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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010415023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901041502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901041502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-15
- Monat1901-04
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Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Rattzes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Auzetgeu-Pret- die 6g«spatte«e Petüzeile 25 H. Neelame» unter dem Redactionsstrich gespalten) 75 Lp vor den yamUtemmch- richt,« («gespalten) 50 Lj. Tabellarischer und Zisternsatz entsprechend höher. — Gebühre« für Nachweisungen und Offrrtenannahme 25 Lj (excl. Porto). <krNa-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Au-gabe, ohne Postbeförderung ^l SO.—, mit Postbesördrruug ^tl 70.—. ^nnahmeschluß ftr Anzeige«: Abeud-LnSgab«: Vormittags 10 Uhr. Morg»i»-A»r«gab«: Nachmittag« 4 Uhr. Bei de« Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige« find stet« au die Expedition zu richte«. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag vo« E. Polz iu Letpzi-. IW. Die Wirren in China. 8iitschävigungöfragc. Der „Sunday Special" meldet au« Washington vom 13. April, die Regierung der Vereinigten Staaten habe den Mächten neue Vorschläge, betreffend die von Cbina zu fordernde Entschädigung, unterbreitet. „Weekly DiSpatch" will wissen, daß die Regierung der Vereinigten Staaten gestern ihren Vertreter in Peking angewiesen habe, nur dann einen Vorschlag bezüglich der an China zu stellenden Ent schädigungsforderung zu unterstützen, wenn die Summe 200 Millionen Dollar« nicht überschreite. Der Betrag soll zu gleichen Theilen unter die Mächte vertheilt werden und iu Gold zahlbar sein. Im Fall der Ablehnung der Mächte würde Amerika die Entscheidung de« Schiedsgericht« im Haag anrufen. Ueder die Expedition des Generalmajors von Trotha, CommandeurS der l. ostasiatischen Infanterie-Brigade, wird der „Nordd. Allg. Ztg." von militärischer Seite geschrieben: Die Truppen de« Generalmajor« v. Trotha bestanden aus: 3 Jnfanterie-Compagnien (je eine Compagnie deS 1. und 2. Ost« asiatischen Infanterie-Regiments und der Marine-Infanterie), der Jägercompagnie und je 1 Zug berittener Infanterie, Reiter, Feld- und Gebirgsartillerie. Die Colonne hatte die Aufgabe, die Gegend nordwestlich von Peking zwischen Sankiatien, Tschatou und den Ming-Gräbern bei Tschangpingtschou zu durchstreifen. Sie brach am 31. Januar von Peking auf und erreichte an diesem Tage Sankiatien (22 Kilometer westlich von Peking). Hier theilte General v. Trotha seine Truppen. Die drei Jnfanterieconipagnien, der Zug berittener Infanterie, die beiden Feldgeschütze uud die gejammte fahrbare Bagage wurde in nördlicher Richtung auf Dangsang in Marsch gesetzt und rückte demnächst weiter auf Tang- pinglichou. General v. Trotha selbst ging mit der Jägerrompagnie, dem Zuge Reiter uud den beiden GebirgSgeschützen weiter in das Gebirge vor, um es in Richtung aus Tschatou zu durchschreiten. Die Jäger und die Artillerie marschirten zunächst westwärts bis Hsiaweitien und bogen dann in nördlicher Richtung über Schang- weitien auf Hönglingischöng ab; der Reiierzug holte noch weiter westlich bi« Ankiatschwana (am Uungtingho) au« und nahm dann gleichfalls die Richtung aus Tschatou. Die Truppen haben in diesen Tagen Gelegenheit gehabt, erneut ihre außerordentliche Leistungsfähigkeit im Ueberwinden von Marschschwierigkeiten zu zeigen. Bi« zum Eintreffen in Hönglingischöng (am 4. Februar) waren mehrere GebirgS- ^ige zu überwinden, und dabei war man ausschließlich auf Saumpfade angewiesen, die es nickt gestatteten, vie Ge schützrohre in den Lafetten zu lasten. Zum Theil sind fast senkrechte Wände auf so engen, tn Windungen an steigenden Pfaden erklettert worden, daß das Abstürzen mehrerer Tragthiere nicht zu verhindern war, wiewohl ein Zug Jäger dauernd mit dem Wegräumen deS EiseS und der hinderlichsten Steine beschäftigt war uud in dieser Arbeit in der Nähe von Ortschaften meist freiwillig durch Lande«- einwohner unterstützt wurde. Noch beschwerlicher al« der Aufstieg von Süden gestaltete sich der Abstieg nach der Nordseite, weil hier die Hänge noch vollkommen mit Schnee und Ei« bedeckt waren. Die australischen Pserde der zweiten Escadron, die an dem Zuge theilnahmrn, haben sich wieder, namentlich im Gebirge, ganz vortrefflich be währt. Die Expedition gab außerdem Gelegenheit, eine zwischen Peking und Nangfang hergestellte Heliographen verbindung, sowie den Cavallerie-Telegraphen mit recht gutem Erfolg auSzunutzen. In der ganzen durchzogenen Gegend Montag den hat sich die Bevölkerung durchaus friedlich und entgegen kommend gezeigt; nur die GebirgSdörfer, in denen Truppen bisher noch nie erschienen waren, wurden zum Theil verlassen vorgefunden. Klagen über Bedrückungen durch räuberisches Gesindel sind nicht mehr laut geworden. Während sich die Expedition v. Trotha noch unterwegs befand, erhielt da« Obercommanvo in Peking von dem dortigen französischen Bischof die Miltbeilung, baß in der Gegend von Hungning, ca. 18 km nordöstlich von Aenking, neuerdings wieder Cbrittenmorde vorgctommen seien. Die Weisung de« Oberkommandos zum Einschreiten erreickte den General v. Trotha in Tschangpingtschou, wo er, auf dem Rückmärsche nach Peking begriffen, am 6. Februar ein getroffen war. Er entsandte sofort den Zug Reiter und die berittene Infanterie unter dem Befehle deS Rittmeisters Grafen MagniS zur Strafvollstreckung und sckob die Jägercompagnie mit der Gebirgsartillerie als Rückhalt wieder bis Tschatou vor. Mit den übligen Truppen setzte er den Rückmarsch auf Peking fort und traf dort am 9. Februar wieder ein. ES gelang dem Grafen MagniS, in Junzning acht an dem Verbrechen betheiligte Chinesen zu ergreifen. Von diesen wurden fünf an Ort und Stelle mit Prügelstrafe belegt, drei schwerer belastete aber zur Aburtbeilung nack Peking gebracht. Am 12. Februar langte Graf MagniS mit seinen Truppen wieder in Peking an. Die Iägercompagnie mit den GebirgSgeschützen, für die ein Eingreifen nicht notbig geworden war, hatten Peking schon am 1l. wieder erreicht. Bei Paolingfu hat sich General v. Kettler veranlaßt ge sehen, in dem ihm zur Ucberwackung zugewiesenen Abschnitt der weiteren Umgebung die DistrictShauptorte ungefähr mit je einer Compagnie dauernd zu belegen, um die Bevölkerung gegen Räubereien und Erpressungen wirksam zu schützen und die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung zu er leichtern. Es befinden sich daher jetzt deutsche Garnisonen in Ngansuhsien, Tinghsinghsien, Wauhsien, Kauyanghsien und Nangtsuiischönn. Der Krieg in Südafrika. Zahlen! zahlen! Wie e« den englischen Soldaten auf dem Kriegs schauplätze Dank der wunderbaren Organisation deS inneren Dienstes in der Feldarmee ergeht, ersieht man zur Genüge aus einem letzter Tage veröffentlichten Briefe eines englischen Sergeanten, der von Piet-Retief aus wie folgt schreibt: Es ist geradezu kläglich, wie man hier mit uns umspringt. Nachdem wir 8 Monate ununterbrochen unter General Frenck hinter den Boeren her getrekkl sind, erkalten wir endlich neue Uniformen, da unsere alten nichts mehr wie Lumpen waren, und empfingen gleich zeitig die von unseren Aerzten allen Truppen vorgeschriebenen Leibbinden. Nün denkt Euch unsere Ueberraschung, als uns acht Tage später für diese Leibbinden 2hr Schilling pro Mann von unserer Löhnung abgezogen wurde, weil der Depot-Officier behauptet, diese gehörten nicht osficiell zur Ausrüstung. Am WeihnachtStag erhielten wir, angeblich gratis, ungefragt ein Ouanlum Bier, und bei der nächsten Löhnung batte jeder einzelne Mann 1 Schilling für diese Weihnachtsgabe zu bezahlen. Aehnliche Fälle kommen fort während vor. T)a« Tolle dabei ist, daß wir niemals um 15. April 1901. solche Dinge fragen und dann nachher dafür bezahlen, sodaß wir oft kaum einen nennenSwerthen Betrag von unserer Löhnung übrig bebakten. Da« ist natürlich ein Skandal »mb deshalb wird auck die Unzufriedenheit unter den Mannschaften immer größer. Oft bekommen wir überhaupt wochenlang gar keine Löhnung; sind wir dann, wie kürzlich erst z. B. in Johannesburg, wo wir uns für unser Geld kaufen könnten, was mir brauchen, oder eine kleine Summe uach Hause schicken könnten, dann hat der Zahlmeister kein Geld für uns. Nachher sitzen wir in irgend wclckem kleinen Nest, wo nichts zu haben ist, und — dann kommt die Löhnung, mit der wir dann natürlich wochenlang nichts anfangen können. Unerhört, nicht wahr? „Rtuter'-Lügcn. Die „Daily NewS" schreiben: . . . Wir haben von Zeit zu Zeit auf die Unzuverlässigkeit der Telegramme au« Süd afrika hingewicsen und unsere Leser ermahnt, selbst bei den auch von uns mangels Beweisen vom Gegentheil veröffent lichten Depeschen (Reuter'S) Vorsicht zu üben. Wir lenken jetzt die Aufmerksamkeit auf ein Beispiel frecher, kaum zu übertreffender Verlogenheit. Am 4. Februar sandte Reuter der englischen Presse ein Telegramm über das Ableben des vr. Walker, der seinen Tod unter den größten Grauiamkeiten pon Boerenhänden gesunden. Wie die meiste» übrigen Blätter veröffentlichten wir dasselbe. Hätten wir jenes Reuter-Telegramm zuriickgehalten, so wären wir zweifellos vom „Standard" an Len Pranger gestellt worden. Wir können heute den Boeren nur Abbitte leisten, daß wir es veröffentlicht haben. Ohne eS zu wissen, ver leumdeten und beleidigten wir tapfere, für ihre Freiheit kämpfende Männer, die verhindert sind, zu ihrer Vertheioigung selbst daS Wort zu ergreifen. Denn jetzt schreibt Hauptmansn Casson, welcher den bei Modderfontein aufgehobenen Posten be fehligte, den „Times" und setzt der „Reuter"-Meldung ein entschiedenes, unbedingtes Dementi entgegen. „l)r. Walker", erklärt derselbe, „wurde bei dem Angriff nur einmal ver- mundet und starb an demselben Nachmittag an den natürlichen Folgen seiner Wunde. Er starb den Tod eines Soldaten. Die Boeren begingen nicht nur keinerlei Mißhandlungen an ihm, sondern der Boerencommandant drückte Herrn vr. Walker sein Bedauern auS, daß er verwundet worden, und später am Tage sagte der Boerencommandant mir selbst persönlich, wie rief er das unheilvolle Ereigniß bedauere, während viele der BurgherS in der Unterhaltung mit unseren Leuten sich ähn lich ausdrückten. Tie Burghers erwiesen unseren Ber- mundeten jede denkbare Freundlichkeit und stellten «inen besonderen Posten aus, damit Niemand denselben nahe kam oder sie irgendwie belästige." — „Und das ist", fahren die „Daily SteivS" fort, „der Dank für jede denkbare Freundlichkeit!" Durch das ganze Land haben wir sie des geinrinen Mordes angeklagt und diese falschen Anklagen werden als Anlaß benutzt, um zu weiteren Härten gegen sie anfzuhetzen." Soweit die „Daily News". Aber Reuter begnügt fick, so bemerkt die „Tägl. Rund schau" zutreffend, nicht nur damit, unschuldige Boeren als Banditen uud Mordgesellen zu verleumden, und gegen sie nach barbarischen Gewaltmaßregeln zu rufen, sondern er betreibt auch auf der anderen Seite deS Ocean« mit gleichem Eifer und trotz deS deutsch-englichen Einvernehmen« ebenso erfolgreich und systematisch die Hetze gegen Deutsch land. Es ist das um so auffälliger, al« Reuter seit nun schon mehr als Jahresfrist thatsächlich und voll ständig zu einem einfachen Werkzeug der englischen Regierung geworden ist und nicht- mehr bringt, wa« deren Wünschen nicht entspricht. Andererseits erscheint e« S5. Jahrgang. ganz unbegreiflich, wie mau in Downing Street es gutheiße« kann, daß Reuter immer wieder völlig erfundene Ding« al« Thatsachen berichtet, um besonder« deutsche Officiere und Soldaten zu verleumden. Reuter war e«, der besonder« während der ganzen Zeit der chinesischen Wirren stet- Deutsch land al- den Störenfried und eigentliche» Urheber allen Un heils hinstellte. Er zuerst brachte Meldungen über „Deutsche Hunnenthaten", wie er späterhin wieder von Neuem über „Deutsche Uebergriffe", „Rohheiten", „Metzeleien" rc. rc. zu berichten wußte. — Leider wird trotz alledem die europäische Presse nach wie vor zum größten Theilr wenigsten« für über seeische Nachrichten von Reuter abhängig bleiben, und be wußt oder unbewußt, willig oder unwillig auch seine wider sinnigsten Lllgendepeschen weiter verbreiten müssen. In sehr vielen Fällen kann »hnen nicht einmal ein Dementi entgegen gesetzt werden und da, wo da- möglich ist, ist der fragliche Vorgang in de» meisten Fälle« schon der Dergeffenheit an- heimgefalltn. Politische Tagesschau. * Leipzig 15. April. Die Meldung der „Nationalliberalen Correspondenz", man mache sich im Bund es rat he darauf gefaßt, daß die Berathunzen dieser Körperschaft über de« Aolllartf sich bi weit in den Sommer, ja wohl gar bi- in den Herbst hinein erstrecken werden, ist nicht neu. Schon kürzlich glaubte da« „Berliner Tagebl." versichern zu können, der Entwurf werde den verbündeten Regierungen und zugleich dem Bunde«- rathe frühsten« gegen Ende diese- Monat« vorgelegt werden können und der letztere werde sich mit dem Gegenstände voraussichtlich bi« tief in den Herbst, ja Wohl gar bi« in den Winter zu beschäftigen haben. Aber diese Versicherung wurde in conservativen Blättern al« „frei händlerische Treiberei" bezeichnet, die schwerlich Erfolg habe« werde. Die Folge der Meldung der „R.-L. E." wird sei», daß die Presse de- Bunde« der Landwirthe „neue Iutriguen" wittert und von den bündlerischen Abgeordneten verlangt, sie möchten im Reichstage ein ernste« Wort mit dem Reichs kanzler sprechen. Das wird wohl auck geschehen, aber schwer lich den gewünschten Erfolg haben. Hat doch Graf Bülow auf ein ähnliches Drängen im prelchischen Herrenhaus« mit einem Nachdruck und mit einem Ernste, die da« hohe HauS verstummen machten, erklärt, daß e« ihm sernliegen werde und fernliegen müsse, aus den BundeSrath irgend welchen Druck au-zuübcn, „der in Widerspruch stehe» wurde mit unser aller Achtung vor der Würde und der Selbst ständigkeit der BundcSstaaten". Die Mittelparteierr werden sich daher in Geduld fassen müssen; da aber Geduld bekanntlich nicht Sache der Bündler ist, so werden diese an da- angebliche Kaiserwort erinnern, daß erst der Canal geschluckt werden müßte, bevor der Zolltarif an die Reihe kommen könnte, und mit verdoppeltem Eifer bemüht sein, die Canalgegner zur Verschleppung de- wasserwirth- fchastlichen Projekts im preußischen Landtage zu veranlassen. Herr vr. v. Miquel, der zu Beginn der Landtagsgeschäfte nach Berlin zurückzukehren gedenkt, wird daher einen schweren Stand haben, wenn er für die schleunige Verabschiedung der Canalvorlage eintritt. E« wird zwar behauptet, er wünsche ein« solche Beschleunigung weder au- sachlichen, noch au- politischen Gründen; besonder« halte er FeiriHeton. Ver Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. -ta-btruck «ertotni. Auch an dem Abend nicht, da er mit Lisa Flügge irr der Seitennische eines Saales sitzt, in dem lachende, trinkend«, rau chende Menschen den Leistungen eines mäßigen DariötötheaterS applaudiren. Mit Lisa Flügge! An einem Juni-Abend ist's, an dem er eigentlich hat daheim — seit anderthalb Jahren besteht dies Heim au» zwei behaglich möblirten Stübchen — bleiben wollen; denn von Sprakensen sind Briefe angrkommrn, die ihn mit ernster Besorgniß erfüllen. Herr v. Rheinern ist übervebschuldet; die Gläubiger drohen mit ZinSklagen und Hypothekenkündigung, und Schuldner, die zu drängen sich überdies der alte Herr eigensinnig weigert, zahlen nicht. Daß die Familie Rheinern nicht vermögend, ist ihm aus gelegentlichen Mittheilungen Helene's zur Genüg« dekannt; als er aber heute ein Verzeichniß der zum Johanni-Termin fälligen Zahlungen und der als Deckung erwarteten Eingänge erhielt, war er heftig erschrocken. Das Ganze sah auS, wie eine Art Comvlot, den alten Herrn zu ruiniren. So sitzt er denn nach demAbenvbrod in seinem Zimmer, über legend, rechnend, schreibend. Daß er seine eigenen Ersparnisse — er weiß auswendig, daß dieselben, bei einem Bankhaus« ver ¬ zinslich angelegt, etwas über zweitausendneunhundert Mark be tragen — hergeben wird, versteht sich für ihn von selbst. Das aber ist ein Tropfen auf einem heißen Stein. Ob nicht vielleicht sein Chef, dem di« Rheinern'schr Familie ja von Alter« wohl bekannt ist, helfen würde? Soll er ihn bitten? — Btelleicht — Aber einstweilen ist Herr Langsen auf ein paar Tage verreist, und dann ohne Helen«'» oder de» Biron« Einwilligung darf er seine Hilf« nicht in Anspruch nehmen. Da klopft e». Lisa Flügge« Ihr hastiger, heißer Gruß wirst all' seine Berechnungen über den Hausen, schneidet, wie ein Messer durch sein« Se- dankenkett«. „Wo kommst Du her?", fragt er aufspringend, behält aber die Hand, die sie ihm geboten, in seiner Rechten. Sie schüttelt lachend die Locken, daß die Zähne zwischen ihren Pollen Lippen blitzen. „Woher? — Als ob's nicht genug wäre, daß ich hier bin! 'Mit oer Eisenbahn. Hu! Siehst mich an, wie ein Gespenst. Vom Bahnhof inS erste beste nahe Gasthaus, dann geradenwegs zur Polizei, mich nach Deiner Wohnung zu erkundigen, von da hier her, — 'S hat lange genug gedauert" — sie zieht ihre kleine, silberne Uhr zu Rath« — „ganze zwei Stunden. Hungrig bin ich auch geworden und heiß " Heftig athmend, öffnet sie 'das engschlteßende Jacket, und rn kräftiger Fülle treten die Linien ihres ebenmäßigen Wuchses hervor. So tritt sie vor den Pfeilerspieael zwischen seinen Fenstern. „Mußt schon dulden, daß ich mich ein bi-chen menschlich mache — savs göno, wie Herr Vieler in Karnin mit Vorliebe sagt." Sie legt ihr Hütchen ab, ordnet mit ein paar Strichen da» schwarze Haar, nickt seinem Bilde, daS sie im Spiegel sieht, kokett zu, dreht sich sann aber mit einer kreiselnden Bewegung nach ihm um, faßt ihn bei den Schultern und küßt ihn. „Närrischer Rudi! Fünf Jahre lang nicht» von sich hören zu lassen! Nun aber ihut er mir den Ge fallen, daS Geschreibsel da zusammenzupackcn und mich irgend wohin zu führen, wo man ein Abendbrod — und nebenher ein bischen Unterhaltung hat." Hochroth im Gesicht, kommt er dem ersten Begehren mit lobenswerthem Eifer nach, iirvem er die auf dem Tisch ausge- bveiteten Briefe in sein« Commode verschließt. Dann, als er in» Nebenzimmer geeilt ist, ein wenig Toilette zu machen, ge winnt er erst den Muth, sie durch die 'Thür zu fragen: „Kommst Du denn von Karnin?" „Directement", klingt eS zurück. „Habe den Hausschlüssel in meinem Koffer, und bin, wie ich hier sitze, auf dem Wege nach Bremerhaven." Er nestelt noch an seiner Halsbinde, kommt aber dennoch aus dem Schlafzimmer zurück und fragt mit stock«ndem Athem: „Und Dein Vater?" „Ist sehr sicher aufgehoben", antwortete sie, ohne ihn an- zusehen, aber auch ohne ein Lächeln auf den Lippen. „Er sitzt seit vier Wochen im Greifswalder Gefängniß." „Um de» Himmel« willen!" ruft er auS. Sic sieht ihn mit ihren schwarzen Augen groß an. „Ich hatt'» längst kommen sehen. Er und der Wildkrug- wirth, dazu noch ein paar Genossen, die damal«, glaube ich, den verunglückten Ulrich in sein Vaterhaus trugen. Gewerbsmäßige Wilddieberei. Onkel Fetthenne, der sie ertappte, wärebeinahe seiner edlen Seele dabei verloren gegangen, wenn nicht Jochen Zillmann sich zwischen ihn und den Alten geworfen hätte. Sie faltet die Hände zusammen und blickt ein paar Minuten, während deren er keine Worte findet, trübselig vor sich hin. „'ne Zeit lang war'« ein Elend: Heini auf See und ich mitte« zwischen dem Gewäsch der Karniner. Dann wollte Onkel Fetthenne — er handelt ja außer in Getreide auch in Edelmuth — na, das kennst Du ja — der wollte mich retten, wie er sich ausdrückte — mir in Greifs wald eine Stelle als Wirthschaftrrin verschaffen — ich dankte bestens; denn daß ich sonst seinen wasseräugigen Sohn, der jetzt dort die Universität unsicher macht, noch dichter, als in Karnin hinter mir hatte, war mir gewiß. Rechtsanwalt Bkier, der höchst uneigennützig" — hier lacht Lisa einmal kurz auf — „völlig ohne Gebühren den Alten vertheidigte, blos weil er die Geschichte für einen interessanten Fall erklärte, wollt« mich sogar bei einem Bekannten, einem alten Gutsherrn in der Nähe, unterbringen — ich dankte erst recht." Sie knirscht mit den Zähnen, ballt das Taschentuch zwischen den Fingern zusammen und springt auf. „Ich dankte für das ganze Gesindel, auch für Onkel Klaus in Stettin, der mich natürlich mit Wonne bei sich ausgenommen hätte — als xranckv attraotiun — Du siehst, so gar französische Brocken sind mir aus meinen gebildeten Be ziehungen mit dem chren'werthen Hern Bieler haften geblieben. Das kommt davon, wenn man einen Vater hat, der wilddiebt. kiöao ck'attrastion — na, viel was Bessere« werde ich in den „Vier Jahreszeiten" in Bremerhaven auch nicht sein, wenn man'» auch Buffetvame nennt." „Du hast eine Stelle angenommen?" Sie nickt. „Hoffentlich eine anständige. Wenigstens brauche ich Nie mandem dort dankbar zu sein, daS ist mir zunächst di« Haupt sache. Und dann — e« ist doch nicht weit von Bremen; denn daß Du hier wohntest, erfuhr ich durch Heini, der im Winter ein paar Wochen bei uns war. Nun aber endlich — bist Du fertig?" Ehe sie das Zimmer verlassen, wirft sie sich ihm noch einmal an die Brust. AlS sie auf dem Flur sind, öffnet sich leise ein« Stubenthür, und Frau Wstmann's graue Äugen lugen ihnen neugierig nach. Sie bemerken eS nicht. Auch nicht, daß draußen eine kleine, gebückte Frauensperson, die Hände unter einem dunklen Umschlagetuch, ihn«n folgt, von Straße zu Straße. Arm in Arm schreiten sic dahin. Wohin? Er ist ja so wenig locMundig in der großen Stadt und in eines der fashionablen Restaurant- mag er sie nicht führen. Sie will aber Neue» sehen, genießen So bleibt Rudolf schließlich vor den großen Scheiben eines Hauses stehen, an dessen Thorweq eines der üblichen, in mangel haftem Deutsch abgefaßten Riesenplacati dem Publikum ver kündet, daß heute Abend so und so viel Misse«, Messieurs und Signoras gegen geringes Entgelt das Unmöglichste in Gpeciali- täten leisten werden, tritt mit ihr ein, wählt in einer stillen Ecke einen der wenigen noch freien Tische und sieht mit Behagen zu, mit welchem Appetit sie ihr Abendbrod verzehrt. Dann haben sic sich sehr viel zu erzählen; denn nachgerade wird auch er gesprächig. Ihr kaltes, fast mitleidsloses Urthvil über Karl Flügge, das ihn anfangs abstieß, erscheint ihm allmählich ganz natürlich, einfach sachgemäß. Sie ist ja nicht die Tochter des Wilderers nicht mehr; denn an die Vorstellung, daß sie es nicht ist, hat er sich heute Abend erst wieder neu gewöhnen müssen. Die Gluthblicke ihrer Augen aber, das sanfte Wiegen ihres Oberkörpers nach dem Tacte der Musik, der kecke Ton ihrer Rede erregen seine Sinn« wie Jahre vorher im Karniner Stadtwalde. Sie sprechen viel von der alten, tollen Zeit, wie sie'» nennen. Nur nach Einem, daS ihm zumeist am Herzen liegt, getraut er sich nicht zu fragen: wat sein« Schwester Gabriele macht. Des halb horcht er gespannt auf, als sie selbst den Nvmen nennt. „Weißt Du, Deine Schwester in ihrer stillen, bedächtigen Art kommt mir eigentlich vor, wie «ine Heilige", sagt sie, indem sie mit dem spitzen Züngelchen an ihrem Löffel mit Schlagsahne leckt. „Sie ist viel zu gut. So gut, daß ich ihr di« Abneigung gegen mich nicht einmal übel nehme. Schon Deinetwegen nicht; denn — ich kann mir nicht helfen — ich fühle mich nun einmal o 'wa» wie mit ihr verwandt — durch Dich, Du Oger." Sie chiebt dem servirenden Kellner di« leere Crömeschol« zu, nippt an hrem Weinglas« und steht ibn mit einem ihrer feurigen Blicke an. „Brauchst nicht solche Armesündermiene aufzusetzen, Rudi. Daß Du mich ntchk heirathen wirst, weiß ich ganz genau. Aber — wa« ich Dir damals sagte — vor Jahren — im Etckdtwalde — meinst', ich hätt'S vergessen?" flüstert sie. Daß sein Arm bei der Berührung ihre« Ellbogens rin wenig zurückfährt, scheint ihr zu entgehen. „Soll ich Mr noch «Ava« Xr- rathen, was Dir inzwischen hoffentlich noch kein anderes Mädchen gesagt hat? — Du bist «in hübscher Kerl. Noch ein bi-chrn gewachsen — fast großer als Heini. Und daß Du Dein Haar noch immer trägst, wir früher, ist brav von Dir. Wär'» nicht um die Leute hier, ich faßte wieder 'mal herzhaft hinein." „Kinderei!" sagt er und zwingt sich zu einem Lächeln. „Sieh da, sieh da, Timotheus! Hier also treibt unser Lugend spiegel seine Abendstudien! Ja, wo dunkle Augen strahlen, Wo der Schönheit Reiz uns lockt —" Herr Richard Demmler, der mit ei« paar Herren seiner Gesellschaft, von den Beiden unbemerkt, den Saal tttveten h«t.
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