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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1924
- Erscheinungsdatum
- 1924-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192405247
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19240524
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19240524
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRiesaer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1924
- Monat1924-05
- Tag1924-05-24
- Monat1924-05
- Jahr1924
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1924
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„l!nd wnsen Sie, daß unser Wiedersehen neuiltt) auch Inter dem Zeichen Goethes staub'^ Cie schüttelte verwundert den Kopf. „Doch," beharrte er. „Ich "mußte unwillkürlich an kasso denken, au seine erste Begegnung mit der Prln- tessin." „O, Cie wollen sich "hoffentlich nicht mit Tasso ver- Klcichcn!" sagte sie lachend. „Nein, denn ec ist mir zu sehr — Träumer. Mer Cie hatten entschieden was Leonorcnhaitcs." „Tas könnte sich höchstens auf äußere Umstände be ziehen," wehrte sie ab. „Im Innern bin ich nichts we niger als leonorenhaft." »vielleicht doch — öder wenn Ihnen das lieber ist, auch „heilige Elisabeth". Dann wäre ich dein heimkchren- den Tannhäuser vergleichbar —" „Ein wenig schmeichelhafter Vergleich," antworiete sic kühl und vornehm. „Tannhänsernaturen sind mir unver ständlich." Cie erhob sich und trat zu Stephan. Wolf Merbach blickte ihr mit zusammengezogenen Brauen nach. „Prinzessin!" murmelte er. ODO Es ist Sonntag. Elisabeth hat die Sonntage immer besonders gern und liebt es, dieselben so festlich Ivie mög lich zu gestalten. Stephan hat sie gelehrt, daß man beson deren Tagen besonderes Gepräge verleihen müsse, und sie bemüht sich stets, danach zu handeln und sucht dem Sonn tag vor allem seine Stalle zu wahren. An den Sonn tagen atmet Haus Nm Hard stets einen feierlichen Frie den, eine ernste Freudigkeit, und kraft- und lebenspen dend weht der Hauch die;es Tages über die ganze Woche. Es ist in der Dämmerstunde. Stephan sitzt in Elisa beths Zimmer dieser gegenüber und bespricht mit ihr den Plan eaner Schule in Nutharsstal. Elisabeth ist sehr glück lich über die Aussicht, daß schon im Frühjahr mit dem Bau begonnen werden soll. „Und Marie wird sich freuen, Onkel, Stephan! Mor- gen will ich es ihr gleich schreiben." Er meint, es hätte wohl Zeit bis zum nächsten Sonn abend, der Marie 'doch jedenfalls nach Ruthardstal bringen würde. i „Warum ist sie übrigens gestern nicht gekommen?" „Eine arme Mitschülerin ist krank und sehr einsam. Da will Marie ihr etwas Gesellschaft leisten. Es steht auch ein Gruß fiir dick 'mit in dem Brief." „Tanke schön. Ich lasse Pate Marie ebenfalls grüßen " Elisabeth nickt und denkt an den Brief der Freundin. Marie schreibt selten, denn da sie sich ziemlich häufig sehen, fehlt dazu die Gelegenheit. Aber wenn sie es doch einmal tut, so geschieht es inimer mit großer Ausführ lichkeit. Sie ist noch eine von den Seltenen, die in unserer schnellebigen Zeit Nu he genug finden, um lange Briefe an die Menschen zu schreiben, die sie lieben. Sie haßt die Ansichtspostkarten, die meist nur der Bequemlichkeit Vor schub leisten und die alte schöne Gewohnheit des schrift lichen Gedankenaustausches töten. In ihren Briefen ist Marie auch offener als im persönlichen Verkehr. Ta spricht sie ungesckeut ihre tiefsten Gedanken aus und redet mehr als sonst von dem, was sie in sich und an sich erlebt. „Elisabeth, was sinnst du?" fragt Stephan, dessen Blicke schon geraume Zeit auf dem nachdenklichen Mädchcnantlitz ruhen. „Ach —" macht sie und streicht das Haar aus der weißen Stirn. Ta forscht Stephan nicht weiter, denn er vermutet irgend ein Mädchengeheimnis, in das er sich nicht drängen will. Aber Elisabeth kann vor ihm ja nichts verbergen, was sie beschäftigt. Und so erzählt sie ihm denn, daß Marie „zufällig" schon em paarmal mit Tr. Henning zusammengctroffen und von ihm nach Hause begleitet worden ist. „Sie scheint ihn gern zu haben —" „Ja, ja,-' antwortete Stephan. „Es hat sich zwischen den beiden wohl etwas angesponncn. Ich merkte es schon letzthin —" „Würdest du erfreut darüber sein?"'' „Warum nicht? Sie passen gut zueinander, und das Ist die Hauptsache." „Aber nein, Onkel Stephan. Tic Hauptsache ist doch, daß sie sich lieb haben." Er lacht. „Du sollst im Recht sein, obschon cs eigent lich ganz dasselbe ist." Mit diesen Worten erhebt er sich und küßt sie auf die Stirn. „Und nun komme, Kind. Singe mir doch ein Lied. Wh bin wusikhungrig." Sic nickt. Für ihn zu singen ist sie immer bereit. " Die MerbachS hatten Steinhagen wieder einmal be logen, und da es Leonie dort stets reichlich langweilig fand, so beglückte sie die Ruthards ziemlich oft mit ihrem Besuch. An einem grauen Nebeltag kehrten Tante Betty Und Elisabeth vom Friedhof Heun, wo man das Hannele, das Kind ocS Arvecters Berryold, begraben hatte, ms der Wagen der Nachbarn vorbeisuhr. Diesmal loar es Leonis nicht allein, sondern Merbach Vater und Cohn hatten sie begleitet. Elisabeth seufzte heimlich. Sie war so gar nicht in Besuchsstimmung. Aber was konnte das helfen? Man muß mich das Unangenehme iin Leben zu ertragen wissen. Die MerbachS machten es il.r übrigens leicht, denn sie alle verfügten über ein so großes Maß von Lebhaftigkeit ,daß in ihrer Gegenwart eine Unterhaltung nicht so leicht ins Stocken geriet. Dennoch atmete Elisabeth auf, als sich die Herren zu einer geschäftlichen Besprechung nach Stephans Zimmer verfügten. Sie wollten die Damen damit nicht langweilen, wie der alte Merbach sagte, obwohl sich das nur auf Leonie beziehen konnte. Elisabeth hörte sehr gern solch einem ernsten Gespräch zu und freute sich — ganz wie Goethes Leonore — wenn sie verstand, wovon man redete. Tante Betty batte sich schon gleich nach der Begrüßung der Gäste mit häuslichen Pflichten entschuldigt, und so blieben die beiden Mädchen allein, ein Umstand, der Leonie Merbach nicht sehr entzückte. Verstimmt und gelangweilt saß sie im Schaukelstuhl. „Onkel Stephan hat neue Musikalien kommen lassen," sagte Elisabeth. „Möchtest du sie nicht einmal probieren?" Leonie gähnte daraufhin verstohlen, nickte aber gnädig zu dem Vorschlag und erhob sich Elisabeth kündete die Kerzen am Flügel an, denn es war bereits dämmerig im Zimmer. Dann suchte sie die Noten heraus und glitt endlich leise zum Kamin zurück, wo sie sich in einen hohen LcSmstuhl setzte. Sie war froh, die anspruchsvolle Mer- bacherin ein Weilchen beschäftigt zu wissen. Leonie blätterte geräuschvoll in den dünnen Heften herum, schlug hin und wieder ein paar Takte an und probierte schließlich Liszts „Kleine Nachtigall", obgleich sie sonst nie Liszt sang. Elisabeth wunderte sich, daß sie dies Lied wählte, aber es war ihr recht, denn cs paßts in ihre Stimmung. Und während nun die klagenden Töne das Zimmer stillten, wurde wieder lebendig, was sie am Nachmittag erlebt, und ihre Gedanken wanderten durch den tiefen Schnee, bis sie an Hanuelcs offenem Grabe stan den. Und Elisabeth sah die Mutter weinen und den Vater seinen Schmerz Niederkämpfen, und das Herz tat ihr weh dabei. Es war nicht nur deshalb, weil sie das tote Hannele lieb gehabt hatte, nein, sie war ja so verwachsen mit den Arbeiterfamilien, daß deren Glück und Leid auch ihr nahe Sic freute sich nut ihnen, wo es nur sein konnte, und weinte auch mit ihnen. Tie Bertholds besaßen noch sieben Kinder, und erst kürzlich hatte die Frau geklagt, daß cS zu eng würde im Haus für alt die vielen. Ta war nun das Hannele gegangen und hatte schweigend Platz gemacht. Eli sabeths Äugen füllten sich mit Tränen, als ste des Kindes gedachte, auf dessen blassem Gesicht cs gelegen hatte wie der Widerscisein himmlischer Verklärung. Noch nie war ihr dies Verklärte so ausgefallen wie heute bei dem arme» Kind. Mit einer schrillen Dissonanz brach Leonies Spiel ab. Stephan Ruthards Nichte schrak leise zusammen. Tic Merbachcrin wendete ihr lächelnd das schöne Antlitz zu. „Nun — Träumerin? Wo waren deine Gedanken?" „Bei dem Kind dc-S Berthold, das wir heilte begraben haben." . Leonie dehnte sich 'und faltete dabei die Hande uu Nacken. < . „Wie kann mau an solche Tuige denken! /"i „ES läßt sich nur nicht immer so abschüttcln." „Doch bu bist nur so schwerfällig. Aber Has muß mau nicht sein. Wie willst du da zu einem ordentlichen Lebensgenuß kommen!" Freilich, was Leonie Lebensgenuß nannte, davon wußte Elisabeth nichts. Leonie war Ivie ein schöner Falter, der von Blüte zu Blüte taumelt, von Fest zu Fest, das Licht sucht uud den Schatten ängstlich meidet. Leonie schlürfte vom Becher des Lebens nur den süßen, wenn auch nichts sagenden Schaum. Sic nippte — lächelte — und gab den Becher zurück. Ihrem Genießen fehlte die Tiefe. Wie an ders Elisabeth! Tie hatte mutig getrunken, auch von der Bitternis. Uud mutig setzte sie wieder uud wieder den Becher au die Lippen, wann und wo er ihr immer gereicht werden mochte. Das Bittere schreckte sic nicht, gerade um seiner Bitternis willen liebte sie das Leben, denn» Stephan batte sic gelehrt, daß alles Süße leicht den llebcr- drns; in sich birgt. „Die Herren scheinen unsere Existenz vollständig ver gessen zu haben," sagte Leonie, sich aus dem Sessel er hebend. Sie war mißmutig und fand, daß Stephan seine Hausherreupslicht ihr gegenüber nicht eben genau nahm. Elisabeths wegen kam sie wahrhaftig nicht so oft nach Ruthardstal. Merkte er denn das nicht? War er so Harm- los ober so — bescheiden? Sie trommelte ungeduldig au da-H Fenster. Stephan Rnthard war ja nicht mehr jung, aber Leonie würde auch einen Cicbiigjühriaeu genommen haben. er nver das Rurhardsche Vermögen versagst hätte. Auf das Geld kam es ihr vor allem an, denn sie brauchte einen reichen Mann. Als Tante Betty zum Tee kani, besserte sich 'ihre Laune sichtbar. Nun war wenigstens die Aussicht vor« daß das Erscheinen der Herren dem öden Alleinsein mit Elisabeth ein Ende bereiten würde. Stephan mußte eine Flut scherzender Vorwürfe über sich ergehen lassen, auf die er nur mit einem Lächeln antwortete. Wie hätte er denn zu der schönen Merbachcrin von Pflicht und Arbeit reden können! Man nahm den Tee cm kleinen Salon, Elisabeths Lieblingsraum — in der Sonncnstube, wie sie sagte — denn er war ganz im leuchtendsten Gelb gehalten. Die Kon versation gestaltete sich anfangs außerordentlich lebhaft, bis Merbach, der Vater, von Tante Betty eingehend über Geflügelmast unterrichtet wurde und aus diesem Grunde für das allgemeine Gespräch sticht mehr zu haben war. Dies benutzte Leonie, um nun ihrerseits auch Stephan in eine intime Plauderei zu ziehen, was ihr jedoch schlecht gelang, da er immer nur mit halbem Ohr zuhürte und sein Interesse mehr dein galt, was Wolf mit Elisabeth sprach. Wolf erzählte von den Abgüssen Mcunicrscher Werke, die für kurze Zeit im Stadtmuseuni ausgestellt waren. Elisabeth hatte eine besondere Vorliebe für den großen Belgier, und so bat sic denn im Laufe der Unterhaltung, Stephan möchte mit ihr die Sammlung besuchen. „O, dann darf ich mich wohl auschließen?" fragte Leonie schnell. „Nicht wahr, Herr Rnthard, cs ist Ihnen gleich, ob sie ein oder zwei Kücken unter die Flügel nehmen?" Stephan antwortete, daß cs ihm ein Vergnügen sein würde, wenn er nicht bei dieser Gelegenheit zugleich Ge schäftliches zu erledigen gedächte. „Ich müßte Ihnen also den Schutz meiner Flügel schon sehr bald entziehen und weiß nicht, ob ich das mit gutem Gewissen auf mich nehmen könnte." Sie machte ein Schmollmündchcn. „Geschäft und im mer Geschäft!" seufzte sie. Dann blitzten ihre Augen kokett zu ihm auf. „Wenn ich 'nun diese Entschuldigung nicht gelten lasse!" „Rede keinen Unsinn, mein Kind!" mahnte der alte Merbach gutmütig. „Tas Geschäft geht jedesmal dem Ver gnüge» vor." „ Ja — aber — wo deponieren Sie denn Elisabeth in zwischen?" erkundigte sich Leonie, die kaum ihre Gereizt heit verbergen konnte. „Ich? O, wenn Onkel Stephan es erlaubt, besuche ich inzwischen die alte Lösen! und dann Marie Gruhl. Möchtest du nickt mit mir kommen, Leonie?" „Nein, ick danke." Auf Meunier aber kam man später noch einmal zu sprechen. „Lieben Sie ihn?" wurde Elisabeth von Wolf Merbach gefragt. „Sehr," gestand diese. „Keiner zieht mich'an wie er." „Natürlich! Es ist jetzt ja modern, sich 'fiir die „Helden der Arbeit" zu begeistern," spöttelte Leonie. „Tas könnte mich kaum veranlassen, ihn zu lieben," sprach Elisabeth ruhig. „Also warum dann?" „In der Liebe gibt cs kein Warum!" scherzte der alte Merbach. „Kinder, tut mir den Gefallen und laßt den Mann endlich aus. Reden wir von anderen, friedlicheren Dingen, denn uni diesen Meunier wird das junge Volk sich noch die Köpfe erhitzen und sich zerzausen," sagte er zu Tante Betty gewendet, oic völlig seiner Ansicht war, weil sie von Kannst und Künstlern wenig verstand. Als die MerbachS anfbrachen, gelang cs Wolf, noch einige Minuten ungestört mit Elisabeth sprechen zu können. „Entsinnen Sie sich des Viellicbchcns, welches ich vorige Woche an sie verlor?" fragte er. „Wie denn nicht!" antwortete sie fröhlich. „Ich bin schon sehr neugierig, womit Sie sich auslösen werden." „Das mochte ich mit einem Äbgnß des Mcunicrschcu Bergmannes tun." Noch bevor Elisabeth etwas erwidern konnte, trat Stephan dazwischen. „Es tut mir leid, lieber Merbach, aber da kommen Sie einen Posttag zu spät! Ich'habe den betreffenden Abguß nämlich bereits käuflich erworben und zum Geschenk sür ineine Nichte bestimmt." Wolf war enttäuscht, zeigte es aber nicht, sondern sagte ruhig: „Dann ist es wohl das beste, wenn Fräulein Elisabeth selbst zwischen nnS entscheidet." „Die Sie wollen," antwortete Stephan höflich. „Also, bitte, Elisabeth." Sie wurde verlegen. „Ich möchte niemand wehtnn —", unsicher blickte sie zu Wolf Merbach hinüber — „aber ich glaube, Onkel Stephans Recht ist größer —" Wolf machte ihr eine tadellose Verbeugung „Ick be- schei'do mich — Sie reichte ihm die Hand und sah wie avbittens zu ihm empor, Da drückte er hastig selne Lippen auf die feinen Finger. „Gute Nacht, Elisabeth." Sie war erschrocken, aber dann lächelte sie. Stephan bemerkte es mit zusammcngc- zogenen Brauen. Und nun sind die MerbachS fort, nur der seltsam süße Duft des französischen Parfüms, der von Leonie unzertrennlich ist, füllt noch das Zimmer. Elisabeth öffnet deshalb ein Fenster, durck das die klare Tinterlnft in breiten Welten hcreinstrümt. Tief aufatmend trinkt sie die köstliche Frische. Dabei lehnt sie das Köpfchen an den Nahmen des Fensters und schaut hinüber zu der schlichten Kirche, über deren Turm der Sirius flimmert. „Das ist Onkel Stephans Stern," hat sie sich als Kind immer ge dacht, „denn er ist von allen der schönste!" Cie nickt dem Sirius noch einmal zu und schließt das Fenster. ES fällt ihr ein, daß sie Onkel Stephan noch gar nicht für sein Ge schenk gedankt hat, das ihr völlig überraschend gekom men ist. Stephan lehnt ani Kamin und starrt in die rote Dlnt. deren Lichtschein über das blanke Parkett tanzt und sich dann wie ein müdes Kind in das zottige Bärenfell ver kriecht. Zwischen des Mannes Brauen steht eine scharfe, senkrechte Falte. Elisabeth bemerkt dieselbe, hat aber keine Ahnung, woher sie so mit einem Male gekommen ist. Tic Falte verschwindet auch nicht, als Stephans Nichte von dem Mguß zu sprechen beginnt und ihre Freude darüber ausdriickt. „Aker sehr liebenswürdig," schließt sie, „bist du zu Wolf Merback nicht gewesen." „So? Und das bekümmert dich Ivo hl?" „Bekümmern? Aber Onkel Stephan! Cs hat mir nur leid getan!" Sic zieht fick» einen Schaukelstuhl heran und nimmt darin Platz. Auch er läßt sich in einem der gelben Sessel nieder und greift zu dem Buch, das neben ihm auf der Platte eines BronzctischchenS liegt. Nervös und zerstreut blättert er darin herum. Elisabeth wiegt sich leise hin und her und zerbricht sich den Kopf, was Onkel Stephan wohl so verstimmt haben könne. Schon Witt sic ihn fragen, als er plötzlich das Buch hinwirft und ihr gerade ins Gesicht blickt. „Wolf Merbach 'hat heute bei mir um deine Hand angehalten." „Was? Wer?" fragt sic entsetzt und schnellt so jäh empor, daß der Stuhl in ungestüme Bewegung gerät. „Woks Merbach," wiederholt Stephan. „Aber mein Gott, wie ist denn der auf die Idee gekommen?" Sic ist verwirrt und ratlos und weiß sich nicht zu helfen. „Ich hab' ihn: doch nie Anlaß ge geben! Oder hab ich das? Unbewirßt vielleicht? Onkel Stephan —", flehend schaatc sie ihn an. „Ich kann das kaum beurteilen, Kind. Wolf Mer bach liebt dich sehr, und oie Liebe klammert sich oft an Worte und Gebärden, womit der andere Teil wohl nichts Besonderes ausdrückcn wollte. Dolf glaubt, daß er dir nicht gleichgültig sei." „Ich hab ihn gern," stammelte sic „aber bas ist doch nicht Liebe —" Nein, das kann nicht Liebe sein! Da wäre die Liebe ja etwas Kleines, Bescheidenes — und Elisabeth hat sie sich immer groß und herrlich gedacht — als etwas Sieghaftes, Ucbcrwältigendcs! „Du brauchst dich ja nicht heute zn entschließen," hört sic Stephan sagen. „Laß dir Zeit — überlege cs —" Sie aber schüttelt mit einer fast Ijcftigen Bcwcgnna den Kvpf. „Nein, Onkel Stephan, da braucht es kein Ucberlegen! Wenn ich erst überlegen mnß, ob ich Wolf lieb habe, so ist cs sicher nickt das Rechte. Ich kann seine Fran nicht werden. Bitte, teile ihm dies mit." Stephan Rnthard neigt zustimmend das Haupt. Tie düstere Falte aber, die vorhin zwischen seinen Brauen stand, ist plötzlich Ivie weggewischt. ... .Stephan und Elisabeth Rnthard genossen im Stadt- muscum Meuniersche Knust — eine Kunst, die ebenso oft emporyob über allen ineiischlich.n Jammer, wie hinabstieß in die tiefsten Tiefen desselben. Sie standen vor dem „Arbeiterwcib". Schweigend betrachteten sie die-S Antlitz, auf das die Not des Lebens ihren Stempel mit grausamer Deutlichkeit gedrückt hatte. Aber eS wirkte keineswegs abstoßend, sondern vielmehr erschütternd. Der Künstler halte nicht übertrieben, er gab die einfaclw Wahrheit. Alcr wie gab er sie! Noch andere sind eS, die ihre Modelle dein Volke entnehmen, und auch sie bemühen sich, wahr zu sein, aber nie tragen bi: Ge stalten, die jene anderen schafften, diesen Zug verschwlc- gcncr Größe, der denen Meuniers eigen ist. „Man kann sie nicht ausehen, ohne daß mau er griffen wird," sagte Elisabeth. Stephan nickte. „Er kennt das Volk genau, daz merkt mau ans jeder seiner Schöpfungen."
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