Und diese Beobachtungen machen uns skeptisch im Hinblick auf die Frage nach dem Vorhandensein des Begriffes Porträt in dieser Zeit bei diesen Kopisten. Aber es ist eine kleine Einschränkung zu machen. Werke eines un gefähr gleichen Zeitstils können genauer zueinander stimmende Kopien derselben Darstellung sein. Die ältesten Hrabanus-Maurus- Bilder weisen Ähnlichkeiten untereinander auf. Das sei hier noch einmal betont, um zu verhindern, daß man den Abbildungen ohne weiteres jeden Wert für die Darstellung des Äußeren einer Per sönlichkeit abspricht und daran zweifelt, ob es überhaupt ähnliche Darstellungen von Einzelmenschen aus jener Zeit gibt. Zusammenfassend ergibt sich: Treue der Kopie ist bei ungefähr mit dem Original gleichzeitigen Bildern, die keiner anderen Absicht dienen sollen als das Original, vorhanden. Sie hört auf, wo anderes Stilempfinden (oder anderer Sinngehalt ?) sich eines Bildes bemächtigt. Die Treue der Darstellung ist dem späteren Künstler nicht so wichtig wie z. B. Zusammenstimmung mit seiner Anschauung von dem, was ein Bildnis bedeuten soll. Wenn man aus diesen Gedanken eine Antwort auf die Frage ab leiten will: Stellt denn solch ein mittelalterliches Bild, wie hier das des Hrabanus Maurus, den Mann dar, wie er wirklich ausgesehen hat ? so ist zu antworten: Es ist sehr wohl möglich, daß eine ähn liche Darstellung eines Menschen aus dem frühen Mittelalter er halten ist, wenn nicht bestimmte Absichten im Sonderfall bei der Ausgestaltung des Bildes dem entgegenwirkten. Das letztere ist bei den ältesten Hrabanus-Maurus-Bildern anscheinend nicht an zunehmen, so könnten sie also sehr wohl ähnlich sein. Und wenn man ferner aus dem Beobachteten und Erschlossenen eine Antwort auf die Frage geben will, ob die Wichtigkeit des Be sonderen des einzelnen Menschen einer Wiedergabe im Bild wert geachtet wird (also eine Art Vorstufe des Porträts vorhanden ist), so ist m. E. zu antworten: Das Besondere des Einzelmenschen hat schon damals einen bestimmten Wert und wird deshalb auch dargestellt. Es nimmt aber durchaus nicht die Stufe in der Schätzung der Werte ein wie in der Moderne.