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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.04.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-04-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080416010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908041601
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908041601
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1908
- Monat1908-04
- Tag1908-04-16
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Ämtsvlatt des Rates und des Rokizeiamtes der Ltabt Leipzig. Luzeigea-Prel ¬ lst» Inserat« aut Leipzig und Umgebung di,-gespalten, Petitzml« N W„ finanziell» Antigen 30 W., Reklamen l M.i d«a autwürts 30 Bl., ReNamen t.LO M.: do««uülandSllPI., finanz. Anzeigen IS«,.. Reklamen l.LO M. Inserate ». vebürden «w amtlichen Dell 40 Beilagegebfibr S M. p. Daulend exsi «ost. gebühr. Älelchäsrianjeigen an deoorzuaiei Stell- im Preise erdbht. Rabatt nach larii Festerteilte Bustrtge linnen nichi zurück gezogen werben. Für das Erscheinen an bestimmten lagen »nb Plätzen wird kein, Barantik übernommen Antigen-Annahme: Augnstuipla, 8. bei sämtlichen Filialen u. allen Aniioi reu- Expeditionen de« In- und Auslandes. Hauvk -Filiale Berlin, Carl Duncker. Herzog!. Baor. Holbuch- handlung, Lützowstrahe 10. (Delephon VI. Nr 4803). Pauvt.Filtale Dre-den: Seestrabe 4,1 (Telephon 4821). Nr. 1V6. Donnerstag 16. April 1908. Das wichtigste vorn Tage. * Nach offiziöser Mitteilung aus der lonservativen Partei wird die Wahlrechtsreform voraussichtlich noch vor Vertagung deS Landtages erledigt werden. * Bülow wurde in Rom vom Papst in längerer Audienz empfangen. Später fand ihm zu Ehren ein Diner statt. lS. Dtschs. R.) * Der konservative Reichstagsabgeordnete Zindler .st gestorben. lS. Dtschs. R.) * Die Angliederung des Kongo st aates an Belgien kam gestern in der belgischen Deputiertenkammer zur Beratung. sS. Letzte Dep.) * Gegen die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung von Toulouse wurde eine Untersuchung wegen Unterschlagung von Gemeindegeldern cingeleitet. lS. Ausl.) Die Zensur. Die Schuljugend atmet erleichtert auf, denn es winken ihr etliche Lage der goldenen Freiheit. Wer entsinnt sich nicht lächelnd dieser Seligkeit, die man nur im Frühling des Lebens so rein genießt! Vier, lehn Tage scheinen eine Ewigkeit, eine Ewigkeit, die die Fülle alles Glücks verspricht. Nur der eine Augenblick muß erst überwunden sein, ,n dem die Zensur vorgezeigt wird. Es gibt ja freilich Musterknaben, oie den Eltern dieses Dokument mit gerechtem Stolz unterbreiten dürfen, aber die große Mehrzahl unseres jungen Nachwuchses bangt doch ein wenig vor diesem schicksalsschweren Moments denn irgendein Schönheitsfehler pflegt doch den Eindruck zu entstellen und angesichts dieser schwarz auf weiß gezogenen Bilanz ist keine Verschleierung möglich. Indessen, vielleicht ist es heute nicht mehr so schlimm, wie es vor zwanzig Jahren war. Die Väter der vorigen Generation pflegten sich, wenn ihrer Entrüstung die Sprache versagte, der lcichtverständlichen Keilschrift zu bedienen, und nicht selten war eine solenne Tracht Prügel die Einführung in das Ferienparadies. Seitdem sind wir alle weicher, wir sind sentimentaler geworden, und die meisten Eltern sind geneigt, eher der Schule, als dem Schüler eine schlechte Zensur zu erteilen. Tie Zensur, die die Schule gibt, würden sie als gvsntite nerxlixesbls ansehen, wenn nicht die Versetzung und schließlich die Reifeprüfung dem unwillkommenen Blatt Papier eine ernstere Bedeutung verliehen. Tie Lehrer haben es in unfern Tagen schwerer als früher. Man fordert von ihnen Autorität, und man nimmt ihnen den Nohrstock. Vor fünfzig Jahren hätten sicher auch die Eltern erstaunt gefragt, wie denn ohne Strafe, ohne Züchtigung die Autorität aufrechterhalten werden, ja, wie ein Zögling überhaupt ohne sie erzogen werden solle. Tenn damals war man noch sehr geneigt, sich zu dem Satze zu bekennen, daß des Menschen Dichten und Trachten von Jugend auf böse ist, und man hatte das Vertrauen, daß diese innere Bosheit durch strenge Zucht ausgetriebcn werden könne. Es war bas eine Erziehungsmethode, die -in bißchen an Teufelsbeschwörung erinnerte. Heute liebt man es, das Kind zu idealisieren, und es gibt Schwär mer, die überhaupt nichts davon wissen wollen, daß der Heranwachsende Mensch gestraft werde. Eine Züchtigung nun gar scheint ihnen bestialische Roheit. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte und vor allem liegt sie in dem Bestreben, den Zögling individuell zu behandeln. Kinder sind keine Engel, die Knaben nicht und die Mädchen auch nicht, sie zeigen, sobald sie zum Menschentum erwachen, allerhand Triebe und Neigungen, die bekämpft werden müssen, weil sie ihnen selbst gefährlich werden können. Diese Triebe und Neigungen gewähren zu lassen, ist sündhaft. Auch in der Erziehung gibt es eine Manchesterpolitik, die an eine „prästabilierte Harmonie" glaubt. Natürlich ist es sehr viel angenehmer und bequemer, sich der Notwendigkeit des Strafens zu ent ziehen, indem man es der „Natur" und dem „Leben" überläßt, den werdenden Menschen auf die rechte Bahn zu führen, aber man soll dies cksire, laisser aller nicht als Weisheit ausgeben, man soll ganz einfach bekennen, daß es Egoismus ist. Gewiß darf man den Kindern nicht durch finstere Härte die holde Jugendzeit verkümmern; man soll aber auch bedenken, daß sie für das ganze Leben erzogen werden, daß öas Leben hart ist und daß sie äußerlich und innerlich abgehärtet werden müssen, wenn sie nicht den Stürmen des Daseins zu früh erliegen sollen. Die Zensur, die unserer Schule erteilt werden kann, ist gewiß keine schlechte, soweit sie den Lehrern gilt, die sich ihres schweren Amtes mit Fleiß und Hingebung, mit Ernst und Liebe annehmen. Eine andere Frage ist es, ob nicht das System selbst verbesserungsbedürftig ist. Hier scheint es, als ob in bezug auf patriotischen und religiösen Drill manchmal mehr getan werde, als mit wahrer Vaterlandsliebe und echter Frömmigkeit vereinbar ist. Auch haben wir noch immer den Eindruck, daß die Schule unendlich viel Wissenskram einpaukt, der weder für das qußere Leben zweckdienlich, noch für das innere Leben des Zöglings fruchtbar ist. In Oesterreich geht man jetzt an eine sehr radikale Gymnasial reform und auch bei uns wächst täglich die Mißstimmung gegen den Betrieb der höheren Schule. Der enorme Erfolg der Gurlittschen Er- Ziehungsschriften beweist, wie wenig die höheren Stände mit dem Schul- weien zufrieden sind. Sie wagen meist nicht, offen zu opponieren, weil sie Ungelegenheiten für die Kinder fürchten, im kleinen Kreise aber machen die Väter und Mütter kein Hehl daraus, daß sie der Schule eine schlechte Zensur ausstellen. Sie fortzern mehr Freiheit, weniger Pe. danterie, mehr Liebe, weniger Autoritätsdünkel, mehr Jnwendiglernen, weniger Auswendiglernen und die meisten Lehrer werden oiesen Forde rungen beistimmen und sich mit gutem Gewissen sagen, daß sie inner halb des herrschenden Systems das Ihrige tun. Was aber das System betrifft, so lautet das Urteil der meisten Eltern auf „mangelhaft", und diese weitverbreitete Mißstimmung muß früher oder später zu einer gründlichen Revision unserer Erziehungs- und Unterrichtsmethoden führen. Die Aufgaben -es sächsischen Landtags. Eine Liste der vom Landtage noch zu leistenden Arbeiten ergibt fol gendes Bild: Der Rechenschaftsbericht auf die Jinanzperiode 1904/05 ist in der Zweiten Kammer fast vollständig erledigt worden. Zur Be- ratung im Plenum haben allerdings noch einige besonders wichtige Kapitel zu kommen, die auch größere Debatten veranlassen dürften, so Kap. 16: Staatseisenbahnen; 24: Königliche Sammlungen für Kunst und Wissenschaft; 91: Universität Leipzig; 92: Technische Hoch schule Dresden; 94—96: Gymnasien, Realgymnasien, Seminare und Volksschulen; 99: Taubstummenanstalten; außerdem noch Kap. 65: Be rechtigung von Wasserläufen. Von der Ersten Kammer sind noch 16 Kapitel des Rechenschaftsberichts zu erledigen. Weit ungünstiger sieht cs dagegen mit dem Etat auf 1908/09 aus. Von diesem sind im Plenum der Zweiten Kammer noch 44 Kapitel, in der Ersten Kammer noch 56 zu erledigen. Wir wollen, um nicht zu ermüden, davon nur die hauptsächlichsten, noch in der Zweiten Kammer zu beratenden Kapitel anführen: 1. Forsten, 6. Elsterbad, 7. Leipziger Zeitung, 10 bis 13. Braunkohlenwerk Leipnitz, Staatliche Hütten- und Erzbergwerke bei Freiberg, Blaufarbenwerk Oberschlema, 15. Münze, 16. Staats eisenbahnen, 20—26. Direkte und indirekte Steuern und Abgaben, Zivil liste, Apanagen, königliche Sammlungen, Verzinsung und Tilgung der Staatsschulden, 38—41. Der gesamte Justizetat, 43. Kreis- und Amts- hauptmannschasten, 44. Kunstakademie Dresden, 45. Dresdener Journal, 57. Landarmen, und Fürsorgeerziehungswesen, 60. Landwirtschaftliche, gewerbliche und Handelsschulen, 70. Landesanstalten, 79. Straßen- und Wasserbau, 80. Hochbau, 91. Universität Leipzig, 92. Technische Hochschule Dresden, 74—96. Gymnasien usw., Seminare und Volks schulen, 99. Taubstummenanstalten, 102—103. Ministerium des Aus wärtigen und Gesandtschaften, sowie einigt kleinere Kapitel. Hierzu kommen noch an hauptsächlichsten Regierungsvorlagen: Die Wahlrechtsreform, das Wassergesetz, die Beamtenbesoldungsvorlage, die drei Vorlagen über Besoldung der Lehrer, Richter und Mitglieder des Oberverwaltungsgerichts, das Fürsorge-Erzichungsgesetz, das Feld- und Forstsrrafgesetz. das Gesetz über die Kirchen- und Schulsteuern, das Gesetz über die Bezirksverbände und das Gesetz gegen die Verunstaltüng von Stadt und Land. Nimmt man selbst an, daß von diesem reichen Arbeitsstosf nur die Reste des Etats und des Rechenschaftsberichts, die Wahlrechtsreform und die Beamtenvorlage vor einer Vertagung des Landtages erledigt werden sollen, so erscheint es gleichwohl mehr als zweifelhaft, ob sich dies in der kurzen Zeit von 25 Sitzungstagen, die vom 23. April bis Ende Mai zur Verfügung stihen, bewältigen lassen wird. Man wird sich wohl oder übel entschließen müssen, auch im Juni noch eine Anzahl Sitzungen abzuhalten, denn der noch zu erledigende Stoff verträgt keineswegs ein Schwcinstrabtempo, wie es in früheren Landtagen, wo man allerdings mit dem Etat weiter war, als diesmal, gegen Schluß der Session beliebt wurde. Daraus aber, daß eine große Anzahl wichtiger Vorlagen und bedeutungsvolle Initiativanträge sVolks- schulanträge Günther-Hettner, Antrag Dürr-Schanz u. a.) bis zum nächsten Herbst liegen bleiben müssen, sollte die Regierung doch die nahe- liegende Folgerung ziehen, daß es am praktischsten ist, wenn man den Landtag alljährlich einberuft und ihm dann nicht mehr Arbeit zumutet, als er bewältigen kann. polnische Wirtschaft in Galizien. <Zur Ermordung des Grasen Potocki.) Von einem Leipziger, der Land und Leute in Galizien genau kennt, wird uns geschrieben: Jeder wird von rein menschlichem Standpunkte aus das Attentat, dem der Statthalter Potocki zum Opfer fiel, verabscheuen. Aber wenn man den Ursachen, die ein solches Verbrechen veranlaßt Haden, nach- geht, wird man das Attentat zwar nicht verzeihen, aber verstehen wird man, was dem Attentäter den Revolver in die Hand drückte. In Preußen und Rußland klagen die Polen über Bedrückung. Galizien aber, das im wahrsten Sinne ein polnisches Königreich und wo die Polen die Macht besitzen, ist ein Musterbeispiel dafür, wie sie diese miß brauchen. Diese Macht, die sie infolge der eigentümlichen verwickelten Staatsverhältnisse Oesterreichs sich aneigneten und erpreßten, beuten sie gegen die anderen Einwohner Galiziens, Ruthenen und Juden, in rücksichtslosester Weise aus. — Bei seiner Verhaftung sagte der Attentäter: „Das ist die Rache für das Unrechts das den Ruthenen bei den Wahlen zugefügt wurde." Diese „galizifchen Wahlen", die in Europa bereits mit Schwindelwahlen identisch sind. Als, von den Verhältnissen gezwungen, und auf dringenden Wunsch des Kaisers Franz Josef selbst die Ministerpräsidenten Gautzsch, Korber, Beck für die Wahlreform mit aller Kratt eintraten, und das Kurienparlament das allgemeine, gleiche, geheime, direkte Wahlrecht ein. führte, glaubten alle ehrlichen Leute, daß diese berüchtigten galizischen Wahlschwindeleien endlich einmal auihören würden. Ader man tauschte sich. Es blieb, wie es war. Hatte man bei den Hauptwahlen nur hier und da gemogelt, so war es bei den Nachwahlen direkt ein Massenraub von gegnerischen Mandaten, der mit Hilfe der Behörden vollbracht wurde. Die Bevölkerung Galiziens besteht aus 50 Prozent Polen, welche Westgalizien, während 40 Prozent Ruthenen und 10 Prozent Juden hauptsächlich Ostgalizien bewohnen. Nun bedienten sich bisher die Polen der Juden als Sturmbock gegen die Ruthenen, um diese zu majo- risieren. Die Juden aber, die weder Polen noch Ruthenen, sondern eben Juden und nicht polnische, sondern österreichische Staatsangehörige sind, sahen jetzt durch das geheime Wahlrecht die Möglichkeit, von der Ausbeutung durch die Polen frei zu werden. Sie beschlossen daher das einzig richtige, um den Haß und die Rache der Ruthenen nicht auf sich zu laden, neutral zu bleiben und stellten in den mit einer jüdischen Majorität vorhandenen Wahlkreisen eigene jüdische Kandidaten auf. Dieser ehrliche Weg wurde ihnen von polnischer ^eite arg verübelt und mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln erschwert. Einige Bei spiele genügen, um zu zeigen, was sich in Galizien geheimes Wahlrecht nennt. In Buczacz, wo bei der Stichwahl der jüdische Kandidat Dr. Birnbaum als sicher gewählt erscheinen muß, wird die Auszählung der Stimmzettel über Nacht eingestellt und am nächsten Tage fortgesetzt, wo natürlich der polnische Tchlachtschitz gewählt war Tr. Birnbaum hatte wegen dieser Wahl den Behörden und hochgestellten Amtspersonen in 102. Jahrgang. einem Wiener Blatt die größten Vergehen und Beleidigungen entgegen geschleudert, wurde aber trotzdem nicht gerichtlich belangt. Der Grund war, weil es sonst vor einem unparteiischen deutschen Be richt in Wien zum Prozeß gekommen wäre, der dann diesen ungeheuer lichen Betrug aufdecken würde, was aber doch den polnischen Herrschaften nicht passen mochte. Im Wahlkreis Bclz mit einer jüdischen Wählermane von 70 Prozent wird durch allerhand Manipulationen der dortigen Be- zirkshauptmannschast und mit Hilfe des dortigen Wunderrabbi, der or Wunder wirkte, der Schlachtschitz Richter von Starcinski gewählt. Der- selbe, dem erst vor einigen Tagen im Reichstage der Abgeordnete von Königgrätz, Gras Sternberg, öffentlich entgogenschleuderte, daß dw'e galizischen Wahlen Schwindel seien. Hier erließ man Geldstrafen, dort ermäßigte man sie, wenn man für den polnischen Kandidaten stimmte. Empfehlungen für künftige Militärbesreiung, schnellere Beschaffung von irgendwelchen Dokumenten. Geschenke an Geld spielten auch eine Rolle. Kartoffeln und Feuerholz nicht ausgenommen. Aber den Opponenten erging es schlecht. Ein Arzt, der für den jüdischen Kandidaten agitierte, erhält ein Strafmandat, weil er, obwohl an einer österreichischen Universität pro moviert, die zahnärztliche Praxis ausübt, was ihm aber bisher nicht gestört wurde. Hier wurden oppositionelle Wähler vom Bezirkshaupt mann, dort vom Steuersekretär, Bahnbeamten, Postoffizial usw. ein geschüchtert und verwarnt. Tort wieder riß man ihnen den oppositio nellen Wahlzettel aus der Hand und gab ihnen hierfür einen polnischen. Weigerte sich ein Wähler, ließ ihn der Regierungskommissar von Gen darmen abnihren. Man verweigerte Wählern den Zutritt zur Wahlurne. Ließ keine Vertrauensmänner der gegnerischen Par teien an den Wahltisch. Da Galizien ein noch mit einer großen Zahl Analphabeten gesegnetes Land ist und der Stimm zettel erst mit dem Namen des Kandidaten ausgefüllt werden muß, gab man solchen Wählern eigens falsch geschriebene Stimmzettel. Damit man desto leichter dann diese als ungültig er klären kann. Man schrieb eigens anstatt Dr. Rapaport: Dr. Raport, und so gingen den Ruthenen und Juden verschiedene Mandate ver loren. Wenn dies alles nicht mehr half, ließ man eine Auferstehung von Toten noch vor dem jüngsten Tage vor sich gehen, und diese armen zitierten Geister mußten sich wieder mit diesen ärgerlichen Dingen einer geheimen Wahl plagen; d. h. man ließ auf Namen von Ver storbenen Stimmzettel abgeben. Man erzählt sogar, daß ein Junge in ein Wahllokal gestürzt kam und bitterlich weinend bat, man möge ihm doch sagen, wo sein toter Vater zur Wahlurne gekommen wäre. Man muß nur das 66 Seiten starke Buch, den Protest gegen die Wahl des Abgeordneten Delemba gelesen haben, wie sich Amtspersonen gegen Recht und Freiheit vergingen, fo wird man sich nicht wundern, wenn auch von seiten der Vergewaltigten das Gesetz überschritten warb, was die Polen mit der bewaffneten Macht blutig straften. Nun glaubte man, das Parlament selbst würde das Recht wahren. Aber bei seinem Zusammentritt hatten schon die Ehriitlich-Sozialen mit den Polen ein Schachergeschäft abgekartet. Die Polen verhalfen ersteren zum ersten Präsidenten, wofür diese sich dankbar zeigten und den obenerwähnten Starcinski zum zweiten Vizepräsidenten wählten, Anträge auf Einsetzung einer Untersuchungskommission — von der sicher ein halbes Dutzend Mandate mindestens annulliert worden wären — ablehnten und die Proteste an den Legitimationsausschuß verwiesen. Aber auch hier soll das Recht gebeugt werden; denn als Referenten solcher Zweifelhafter Wahlen wurden immer solche Abgeordnete gewählt, deren Wahl selbst angefochten wurde. Man machte fo den Bock zum Gärtner, einen Schuldigen zum Richter eines andern schuldigen. Allo ein Terrorismus sondergleichen herrschte bei den Wahlen; um so ver- werslicher, als er nicht nur von Privatpersonen, sondern von politischen und Verwaltungsbehörden ausging, die doch zuerst berufen sind, Ge setz und Recht zu üben und auf dessen Befolgung zu achten. Und in einem Lande wie Galizien, wo im zwanzigsten Jahrhundert Fälle von Entführung minderjähriger Mädchen aus Nonnenklöstern vorkamen, wo man den Eltern das teuerste, was sie haben, entfremdet und raubt, und wo ein Minister Picnteck sich nicht schämt, den ihr Kind Fordern den höhnisch zuzurufen: „An der Pforte des Klosters hört die Staats- gemalt aus" — in einem solchen Lande wird die Auflehnung gegen systematische Vergewaltigung verständlich. Doch Mord bleibt Mord. Deutsches Reich. Leipzig, 16. April. * Zur Wahlrechtsreform. Die konservative Korrespondenz für das Königreich Sachsen, die „Sächsischen Politischen Nachrichten", veröffentlich n einen Artikel, dessen erster Teil, wenn wir nickt irren, eine Entgegnung aus m fern Arlikel vom Sonnabend „Aus allcrsickerster Quelle" bekenn n soll. Weiter beißt eS rann in dem Artikel: „Wern auch eine Einigung zwi'cken ten beiten maßgebenden Fraktionen zustande gekrackt wo-den ist, so fehlt doch zu rerselben noch die Zustimmung der Staatsregieruna. Erst nach reu Ferien wirv sich seststellen lasten, ob diese Zustimmung e> total, beziehentlich welche Bedingungen vonseiten der Regierung an rie Annahme der gestellten Vereinbarungen rock ge stellt werken. Nack unserer Kenntnis der Dinge wird voraussichtlich noch vor der Vertagung des Landtages die Vorlage in der Zweiten Kammer verabschieret werden. Die beiden Fraktionen verbandeln umereinander durch einen Vertrauensausschuß, rer bis zur hoffentlich glücklichen Erledigung dieser Angelegenheit in Funktion bleibi." Hierzu ist zu bemerken, daß die beiden großen Fraktionen überhaupt noch nickt Stellung genommen haben zu ren Vorschlägen in dem AuS- ichuffe und dort von einer Einigung weiter entfernt sind als jetzt. — Das Wickiiaste an der konservativen Auslassung ist, daß also doch, wie es von den Nalionalliberalen immer gefoidert wurde, voraussichtlich rie Verabschiedung der WahlrecktSvorlage noch vor der Bertagung der Zweiten Kammer erfolgen wirk. * * Tas Kaiserpaar auf Korf». Der Kaiser und die Kaiserin unter nahmen beute vvimitiag einen längeren Spaziergang bis in die Gegend bei Causue. Die Kaiserin empfing alsdann den Besuch der Kron prinzessin von Griechenland. Tas Wetter ist schön. Von Ackilleion aus sandte der Kaiser folgendes Telegramm an Gentralfeldmarsckall von Hahnke: „Ich bin tieibeirübt Uber die Meldung von dem Brande, welchem die alte Garnisonlircke sobald nach ihrer Renovierung zum Opfer gefallen ist. Allen, die sich an dem Rettungswerk beteiligt haben, insbesondere der Feuerwehr, welche BewunterSwerteS leistete, spreche ick meinen königlichen Dank und meine Anerkennung aus." * Fürst Bülow beim Papst. Gestern begab sich Reichskanzler Fürst Bülow vom Hotel Regina, dem interimistischen Sitz rer prenß, cken Gesandtschaft, aus in Begleitung des Gesandten v. Mühlberg nach dem Vatikan, wo er in einstündiger Audienz vom Papst empfangen wurde. Der Audienz jolgte em Besuch deS Fürsten beim Kardinal-Staatssekretär Merry del Val. Während der eiwa diei- viertel Stunden dauernden Unterhaltung deS Reichskanzlers mit dem Kardinal wurden die Fürstin Bülow und »ach ihr der Gesandte v. Flotow
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