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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.11.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-11-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19001103019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900110301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900110301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-11
- Tag1900-11-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes nnd Nolizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen.Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach« richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechet höher. — Gebühren für Nachweisungen unl Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Erkra - Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbeförderung .Xl 60.—, mit Postbeförderung .si 70.—. Ännahmelchluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein» halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Erpedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Berlaq von E. Polz in Leipzig. Sonnabend den 3. November 1900. 91. Jahrgang Die Wiedereröffnung der französischen Deputirtenkammer. SL Unmittelbar nach dem Ende der Pariser Weltausstellung tritt die französische Deputirtenkammer in die Wintercampagne ein, die diesmal wohl buchstäblich als eine solche anzusehen ist. Denn nunmehr hat der „GotteSfriedeu", den die von leiden schaftlichem Haffe gegeneinander erfüllten Gegner sich mit Rück sicht auf das große nationale Unternehmen zugestanden haben, ein Ende. Der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau hat schon wiederholt ein gewisses Feldbcrrngeschick bewiesen, und er bethätigt es auch jetzt, indem er nach dem (Grundsätze verfährt: „Die beste Deckung ist der Hieb". Er will nicht abwarten, bis die Gegner das Ministerium angreifen, sondern er hat schon jetzt, also noch vor Eröffnung der parlamentarischen Verhandlungen, das Signal zur Attacke gegeben. Seine in Toulouse gehaltene Rede war eine schmetternde Fanfare, bei deren Klängen Freund und Feind die Ohren gespitzt hatten. Die Gegner des Ministeriums glaubten eine starke Waffe in der Hand zu haben, indem sie verschiedene ihnen mißliebige Ver fügungen des Kriegsministers Andre zur Debatte stellten und behaupten wollten, daß dadurch die Armee in ihrem Stande er schüttert würde. Da der ruhmsüchtige Franzose die Armee zu seinem verhätschelten Schooßkinde macht, so konnte gerade dieser Angriff eine schwere Gefahr für das Ministerium bilden. Herr Waldeck-Rousseau ist aber früher aufgestanden, als seine Gegner, indem er zu Toulouse erklärt hat, die Regierung trete für die getroffenen Maßregeln gern ein, weil sie darin, daß dem Kriegs minister seine volle Autorität wiedergegeben werde, eine Stärkung des Heeres erblicke. Der Ministerpräsident hat auch deutlich genug auf die royalistischen Machenschaften im Officierscorps angespielt, indem er hervorhob, daß Diejenigen, die nicht Anhänger der republi kanischen Regierungsform wären, alle möglichen Pro fessionen ungehindert ausllben dürften, aber nicht im Staats dienste stehen sollten, denn dieser sei ein Amt und keine Profession Was Waldeck-Rousseau hier gesagt hat, zeugt von einer ver ständigen staatsmännischen Auffassung, die, beiläufig bemerkt, auch Diejenigen sich zu eigen machen sollten, die in Deutschland nichts darin finden würden, wenn Socialdemokraten zu Aemtern gelangten. Was in Frankreich auf die Royalisten paßt, trifft in Deutschland auf die Socialdemokraten zu: ein Beamter, der ein Gegner der bestehenden Staatsform ist, ist ein Unding. Wie der royalistische Theil des Officierscorps, so ist auch die katholische Geistlichkeit, insbesondere, soweit sie dem Orden angehört, in Frankreich eine Stütze der Reaction und eine Gefahr für die Republik. Auch hier hat Waldeck-Rousseau mit anerkennens wertstem Muthe nicht erst den Angriff des Gegners abgewartet, sondern seinerseits ihm den Fehdehandschuh hingeschleudert. Er hat darauf hingewiesen, daß das Eindringen der Congregation in die Schule die Jugend politisch corrumpire und sie in zwei Lager theile, in das pfäffisch-royalistische und in das aufgeklärt republikanische. Die Kämpfe, die sich über diese beiden Fragen, über Heer und Geistlichkeit, entspinnen werden, dürften einen so breiten Raum beanspruchen, daß die Regierung froh sein wird, wenn daneben der Staatshaushalt fcrtiggestellt wird, so daß die von Waldeck-Rousseau im letzten Theile seiner beachtenswerthen Rede behandelte sociale Gesetzgebung wohl, wie so oft schon, dos Stiefkind der parlamentarischen Verhandlungen sein dürfte. Wird doch seit Jahr und Tag in Frankreich die Parlamentszeit im Wesentlichen mit politischen Machtkämpfen ausgefüllt, wo runter naturgemäß jede positive Thätigkeit schwer leidet. In der bevorstehenden Tagung aber wird dieser Machtkampf doch etwas Höheres sein, als was er sonst zu sein Pflegt. Meistens ist er nichts, als ein Kampf der persönlichen Eitelkeiten, diesmal wirs ec ein Kampf großer Principien sein: Dafür sorgt das klare Programm, das Waldeck-Rousseau aufgestellt hat und durch welches die Sache des Ministeriums zugleich zur Sache dec Republik wird. Jeder ehrliche Republikaner muß sich zu diesem Programm bekennen und muß darum kleine persönliche Eifer süchteleien zurückstellen. Fällt deshalb das Ministerium, so be deutet dies, datz das Volk der Republik müde ist, — vorausgeseyt, daß man im Parlamente die Verkörperung des Volkswillens ervlickt, was ja doch bei einer aus allgemeinen Wahlen hervor- gegangencn Volksvertretung der Fall sein soll. Wir möchten aber annehmen, daß das Ministerium nicht so leicht zu Falle kommen wird. Obgleich dec Franzose sich viel selbstständiger aufspielt, als der Deutsche, giebt er sich doch viel leichter einem festen Willen gefangen, als dieser. Und daß Waldeck-Rousseau ein Mann von festem Willen ist, hat er in seiner Toulouser Rede, die sich weit über eine Banketrede hinaus hebt, deutlich bekundet. Die Wirren in China. Rivalitäten. * Aus New Aork, 2. November, berichtet „Reuter'S Bureau": Eine Depesche aus Tientsin vom 1. November meldet: In Nangksu besetzte gestern eine Anzahl fran zösischer Officiece einen Wagen eines Sonderzuges, der zur Uebersiibrung des 14. amerikanischen Regiments nach Tongku bestimmt war» und weigerten sich, ihn zn verlassen. OberstDaggett rief hierauf die amerikanische Wache und ließ die Franzosen mit Gewalt ent fernen, die, aufgebracht, Entschuldigung verlangen. * Peking, 31. Lctober. (Agence Havas.) Tie verbündeten Truppen fahren fort, das Land von den Boxern zu säubern. Eine französische Abtheilung stieß bei Sitschung, südlich von Paotingfu, aus Widerstand; sie hatte einen Tobten und zwölf Ver wundete. Die Verluste des Feindes sind bedeutend. Eine Ortschaft ist niedergcbrannt worden. Eine deutsch-sranzösische Ab theilung marschirt gegen Hilling, wo sich Koisergräber be- finden. Man vermuthet, daß man dort Widerstand findet. — An dem Schatzmeister von Paotingfu, dem tartarischen Gouver neur und einem chinesischen Obersten, die von der internatio nalen Commission zum Tode verurtheilt worden sind, wird demnächst das Urtheil vollstreckt werden. * Tientsin» 2. November. (Telegramm.) Die hiesige deutsche Kaufmannschaft richtete an den Reichskanzler folgendes Tele gramm: „Wir begrüßen das deutsch-englische Abkommen, welches sür Tientsin von größter Wichtigkeit ist, mit Tank und aufrichtiger Befriedigung." (Wiederholt.) Ter Feldvost-ienst nimmt immer mehr an Ausdehnung zu. Eine weitere Ver stärkung des Personals der Feldpost um Beamte, Schaffner und berittene Postillone ist erforderlich, die mit einem der nächsten Reichspostdampfer die Reise nach China an treten werden. Auch weitere Postwagen, und zwar Brief- kariole, werden von Berlin aus den Feldpostanstalten überwiesen. Die erste Feldpost mit Briefen und Post- packeten vom Kriegsschauplätze, die bei Felbpostanstalten ausgeliefert und mit deren Aufgabestempel bedruckt sind, ist am 29. Oktober beim Marinepostbureau in Berlin ein gegangen. Sie bestand in zwei Briefsäcken im Gewichte von fast 80 kg, die mehr als 20 OVO Briefe und Postkarten ent halten. Von recht großem Umfange ist auch die Ladung von Feldpostpacket en für den am 30. October von Bremer haven nach China abgegangenen NeichSpostdampfer gewesen. Obwohl zwischen d-r voraufgegangenen Schiffsgelegenheit, der rund 5600 Packele zugeführt wurden und dem Abgänge des letzten Dampfers nur 7 Tage liegen, waren für die letztere Gelegenheit dock 8090 Feldpostpackcte eingegangen, die in 403 Säcken zur Absendung gelangten. Bezeichnend für die Art und Weise, in der chinesische Zeitungen ihren Lesern über die Ereignisse im Reiche der Mitte berichteten, ist eine Nachricht, die ein des Chinesischen mächtiger Mitarbeiter des amtlichen russischen „Regierungsboten" diesem Blatte zu sendet. Die in Canton erscheinende Zeitung „Hoppo" brachte danach folgende Mittheilung: „Wir haben soeben folgendes Telegramm unseres Shanghaier Korrespondenten erhalten: In der Schlacht, die am 7. August stattfand, verloren die Franzosen 8000 bis 9000 Mann, die von unfern Truppen niedergemacht wurden, und außerdem noch gegen 20 000 Mann, die von unfern Truppen ertränkt wurden. Das kriegerische Feuer der fremden Soldaten ist in Folge dessen merklich abgekühlt. Man hat Grund, anzunehmen, daß die mit uns Krieg führenden Mächte gern bereit wären, Frieden zu schließen. Bestrebt, einen Friedensschluß her beizuführen, haben die Mächte die Vereinigten Staaten beauf tragt, eine 2000 Mann starke, keine Waffen tragende Truppen- abtheilung nach Peking vorrückcn zu lassen. Wir haben dieser Abtheilung gestattet, neun Meilen vor Peking Halt zu machen, und die fremden Gesandten, die unter dem Geleit unserer Truppen die Residenz des Bogdochans verlassen haben, zu empfangen und nach Tientsin zu begleiten. Wir werden so lange Krieg führen, als eS uns gefällt und bis wir selbst Frieden schließen wollen, der natürlich nur zu Stande kommen kann, wenn die Mächte auf alle 25 Puncte der chinesischen Forderungen be dingungslos eingehcn." In einem Artikel, den dasselbe chinesische Blatt am 21. August veröffentlichte, werden die Leser in schonender Weise auf die Nachricht über die Einnahme Pekings vorbereitet: „Die euro päischen Völker haben die schlechte Gewohnheit, die Wahrheit zu verheimlichen, und die Verluste der Fremden sind weit größer, als anfangs angegeben wurde. Unsere tapfern Truppen haben eine so große Menge europäischer Soldaten getödtet und ertränkt, daß die fremden den blassen Gedanken, Peking zu erstürmen, auf geben mußten. Kann man denn auch nur daran denken, mit den traurigen Resten der geschlagenen fremden Truppen unsere un einnehmbare Residenz anzugreifen? Gestern haben die Fremden bei uns in China ein von ihnen verfaßtes Telegramm über die Einnahme Pekings verbreitet. Wir sind fest überzeugt, daß sie dieses Gerücht in Umlauf gesetzt haben, um möglichst schnell den Friedensschluss herbeizuführen, den die Unglücklichen sehr nöthig haben. In der Nachricht ist nur das wahr, dass ihnen gestattet worden ist, eine unbedeutende Truppenabtheilung nach Peking einrücken zu lassen, die ihre Gesandten schützen soll. Trotz der ununterbrochenen Siege unserer Truppen haben der Bogdochan und die Kaiserin-Wittwe am 10. August, wie wir hören, Peking verlassen." Der „Morning Post" wird über den Empfang VcS KeldmarschallS Grafen von Walpersee in Shanghai berichtet: „Zuerst sah man einen Khaki-Helm, auf dem in der Mitte ein gewaltiger goldener Stern glänzte, und darunter eine breite, ordenbedeckte Brust. General Creagh, der an seiner Seite in der einfachen blauen Stabsuniform ging, verschwand daneben vollkommen, so daß die Zuschauer den grossen Mann unschwer erkennen konnten. Dann, als er näher heran kam — und er ging schnell und leicht — wurde der goldene Stern auf dem Helm durch das freundliche Lächeln auf dem Gesicht unter dem Helm überstrahlt. Sicher hat nie ein General ein so aufrichtiges Vergnügen an einer zweifellos so schwierigen Auf gabe empfunden. Die gute Laune des Grafen wirkte ansteckend, ebenso, wie am nächsten Morgen, als er jedes Regiment mit seinem neuen Marschallstab begrüßte, als hätte er ein so nettes Spielzeug nie zuvor besessen. Was Graf Waldersee auch als General werth ist, auf jeden Fall kann man selbst nach so kurzer Bekanntschaft sagen, daß er ein Mann ist, der Truppen überall hin führen kann. Er ist thatsächlich der „Bobs" (Spitzname für Lord Roberts) der deutschen Armee. Natürlich kannten ihn die Deutschen schon, aber die Herzen der Briten gewann er sich so fort, als er am Nachmittag zum Lager der Beludschis ging und die farbigen Truppen auf den Alarm hin antreten sah, ihre Aus rüstung inspicirte und ihr 80pfündiges Zelt lobte, im Meßzelte einen Whisky trank und freundlich lächelte. Er hatte sie sich zum Freunde gemacht, ehe er noch ein Wort gesprochen hatte." Der Krieg in Südafrika. Bcrräther? Ueber die bedauerlichen Vorgänge und Zwistigkeiten im Boerenlager sind früher schon manche Stimmen in die Oeffentlichkeit gedrungen. Neuerdings schreibt eiu früherer österreichischer Ofsicier, Graf Wald st ein, der den Feldzug als Leutnant im Boerenbeer mitgemacht hat und nun wieder nach Europa zurückgekehrt ist, wie folgt: „Mindestens 6000 Boeren stehen noch im Kampf, lauter ver zweifelte Männer, die entschlossen sind, Widerstand bis zum Aeußersten zn leisten. Sie wissen zwar alle, daß sie für eine verlorene Sache eintreten, allein der Boer, der jetzt weder ein Heim noch eine Familie hat, dem ist nun Alles gleichgiltig. Sein Leben hat für ihn keinen Werth, also schlägt er eS in die Schanze. Wenn er schon nichts retten kann, will er dem Feind wenigstens das Leben sauer machen. Niemals, fahrt Graf Waldstein fort, hätten die Engländer etwas erreichen können, wenn nicht in den Reihen der Boeren Disciplin- losigkeil, eine unerhörte Corruptionswirthschast, ja Berrath geherrscht hätten. Die englischen Soldaten waren in der überwältigenden Mehr zahl eine Horde undisciplinirter Leute, die keine Ahnung vom Kriegs wesen hatten, und die Osficiere, die sich zwar überaus tapser und tollkühn schlugen, waren unvorbereitet und kopflos. Die Soldaten waren das reinste Kanonenfutter. Doch nicht nur die Engländer, sondern jede, auch die beste Armee der Welt, hätte einen sehr harten Stand mit den Boeren gehabt. Aussichtslos wäre es aber gewesen, die Boeren überhaupt zu überwinden, wenn jeder von diesen seine Pslicht ge- than, wenn nicht eine so verächtliche Wirthschaft bis in die „obersten Re gionen" geherrscht hätte. DieBoeren konnten 60000 Mann stellen, that sächlich standen aber nie mehr als 30 000 Mann im Felde. Und die Generale Joubert, Lukas Meyer und Schneemann sind einfach Berräther gewesen. Es ist schon seiner Zeit aus fällig bemerkt worden, daß General Joubert eines so plötz lichen Todes starb. Man sprach von einem Magenleiden, dem er erlegen sei und erst vor ein paar Monaten drangen Gerüchte nach Europa, die Joubert's Persönlichkeit in kein allzu günstiges Licht stellten und sein Ende als ein nicht natürliches be zeichneten. Graf Waldstein berichtet nun, daß es in der Armee ein offenes Geheimniß war, daß Joubert von den Boeren ver giftet wurde. Auch Lukas Meyer nnd Schneemann waren Ver- räther. Sie haben in englischem Solde gestanden und dcn Frei staat dem Feinde ausgeliefert. General Schneemann und Lukas Meyer wurden zum Lohne erschossen; den Letzteren bat General Dewet, ein prachtvoller Mensch, eigenhändig niedergeknallt. DaS ist Thatsache." Der „Schwäbische Mercur" bemerkt hierzu: „Was an diesen schwerwiegenden, ja ungeheuerlichen Anklagen Wahres ist, möge dahingestellt sein. Aber sie sind thatsächlich stark verbreitet und die vorstehenden Behauptungen decken sick fast wörtlich mit den Briefen eines deutschen Freiwilligen (Sohn eines Geistlichen), die uns vorgelegen haben, und den münd lichen Aussagen eines Charlottenburger Kaufmanns, der 10 Jahre in Transvaal geweilt hat." Die zerbrochene Taffe. Humoreske von L 6 on Lanrof. Autorisirte Übersetzung von Wi l h e l m T h a l. Nachdruck verboten. Boitfec hatte sich vorgenommen, nie mehr in di-e Kneipe zum „Faß -der -Danaidcn" zurückzukehren. Schon seit -drei Tagen hielt er sein Wort und kam auch wirklich, um zu arbeiten, nach Hause, und zwar, zur großen Verwunderung seines Portiers, ohne den üblichen Absinth zu sich genommen zu haben. Da er seiner Festigkeit nicht recht traute, so ging er drei Tage lang nicht 'durch di« Rue Racine, in der sich Vas unter dem mythologischen Namen bekannte Restaurant befand; doch am vierten Tage beschloß er, beruhigt, und seiner selbst vollständig sicher, di« verhängnißvolle Straße zu paffiren, die er so oft durch quert hatte. Er ging sie schnell bis zum Eingänge des Etablissements hinunter; doch gerade, als er daran Vorbeigehen wollte, fühlt« er, er wäre nicht genügend gepanzert; deshalb zog er die Flucht einer Niederlage vor, ging über den Damm und wechselte das Trottoir. Unglücklicher Weise wollte cs das Verhängniß, dass ihm gera'de auf 'der anderen 'Seite Boulapin, ein Student im zwei- uridzivanzigsten Semester und Stammgast im „Fass der Danaiden" begegnete, der den Flüchtling umarmte, ihn an sich drückte und ausri-ef: „Ader, da ist ja Boitsec! Seit drei Tagen hat man Dich nicht gesehen! Ich wollte schon zu Mr gehen! Man hiekt Dich für krank oder verliebt. -Du trinkst doch einen Absinth?" Ustd schon schleppte Boulapin Boitsec, der vergeblich pro- testirte, nach dem „Faß der Dan-arden". „Nicht doch, ich sage Dir ja, ich hade keine Zeit, und außer dem habe ich mir vorgenommen . . ." „Na, Du wirst mich doch nicht durch einen Kord beleidigen wollen? Wie? Was? Sie werden mir Satisfaktion geben, mein Herr! — Nur einen kleinen Absinth sollst Du trinken . , . Na, komm schon!" Und Boulapin öffnete die Thür der Kneipe und stieß Bdüsec hinein. Bei seinem Anblick ließ das- Publicum, das das Etablissement füllte, und das aus der Caffirerin, dem Kellner und einem Studiosus z'uris destand, einen Freudenschici hören. „Herrjeh, da ist ja Boitsec! . . . Seit drei Tagen haben Sie sich nicht sehen lassen! — Mr dachten schon, Sie seien krank «dec verliebi!'' Gerührt ob dieses herzlichen Empfanges, setzte sich Boitsec, und da er seinen Schwur nickst ganz brechen wollte, so bestellte er sich eine Taffe warme Milch. „Mein armer Freund", sagte Boulapin betrübt, „ich sehe, wir hatten alle Ursache, uns über Deine Gesundheit zu beun ruhigen . . ." „Aber -nein, gar nicht! Ich hatte mir nur ganz einfach vor genommen, nicht mehr hierher zu kommen. Ich habe aus gerechnet, daß ich dabei erstens sehr viel Zeit, zweitens nicht wenig Geld verlor und vollständig verblödete . . ," „Nicht mehr möglich!" warf Boulapin ein. „Außerdem kam ich zu -der Uederzeugun-g, daß weder meine Gesundheit, noch meine Börse mir di« Fortsitzung dieses lächer lichen Lebens gestatteten." „Na, ich danke!" „Weißt Du, was ich seit Anfang des Monats hür ausgc geben -habe? Die Rechnung ist leicht aufzustellen: Dreiundvicrzig Mal Frühstück ä . . ." „Wie? Dreiundvierzig Mal Frühstück? . < , Du frühstückst also an manchen Tagen zwei Mal?" „Nein, aber ich bringe manchmal «inen Freund mit . . ." »Ach so!» „Ich sage also dreiundvierzig Frühstück« L . . Hier -wurde Boi-tsic, der -die Taff« warme Milch mit dem Ellenbogen zurückschob, um sein« Berechnung auf den 'Tisch schreiben zu können, von dem Sturz besagter Tasse unterbrochen, die klirrend zerbrach. „Teufel!" rief er aus, „die Tasse werd' ich wohl bezahlen müssen. . ." „I Gott bewahre!" sagt« Boulapin. „Ich habe Dich ein- ge laden . . ." „Zum Trinken, ja, aber nicht zum Zerbrechen von Ge schirr . . ." „Eineel«i ... Es giebt übrigens ein sehr einfaches Mittel zur Lösung der Frag«: -wir spielen die Lasse aus." „Gut." Der Kellner brachte ein Ecartespiel, und in fünf Touren ver lor Boitsec -die Dass«; nun bot ihm Boulapin an, die Taffe gegen die Zeche auszugleichen. Boitsec nahm an und verlor in der nächsten Partie auch noch -die Zeche. Als er sich ziemlich ärgerlich erhob, rief Gaduchet, ein Studivsus der Medicin, der eben ein trat, indem er fein ebenso üppiges, wie ungekämmtes Haar schüttelte, mit seiner scharfen Fistelstimme: „Sieh mal Einer an, da ist ja Boitsec! Seit drei Tagen hat man ihn nicht gesehen! Wir dachten schon Alle, Sie seien krank oder verliebt. Na, was machen Sie denn?" „Ich habe eben die Zeche verloren, wegen dieser verdammten Tasse!" versetzte Boitsec ärgerlich. „Na, wollen Sie das gegen -das, was- ich schuldig bin, mit mir tm Domino ausspielen?" „Sie Sie viel schuldig?" „I wo!" Und während der Kellner dem Neugekommenen einen Absinth s-ervirte, verlor Boitsec im Domino Gaduchet's Schulden in Höhe von sechs Francs und fünfundsiebzig Centimes. „Verdammte Tasse!" murmelte er und stand auf. »Ja, ja", sagte Farmol«t, der Studiosus jaris, der der Dominopartie mit Interesse gefolgt war, „Sie haben kein Glück." „Nein, darum will ich auch jetzt essen gehen." „Wissen Sie, ich habe eine Idee. , . Wollen wir das Ganze gegen zwei Diners a-uSspielen?" „Geyen- unsere Diners? . . . Gut, mir recht!" sagte Boitsec. „Aber Dame!" „Gut, spielen Wir Dame . . Aber ich werde mir auch Ab sinth bestellen, denn ich glaube, ich habe nur so schlecht gespielt, weil ich noch nichts zu mir genommen habe." Die Partie war ernsthaft, und er spielt« mit größter Auf merksamkeit. Von dem Absinth angeregt, fing er -an, zu gewinnen, als »in Student von grosser -Statur, -d«r mit einer ungeheuren Pfeife im Mun-de hereingekomm-en war, bei Boitsec's Anblick mit donnernder Baßstimme brüllt«: „Aber, da ist ja Boitsec! Seit dr«i Tagen hat man -ihn nicht gesehen! Wir dachten schon. Sie seien krank oder verliebt!" Boitsec begann, durch düse Unterbrechung zerstreut, schlecht zu spielen, und verlor -die beiden Diners. Als er ärgerlich auf stand, sagte er zu dem dicken Studenten:- „Es ist Ihre Schuld, wenn ich verloren habe, Descrevifles Sie sind schuld und diese verdammte Tasse!" „Aber ich will Ihnen gern Revanche geben", versetzte Des- creviffes; ich spiele mit Ihnen um das Ganze gegen zwanzig Päckchen Tabak. . . . Spielen wir Würfel. . . . Das isl wenigstens amüsant!" fügte er lächelnd hinzu, während er sich niederließ. „Mir recht!" sagte Boitsec, der endlich Alles wieder zurück zugewinnen hoffte. Nachdem sie eine Viertelstunde gewürfelt und das ganze Publicum der Kneipe davon Kopfschmerzen bekommen hatte, so viel Lärm machte der Riese Descrevisses beim Würfeln, auch noch durch Lachen und Schreien, verlor Boitsec die 20 Päckchen Tabak. „Und daran ist nur diese verdammte Tasse schuld!" rief er wüthend, und warf die Trümmer der berühmten Uebelthäterin zur Erde. „Ja, ja", murmelte der Wirth mit schlecht verstellter Freude, „es ist 'ne ganz niedliche Zeche!" Dann fügte er mit heuchle rischem Mitleid hinzu: „Na, Sie holen's 'n andermal wieder raus!" Ohne zu antworten, war Boitsec an die Casse gegangen und rechnete mit der Büffetdame ab, die wieder sehr liebenswürdig geworden war. Die Rechnung lautete: Ein Absinth und ein Glas Milch Francs 0,60 ' Gaduchet's Schulden .... „ 6,75 Zwei Diners ....... , 7,50 Zwei Absinth . 0,60 Zwanzig Päckchen Tabak. . . „ 12,00 Summa: Francs 27,45 Boitsec warf zwei Louisdors auf den Tisch und rief danst, sich plötzlich erinnernd: „Ach ja so, ich hab' ja die verdammte Taffe vergessen; also! bitte — eine zerbrochene Taffe...." „Eine Tafle?" » „Ja, die ich zerbrochen und zu bezahlen habe. . .. „Aber Herr Boitsec", sagte die Cassirerin mit ihrem liebens würdigsten Lächeln, „zerbrochenes Geschirr wird bei uns nie be rechnet!"
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