zwangs- und Bannrechte zu beseitigen und völlige Gewerbefreiheit herzustellen. Das Schuldenwesen des Staates und der Provinzen sollte vereinigt, durch den Verkauf von Domainen und geistlichen Gütern der Staat in den Besitz der Baarmittel gesetzt werden, um seinen Verpflichtungen gegen Frankreich un gesäumt nachkommen zu können. Der Einfluß dieser vom Stand punkte der Finanzen nothwendigen Maßregeln auf die Verwaltung, auf das Wesen des ganzen Staates wurde nicht verkannt. Die feudale Partei erblickte darin mit Recht den letzten Schritt zur Beseitigung ihrer Macht. Ter Haß gegen den Centralismus, der seit der Negierung Friedrich Wilhelm's I. die Gesetzgebung durch drungen batte, kam noch einmal mit Ungestüm zum Ausbruch, die Gesinnungsgenossen der einst von den Hohenzollern unterworfenen brandenburgischen Junker warfen dem Könige Verfassungsbruch vor und erklärten die Grundlage der neuen Staatseinrichtung als Rechtsverletzung. In einer im Februar 1811 berufenen Ver sammlung von ständischen Deputirten aller Provinzen (Notabeln) sielen von einzelnen Wortführern der Feudalen so unehrerbietige Reden, daß die Heißsporne nach Spandau geschickt wurden. Der Staatskanzler ließ sich aber nicht abhalten, in der Verwirklichung moderner Principien fortzuschreiten, er verfügte durch ein Edict vom 14. September 1811 die Ablösung der Erb- und Zeitpachten und der Dienste (Frohnen), die Freitheilbarkeit der freigewordenen Besitzungen." Denselben Mißerfolg batte die feudale Partei bei der Heeresreform. König Friedrich Wilhelm III. hatte inner lich schon zu Gunsten der Reformer entschieden, als er nach dem Frieden von Tilsit Scharnhorst zum Vorsitzenden der „Militairreorganisations-Commission" ernannte. Von den Mitgliedern der Commission standen nur Gneisenau und von Grolmann auf Scharnhorst's Seite, die übrigen drei ge hörten der alten Richtung an. Um dieser endgiltig das Ueber- gewicht zu schaffen, bestimmten die Feudalen den König, noch seinen Adjutanten von Borstell in die Commission zu ent senden. Die Gegensätze prallten nun heftig auf einander. Prof, von Zwiedineck schildert die Kämpfe und ihren Ausgang auf S. 225 folgendermaßen: „Die Beseitigung des Vorrechtes des Adels auf die Officierstellen, die Aufhebung der Prügelstrafe, die Heranbildung der wehrfähigen Leute außerhalb des stehenden Heeres zur LandeSvertheidigung, diese Grundpfeiler der Reform, ohne die alles Andere nur Stückwerk geblieben wäre, wurden von den An» hängern der Feudalinstitutionen und der Standesprivilegien heftig bekämpft; Scharnhorst und Gneisenau sahen sich nicht nur von ihren Commissionscollegen, sondern auch von andern älteren Officieren persönlichen Kränkungen ausgesetzt. Der König hat lange nichts gethan, um die Erregung zu mäßigen, ja er hat wahrschein lich die Liese der Kluft, die sich zwischen den Männern öffnete, die doch in Anhänglichkeit an sein Haus und den Staat wetteiferten, nicht zu ermessen verstanden und geglaubt, daß sie durch pedantisch durchgeführte Referate überbrückt werden könne. Erst als Scharnhorst seinen Austritt aus der Commission er klärte und Gneisenau um seinen Abschied bat, sah er sich vor die Notwendigkeit einer principiellen Entscheidung gesetzt, da mit der Entfernung dieser beiden Persönlichkeiten auch die Reform beseitigt worden wäre, und sein Gewissen lenkte ihn auf die Seite der Gerechtigkeit und der Volksbefreiung; er appellirte an den Patriotismus Gneisenau's, indem er ihn zum Verharren in seiner Stellung ausforderte, und ermöglichte ein gedeihliches Wirken der Commission, indem er Lurch Entfernung Bor stell's und Bronikowski's und Einberufung des Grasen Götzen und des Majors v. Boyen die Mehrheit der Resormfreunde in derselben fest begründete." Die vorstehende geschichtliche Erinnerung enthält genug Material, um die von den „Berl. N. N." einseitig gerühmten Verdienste des ostelbischen Abels richtig zu würdigen. Für die Tagespolitik ist der Hinweis auf die damalige Heeres reform von besonderer Bedeutung: wututi8 mutanclis spielen sich heute dem Anscheine nach zwischen dem Reichskanzler Fürsten zu Hohenlohe und der ostelbischeu Militairpartei wegen der Militairstrafproceßreform dieselben Kämpfe ab, wie damals zwischen der Ncformpartei und den Feudalen. Wie damals Scharnhorst und Gneisenau, so bat jetzt Fürst Hohenlohe die Cabinetsfrage gestellt. Möge Kaiser WilhelmII. eine Entscheidung treffen, die den künftigen Historiker be rechtigt, über ihn zu sagen, was Zwiedineck-Südenhorsi über Friedrich Wilhelm III. sagt: „Sein Gewissen lenkte ihn auf die Seite der Gerechtigkeit und der Volksbesreiung." Deutsches Reich. X. Berlin, 9. Juli. Ein eigenartiger Zufall will es, daß, während in Deutschland von manchen Seiten einer Er höhung des Packet Portos das Wort geredet wird, in Frankreisch das Ministeriums der Kammer eine Er mäßigung des Portos für Packete über 5 leg vorgeschlägt. wird. In Frankreich bestand für diese Packete bisher ebenso wie in Deutschland ein Zonentarif, d. h., je weiter der Be stimmungsort vom AbsendungSort entfernt war, desto theurer stellte sich das Packet. So kostete zum Beispiel ein 10 - Kilo-Packet von der Riviera nach Cherbourg etwa 4i/r FrcS., während eS nach dem geplanten Einheitspreise nur ir/i FrcS., also 1 kosten soll. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß nach Einführung dieses Tarifes Frankreich die billigste Packetbeförderung haben wird. In Deutschland sind allerdings die Packete biS zu 20 Meilen Entfernung noch billiger, bezw. ebenso billig, denn ein 10-Kilo- Packet kostet auf die Entfernung bis zu 10 Meilen nur 50 und auf die Entfernung bis zu 20 Meilen nur 1 Anders stellt eS sich schon bei den Wohl die Regel bildenden Mittel entfernungen von 20—50Meilen,wie etwa Berlin-Breslau. Auf diese Entfernung kostet bekanntlich jedes Kilogramm über 5 Kilo 20 Zuschlag, so daß ein 10 - Kilo - Packet 1,50 kostet. Auf große Entfernungen wird aber der Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich noch viel größer sein, denn während ein 10-Kilo - Packet etwa von Ostpreußen bis nach Württemberg 3 kostet, wird ein Packet von Nizza nach Brest, also auf dieselbe Entfernung hin, nur 1 kosten. Und dabei muß man noch berücksichtigen, daß die französische Post verwaltung ihre Packete mit Privalbahngesellschaften be fördern lassen muß. In einem originellen Gegensätze zu den Argumenten, mit denen in Deutschland die Erhöhung des Packetportos gefordert wird, steht die Motivirung, die daS französische Ministerium seinem Entwürfe mitqiebt. In Deutschland wird die Erhöhung deS PacketportoS gefordert, weil der billige Tarif angeblich hauptsächlich dem Han del zu Gute kommt; in Frankreich wird die Verbilligung enipfohlen, weil die Landwirthschast daraus Nutzen ziehen würde. Es wird darauf hingewiesen, daß der Consument in den Städten sich dann direct mit dem Producenten in Verbindung setzen und von diesem mit Butter, Fleisch, Fischen, frischen Gemüsen re. versorgen lassen würde. Allerdings wiro auch zugegeben, daß der großstädtische Kaufmann einen Vortheil davon haben würde, aber es wirb sehr zutreffend gesagt, Laß eS unmöglich sei, die Segnungen eines Fortschrittes auf einen einzelnen JnteressenkreiS zu beschränken. Die alte Wahrheit, die in diesem Satze liegt, sollte auch bei uns berücksichtigt werden, denn sie trifft noch auf sehr viel andere und wichtigere Ding: zu, als auf daS Packetporto. Berück sichtigt man diese Wahrheit, so werden die Interessengegensätze nicht verschwinden, aber der Kampf der Interessen wird wenigstens mildere Formen annehmen. * Berlin, 9. Juli. Die freisinnige „Voss. Ztg." schreibt: „Wir haben wiederholt die neueste Flugschrift des Herrn v. Diesl-Daber über „Bismarck und Bleich- röder" erwähnt, die allerlei alten Klatsch aufwärml und den Schloßherrn vom Sachsenwalbe als einen Mann be handelt, der in das Gefängniß gehöre. Herr v. Tiest-Daber ist ein Agrarier vom reinsten Wasser und Mitglied des Bundes der Landwirthe. Im CircuS Busch wurde er wegen der Aeußcrung „die (Minister) können unS was" bejubelt. Herr v. Plötz aber ist wiederholt nach Friedrichsruh gepilgert; der Bund der Landwirthe hat den Fürsten Bismarck als seinen Gesinnungsgenossen und Förderer angesprochen und hat mit dem Namen des „eisernen Kanzlers" seinen eigenen Zwecken zu nützen gesucht. Unter diesen Umständen ist eS der Erwähnung werth, daß bisher von Schritten deS Bundes der Landwirthe gegen Herrn v. Diest oder einer Verleugnung seiner Flugschrift durch die bündlcrische oder conservative Presse überall nichts zu spüren ist. Und doch enthält die Flugschrift die wüstesten Anschuldigungen gegen den Fürsten Bismarck bald in der Form der festen Behauptung, bald in der des glaubwürdigen Gerüchts. Beispielsweise wird erzählt, Fürst Bismarck habe bei der Gründung der Preußischen Central-Bodencredit-Actiengesellschaft ein Trinkgeld von 83 000 Thalern eingestrichen; Bleichröber bade ihm'ein Geld mit 18 (achtzehn) v. H. jährlich verzinst r- was-dergleichen Scherze mehr sind. Die Presse der Rechten aber hat bisher, soweit wir sehen, gegen dieses neue Vorgehen desHerrn v.Diest keinerlei Verwahrung eingelegt, sondern die Flugschrift nur in einer Weise erwähnt, die halb und halb als Empfehlung aufgcfaßt werben könnte. Herr v. Diest selbst hat noch in diesen Tagen eine Erklärung veröffentlicht, in der er behauptet, daß Fürst Bismarck ihn verleumdet, unrichtige Angaben vor dem Kammergericht gemacht habe u. dgl. m. Herr v. Diest ver sichert, baß seine Schrift auch dem Fürsten zugegangen sei: „Er hat also Gelegenheit, mich zu widerlegen; sollte er ferner leugnen, so muß ich in dem zweiten Theile deutlicher werden " Finden die Agrarier von heute so wenig Anlaß, sich gegen eine Gemeinschaft mit Herrn v. Diest-Daber zu verwahren, wie die Agrarier von einst, die v. Wedemeyer-Schönrade, v. Blauckenburg und die „Declaranlen" der „Kreuzztg." ? Ihre Stellung zu dem Fürsten Bismarck hängt allerdings seit langer Zeit ganz von den Geschäften ab, die sie mit seinem Namen zu machen oder nicht zu machen glauben." (-) Berlin, 9. Juli. (Telegramm.) Wie der „Reichs anzeiger" meldet, hat der Bundesrath für die Berufungs kammer in den Ehrengerichtsklagcn gegen Vie Börsenbesncher den Unterstaatssecretair des Innern Rothe zum Vorsitzenden und den Geheimrath Wermuth als Stellvertreter bestimmt. — Gegen die Betbeiligung der Socialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen sprach sich auch der Abgeordnete Singer am Donnerstag in einer schwach besuchten Versammlung des vierten Wahlkreises aus. Er stellte sich im Wesentlichen auf den Standpunkt Liebknecht's und fand in der öffentlichen Stimmabgabe und in dem mit dem jetzigen WahlmoduS verknüpften Arbeits verlust eine Forderung, der die Arbeiter- und Beamten massen um so weniger Nachkommen könnten, als die Mög lichkeit des Erfolges für die Socialdemokratie fehle. Für Wahlbündnisse dürfe aber seine Partei nicht zu haben sein. Eine Aenderung der bisherigen Taktik würde für die Partei nur verwirrend und schädigens wirken, ohne daß dabei die Feuilleton. Adelaide. Eine Säcularerinnerung von Richard von Felsenegg. Nachdruck »erboten. ES war Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahr hunderts. Auch am fürstlichen Hofe zu Anhalt-Dessau hatte, wenngleich in bescheidenerem Glanze als in Ilm-Athen, wo der Olympier Goethe im Bunde mit dem fernen Freunve das Reich der Musen beherrschte, die Dichtkunst ihren Wohn sitz aufgeschlagen, seitdem die kunstsinnige Fürstin Luise in der Förderung aller idealen Bestrebungen ihre höchste und würdigste Ausgabe erkannt hatte. Denn auch sie selbst fühlte sich vom Hauche der Musen berührt, und es entsprach ihrem persönlichen Bedürfniß, erlesene Geister in ihre Nähe zu ziehen, um mit ihnen über die Aufgaben und Interessen der schönen Künste ihre Gedanken auszutauschen. Ihr Augen merk fiel dabei auf einen Mann, der seither nur durch einige bescheidene Gedichte aus dem engen Rahmen be ruflicher Tbätigkeit herau-getreten war, auf den als Sohn des Pfarrers in Hohendodeleben bei Magdeburg 1761 ge- bornen Friedrich von Mattbifson. Matthisson war der Fürstin von seiner Wirksamkeit am Philanthropin in Dessau her bekannt und seither theilS al» Erzieher, theil» al- Privatgelehrter vielfach im AuSlande, namentlich in der von ihm vielbesungenen Schweiz, thätig. Seine Gedichte entsprachen durchaus dem Geschmacke der Zeit, wenn sie auch nicht in solch ausgeprägter, ja, einseitiger Weise wir dir seines Geistesverwandten SaliS-Seewi- die „sanfte Scdwermuth", da» melancholische Naturempfinden zur wollustvollen Schwelgerei in TodeSgrdanken steigern. Aber der elegische Zug jener Poesie, der die sentimentale Natur schwärmerei der Zeit in musikalisch wohllautenden Rhythmen auStönen läßt, nahm tiefer angelegte Seelen um so leichter gefangen, je weniger die verstandesmäßige Richtung der Ge- lebrtenpoesie wahrhaft dichterisch empfindende Gemüther zu befriedigen vermochte. Und darum hatte trotz der Ver schwommenheit der einzelnen Naturbilder, in denen Voll mondschein, verfallendes Gemäuer und rauschende CaScaden neben Lindenschwärmern und zirpenden Heimchen die gejammte „mondbeglänzte Zaubernacht" der Romantik wieder aufleben lassen, kein Geringerer als Schiller selbst den Matthisson'schen Gedichten in seiner Recension den besten Empfehlungsbrief mit aus den Weg gegeben. Den „poetischen Landschafts gemälden" Matthision'S rühmt Schiller nach, daß sie uns „durch ihre Anschaulichkeit" gefallen, unS „anziehen durch ihre musikalische Schönheit" und uns „beschäftigen durch den Geist, der darin athmet". Er bemerkt ferner, „daß einzelne der Matthiffon'schen Gedichte den Eindruck etwa einer schönen Sonate auf unS machen. Ein vertrauter Umgang mit der Natur und mit klassischen Mustern bat seinen Geist genährt, seinen Geschmack gereinigt, eine sittliche Grazie bewahrt; eine geläuterte heitere Menschlichkeit beseelt seine Dichtungen, und rein wie sie auf der spiegelnden Fläche des Wassers liegen, malen sich die schönen Naturbilder in der ruhigen Klarheit seine- Geiste-." Nach diesen Ausführungen begreifen wir eS, warum die Fürstin Luise sich gerade Matthisson zum Gefährten und Vorleser während einer Reise erkor, die sie während der Jahre 1795—1799 nach Rom und Neapel, 1799 nach Süd tirol und Oberitalien, 1801 und 1808 nach der französischen I Schweiz unternahm. Denn in ihm gerade glaubte sie den I geistverwandten Genius gefunden zu haben, der mit innigem I verständniß die wechselnden Naturbilder in sich aufzunehmen und zu dichterisch vollendeten Gemälden zu gestalten ver mochte. Andererseits aber willigte Matthisson um so lieber in den ehrenden Vorschlag ein, weil er hoffte, in jenen land schaftlich so überaus bevorzugten Gegenden neue Nahrung für sein poetisches Schaffen zu finden. Außer Matthisson finden wir in der Begleitung der Fürstin als Hofdame ein noch sehr junges adeliges Fräulein Namens Annette von Gloffey, das trotz seiner siebzehn Jahre lebhaften und empfänglichen Geiste-, überaus ein drucksfähig und daneben von hervorragender Schönheit war. Matthisson, damals 34 Jahre, also genau doppelt so alt, konnte sich dem Zauber, den dies feenhafte Wesen auf seine Umgebung auSüble, nicht entziehen, und daS zwanglose Reise leben, verbunden mit den wechselnden Reizen einer poesie vollen Naturumgebung, führte die verwandten Seelen bald näher zusammen. Man sprach sich auS, tauschte Eindrücke und Empfindungen und so erblühte dem geheimnißvollen Schooße gegenseitigen inneren Einverständnisses eine Neigung, so zart, so duftig, so weihevoll, wie sie selten den Zauber garten eines Dichters schmückte. Wenn auch seitens der An gebeteten daS ideale Verhältniß nur al- warme freundschaft liche Zuneigung empfunden werden mochte, so stehl dock fest, daß der Dichter sich über die Art der ihn beseelenden Gefühle keiner Täuschung hingab. Er hegte gewiß anfänglich die beglückende Hoffnung, auch äußerlich die Geliebte sein nennen zu dürfen, wie sie ihm innerlich längst angcbörtc. Zeugniß hierfür sind die auS jener Zeit herrübrendcn Lieder, in denen fämmtlich eine zwar hoheit-volle, aber darum nickt minder schwärmerische und tief empfundene Hingabe an die Erkorene athmet. Ein- aber dieser Lieder wäre allein schon im Stande gewesen, dem Dichter den Kranz der Unsterblichkeit zu sickern, auch wenn der Zauber der Musik dem melodischen Wohllaut dieser dichterischen LiedeSoffenbarung nicht noch eine besondere Weibe verliehen hätte. Wir meinen „Adelaide", jene herrliche Ode nach Sapphi'schem Muster, beginnend: „Einsam wandelt dem Freund im Frühlingsgarten, Mild vom lieblichen Zauberlicht umflossen, Das durch wankende Blüthenzweige zittert, Adelaide I" Hervorragende Componisten haben versucht, dieses Lied, das Len Zauber der Melodie an sich schon in seinen gleitenden Rhythmen, seiner flüssigen, krystallklaren Sprache birgt, musikalisch zu interpretiren, keinem aber ist eS trefflicher ge lungen, in das wunderbare Geheimniß dieser Verse mit Hilfe der Töne einzudringcn, als dem unsterblichen Bcetboven, von dessen Composilion der Dichter selbst bekennt: „Mehrere Ton dichter beseelten diese kleine lvriscke Phantasie durch Musik, keiner aber stellte den Text gegen die Harmonie in tieferen Schatten, als der geniale Beethoven in Wien." In der Thal durchlebt uns bei diesen Tönen gewiß jedesmal ein heiliger Schauer, so wehmütbig-süß, wie der Gedanke an Tod und Unsterblichkeit nur immer sein kann. Den eigentlichen Namen der Geliebten batte der Dichter in „Adelaide" abgeäntert, weil er „Annette" nicht poetisch genug sand, zumal für ein Gedickt, daS wie ein zarter Hauck, wie ecu verhallender Seufzer den Namen der An gebeteten in die Welt tragen sollte, und wir müssen gestehen, daß die 'Wahl, ganz abgesehen von der äußeren Anlehnung an LaS Original, eine überaus glückliche war. Denn welchen Zander, welche Musik birgt der Rhythmus dieser fünf Silben — Adelaide! Mit Beendigung dcr Reise dämmerte auch der Abend des sonnigen MaientazeS herein, der dem Dichter in dem stillen l Liebesglück geleuchtet hatte, und mit bittrem Weh im Herzen entsagte er der Erwählten, die ja, wie er sich glaubte sagen ! zu muffen, nimmer die Seine werden konnte. Schon di,
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