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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.05.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-05-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190805103
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19080510
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19080510
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- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1908
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BezugS-Preit ch, reipzia »ni> Vororte durch unser« LrLzer und Lpediieurr ml Haut gebracht: Vu«gabe L (nur morgen«) vierteljihrlich 3 M.. monatlich I M.; Vusgade U (morgens und abrndt) oiriiel. Illhrlich 4.S0 M., monatlich I SO M. Lurch die Volt ,u dezteben: g- mal täglich) tnnerlialv Teutichland« und der deutschen Kolonien viertel jährlich ,°>,25 M., monatlich 1,73 M. autjchl. Post- dcstellgcld, ür Oisterreich !t it 66 k, Ilnguru 6 li virrlcljahrlich. ferner in Bel- gieu, Länemork, den Tonaultaaien, Italien, Lluxemdurz, Niederlande Norwegen, Ruß land Schiveden, Schwei) und Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch die l-xped. d. Bl. erhältlich. Monnemeni-Annaknne: Auguftu-Platz 8, l-ci uuieren Trägern, Filialen, Spediteuren und «nnadtneiiellen, iowte Postämtern und Briefträgern. Die einzelne Nummer kostet 1V Pfg. Redaktion und Expedition: Iohannirgasseki. Telephon Rr. 146S2, Rr. I46S3, Rr. 1469». Morgen-Ausgabe S. MWMrTagMaü Handelszettung. Ämlsbkatt des Rates und -es Rolizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-P-et- sttr Inleraie au» reipzia und tlmgevung d>« üaespaltene PelitzeU« 2ü Pt., finanziell, Lnzeigen 30 Pi., Reklamen IM.; von autwärti 30 Pf., Reklamen 1.30 M.; vomAullandüOPi., finan;. Anzeigen7üPf.. Reklamen I SO M. Inserate».Behordenin amtlichenDeiläOP'. Beilagegebübr S M. p. Tausend epkl Post gebühr. ldeichästSan,eigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Radau nach Tarif Iefterteille Aulträge können nicht zurück gezogen werde». ,>ür da- Srschelnen an bestimmte» Tagen und Plätzen wird kein» Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: Augustusplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Sxpeditionen de» In- und Autlonde«. Haupt-Sillale Berlik» llarl Duncker, Herzog!. Bayr. Hofbuch handlung, Lützowstraß« 10. lTelephon VI. Nr. 460S). Haupt-Ftliale Lretzden: Secjirabe 4,1 (Telephon 4621). Nr 129 Sonntag 10. Mai 1908. Das Wichtigste vom Tage. * Wie verlautet, wird die sächsische Regierung dem Wahlrechtskompromiß der Parteien zustimmcn. (S. d. des. Art.) * Staatssekretär Dernburg wurde der Aronenorden erster Klasse verliehen. lS. Dtschs. R.) * Der erste deutsche Friedenskongreß wurde gestern in Jena eröffnet. sS. Dtschs. R.) * Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Landwirtschastsgesell- schast, Landesökonomicrat Wölbling, ist in Berlin gestorben lS. Dtschs. R.) * In G ö r l i tz ist bei der im Bau befindlichen Musikfesthalle das Dach eingestürzt und hat 25 Stukkateure begraben. Bisher wurden 2 Tote und 5 Schwerverletzte geborgen. sS. d. des. Art.) * Der russische F i n a n z m i n i st e r Kokowzow hat seine D c - Mission cingereicht. sS. Ausl. u. Letzte Dep.) * Die ungarische Negierung sucht nunmehr der Aus wanderung zu steuern. sS. Ausl.) * Das französische Transportschiff „V>in-Longh" wird für Kaval- lerietronsportc umgebaut, und soll in einigen Tagen IM Pferde und eine Anzahl Soldaten nach Maro kko bringen. Weitere V - r - stärkun gen für Marokko werden vorbereitet. * Der „Ncutcrschen Bureau" wird gemeldet, die feindlichen Stämme der Mohmands hätten die britischen Bedingungen trotzig abgelehnt. (S. Ausl.) * Der amerikanische Admiral Evans erklärte aus einem Bankett, zur Erhaltung des Weltfriedens seien mehr Schlacht schiffe und weniger Diplomaten nötig. sS. Ausl.) Der Einzelne und die Sippe. Als der Deutsche Kaiser bei 'einem dem Kaiser von Oesterreich gel tenden Besuche aus Station Penzing cintraf, waren zur Begrüßung an wesend, außer sämilichen in Wien weilenden Erzhcrzögen und Herzo ginnen und den Spitzen der Behörde, „die Herren der deutschen Bot schaft". So war cs in dem offiziellen Bericht zu lesen, und man hat nicht gehört, daß einer der Botschaftsherren ausgeschlossen gewesen wäre. Dann hat also auch der zweite Sekretär dieser Botschaft, Gras zu Eulenburg, nicht gefehlt. Auf Korfu war es wiederum ein Graf zu Eulenburg, der Ober-Hos- und Hausmarschall, zugleich mit der Verwaltung des Hausministeriums betraut, der in nächster Umgebung des Kaisers ein wichtiges Amt verwaltet hat. So kam der Kaiser mit Trögern des Namens Eulenburg in den Tagen, da dem gefürsteten Träger dieses Namens sich das Schicksal erfüllte, in nahe Berührung. Man hat erzählt: Als das Verhängnis dem ehemaligen Freunde deS Kaisers näherschlich, habe er sich mit einem Briefe an den Kaiser gewandt; dieser aber habe den Brief ungelesen zurückgegebcn mit der bestimmten Weisung, er wünsche nie wieder etwas von lym zu hören. Wenn es so war, so hat sich die kaiserliche Ungnade nicht auf die Blutsverwandten des aus der kaiserlichen Huld Gewiesenen erstreckt. Tas war nicht immer so, und es ist noch heute vielfach anders. Gerade auch in kleineren Verhältnissen. Tritt eine feierliche Scheidung zwischen Hinz und Kunz ein, so überträgt sich die Scheidung leicht auf een Bruder, den Onkel, den Vetter, kurz, das ganze Geschlecht; es wird das Tischtuch zwischen den beiden Familien zerschnitten. Auch die eng lische und skandinavische Geschichte zeigt uns, daß die ganze Familie in den Streit von Familicnercignifsen hineingezozen wurde. Fiet einer in Ungnade, so stürzte das ganze Geschlecht von seiner Höhe herab; hatte der Herrscher auf einen seinen Haß geworfen, so suchte er die ganze Brut zu vernichten. Ost wird dies ein ganz logisclies Vorgehen ge wesen sein. Tie einzelnen waren wirklich im Vanne der Familie. Ihr natürliches Gefühl und die strenge Pflicht der Sippe forderten es, datz sic sich identifizierten mit dem Schicksal, das einem der Ihren zuteil wurde; sein Grimm war ibr Grimm, sein Schimpf auch der ihrige. Es liegt in der Richtung der Emanzipation des Jndivi- t u u m s, daß man beute nicht mehr den Bruder mit verantwortlich macht für das, was der Bruder getan, und daß auch er seinerseits den Haß und den Grimm des Bruders nicht notwendig als den seinen empfindet. Die breite Masse srcilich individualisiert auch heute noch nicht immer. Hat ein Name sich im republikanischen Frankreich verpatzt gemacht, .so wird es dem unschuldigen, aber blutsverwandten Träger des gleichen Namens schwer sein, in eine hochragende Stellung zu ge- langen. Die Leute, die Bazaine für einen Verräter hielten, hätten kaum einen andern Bazaine aus leitendem, verantwortungsreichem Posten unter oder über sich geduldet. Auch das Volk des antiken Athens hätte dergleichen schwerlich ertragen. Es ist das schöne Vorrecht einer aufgeklärten und sich stark fühlenden Monarchie, zwischen Bruder und Bruder, Gatte und Gattin zu unterscheiden und jeden Teil nach seiner persönlichen Gesinnung zu bewerten. Als einst Nobiling die Schuß. Waffe gegen den greisen Kaiser Wilhelm erhoben hatte, da hat, so er zählt man, ein im Heere stehender Bruder des Mörders es nicht für möglich gehalten, die Uniform weiter zu tragen, und der alte Kaiser mußte selbst entscheiden, daß er in der Armee bleibe, und durch die Kundgebung dieses festen Willens dem ganz Verstörten den Halt wieder geben. Eine Namensänderung vollendete den Schnitt, der die Persön lichkeit des einen von der des andern trennte. Und als zwischen oem Grafregenten von Lipve und dem Kaiser ein von der Seite des Kaisers sehr ernst gemeinter Zwist herrschte, da war es den nächsten VeZVandtcn des Grasregentcn doch möglich, im aktiven Dienste zu bleiben. Als Frau von Elbe im zweiten Moltkeprozeß durch Ankläger und Gericht eine wenig beneidenswerte Würdigung erfuhr, da hieß es, ihr Sohn aus erster Eb- sei dicken sensationellen Vorgängen zum Opfer gefallen und habe den L nistersrock ausgezogcn. Die Nachricht wurde dementiert und der junge Leutnant wird, so scheint es, wenn er selber das Zeug dazu hat, durch keine noch so ungünstige Meinung über seine Mutter verhindert werden, die Stufenleiter der militärischen Posten höher hinaufzusteigen. Aehnlich ist cs in der Beamtenschaft. Der Bruder eines sozial demokratischen Abgeordneten und Agitators steht im Staatsdienst. Mit dem Agitator mag geschehen, was will — und cs ist schon manches Peinliche mit ihm geschehen — der Bruder wird nicht dafür haftbar gemacht. Das sind Errungenschaften des Pcrsönlichkcitsbegriffcs, deren wir uns, ganz abgesehen von dem Falle Eulenburg, der den Ausgangs punkt bildete, von Herzen freuen können. So sehr mitverantwortlich ein einzelnes Familienmitglied sich für die andern fühlen mag, so sehr der Vater um den Sohn, der Bruder um den Bruder sich grämen mag, äußerlich soll er doch für sich stehen und nur für sein eigenes Tun haft bar gemacht werden. So sott es bleiben, und wo es noch nicht so ist, soll cs so werden. Denn, gestehen wir es nur: wir haben etwas zu schön gefärbt. So völlig gesichert ist die Nichtverantwortlichkeit des einzelnen für Handlungen eines Familienmitgliedes in Deutschland noch nicht. Mancherlei Zurücksetzungen und Schwierigkeiten können dem einzelnen, dem ein solches Unglück begegnet, noch zuteil werden: von oben, von den Gleichstehendcn und von unten. Möge cs immer mehr dahin kommen, daß Hinz oder Kunz ebensowenig für unverschuldete Ver- sehlungen eines Familienmitgliedes zu büßen hat, wie die Grasen zu Eulenburg für die Verschlungen des Fürsten gleichen Namens. Das rVahlreehtskornproinih. Man darf heute als sicher ansehcn, daß die sächsische Wahlrechts- reform gelingen wird, und zwar noch in dieser Session des Landtages. Vielleicht spielt sogar der 25. Mai eine gewisse Nolle in dem Tempo der Beratungen. Nachdem die Äompromißvorschläge eine starke Ueberzeich- nung — so sagt man ja wohl in der Börsensprachc — gefunden haben und nur wenige Mitglieder der beiden stärksten Fraktionen des Landtags, der konservativen und der nationallibcralcn, ihre Zustimmung nicht erklärt haben, ist eine feste Grundlage gegeben. Es kommt im wesentlichen nur noch auf die Zustimmung der Negierung an. Hier allerdings scheinen dem Beobachter, dem die Politik sich nur aus Dokumenten zusammensetzt, un- überwindliche Schwierigkeiten vorzuliegen. Zlber diese Auffassung dürfte doch trügen; wenigstens hören wir, daß bereits auf Grund der neuen Situation die Regierung sich zu einer Revision ihrer Ansichten entschlossen bat. Graf Hohenthal sll sogar schon die Zustimmung des Königs zur Aufgabe der Kominunalvertreterwahlcn erlangt haben, woraus wieder einmal die Bestätigung der alten Weisheit zu lesen wäre, daß man in der Politik niemals „Niemals!" sagen soll. Ehe wir eine Betrachtung der nunmehr stipulicrtcn Kompromiß vorschläge anslellcn, mag doch der großen Genugtuung Ausdruck gegeben werden, daß cs überhaupt zu einem Halbwegs brauchbaren Wahlrecht kommen und daß dieses Wahlrecht noch in diesen Tagen das Licht der Welt erblicken soll. Es ist tatsächlich viel erreicht worden, und gerade die Anhänger einer freiheitlicheren Entwicklung unseres Volkslebens können mit Befriedigung aus die Dinge sehen, denn es ist doch nun ein einheit liches, mit anderen Systemen nicht verquicktes und keinesfalls dem Minderbesitzenden gegenüber rigoroses Wahlrecht für Sachsen gesichert. Und das ist für uns die Hauptsache. Im einzelnen dagegen kann man manches noch auszusetzen haben. Uns will cs nicht recht cinleuchtcn, daß cs absolut nötig war, den zuerst in Aussicht genommenen zwei Zusatzstimmen noch eine dritte hinzuzufügen. Diese Stimme kompliziert das System ganz unnötigerweise und bepackt es außerdem mit der Bestimmung, die eine Höherbewertung des Wählers wegen seiner finanziellen Verbältnisse ansctzt. Nebenbei ist eine gewisse Unklarheit noch nicht ganz behoben insofern, als man nicht sicher weiß, wofür nun eigentlich die dritte Zusatzstimme gegeben werden soll, ob für die Versteuerung eines Einkommens von 2200 -tk oder für eine Steuer leistung in Höhe von 2200 Anzunehmen ist natürlich das erstere. Jedenfalls wissen wir, daß auch Unterzeichner des Kompromisses die Sache so aufgcfaßt haben. Der Ansässigkeit wegen eine Zusatzstimmc zucr- kcnnen, ist das Hauptzugeständnis an die konservativen Forderungen, denn mit ihr gewinnt die ländliche Bevölkerung einen starken Macht zuwachs. Das die Ansässigkeit ersehende, zuerst angenommene Alter von 50 Jahren für eine Zusatzstimmc ist viel zu hoch. Wenn diese Bestimmung einigermaßen gerechtfertigt werden soll, so müßte das Alter bedeutend herabgesetzt werden. Auch die Gewährung einer Zusatzstimme für das Zeugnis zur Befähigung, als Einjährig-Freiwilliger zu dienen, oder als Beamter 1800 Gehalt zu beziehen, mag manchen Bedenken unter- liegen. Aber es muß eben hierbei immer bedacht werden, daß bei der bis herigen Zusammensetzung der Zweiten Kammer mit ihrem überwältigen den Einfluß der konservativen Partei auf ein allen liberalen Wünschen entsprechendes Wahlrecht gar nicht gerechnet werden konnte, und daß die hier erreichten Bestimmungen gegenüber dem bisherigen Wahlrecht und allen vorher von konservativer oder Regierungsseite aus gemachten Vor schlägen noch das kleinere Nebel bedeuten. Derselbe Gesichtspunkt muß über das Befremden hinweghclfen, daß man die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts erschwert hat. Das Alter von 25 Jahren für das aktive Wahlrecht mag noch passabel' sein, selbst die zweijährige Staatsangehörigkeit kann man verteidigen, wenn auch nur mit gesuchten Argumenten. Man kann wenigstens dafür anführen, daß nach einer kürzeren Staatsangehörigkeit nicht das Verständnis für die besonderen sächsischen Notwendigkeiten vorhanden zu sein braucht. Nebenbei möchten wir hierbei den Vorschlag machen, denjenigen, die schon länger als zwei Jahre in Sachsen ihren Wohnsitz haben, ohne bisher die Staatsangehörig, tcit erworben zu haben, das aktive Wahlrecht sofort mit der Erwerbung der Staatsangehörigkeit zu erteilen. Außerordentlich unglücklich will uns aber der Vorschlag bedünken, das aktive Wahlrecht an einen zwei- jährigen Wohnsitz zu knüpfen. Damit wird ein großer Teil der Beamten zum Beispiel, die einer manchmal recht häufigen Versetzung sich unter ziehen müssen, einfach des Wahlrechts beraubt. Uebcrhaupt will uns der ganze Vorschlag von übergroßer Aengstlichkcit diktiert erscheinen. Gemacht ist er unzweifelhaft, um systematische Devölkerungsverschiebungen vor den Neuwahlen von feiten irgend einer Partei, in der Hauptsache der sozial, demokratischen, zu verhindern. Das ist an sich ein guter Gesichtspunkt, aber es genügt für diesen Zweck auch ganz sicher eine Karenzzeit von sechs Monaten. Selbst wenn man bis zu einem Jahre gegangen wäre, könnte schließlich diese Bestimmung noch passieren. Wir halten jeden- falls gerade diesen Punkt für einen argen Schönheitsfehler des Kompromisses. Wenn für das passive Wahlrecht ein Alter von 30 Jahren, vierjährige Staatsangehörigkeit, vierMriger Wohnsitz und 30 .V Steuer- zahlen verlangt werden, so sehen wir den Zweck der einschränkenden Be stimmungen gegenüber denen für das aktive Wahlrecht überhaupt nicht ein. Doch kann man praktisch wohl darüber zur Tagesordnung übergehen, da die allermeisten Kandidaten diesen Forderungen entsprechen werden. Nun aber muß man noch an die Einteilung der Wahlkreise denken, bei der sich die Konservativen gewissermaßen ihr Reservatrecht gewahrt haben, indem nicht etwa die geographische und wirtschaftliche Zusammen gehörigkeit im wesentlichen ausschlaggebend sein, vielmehr auch die historische Entwicklung berücksichtigt werden soll. Damit kommt man zu 1V2. Jahrgang. der schönsten parteilichen Wahlkreisgeometrie, und es wird großer Ge schicklichkeit bedürfen, nm hier die ärgsten Vergewaltigungen zu verhüten. Die meiste Sorge macht uns aber der Gedanke, daß für die Kammer die alte gesunde Forderung der Jntegralerncuerung schließlich preis gegeben und durch die Drittel, oder irgend eine andere Tcilerneuerung ersetzt werden könnte. Wer jemals in einem Wahlkampf mitgearbeitet hat, wird uns recht geben, daß eine großzügige Wahlbewegung ohne Total, crneucrung der Kammer überhaupt nicht möglich ist. Es wird ewig ein Wählen nach kleinlichen und lokalen Rücksichten stattfinden, wenn nicht das ganze Land aufgcrufcn wird, nm sein Parlament neu zu formieren. DeS» halb halten wir die Bestimmung des Kompromisses, die auch von den Nationallibcralcn unterschrieben worden ist, daß zwar eine Totalerneue« rung gefordert wird, daß man sich jedoch schließlich mit der Drittel-Er neuerung begnügen könnte, für der Nebel größtes. An sich schon will es uns aus rein psychologischen Gründen als ein Unding erscheinen, daß man eine solche Bestimmung in dem Kompromiß aufstellt. Tenn wenn man von vornherein sein Zugeständnis für den äußersten Fall konzediert, so wird kein Mensch den Vorbehalt mehr ernst nehmen. Man wird ein fach die Konzession als perfekt betrachten und dementsprechend handeln. Tie dem Kompromiß nicht bcigctretencn nationalliberalen Abgeordneten werden unseres Erachtens sich hauptsächlich an dieser Bestimmung gestoßen haben, und wir fürchten, daß hier in dem inneren Drange, unter allen Umständen und in möglichst kurzer Frist die Wahlrcchtsvorlage zustande zu bringen, ein dauernder Schaden für das Königreich Sachsen, für seine ganze politische Entwicklung, für die politische Aufklärung der Bevölkerung stipuliert worden ist. Vielleicht läßt sich bei den Plenarverhandlungcn noch insofern einiges gutmachcn, als von liberaler Seite eine Inter- pretation dieses Kompromitzpunktes gegeben wird, die ungleich schärfer, als bisher geschehen, die Forderung auf Jntegralerncuerung der Kammer ausspricht, denn so, wie sie sich in der bisherigen Form des Kom. promisscs ausnimmt, kann man sie nicht einmal mehr als Zierrat bezeichnen. Wir würden cs durchaus verstehen, wenn man zu guter Letzt noch diese ErncuerungSfrage zum Objekt der härtesten Kämpfe machte. D-v Ratgeber ans -em Petersburger Reiseinarkt. (Von unserem Petersburger ^-Korrespondenten.) Petersburg, 22. April/5. Mai. Es existiert zwar schon ein Führer durch Petersburg. Ter aber ist offenbar gleich nach Erfindung der Buchdruckerkunst gedruckt worden und datiert noch aus der Zeit, die der Gründung Petersburgs voran- geht. Oder aber cS sollte auf dem Deckel nicht „Petersburg" siehe«, sondern vielleicht „Peterwardein" oder „Jakobstadt". Tenn alles, was dein gläubiges Gemüt aus ihm an Weisheit und Erfahrung schöpft, ist, wie die Franzosen zu sagen pflegen, „für die Katz'". Es stimmt nämlich nicht.. Darum seien hier dem nach Petersburg Reisenden ein paar Winke, gratis und franko, erteilt. 1) Sprache. Jedermann, der nach Petersburg reist, fragt vor her an: „Nicht wahr, mein Freund, ich komme doch Wohl mit Französisch durch?" Versteht der Frager zusällig kein Französisch, so kann man ihm dreist mit „Ja" antworten. Spricht er cs aber, so wird er zweifel- loS hier „durchkommcn", aber man wird ihn nicht verstehen. Tas Deutsche hört man auf der Straße weit häufiger; namentlich in den Magazinen, wo man in allen Sprachen der Kulturwelt betrogen wird. 2) P a ß. Der Paß ist in Rußland das, was anderswo „Achtung" beißt. Die dokumentarische Wertschätzung der polizeilich geprüften Persönlichkeit. Man halte ibn also möglichst schon vor Betreten des .Hotels in der Hand, um sich keine Unannehmlichkeiten zuzuziehen. Reist man mit einer Frau Gemahlin, so möge sic ihren Paß in der Hand tragen, auch wenn man mit ihr verheiratet ist. 3) Polizei. Darüber darf nichts geschrieben werden. <Vgl. unten zu 5, Teil ll). 4) Droschken. Jede Droschke führt am Rücken des Bockes eine Taxe. Aber es ist den Droschkenkutschern polizeilich verboten, sich nach ihr zu richten. Der Fahrgast, der die russische Sprache nicht beherrscht, nenne deshalb beim Einstcigen ein Preisangebot ruhig in seiner Muttersprache. Beim Anssteigen bat er dann so viel zu zahlen, wie der Kutscher beansprucht. Man weigere sich nicht, vermeide es auch, un- gläubig, höhnisch oder ingrimmig zu lächeln. Tenn erstens nützt das gar nichts und zweitens spucken die Droschkenkutscher äußerst zieltüchtig. 5) Hotels. Fast sämtliche Petersburger Hotels stammen noch aus der Steinzeit. Erst Peter der Große hat sie wieder ousgraben lassen. Modern sind nur drei oder vier; da sie durchweg aber Preise verlangen, die nur von siebenstelligen Personen bezahlt werden können, so hat cs keinen Wert, sie bei Namen zu nennen. Das Wörtchen „Trinkgeld" wird hier in allen Sprachen gesprochen. Mau sei in dieser Beziehung nicht zurückhaltend. Bietet man cs nicht gerade einem Aktionär der Hotelgesellichaft an, so braucht man eine Zurückweisung nicht zu befürchten. 6) Restaurants. Das Essen ist erstaunlich teuer, die Weine dagegen sind kaum zu bezahlen. In den spezifisch russischen Restau rants wird von ruhigen Leuten aus Sauberkeit kein besonderer Wert gelegt. Findet der gut erzogene Gast „Etwas", so legt er es wortlos auf den Tellcrrand. Schlecht gereinigte Teller oder Gläser schicke man nie zurück: denn sic könnten gereinigt werden. In den sranzösi- scheu Restaurants ißt man ausgezeichnet. Die Restaurateure französi scher Nationalität werden hier alle reich und sterben an der Fettsucht. Vom Trinken handelt ein besonderes Kapitel, denn das ist sehr wichtig. 7) Schnaps, Bier, Wein. Der Schnaps ist in Rußland Notionalgetränk: er wird aus Patriotismus getrunken: die Nase ist erst weiß, dann blau und endlich rot, ganz wie die russischen Farben. Bier gibt es in Petersburg nicht und es ist auch danach. Weine, die aus der Krim und dem Kaukasus kommen, soll man in Eholcra- zeiten zu trinken vermeiden. Hörst du aber zufällig einmal von „gru sinischem Portwein", so bekreuzige dich: davon kann man das Grusiucln kriegen. Er wäre wert, von einem Trojan besungen zu werden. Schon nm drei Rubel bekommt man einen trinkbaren Ein-Mark-Mosel. Kognak soll man nie glasweise bestellen; der gläicrweisc Bezug legt von schlechter Ockonomie Zeugnis ab, denn die Flasche wird doch aus- getrunken. 8) Eafäs. Man bestelle dort alles mit Ausnahme von Kaffee. Schokolade wird aus Lakritzensaft gekocht, und es empfiehlt sich, sic bei Heiserkeit zu nehmen. Kuchen esie mau möglichst nur mit dem Papier: man begehre nimmer und nimmer zu schauen. Kann mau es so ein- richten, so wähle man zum Betuch eines EateS stets den Montag, denn die Kellner waschen sich gewöhnlich am Sonntag die Hände für die Woche. Man kann nach jeder beliebigen ausländischen Zeitung fragen, nur soll man nicht erwarten, daß sic einem gereicht wird. Entweder sie ist nicht vorhanden, oder sic wird gelesen, oder beides; der Effekt ist der gleiche. 9) Klubs. Viele von ihnen sind eine Sehenswürdigkeit Sie dienen meist Zwecken der Wohltätigkeit, der Kindererzichung. Waiken- pslege usw. Die Stammgäste deS Klubs gewinnen bei näherer Be- tai ntschast. Mau tut gut, seine eigenen Karten miliubriugen, nm nicht gegen die anderen im Nachteile zu sein Es ist nicht erlaubt, den Re- vclvcr aus den Tisch zu legen Wird man beim Falschspieler) in
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