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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.05.1899
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-05-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990515017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899051501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899051501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-05
- Tag1899-05-15
- Monat1899-05
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VezugS-Preir UÄtttir« «ch Lr»Et»r s. DtrErpchttio» ist Wochentag» «nunterbrvche» geLffnet von früh 8 bt» LL«d» 7 Uh^ Filiale»: ktt» Me»»'s Ssrttn». (Alfret Hechek Universitätssttaßr 8 (Paultmun), Lo»t» Lösche, Kathartuenstr. 14, Part, «d KSntgSplatz 7. Morgen-Ausgabe. MpMerTlUMM Anzeiger. AMsvlatt des Lömgttchen Land- n«d Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Motizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Mnzeigen-PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Rrdacttonsstrich l4ge» spalten) bO^z, vor den Familiennachrichtra (6 gespalten) 40^. Größere Schriften taut unserem Preis- vrrzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Taris. Hktra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung ^4 S0.—, mit Postbeförderung 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei. den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck uad Verlag von E. Polz in Leipzig. Morrtag den 15. Mai 1899. S3. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung, die städtische Et«ks»»ensteuer »etreffen». Der erste Termin der städtischen Einkommensteuer ist am 1V. «at diese» Jahre» «st 88"/, de» tu dem 8. Rachtrage zum Gemeiude-Anlagen« Regulattve für die Stadt Leipzig vom 26. Mürz 1879 festgrstellten Normalsteuerfatzes füllig. Die Beitragspflichtigen werden hierdurch aufgefordrrt, ihre Steuerbeitrüge bi» spätestens 8 Wochen nach dem Fälligkeitstage bei Vermeidung der nach Ablauf dieser Frist gegen die Säumigen eiutretenden gesetzlichen Maßnahmen an di« betreffenden Zahlstellen «äsens Stadtsteueramtrs zu entrichten. Hinsichtlich der gleichzeitig zur Erhebung gelangenden persönlichen Anlagen für die evangelisch-lutherischen Kirchen verweisen wir auf die nachstehend« besonder« Bekanntmachung. Leipzig, am 1». Mat 1899. Der Rath her Stadt Leipzig vr. Georgi. Frrnzel. Bekanntmachung, die persönliche Anlage für die evangelisch-lutherische« Kirchen in Leipzig betreffend. Auf Grund von § 7 de» Regulativs über di« Erhrbung der Anlag«« für di« «vangrlisch-luthrrischrn Kirch«, tu Leipzig vom 16. Oktober 1890 wird hierdurch b«kau»t gemacht, daß di, zur Deckung der Fehlbetrüg» in den diesjährigen Haushaltvlüne» der evanaelisch-luthmscheu Kirchengemeinden in Leipzig aufzubringenden persönliche« Anlaaen von den »och den bezüglich«, Bestimmungen des vorerwähnte« Regulativs und «ach der Verordnung, dir An- Wendung der K» 8 und LI de» Gesetze» vom 8. März 1888 be- treffend, vom 7. Mai 1887 beitrag-pfltchtigru physisch«, und juristische» Personen für den auf den 18. Mat dieses Jahre» sagende« ersten städtischen Otnkounueustevertrrmia »ach folgenden Sätzen erhoben werden: 1. im Verband« der evangelisch-lutherischen Kirchengemrinden Leipzig mit 4,5 "/, 8. iu der Kircheogeweiode Anger-Lrottendorf - 4,5 - 8. - - - Lonuewitz - 8 - 4. » - - Eutritzsch - 5 - 5. - « » Gohlis » 8,8 - 6. - - - Kleinzschocher mit vchleußig - 6,5 - 7. - - - Ltndenau - 5,5 - 8. » » » Lößnig »10 » 9. » » - Neustadt mit Ntuschönefeld - 6,5 - 10. « » » Plagwitz » 4,5 - 11. » » - Reudnitz - 5 - 12. » » » Sellerhausen mit Neuseller- hausen - 7 - 18. in der Kirchengemeinde Thonberg mit Neureudnitz mit 9,5 "/, 14. » - » LolkmarSdorfmitVolkmars- dorfer Straßrnhäusern - 8 » des städtisch«« Normalsteuersatze». Di« Umlegung der Anlage erfolgt nach 8 6 de» oben bezeichneten Regulativs mit denselben Betrügen, welche für die betreffenden Per sonen bet ihrer Veranlagung zu der StaatSeinkommensteuer in dem durch die Gesetze vorgeschriebenen Verfahren festgesetzt worden sind, und erhoben wird die Anlage nach den im 3. Nachtrage zum Ge- meindeanlaaen-Regulative für die Stadt Leipzig vom 26. Mürz 1879 festgestellten Normalsteuersätzen. Soweit eine Veranlagung zur StaatSeinkommensteuer nicht statt findet, wird die Anlage nach dem Einkommen festgesetzt, welches der Veranlagung zur städtischen Steuer zu Grunde gelegt ist. Die Beitragspflichtigen werden hierdurch aufgefordert, ihre Bei trüge binnen 8 Wochen, von dem Fälligkeitstage ab gerechnet, an die Zahlstellen unseres Stadtsteuer-Amtes zu entrichten, da nach Ablauf dieser Frist gegen die Säumigen mit dem Beitreibungs verfahren vorgegangen werden muß. Etwaige Reklamationen sind binnen 3 Wochen, von dem Ab drucke dieser Bekanntmachung an gerechnet, bet dem Steneramre, Stadthaus, Hl Obergeschoß, anzubringen. Insoweit Reklamationen sich gegen die Höhe der der Veranlagung zu Grund« gelegten Einschätzung zur staatlichen bez. städtischen Steuer Ächten, sind selbige als unzulässig zurückzuweisen, Loch sollen die auf Reclamationen gegen die Staats- und bez. städtische Einkommen steuer erfolgten Entscheidungen für die kirchliche Anlage von selbst Gültigkeit haben. Leipzig, am 12. Mat 1899. Der Rath der Stadt Leipzig. vr. Georgi. Frenzel. Luther's Tod.*) Luther — ein Selbstmörder! Da» ist die freche Verleumdung, die in diesen Tagen ein römischer Pfarrer in Wien auf der Kanzel predigt, nachdem er sie in einer Broschüre auS- geführt, die in großen Auflagen — sogar an die Schulkinder! — wochenlang verbreitet ward. Diese alte Behauptung beruht auf zahlreichen Quellen. Prüfen wir dies« IheilS von Natur un sauberen, theil» absichtlich vergifteten Quellen, au» denen man diese Nachricht allmählich entnommen hat. Die der Zeit nach erste Quelle sprudelt schon munter lange Jahre vor Luther'» Tode: ES ist «in Bericht des Christo - Phoru-Longoliu» au» Köln, die Oratio aä I-utasraaos, *) vr. Majuuke, Luther'» Lebensende 1890. Geschichte de- Eulturkampfe» 1890. vr. Honef, der Selbstmord Luther's ge- schichtlich erwiesen. (Aus dem 1. Blatt ein Holzschnitt mit der Unterschrift: Der Oberteufel erscheint Marti» Luther auf dem Röhr- bronnen zu EiSleben vor der schrecklichen That.) —Kolde, Luther'» Selbstmord; und: Noch einmal Luther'« Selbstmord 1890. Kawrrau, Luther'» Lebensende 1891. Terlinden, Luther'» Tod 1887. Rietschel, Luther's seliger Heimgang 1890 u. s. w. in der wir erfahren, daß Luther an einer lang jährigen, widerlichen Krankheit, elend und erbärmlich" lang sam zu Grunde ging; und zwar wird da» mit Ausdrücken ge schildert, die nicht wiederzugeben sind. Longolius starb am 11. September 1522; seine Oratio wurde zum ersten Male 1524 veröffentlicht. Mit dieser unlauteren Quelle vereinigt sich «ine zweite, die ebenfalls vor Luther's Tode in Italien plötzlich hervorbricht. Am 12. März 1545 sandte Philipp von Hessen an Luther eine italienische Schrift mit deutscher Übersetzung, in der wir liebliche Einzelheiten über Luther's Ende erfahren: Er nahm vor seinem Tode daS Abendmahl und verlangte, daß man seinen Leichnam auf den Altar setze und ihn wie einen Gott ver ehre. Aber siehe — bei seiner Beerdigung geschah ein großer Rumor, die Hostie, die er empfangen hatte, schwebte in der Luft, und da auch in der Nacht der Rumor wieder anhub, öffnete man seinen Sarg und fand nur noch einige Kleider in ihm! Dafür aber strömte das Grab «inen derartigen Schwefelgeruch aus, daß die Leut« sich wieder zur römischen Kirche bekehrten, „die da ist ein Pfeiler der Wahrheit!" Den Rumor wird un» ein anderer Bericht noch erklären. Quelle Nr. 3 ist ein B r i e f, den ein in Deutschland weilen der Spanier an den Hof in Madrid richtete; sein Jrchalt lautet: Am 14. (!) Februar ist Luther an einer „wüthenden und plötz lichen" Krankheit gestorben. Er hinterließ 7 (!) Söhne, die er von einer Aebtiffin (!) hat, die eine Adelige, und zwar eine Bastardtochter (!) deS sächsischen Fürstenhauses (!) ist. Dieser Brief richtet sich selbst. 1593 schießt nun di« Hauptquelle hervor. Der Oratorianer Thomas BoziuS berichtet in seinem polemischen Werke äs siguie soolasiae: ,Ms Luther am Abend gut gegessen und froh zu Bett gegangen, ist er in derselben Nacht am Stickfluff« gestorben (suttveatas iuterüt)." Diesem thatsächlichen Vermerk fügt er dasGerücht hinzu, daß er nach der Aussage eines Dieners sich selbst erhängt haben soll. Di« Diener mußten schwören, zu schweigen, und nur der Eine hat eS verrathen, nach dem er zur römischen Kirche Lbergetretrn war. Es dauerte doch noch 13 Jahre, bi» der authentische Bericht diese» Dieners endlich veröffentlicht wurde. 1606 erschien das Buch krL68eltpüoue8 aäv. staorsE vom Franziskaner Se - duliuS verfaßt. Wie kommt Sedulius zu dem authentischen Bericht? „Ein gewisser Kammerdiener" Luther's (eubicula- lius guiäsm) wird von „einem gewissen frommen Manne" (piu8 guicksm vir) über Luther'» Tod befragt und legt «ine Beichte in dem erwähnten Sinne ab. Diese schriftlich fest gesetzte Beichte kommt dann in die Hände eines glaubwürdigen Mannes zu Freiburg im Breisgau, und der liefert sie endlich an die richtige Adresse ab: an den damals in Freiburg, später in Antwerpen weilenden Sedulius. Dort wird nun der Selbst mord mit Trunkenheit motivirt! Und endlich erfahren wir hier noch Einzelheiten über den schrecklichen Rumor, die Sedulius einemBericht deS 1587 verstorbenen Tileman Biedebach entnimm:. Dieser „gelehrte und heilige" Mann berichtet: An Luther's Be gräbnißtage wurden alle Besessenen, welche, in der Hoffnung geheilt zu werden, zu dem Leichnam der heiligen Dymna nach Gheel in Brabant gekommen waren, plötzlich geheilt. Aber am nächsten Tage kamen die Teufel, welche die Kranken besessen hatten, wieder und plagten sie aufs Neue. Befragt, wo sie ge wesen seien, antworteten sie: der Oberteufel habe ihnen befohlen, in aorp >ro nach Wittenberg zu gehen, denn „es sei ziemlich, daß sie Luther zur Hölle geleiteten, der selbst so Biele zur Hölle geführt habe." Dem Berichterstatter gab — so lesen wir weiter — als er dies einigen ehrenwerthen Männern erzählte, „ein gewisser Rath eines hohen Fürsten" (cousiliarius guiäam wa^ui piiiwpis) die ergänzende Notiz, daß ein Diener Luther's vor dessen Tode gesehen habe, wie die Teufel in Eisleben auf dem Brunnenrande getanzt und wie sie dann als krächzende Raben die Leiche Luther's geleitet haben. Endlich finden wir in einer weiterenQuelle noch dieBemerkung, daß man Luther schon seit Jahren einen Diener beigegeben hatte, der ihn beobachten mußte, weil sich Luther mit Selbstmord gedanken trug. Das berichtet der Ingolstädter Jesuit Con rad Vetter im Jahre 1606 in seiner Schrift „Der wunder- thätige Luther u. s. w." DaS sind die hauptsächlichen Quellen für die römische Be hauptung, daß Luther auf eine geheimnißvolle Weise — ge nauer: durch eigene Hand — aus dem Leben geschieden sei. Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts kommen noch hier und da Ausschmückungen hinzu, die wir übergehen. 1890 erst erschien „Luther's Lebensende. Eine historische Untersuchung von Paul Majunke". M. war Redakteur der „Germania" und CentrumSabgeordneter, dann wurde er Pfarrer zu Hochkirch und ist berühmt als Mitarbeiter der „Geschichtslügen"; denn als solcher erhielt er und sein Werk den päpstlichen Segen. M. nun leitet in seinem Buche die Quellen zusammen, und aus dem da durch entstandenen Sumpfe schöpft der im Eingang genannte Wiener Pfarrer seine Weisheit. Daß M. die erste Quelle, den Bericht des Longolius, benutzt, der schon 1522 starb, beweist seinen historischen Wahrheitssinn in überraschender Weise; denn er ha! nicht gewußt, daß Longolius schon 1522 starb und hat nicht ge wußt, daß Longolius überhaupt nicht von Luther redet, sondern — von Ulrich von Hutten! Alles dieses mußte ihm erst Kolve nachweisen, der dafür den Dank in einigen polternden Redens arten erhielt, ohne daß M. in der dritten Auflage seines Buches auf diese Quelle verzichtet; denn die dort erwähnte „elende unv erbärmliche" Krankheit giebt doch eine zu gute Basis für den weiteren Gedankenaufbau. Die zweiteQuelle wird von M. selbst nicht benutzt; da für nennt er uns aber den Verfasser ziemlich deutlich: „Luther'» eigener Geist hat sie dictirt"; und falls dies nicht FrnrHetsn. Zwillings-Herzen. Novellette von A. Schoebel. «techdnick Verbote». Damals, al» sie auf die Welt gekommen waren, hatte man ihnen je ein rothes und ein blaue» Bändchen um den Arm gelegt. Sie wären sonst wahrhaftig nicht zu unterscheiden gewesen! Ganz gewiß nicht! Thörichtrrweise hatten sie e» nämlich ver säumt, irgend ein Mal oder Leberfleckchen mitzubringen, sic sahen sich ähnlich wie rin Ei dem andern, — Zwillingsschwestern! Man hatte sie Lulu und Lola getauft. Während de» feier lichen Acte» war Lulu'S Steckkissen roth, Lolo'S blau bebändert gewesen, aber al- man sie AbenS in die Wiege legte, da ver tauschte die gute Großmama, die zehn Iah« lang vergeblich auf Enkel gewartet hatte und nun, seit dir Zwillinge da waren, fortwährend lächelte und Dummheiten machte — da vertauschte dir Großmama die Kinderchen, und eS ließ sich überhaupt nicht mehr feststellen, welche» als Lolo und welches als Lulu seinen Lebensweg zu wandeln bestimmt gewesen. Erschrocken und fassungslos hatte sich die gute Alte aus gemacht und war in» StaatSzimmer hinübergeeilt, allwo di» Pathenschaft und eine ganze Anzahl guter Freunde und ge treuer Nachbarn tafelten. Sie hatte dem Hlücklicken Vater einen Wink gegeben und ihm ängstlich wispernd ihr Mißgeschick offen bart. Stirnrunzrlnd folgte er der Schwiegermutter in» Kinder zimmer. Dort betrachtet» er die Zwilling« von recht», betrachtete sie von link», zupft» an dem goldigen Flaum, der aus den weichen Köpfchen wucherte, wickelte di« nach Milch duftenden Körper au» ihren gestickten Bändern hervor, tastete daran herum; r» war unmöglich, diese närrischen Dinger zu unterscheiden —! Kurz entschlossen ergriff er irgend ein rotheS Band und wickelte eS dem ihm zunächst liegenden Zwilling um da» Fett- ringelchen der Hand. „Da» soll die Lulu sein. Basta! Und kein Wort zu meiner Fra« von der Verwechslung!" Bon da an theilt« er mit der Schwiegermutter rin wichtige» Geheimntß, velcher Zustand ihm ein bedeutend«» Urberg,wicht im Hause verschaffte. Clara, seine Gattin, konnte sich'» nicht erklären, weshalb dte Mutter seit dem Lauftage in grenzenloser Parteilichkeit bet allen streitigen Punkten ihrem Gatten Recht gab . Die Zwillinge wuchsen und erstarkten, nahmen zu an „Weiß- heit" und Fett; aber weder Lulu noch Lolo konnte sich ent schließen, irgend eine Bariante zu entwickeln, die zur Unter scheidung der beiden kleinen Persönlichkeiten gedient hätte, sei e» im Bau oder der Entwickelung de» Körper», der Wesenheit, der Stimme, sei e» in der Farbe de» Haare» oder der Augen. Beide Zwilling« behielten di« dunkelblauen Lugen und die goldig schimmernden Braunhaar«, dte st, mit auf dir Welt gebracht. Ihre Zähnchen brachen zu gleicher Zeit und in gleich zierlicher Form durch, ihre kleinen Stumpfnasen forschten keck und übermüthig in der Luft umher, und ihre Oberlippen zeigten dieselbe «schweifte Form. Der «rblüffenden Aehnlichkeit im Aru-eren gesellt, sich «ine ebenso große der inneren Veranlagung hinzu. Derselbe Trieb, Bilderbücher zu beschauen und Berschen zu lernen, zeichnete daS Zwillingspaar au», dieselbe jauchzende Liebe für Vögel und für Blumen. Lulu und Lolo verspürten im nämliche» Moment Hunger und Durst, Beide empfanden Abscheu vor Haferschleim und aßen sich je und je krank an Obst und kleinen Mandelkuchen, die Großmütterchen für ihre Lieblinge buk. Sie lachten und weinten zu gleicher Zeit, sie schliefen Abends Arm in Arm ein und schlugen Morgens ihre glänzenden Augen auf wie zwei Marionetten, die ein und derselbe Faden bewegt. Sie liebten denselben total verküßten Hampelmatz, denselben abgezausten Hund au» Wolle, schnitten hinter Tante Lene die garstigsten Gesichter her und vergötterten ihren Papa, der ihnen freilich am liebsten die Sterne vom Himmel geholt hätte. Und eines TageS lagen sie ebenfalls Beide da, fiebernd, rothe Pünktchen in der Haut und machten gemeinsam Masern und Scharlach durch. Nack der Genesung blühten sie erst recht auf; doch stets wie zwei Knöspchen an einem Zweige. Die Eltern selber hätten sie nicht zu unterscheiden vermocht. In Erinnerung an den Tauftag hatte der Vater seinen „drolligen Aeffchen", wie er sie nannte, goldene Ketten um den Hals schmieden lassen, die wohl ein WachSthum gestatteten, doch sich nicht entfernen ließen. An Lulu'S Kett« hing ein Korallenherz, an Lolo'S ein Perl kreuzchen, die die Kinder bis zu dem Tage tragen sollten, wo irgend eine hervortretende Eharaktereigenthümlichkeit oder eine Veränderung in der körperlichen Entfaltung die Abzeichen über flüssig machen würde. Doch niemals kam dieser Lag. Die Zwillinge blieben die Wiederholung ein und desselben Wesen», eine Doppelausgabe der SpeeieS Mensch. Ihre Herzen glichen zwei Uhren mit gleichem Gange. St« wuchsen so recht im Sonnenschein auf. Wo sie er schienen, riefen sie Lächeln und frohe Gefühle wach. Man scherzte mit ihnen, verwöhnte sie, staunte st» an. Wie hätten sie ander» al» heiter und liebenswürdig werden sollen! In der Schule wetteiferten sie, sich da» Interesse von Lehrern und Lehrerinnen zu erhalten, zu verdienen — wie zwei Untrenn bar« hockten sie nebeneinander auf der Schulbank. Man hätte stet» nur eine einzige Eensur für sie auSzuschretbrn brauchen; ihre Fortschritte, ihre Mänael waren die gleichen, — im Singen und Zeichnen rrcellirtrn die Zwillinge. Jahre flogen dahin. Die Lernzeit schloß mit der Eon- firmation ab. Der Prediger Latte den Schwestern Ruth'» herrliche» Wort zu NoSmi al» Lritspruch mit auf den Lebens weg gegeben. Noch zwei Jahre eifriger Schulung in Küche und Hau»halt, und die schönste Zeit brach an für Lulu und Lolo, die sorgen loseste im Leben junger Mädchen au» wohlhabendem Stande. Die Zwillinge durften sich am Besuche von Concerten, Theater und Gesellschaften erfreuen, sie durften tanzen, — tanzen! Einen Erfolg hatten ihre frischen Erscheinungen! Man riß sich um da» Doppel-Phänomen, um diese reizenden Schwestern, die sich durch nicht» unterschieden, al» durch da» Perlkreuz und da» Korallenherz. vefter machten Lulu und Lolo sich dm Schere, die Kettchen mit einem Shawl zu verhängen. In welche Verlegenheit dann ihre Tänzer geriethen! Und die Zwillinge schmollten und lachten und rissen schließlich die Shawls ab, um das Inkognito zu lüften Nach einem Ball war'» . , . Lulu und Lolo hatten den größten Erfolg des Abends verzeichnen dürfen. Mit Eottillonsträußchen beladen waren sie heimgekehrt, die leichtsinnig-schwermüthigen Echos Strauß'scher Walzer noch in den Ohren. Nun standen sie im gemeinsamen Schlafzimmer in ihren rosigen, zerdrückten Kleidern, verhaltene Seufzer auf den Lippen. Lulu drehte ihr Korallenherz zwischen den Fingern. „Gott, war das ledern heut", bemerkte sie gähnend. Lolo machte schmale Augen. „So ledern wie neulich bei Tante Mila, und in der vorigen Woche auf dem Juristenball. Nicht wahr? Ja, ja, wenn gewisse Leute fehlen!" Wie gestochen fuhr Lulu zusammen. „Mir hat Niemand gefehlt!" betheuerte sie bluthroth, „von mir kann doch gar nicht die Rede sein —". Sie bückte sich, als suchte sie etwas, um ihr Erröthen zu bemänteln. „Ich weiß überhaupt gar nicht, von wem Du sprichst —" „Nun, von ihm, der auf drei Wochen in seine Heimath gereist ist —" „Ah ", dehnte Lulu, „Du meinst Assessor Arndt." „Gewiß, Ulrich Arndt. Merk' auf, ehe der Fasching da ist, hält er um Dich an." „Nein! um Dich, das ist bei mir längst ausgemachte Sache." Lolo lachte gequält auf und nahm sich den Beilchenkranz aus den Haaren. „Um mich? Wie sollte er darauf kommen? Mit mir hat er sich nur beschäftigt, weil ich Deine Schwester bin." „Und mit mir, weil ich Dir ähnlich sehe." Lulu schleuderte so heftig ihre goldledrrnen Schuhe von den Füßen, daß sie unter» Bett hinuntertanzten. Lolo zuckte die Achseln. DaS rosige Kleid glitt ihr von der Schulter. „Als ob ich ihn überhaupt nehmen würde! Ich hab' einen ganz anderen Geschmack." Di« Schwester hielt im AuSkleiden inne. „Zum ersten Mal im Leben einen anderen Geschmack als .ich?" Kaum war ihr da» verrätherische Geständniß entflohen, so hätte sie e» zurücknehmen mögen um jeden Preis. Lolo klatschte in die Hände. „Du liebst ihn! Du liebst ihn! Und er Dich!" Sie blickte in den Spiegel. „Und ich laß mir hier neben den Mund «in kleine» Mal auf die Haut tätowiren, damit keine Verwechslung vorkommt, wenn Ulrich Dich erst küssen wird —" Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Lhränen. Lulu stand da mit herabgezerrten Mundwinkeln, die langen Haare gelöst, — ein Bild schwermüthiger Reue. Gleick einem großen Blutstropfen schimmerte daS Korallenherz auf ihrer Brust. „Mein Liebling, mein Kleinod", sagte sie leis« und betrübt, „Du liebst ihn, Ulrich. Ich weiß eS längst. Und daß er Dich stets auSzeichnete, hat mich glücklich gemacht, so glücklich!" Zwei schwere Lhränen tropften auf ihr weiße» Nachtkleid herab. Lolo schluchzte laut. „Und ich Lin so — unglücklich! Ach, meine HerzenSschwrster, nimm Du ihn doch! Kein Mensch paßt besser zu ihm, al» Du mit Deinem zärtlichen Herzen, Deinen holden Lugen. Er muß Dich ja lieben. Und er thut'» auch gewiß. Willst Du e» leugnen?" Lulu sah plötzlich sehr streng aus. „Dann liebt er uns beide." „Das ist doch aber nicht möglich, nicht möglich", stammelte Lolo und öffnete die sammtenen Augen weit. „Nicht möglich? Sind wir denn etwa zu unterscheiden?" rief Lulu verzweislungsvoll. „Und wenn Du nicht das Perl kreuz trügst —" „Und Du daS Korallenherz —" „Dann wüßte er vielleicht gar nicht —* „Daß ich die Lolo bin —" „Und ich die Lulu." Weinend sanken sie sich in die Arme. Lulu fing zuerst an, die Schwester zu trösten, aufzurichten. „Komm', Liebling, setz' Dich hier neben mich auf mein Bett", sagte sie, „ich bin doch die Verständigere, clne ganze Stunde älter als Du." Da brach Lolo aufs Neue in verzweiflungsvolles Schluchzen aus und schüttelte wild ihre Haare. „Auch das weiß man nicht!" Die Großmutter hat mir's eine Woche vor ihrem Tode gestanden, daß sie unS am Tauftage verwechselt hat, und daß es überhaupt nicht festzustellen ist, wer von uns die Aeltere, wer von uns die Lolo oder die Lulu ist —!" Die Schwester senkte ernst die thränenschweren Wimpern. „Wir sind eben Eins. Nichts soll uns trennen auf Erden. So war'S bestimmt von allem Anfang her." Ihre Stimme zitterte. „Du liebst Ulrich?" „Ja. Und Du?" „Ich liebe ihn ebenfalls. Doch niemals soll Dich daS stören Liebste. Ohne Neid und Groll könnte ich Dein Glück sehen. „Und Du meinst, solche» Opfer würde ich annehmen?" Sie blickten sich an. Wie Sterne strahlten ihre dunkelblauen Augen — die'c Augen, die sich glichen wie Spiegelbilder. In langem, innigem Kuß fanden sich zwei unschuldige Lippenpaare. Müde von den Aufregungen des Abends, müde von ihren Seufzern und Thronen legten sich die Schwestern zur Ruhe. Arm in Arm, wie sie es als Kinder gethan. Ihre gold flimmernden Haare mischten sich, ihr Athem floß süß ineinander. Und über den ZwillinaShrrzen bewegte sich lei» da» Perlkreuz und die Koralle, die einem Blutstropfen glich. Am anderen Morgen trat die Mutter an da» Bett der beiden Mädchen. „Langschläferinnen Ihr! Die Sonne scheint Euch in» Ge sicht, ohne daß Jhr'S merkt! Und eine Neuigkeit hab' ich für Euch!" Sie schwenkte ein Blatt in den Händen. „Lulu, Lolo rathet, wer sich verlobt hat!" Die Brauen zusammenschiebend, fuhr sie fort: „Eigentlich hat er Euch Beiden ein bischen stark den Hof gemacht. Doch das thun ja Alle. Ihr seid eben zu liebe Narren mit Eurer Aehnlichkeit und Eurem Gezwitscher. Und wenn nicht irgendwo Zwillingsbrüder für Euch gewachsen sind, da werdet Ihr wohl schwerlich Männer bekommen." Lulu blinzelte gleichgiltig. „Wer kann sich verlobt haben! Ich weiß nicht, Mama!" Lolo griff nach dem Blatt und blickte hinein: „Ulrich Arndt mit seiner Cousine!" Die Schwestern richteten sich auf, Arm in Arm. Draußen an den Fenstern lag glänzender Sonnenschein und zeigte ihnen die Welt, hell, leuchtend — und so weit, so weit!
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