von Mietskasernen, zwischen denen die Mühseligen einher schreiten; triste Gassen und Höfe. Noch eine Negation: Otto Nagel ist auf solche Gegenstände nicht durch den Augenreiz gekommen, wie etwa Menzel, als er eine Glückwunsch- Adresse für einen Industriellen malen sollte und dabei dessen Eisen walzwerk sah: Formgewirr im Fabrikraum von damals, karges Tages licht, dem Widerschein glühenden Metalls in dem Eisengestänge be gegnend und auf den mannigfach bewegten Gestalten der Arbeiter — das regte ihn zu einem berühmten Gemälde an. Aber auch das Ball souper im königlichen Schloß reizte ihn zu einem nicht minder be rühmten Bild, engem Gefüge von goldschimmerndem Prunkraum und Blütenstrauß aus zarten Farben der Hofgewänder — so köstlich, daß der große französische Maler Degas, als er dies Bild auf einer Aus stellung in Paris gesehen hatte, eine Farbenskizze davon malte. An den Tausenden von Zeichnungen Menzels sieht man staunend, wie sein Sinn für die Wirklichkeit ohne Grenzen ist. Otto Nagel beschränkt sich auf die Welt der Arbeiter. Wohl hatte die soziale Frage auch den Bürger beschäftigt, die Maler schufen nicht mehr anmutige Bilder aus sonntäglichem Bauern-Dasein, sondern richteten ihren Blick auf das „Volk bei der Arbeit“. Millet malte Steinklopfer, Meunier modellierte Bergarbeiter, Liebermann malte die Netzflickerinnen, die Flachsspinnerinnen, die Schusterwerk statt; da sieht man mit welcher gespannten Aufmerksamkeit der Schuhmacher sein Handwerk treibt, man sieht es sogar bei der Rücken gestalt des Lehrlings — aber Otto Nagel war selbst ein Arbeiter, ein Pro letarier. Im Berliner Norden, im Wedding, ist er geboren, 1894. als Sohn eines bescheidenenKommoden-Tischlers bäuerlicher Herkunft,aufgewachsen in täglicher Sorge und Not, fern vom Kunstgetriebe des Berliner Westens. Im zweiten Hinterhof Küche und zwei Zimmer, wovon eines die Werk statt des Vaters. Fünf Jungen in derFamilie. Der Vater war Sozialist, Otto mit vierzehn Jahren organisiert in der sozialistischen Jugend. Sein Drang zum Zeichnen und Malen fand keine Gegenliebe. Er nahm einmal in der Wohn- und Schlafstube ein paar Reproduktionen kitschiger Bilder aus den Rahmen, ersetzte sie durch eigene Versuche; aber die Mutter bat ihn, sie wieder wegzunehmen, ihre „schönen Bilder“ wieder aufzu hängen. Maler werden — um Gotteswillen, verrückt! In der Schule wird die zeichnerische Begabung bemerkt. Ein Goldschmied bringt einige