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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030612021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903061202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903061202
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
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- Tag1903-06-12
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42 X) und führen an, der König behandelte dir Offiziere geringschätzend. Er bade die Arieg-fchule nach Schabatz verlegen wollen. Die Haupturfache der Verschwörung waren jedoch die letzten skandalösen Wahlen. Einzelne Blätter sprechen von einer Republik, di« meisten wünschen die Rückkehr Kara» georg ew lisch-. Dir Behauptung, da» Aönigspaar flüchtete aus den Boden, ist unwahr. Bi» abends 9V, Uhr war in Belgrad alles ruhig. Wie aus Berlin gemeldet wird, hatten sich auf der serbischen Gesandtschaft zahlreiche Mitglieder der serbischen Kolonie eingefunden, welche die einlaufenden Nachrichten ent- gegennahmeo. Sie beabsichtigen, für baS KönigSpaar in Berlin eine Traue rfeier zu veranstalten. Der Tbrvnprätendent. * Vern. 11. Aum. (Telegramm) Peter Kara- georgewttfch weilte heute nachmittag nach in Genf. Er liest um 1 Uhr 25 Min. nachmittags einem Journa listen sagen, er habe nach keine offizielle Nachricht und wisse nach nicht, ab und wann er nach Belgrad ab reisen werde und ab er wirklich zum Könige prokla miert sei. Immerhin erklärte er, datz unter den Unter zeichnern der Proklamation de» neuen Ministeriums sich mehrere seiner Anhänger befänden. Bestimmte Namen nannte er nicht, mit der Begründung, der Telegraph habe die Namen entstellt wiedergegeben. — Beide Söhne Peter Karageorgewitsch-, Georg und Alexander, besuchten Genfer Schulen, bis sie nach Petersburg kamen, wo sie »och heute weilen. tESdhlt.) «Genf, 11. Juni. Peter Sarageorgewitsch em pfängt nach wie vor keine Besuche; abends mutzte ein Gendarm vor seine Tür gestellt werden, so gratz war der Andrang van Personen, die zu ihm wollten. Er behauptet, auch jetzt noch keine Nachricht von dem in Belgrad Bor gefallenen zu haben; indessen überbringen Telegraphen beamte fortwährend Depeschen. Sarageorgewitsch trifft vorläufig noch keine Netsevorberettungen; er begibt sich vielleicht nach Paris, um sich mit seinem Bruder Prinzen Georg, zu verständigen. DaS ,Neue Wiener Tagblatt- veröffentlicht eine Unter redung mit dem in einer Kuranstalt zu Edlach weilenden Fürsten Alexis Karageorgewitsch, der seinen ständigen Wohn sitz in Paris hat und vor etwa neun Iabren seine Anwart schaft auf den serbischen Thron geltend machte. Der Fürst erklärte, er sei von den Belgrader Nachrichten aufs höchste überrascht und erschüttert, jedoch kämen die Ereignisse für jeden, der die Seele des serbischen Volkes kenne, nicht unerwartet. Die Ursachen des Umsturzes, der jedenfalls von langer Hand vorbereitet gewesen sei, seien zweifellos in der Unzufriedenheit des serbischen BolkeS mit der Heirat des Königs Alexander und in dem Kampfe des Königs gegen die radikale Partei, sowie in der Be sorgnis, der König könnte den Bruder der Königin zum Thronerben proklamieren, zu finden. Der Fürst er klärte, er empfinde eine lebhafte Freude darüber, daß Peter Karageorgewitsch alsKönig proklamiert sei, da er hierin die beste Lösung der Krisi« erblicke. Er selbst mache nunmehr keinerlei Ansprüche auf den serbischen Thron geltend. Dasselbe Blatt erhält von hober militärischer Seite eine Aeußerung, nach der zu der Besorgnis, daß die serbische Katastrophe zu militärischen Maßnahmen führen werde, bis heute kein Grund vorliege. Peter Karageorgewitsch soll ein besonnener und ruhig denkender Mann sein und seine Minister ebenso besonnene, wie geistig hervorragende Partei leute. Jetzt, wo der Wille der A>mee und deS BolkeS er füllt scheine, könnten sogar gesündere Berhältnifse in Serbien einkehren. Ein Grund zur Beunruhigung sei für Oesterreich- Ungarn bisher keineswegs gegeben, doch werde man die Ent- Wickelung der politischen Bewegung in Serbien noch aufmerk samer verfolgen müssen, als bisher. Die Stellungnahme der Großmächte. Was die Rückwirkung dieser Katastrophe auf Deutsch land anlangt, so wird man sich vergegenwärtigen müssen, daß Deutschland direkt in keiner Weise an der Entwickelung der serbischen Angelegenheiten interessiert ist, daß eS aber infolge seiner nahen Beziehungen zu den nächstbeteiligten Staaten Oesterreich und Rußland indirekt an der Sache beteiligt unv auch im übrigen soweit interessiert ist, als die Wirren im Orient auf die politische Gesamtlage Europas zurückzuwirken geeignet sind. Auch wird man sich erinnern müssen, daß nicht unbeträchtliches deutsches Kapital in Serbien arbeitet und daß dem zufolge auch für uns ein materiell es Interesse an der weiteren Gestaltung der Dinge in Serbien besteht. Dank dem festen Zu sammengehen der nächstbeteiligten Großmächte Oesterreich und Rußland in den Orienlfragen darf man sich aber wohl der Hoffnung hingebea, daß die blutige Kata strophe in Serbien keine ernstliche störende Wirkung weder auf deu Gang der Dinge im Orient noch auf die politischen Verhältnisse Europas auSübea wird. Am Schluffe eines Berliner Telegramms der „Kölnischen Zeitung- wird denn auch au-gesührt: Es darf als rin Glück bezeichnet werden, daß die allgemeine politische Lage von heute so beschaffen ist, daß infolge des Einvernehmen- zwischen Rußland und Oesterreich-Ungarn wohl kaum die Gefahr besteht, daß die serbischen Zuckungen über dieses Land hinauSgreifea. Das nach der persönlichen Seite furchtbare Ereignis dürste aller Wahr scheinlichkeit nach rein serbischen Charakter behalten, und die an den Vorgängen auf der Balkanhalbinsel erst in zweiter Linie interessierten Mächte werden voraussichtlich einstweilen ruhig abwarten, wie sich die Dinge in Serbien weiter gestalten. Ueber die Anschauung der leitenden österreichisch ungarischen Kreise über die Belgrader Vorgänge wird dem „Ungarischen Telegraphen-Korrrspondenz-Bureau" aus Wien gemeldet: Die österreichisch-ungarische Politik beobachtet den serbischen Ereignissen gegenüber vollständige Neutra lität und würde diesen Standpunkt nur dann aufgeben, wenn sie, was vorläufig nickt anzunehmen ist, durch un mittelbare Gefährdung ihrer Interessen dazu genötigt sein würde. Im Sinne deS Grundsatzes ihrer Politik, daß sie die gedeihliche Entwickelung Serbiens nach Kräften wünscht und fördert, würde sie ein Zurückgreifen der serbischen Kreise auf die alte Dynastie Karageorgewitsch durchaus natürlich finden und billigen, da dieser Schritt unter den heutigen Verhältnissen die für die Ruhe und Ordnung deS Landes gedeihlichste Lösung enthält. DaS Wiener „Fremdenblatt- schreibt über die Ereignisse in Belgrad: Man steht entsetzt vor dem Massenmord, vor der wilden Leidenschaftlichkeit und vor der Zerrüttung im Heere, die den Massenmord möglich machten. Die nunmehr zur Herrschaft berufene Dynastie, wozu nach den vorliegenden Nackrichten die Dynastie Karageorgewitsch als nächst älteste nach dem nunmebr ausgestorbenen Hause Obrenowitsch berufen ist, wird vor allem für die moralische Ausrichtung des Landes zu sorgen haben. Bis zum Eintreffen Peter KaragevrgewitschS liegt die Macht in den Händen deS Ministerpräsidenten Awakumowi tschs, den man als einen Mann von festem Auftreten kennen lernte. Er scheint die richtige Persönlichkeit zu sein, um in so stürmischer Zeit die Ordnung aufrecht zu erhalten und Serbien über ein so blutig eröffnetes, kurzes Interregnum binüberzusühren. Daß es rasch beendet werden tann und in Peter Karageorge witsch einen Nachfolger findet, der dem tief er regten Volke die Grundlage zu einem neuen poli tischen Dasein bietet, ist unter gegenwärtigen Ver hältnissen als einigermaßen beruhigend zu betrachten. Man hat doch wenigstens die Hoffnung vor sich, daß die neue Aera, auf der nicht die Erinnerung vieljäbriger erbitterter Kämpfe lastet, endlich Ordnung und Ruhe bringe. Nachdem durch das Belgrader Verbrechen daS Haus Obrenowitsch so schrecklich geendet hat, haben wir keinen Grund, gegen die natürliche Lösung der Frage, vor die nun das Land gestellt ist, etwas einzuwenden. Dies wir, de nicht nur unserer tra ditionellen Politik gegenüber unserem Nachbar auf dem Balkan widersprechen, sondern auch in unseren früheren Beziehungen zum Haufe Karageorgewitsch ist nichts vorhanden, was eine etwaige Abneigung gegen dasselbe rechtfertigen würde. Viel eher ließe sich, wenn man die Geschickte unseres Berbältnisseö durchblättert, daS Gegen teil behaupten. Die Mitglieder der Familie Karageorgewiisch unterhielten stets mit den hiesigen Kreisen die besten Be ziehungen. Oesterreick-Ungarn hat nur den einen Wunsch, daß daS schwergeprüfte Land sich zu besseren Verhältnissen erbebe und daß jensciiS des breiten Blutstiomes, auf den Europa mit Grauen und Abscheu blickt, sich eine freundlichere Zukunft eröffnet. Besorgter zeigt sich die öffentliche Meinung in Frank reich. Die gesamte Presse gibt ihrem Abscheu über daS blutige Drama Ausdruck und meint, man müsse aus ver gangene Zeiten vollständiger Barbarei zurückgreisen, um ein Seltensiück zu dem blutigen Ereignisse zu finden, welches sich beute in Belgrad abgespielt hat. „France" sagt, die Mächte könnten nicht mehr ruhig zusehen; niemals wäre der Friede in schrecklicherer Weise be droht gewesen. DaS „Journal des DöbatS" meint, die Urfache der blutigen Verschwörung sei scheinbar die Weigerung deS Kaisers von Rußland, den König und die Königin von Serbien zu empsangen; dies sei von dem ganzen serbischen Volke schwer empfunden worden und bade die Erbitterung gegen den König Alexander und die Königin Draga gesteigert; dazu sei gekommen, baß die Machenschaften der Königin Draga, ihren Bruder zum Thronerben ernennen zu lassen, von der öffentlichen Meinung Serbiens als unerhörte Beleidigung angesehen worden sei. AuS Rom, 1l. Juni, wird unS gemeldet: Die Ereignisse in Belgrad rufen hier einen nachhaltigen Eindruck hervor. Die „Triduna- sagt, die Belgrader Tragödie werde nicht die letzte Ueberrasch ung sein, die uns der Balkan be reite. „Giornale d'Zralia- führt aus, die Mächte hätten die Pflicht, sich immer mehr zu friedlichen Zielen zu einigen. „Popolo Romano- glaubt nicht, daß der Wechsel der Dynastie in Serbien die gegenwärtige Haltung der Mächte auf dem Balkan ändere, als noch ernstliche Ruhestörungen im Lande Hervorrufen werde. Alexander. Alexander der Eiste von Serbien war am l4. August neuen Stil- 1878 in Belgrad geboren. Sein Vater war König Milan, seine Mutter Natalie Ketschko, die Tochter eines Rumänen, der in der russischen Armee diente. Fast von An beginn war diese Ehe unglücklich; Streitigkeiten der peinlichsten Art unter seinen Eltern waien die ersten Iugenderinnerungen Alexanders. Als Natalie sich 1886 von Milan trennte und Serbien verließ, nahm sie den zehnjährigen Sohn mit sich. Es folgten lange Streitigkeiten zwischen den streitenden Gatten um dieses Kind, bis Alexander 1888 der damals in Wies baden weilende» Königin durch die Polizei abgenommen wurde; die deutsche Regierung, an die sich Milan wegen der Auslieferung seines Sohnes gewandt hatte, mußte seinem Antrag Folge geben. Im Anfang des nächsten Jahre-, kaum daß er eine neue höchst liberale Verfassung gegeben hatte, fiel es König Milan ein, abzudanken, em Entschluß, den er bald genug bitter bereute. Bis zu Alexanders achtzehntem Jahre sollte eine Regentschaft mit Ristitsch an der Spitze die Ge schäfte führen. In Belgrad zog nun, als Milan das Land verlassen hatte, wieder Königin Natalie ein und mit ihr der russische Einfluß. Milans ständige Versuche indessen, wieder in Serbien zu Mackt zu kommen, ließen den jungen König nicht zur Ruhe gelangen. 1891 wurde ein Kompromiß geschlossen. Die Königin Natalie wurde des Landes veiwiesen, Milan dagegen versprach gegen eineJahreSrentevoneinerMillion Franken, nach Serbien während der Minorität Alexanders nicht mehr zurückzukehren, ja er verzichtete bald darauf sogar auf seine serbische Nationalität. Aber bald kam wieder ein Umschlag. Im April 1893 machte der 17 Jahre alte König seinen ersten Staatsstreich. Nach einem Bankett appel lierte er an die Armee, jagte die Regenten davon und nahm selbst die Regierung in die Hand. Bald darauf kam Milan wieder nach Belgrad, sein wohn nahm ihn gern auf und der Wille des VaterS und mit ihm der österreichische Einfluß wurden nun ausschlaggebend. Im Mai 1894 solgte der zweite StaaiSstreicu: König Alexander bob die Verfassung auf und fükrte eine reaktionäre ältere wieder ein. Von 1894 bis 1900 war Milan der eigentliche Herrscher. Dann aber folgte die unglückliche Verbindung des jungen KöuigS mit Draga Malchin. Trotz der äußersten Opposition seines Vateis verlobte sich Alexander öffentlich mit ihr am 21. Juli 1900. König Milan verließ zum zweitenmale Serbien, völlig mit dem Sohne zerfallen; auch Natalie sagte sich gänzlich los von Alexander, der am 5. August die Wliwe Maschin heiratete. Dann kam die unwü> dige Posse von DragaS saischer Schwangerschaft. Als es sich immer deut licher herauSstelltr, daß der König von dieser Frau keine Nach kommen zn erwarten hatte, begann die Thronfolgefrage sich vorzudrängen. Da der Manneüstamm der Obrenowitsch mit König Alexander ausstarb, so mußten die Nachkommen der Töchter des Hauses folgen. Der nächste Berechtigte wäre ein serbischer Ossizier namenSKonstantinowitsch gewesen, besten Tochter den montenegrinsichen Prinzen Mirko ge heiratet bat. Mit Montenegro sowohl wie mit dem Oberst Konstantinowitsch lebte indessen Alexander in bitterster Feind- sckaft, und so zeigte er sich sehr bald den Einflüsterungen der Königin geneigt, die, um ihre eigene Stellung zu stärken, ihrem Bruder, dem Leutnant Lunjewitscb, die Thronfolge zu verschaffen suchte. Anstalten, diesen seinen Schwager zum Erben zu erklären, hat Alexander verschiedentlich gemacht; sie waren bisher immer namentlich an der Opposition der Annee gescheitert. Noch im Herbst des vorigen IahreS machte Alexander einen Versuch, seinen Schwager bei den Manöver« zu proklamieren. Man zog damals die ungewöhnliche und die Finanzen sehr belastende Zahl von 30 000 Mann zu den Uebungen zusammen. Das Arrangement sollte so getroffen werden, daß die Armee den Lunjewllsch als Kronprinzen verlangt hätte. Da ermannten sich noch im leyien Augenblick einige der höchsten Offiziere und beschworen den König, von seinem Vorhaben abzustehen. Der König fügte sich, obgleich schwer erzürnt. Aber er gab seinen Plan nickt auf, nur legte er ibn gründlicher an. Er beschloß, da die Armee sich nicht williährrg zeigte, seinen Schwager von den gesetzgebenden Äörperichaften, Senat und Skupschtina, wählen zu lassen. Indessen mit dem Parlament, da- ihm zu Aufaog dieses IahreS zur Verfügung stand, war das nicht vurchzusübren: darum machte Alexander im April einen neuen Staatsstreich, indem er die bestehende Ver fassung für einige Stunden aufhob, alle auf ihrer Grundlage erlassenen Gesetze kassierte und sie dann wieder in Kraft setzte. Vor allen Dingen daS Wahlgesetz wurde geändert und rin neues für die Regierung günstigeres oltroyiert. Mit dessen Hülfe sind kürzlich die Wahlen gemacht wordea und „glänzend ausgefallen. Die Opposition war fast au- dem Hause ausgeschlossen. Von diesem Parlament, da- ist kein Zweifel, hätte der König seinen Schwager wählen lassen können. Dazu ist eS nicht mehr gekommen. Der letzte Obren»- witsch, seine Frau und der Schwager, denen beiden zu Liebe er den Haß seines Volkes und seines Heere» auf sich lud, sind ermordet. * Wien, 12. Juni. Der „Neuen Freien Presse" wird au» Belgrad folgende Darstellung telegraphiert: König Alexander stand der Armee, welche seinem Vater treu ergeben war, fremd gegen- über. Den schwächlichen Neurastheniker betrachteten die Offiziere nicht al- einen der ihrigen. Alexander vernachlässigte di« Armee; die von Milan geschaffen« Organisation zerfiel. Al der König Draga heiratete, wurde sein Verhältnis zur Armer noch mehr getrübt. Die Offiziere empfanden die Verbindung wegen der Vergangenheit der Frau al- eine Schmach. Die Königin vergalt diese Abneigung der Offiziere mit einer hochmütigen Behandlung der Arme«; der König nahm die gleiche Haltung an. Da- OffizierkorpS boykottierte den Bruder der Königin Lnojewitsch. Die Lage wurde noch ver schärft durch unpünktliche Bezahlung der Gagen. AuS Mißtrauen gegen die Arme« schuf der König eine besondere Garde zu Fuß und zu Pferde. Schon seitdem Milan das Kommando der Armee niedergelegt hat, zeigte sich im Osfizierskasino, dann auch unter den Bauern eine starke Strömung zu Gunsten Karageorgewitsch-. — Selbst Milan begünstigte zuletzt die Bestrebungen für Karageorgewitsch. Als Milan 1900 die Nachricht von der Verlobung seine- SohneS mit Draga erhielt, eilte er nach Wien, um sich nach Serbien za begeben nad dort an der Spitze der Armee eine Erhebung gegen Alexander elnzuleiten. In Wien besann er sich jedoch eine anderen; er wollte nicht persönlich gegen seinen Sohn vor gehen. Er schickte jedoch einen Vertrauensmann nach Gens za Karageorgewitsch, um diesem mitzuteilen, daß er bereit sei, ihn mit seiner Autorität bei der Armee zu unterstützen. Alexander gab damals den Befehl, Milan uiederzuschießen, sobald dieser serbischen Boden beträte. Peter Karageorgewitsch ist eher als Freund denn als Feind Oesterreichs zu betrachten. Wenn Oesterreich die vollzogenen Tatsachen annimmt und wird die Anerkennung KaragevrgewitschS nicht unnötig verzögert, so wird eS in Karageorgewitsch einen verläßlicheren Freund ge winnen, als König Alexander war. Natalie. Die Königin Natalie, welche seit 14 Tagen bei ihrer Schwester, der Fürstin Ghitra, in Versailles weilt, erfuhr das blutige Ereignis von dem serbischen Gesandten tele phonisch; die Königin weigert sich, irgend welchen Besuch zu empfangen. * Versailles, 12. Juni. (Telegramm.) AIS die Königin Natalie den Tod ihres SohneS erfuhr, wurde sie von einer schreck lichen Nervenkrisis befallen, sodaß sie die Erzählung der Ereig nisse in Belgrad nicht bis zu Ende anhöreu konnte, obgleich die Erzählung mit aller Schonung geschah. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Juni. Zur Verhetzung her Sozialdemokraten gegen die Arbeitgeber. Im zweiten Anhalter Wahlkreise kennzeichnete kürzlich der nationalliberale Kandidat, Geheimer Kommerzienrat Wessel, die von den Sozialdemokraten in seinem Wahl kreise und leider auck überall betriebene Aufhetzung der Arbeiter gegen die Arbeitgeber. Er führte dabei ungefähr folgendes auS: „Die Sozialdemokratie verhetzt unablässig die Arbeitgeber uud die Arbeiter, die beide doch auf einander angewiesen sind. Die Verhetzung geht immer weiter, und das ist traurig für unser Vaterland. In einem von den Sozialdemokraten in unserem zweiten anhaltischen Wahlkreise verbreiteten Flugblatt« wird be hauptet, die Solvaywerke seien iu den Händen einer „ausländischen Kapitalistengesellichast", die daS Geld aus dem Lande trage. Das Gegenteil ist der Fall. Die Arbeiter sollten doch froh sein, daß ausländische Kapitalisten gekommen sind und ',mit ihren Millionen Arbeitsgelegenheit geschaffen haben. Erst kürzlich hat der sozialdemokratische LandtagSabgeordnete PeuS im anhaltischen Landtage die Regierung wegen der KoSwiger Fabrik inter pelliert, weshalb derselben nicht die Konzrssionirrung erteilt sei, damit Arbeitsgelegenheit geschaffen, werde. Hier redet man gegen eine Fabrik, welche dauernd« Arbeit bietet l Daß „Los, Jungens!" rief ich. „Rojt wie der Deubel!" Die Leute legten sich kräftig in die Reemen und ich steuerte dem Glockenklang zu, der allerdings sehr bald wieder verstummte. Nach zehn Minuten ließ ich stoppen, um nicht über das Ziel hinauszulaufen. Wie riefen, erhielten aber keine Antwort. Nun rojten wir ganz langsam vorwärts, mit gespitzten Ohren. Endlich stoppten wir wieder. Alles lauschte. Da grunzte etwas ganz in der Nähe. Wir schauten empor. Vor unS erhob sich ein schattenhaftes Etwas, und die Brise hörte auf. Das Grunzen wiederholte sich, dann ertönte eine Stimme. ,Hab' schon viel Esel kennen gelernt, der zweite Steuer mann da ist aber der dümmste von allen. Dümmer noch als Trunncll. Man muß ihm wirklich den Bauch aufschlitzen. Hören Sie, Sackett, Mann, Ihre Tochter will Sie nicht verlaßen. Da ist sie wieder langscit, mit der ganzen Bande." Ich erkannte die Stimme sogleich. Das Boot stieß gegen die Seite des „Sovereign", von dessen Reeling Andrews mit saurem Grinsen auf uns nteberschante. Es blieb uns keine Wahl; wir mußten an Bord klettern, denn wir hatten in unserm Boot keinen Bissen Proviant. Auch dursten wir nicht daran denken, in diesem Nebel uns noch einmal auf die Suche nach dem „Pirat" zu begeben, wenn wir nicht in die Gefahr geraten wollten, uns in der unermeßlichen Weite der See gänzlich zu verlieren. Kapitän Sackett hob seine Tochter über die Reeling; fluchend über das gehabte Pech folgten die englischen Ma trosen. Androws warf mir einen bösen Blick zu, als ich dicht neben ihm die Reeling überstieg, und ich war schon bereit, mich ans ihn zu stürzen, um einem Angriff zuvor- zukommcn. Er grunzte jedoch nur verächtlich und ging auf die Seite. Als Tschips, Jim und die andern meiner Leute an Bord waren, wurde das Boot an der Fangleine achteraus gebracht, wo es ruhig schleppte. Die Brise gab dem „So vereign" soviel Fahrt, daß er dem Steuer gehorchte. Kapitän Sackett befahl dem Steward, auf dem Ofen in der Kajüte eine Mahlzeit für alle Mann herzurichten. Es gab Salzfleisch und konservierte Früchte. Die Tanks des Schiffes waren voll von gutem Trinkwasscr; einer davon war unzugänglich, da das Fahrzeug eine starke Schlagseite nach steuerbord hatte; daS an Deck führende Rohr des andern aber war frei. Ich setzte mich nttt Kapitän Sackett, seiner Tochter, An drews, und unserm dritten Steuermann an den Tisch iu der Kajüte. Soeben hatte Andrews sich über das Fletsch, Mr. Bell sich über die Fruchte gemacht, als Kapitän Sackett sich erhob und strengen Blickes auf die beiden nicdersah. Dann richtete er die Augen empor zum Oberlichtfenster. „Wir danken dir, o Herr , sagte er in dein hergebrachten Gebetston, „wir danken dir für deine Gnade, die uns aus den Gefahren der Tiefe errettete. Mach' uns auch dankbar für die Speise, die deine Güte uns heute darrcicht." „Amen!" grunzte eine rauh« Stimme neben mir. Ich warf einen Blick auf Andrews, der aber schien-esich um weiter nichts als um sein Fleisch zu kümmern. Der Schiffer schien über diese Einmischung in sein Gebet zu Stein erstarrt zu sein; er starrte sprachlos auf Andrews nieder. Der wüste Mensch war innerlich belustigt; er stieß sety grunzendes Schnauben aus und stierte nun auch seiner seits den Schiffer an. „Nicht übel nehmen, Mann", sagte er. „Setzen Sie sich hin und essen Sie. Brauchen mich nicht so unchristlich an zusehen, bloß weil ich mich durch keinen verdammten Un- sinn von meinem Futter abl>alten lasse. Jeder esse, wann er kann; Sie sagten ja vorhin erst, Gott hülst dem, der sich selber hülst; na, scheu Sie, drum will ich mir jetzt noch zu einem zweiten Stück Fleisch verhelfen, ehe mir ein andrer Vielfraß zuvorkommt, was natürlich gegen den Willen des Herrn wäre." Sackett atmete kurz und schwer. Sein Gesicht wurde bläulich vor Zorn. Andrews zog in aller Ruhe einen Revolver aus der Tasche und legte ihn neben seinen Teller. Da er waffenlos vom „Pirat" gekommen war, so mußte er sich hier an Bord des „Sovereign" sogleich in den Besitz deS Revolvers zu setzen gewußt haben. „Setz dich, Papa, und iß", bat das junge Mädchen und faßte des Schiffers Rechte. Diese Berührung gab ihm seine Selbstbeherrschung wieder; er setzte sich, blickte aber An- drews mindestens eine Minute lang unausgesetzt an. Der Bandit aß ruhig weiter und warf dabei ab und zu Mr. Bell einen zwinkernden Blick zu. Zuweilen erhob er den Kopf, schnaufte und grinste, als belustige ihn die Sache un- gemein. Ter dritte Steuermann sah ihn dann vorwurfS- voll an und sragtc ihn mit seiner albernen Weiberstimmc, ob er sich denn nicht vernünftig betragen könne. Die ganze Sache war überaus lächerlich. Fräulein Sackett konnte sich ein leise» Lächeln nicht verbeißen, und ich lachte schließlich ganz laut heraus, was ich allerdings, um des braven Schiffers willen, sogleich wieder bereute. Er aß nur wenig und verhielt sich schweigsam, stand auch bald auf und ging hinaus an Deck. Seine Tochter folgte ihm schnell. Jetzt betrachtete ich mir Andrews. Der schnaufte, grunzte und nickte lächelnd Mr. Bell zu. Dann drehte er sich zu mir herum. „Wir sind ein paarmal aneinander geraten, junger Mann", sagte er, „aber ohne sonderlichen Erfolg. Wollen's jetzt quitt sein lassen. Hier ist meine Hand." Er streckte mir die Rechte entgegen. „Ich gebe zu", antwortete ich, „daß Sie au jenem ersten Tage, als ich Sie vom Quarterdeck aus anricf, nicht ohne Berechtigung in Zorn gerieten, da Sie selber noch bis vor kurzem von dort oben herab kommandiert hatten. Ich habe viel Unliebsames über Die gehört, Keppen And- aber wenn Sic Vergangenes vergangen sein lassen wollen, so bin ich auch bereit dazu." Dqmit ergriff ich seine harte, muSkclstarke Hand und hielt sic einen Moment in der meinen. Er lächelte sauer, sagte aber nichts mehr von unseren Mißhelligkeiten. „Und nun hören Sie weiter", begann er wieder. „Ich bin der erste Offizier hier an Bord, will Sie aber nicht so behandeln, wie ich an Bord des „Pirat" behandelt worden bin. Die Pistole hier zeige ich bloß deshalb, damit jeder mir gegenüber in seinen Grenzen bleibt. Hätte ich sie vor- hin nicht gezeigt, wer weiß, was Keppen Sackett gesagt oder getan hätte — Sie werden von Trunncll gehört haben, was für ein gemütvoller Kerl ich bin. Ein komisches Tier, dieser kleine, prubelköpfigc Trunncll. Haben Sie jemals solche langen Arme gesehen, außer bet einem ausge- wachsenen Gorilla? Hölle und Verdammnis! Er kann einem die Seele auS dem Leibe quetschen, schlimmer noch als MädelS auf Toney Island. Da wir gerade von Mädel» reden: da ist eins hier an Bord — eine zuckersüße Taube, Sir, eine zuckersüße Taube. Und nun verstehen Sie mich recht. Wenn hier scharmiert werden soll, dann bin ich der Mann, der daS besorgt. Nehmen Sie also nicht etwa eineVerpflichtung, die mir obliegt, aufJhreSchultern. Vergessen Sie das nicht, Mr. Rolling; wir werden dann ganz vorzüglich miteinander auskommen. Keppen Sackett kennt mich noch nicht, Mr. Bell aber — Mr. Bell weiß etwa» von Schiffern, die für gewisse Leute Haufen Goldes wert sind." Der dritte Steuermann schaute mich püt seinen Knaben. äugen an und seine runden Wangen röteten sich ein wenig. Dann sagte er: „Er meint, daß Die und all die andern jetzt nur Passa giere hier an Bord sind. Das Beygegeld kommt nur denen zu gute, die freiwillig auf diesem Schiffe geblieben sind. Wenn Sie sich darein füg^i, dann sollen Tschips, Jim und die übrigen uns als Passagiere willkommen sein. Wenn nicht, so steht das Boot Ihnen jederzeit zur Ver fügung." „Ich verstehe", entgegnete ich. „Sie gehören jetzt also auch zu denen, die freiwillig bei Keppen Sackett bleiben und daher Anspruch auf Bergegeld haben, ist's nicht so?" „So ungefähr", sagte «r. Ich ging an Deck; Tschips, Jim und die andern He- gaben sich in die Kajüte, um zu essen. Sackett stand an der Brüstung des Quarterdecks, neben ihm seine Tochter. Sie schienen sich sehr ernst über die Scene bet Tisch unterhalten zu haben; als ich näher kam, wendete das Fräulein sich zu mir herum." „Ihr Kapitän war sehr liebenswürdig, un» den Menschen, den Andrews zu schicken; wir wissen dies zu würdigen, Mr. Rolling. Der Grund dafür, daß er uns nicht mit noch mehr solck>en Freiwilligen beglückte, war vielleicht der, daß er nicht mehr Handschellen zur Ver fügung hatte." „Ich kann Ihnen nicht ganz unrecht geben", antwortete ich. „Andrews ist ein etwas ungebärdiger Mensch; ehe Eie ihn aber ganz verdammen, rate ich Ihnen, abzu warten, wie er sich in Zeiten ernster Gefahr benimmt." Mir fehlte der Mut, ihr offen zu sagen, welch' eine Bestie man gegen ihren Vater losgelassen hatte. Es hätte dies auch wenig Nutzen gehabt; Sackett hatte sein Wort verpfändet, Andrews zum ersten Offizier zu machen; nach, dem ich ibn vorhin von seiner religiösen Sette kennen gelernt hatte, sagte ich mir, datz er diese» Wort unter allen Umständen halten werde. Als ich das Gespräch mit seiner Tochter begann, trat der Skipper zur Seite. Daraus entnahm ich, datz er über Andrews nicht zu reden wünschte. Er schaute auf da überflutete Deck hinab, wo die Schaummassen mit der Schwell hinüber und herüber wallten. Sein Schiff war ein Wrack; eS war die höchste Zeit, es wieder etwas see tüchtig zu machen, denn ein plötzlich au-brechender Sturm konnte es vollständig zerschmettern, oder aber so tief unter Wasser begraben, daß alles Leben an Bord vernichtet werden mußte. (Fortsetzuag folgt.)
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