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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 21.08.1908
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1908-08-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19080821015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1908082101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1908082101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1908
- Monat1908-08
- Tag1908-08-21
- Monat1908-08
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Adonnrm-nl-Annadme > Uugultusplatz S« bei unieren Irtaern. Filialen, Spedueure» »nd Annohmeiiellen, Wwie Postämtern »ob Brieirrägern. Li» einzeln, stummer loftei IV Vs^ «edaktw» an» «rvedUtoni ^ohanuisgasl« 8. Lelevbon Nr. 14602, Nr. I46S3. Nr. I4SS4. Morgen-Ausgabe 8. MMcr Tagtblaü Handelszeitung. Amtsbsatt des Rates und des Votizeiamtes der Stadt Leipzig. Anzeigen-Preis Haupt »Stltale Berlin-. Larl Duncker, Herzog!. Bahr. Hosbuch» Handlung, Lützowstrahe Illi. (Telephon VT, Nr. 460ll). Haupt-Stltalr Lretten: Seestraß« 4,1 (Telephon 4621). für Inserat« au» Lew,,» und Umgebung bi« Sgeipalien« Peiuzeile 25 Pi., linanzielle Anzeige» 30 Pi., Reklamen l M.; von auswärts 3V Pi., Reklamen l.Ä)M.; twm Ausland 50Pi., ftnanz. An,eigen75Pi.. Reklame» 1.50 M. Inserate v. Behörde» i: amilichcn Teil 40 Pi. Beilogegebübr 5 M. p. Taulend »xkl. Post gebühr. Ge>chLO4anz«,gen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach lar> isesterteilte Auiträge können nicht zurüL- aezoge» werden. ,sür da» Erscheinen an beltimmten lagen und Plätzen wird lein« Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: Augustusplatz d», b« jimtlichen Ailialen u. allen Annoncea- (äxpebmonen de» Jo- und Anslanbes. Nr 23l. Freitag 2l. August 1908. 102. Jahrgang. Das wichtigste. * Ter Kaiser ist gestern nachmittag von Mainz aus in Cron- berg eingetroffen. * Der 55. Deutsche Katholikentag wurde gestern ge schlossen. sS. d. bes. Art.) * In England droht infolge einer Lohnreduktion die Aussperrung von 200 000 S P i n n e r e i a r b e i t e r n. lS. Ausl.) * Frankreich verstärkt seine Truppen an der algeris ch-m arokkanischen Grenze von Tag zu Tag. sS.Ausl.) * Die belgische Kammer hat in ihrer gestrigen Sitzung. wie aus Brüssel telegraphiert wird, das gesamt« Kolonialgesetz mit 90 gegen 48 Stimmen angenommen. sS. Letzte Dep.) * In der portugiesischen Kammer kam es zu Tätlich ¬ keiten zwischen einem Deputierten und einem früheren Minister. lS. Ausl.) . * Der Sultan hat eine größere Anzahl hoher militärischer Aemter ausgehoben. sS. Ausl.) * Die außerordentliche Session der Skupschtina wurde, wie aus Belgrad gemeldet wird, durch königlichen Ukas geschlossen. * Ter Stephans-Preis (78 000 Kronen), der gestern in P e st zur Entscheidung kam, wurde von Rittmeister R. Söllingers F.-St. ,A rmada" in einem Felde von sieben Pferden gewonnen. sS. Sport.) Die gelehrten Frauen. Aus Preußen wird uns geschrieben: Es ist schon einige Jahrhunderte her, seit Moliere über die ge lehrten Frauen spottete. Damals hatte der berühmte Schelm ein Recht, so zu spotten, denn er geißelte nicht die Gelehrsamkeit, sondern die Pedanterie, nicht das Wissen, sondern Len Schein deS Wissens und den Aufputz mit äußerem Brimborium. Heute denkt man aber über das Bestreben der Frau, zu lernen, alle Höhen des Lebens zu erklim men und in alle seine Tiefen hinabzusteigen, ganz anders als früher. Man erkennt der Frau das gleiche Recht zu, sich — wie die Mode phrase heißt — „auszuleben", wie es dem Manne seit lange vergönnt ist. Diesen Tendenzen vermag sich auch die Negierung nicht zu ent ziehen, wenngleich sie selbverständlich nicht nur das Recht, fondern sogar die Pflicht hat, Uebertreibungen entgegenzutreten und den über stürzten Gang einer immerhin noch jungen Bewegung zu mäßigen. Mit der Kabinettsorder an den Kultusminister Dr. Holle, durch welche die Reform des Mädchenschulwesens die königliche Genehmigung er halten hat, ist nunmehr ein großer Schritt vorwärts getan. Die Ge- sichtspunkte, die der Bericht des Ministers hervorhebt, lassen sich in oen einen Satz zusammenfassen, daß die wirtschaftliche Entwickelung uns dazu zwingt, die Mädchen mehr lernen zu lassen als bisher, und vor allem ihr selbständiges Urteil zu heben. Bisher hat die ästhetische und die Gefühlsbildung überwogen, es ist hauptsächlich die Phantasie angeregt und das Gedächtnis in Anspruch genommen worden; jetzt soll die Vcrstandesbildung, sowie die Erziehung zu selbsttätiger Beurteilung der Wirklichkeit bevorzugt werden. Zu diesem Zwecke wird in den Lehrplan die Mathematik eingeführt und der natur wissenschaftliche Unterricht soll umgestaltet und verstärkt werden. Selbstverständlich sind hier einige Kautelen eingefügt und cs wirb be- lont, daß die weibliche Eigenart in keiner Weise benachteiligt werden solle; in der Tat wäre ja auch nichts betrübender, als wenn man ver suchte, die weibliche Bildung einfach zu einem ölbklatsch der männ- lichen zu gestalten. Der Gedanke einer solchen Uniformierung wäre im höchsten Grade unsympathisch, denn die Natur hat nun einmal ver schiedene Geschlechter geschaffen, und der Mensch tut gut, in seinen so zialen Einrichtungen den Winken der Natur zu folgen und sie nicht zu vergewaltigen. Es sollen tüchtige weibliche Lehrkräfte herangezogen und die Vorbereitung der jungen Mädchen höherer Stände soll auch :ür akademische Berufe zweckmäßig geordnet werden. Die rasche Ent wicklung unserer Kultur und die mit ihr gegebene Verschiebung der Gesellschafts-, Erwerbs- und Bildungsverhältnisse der Gegenwart haben es mit sich gebracht, daß gerade in den mittleren und höheren Ständen viele Mädchen unversorgt bleiben und viele für die Gesamt heit wertvolle Frauenkraft brach liegt. Der Ueberschuß der weiblichen über die männliche Bevölkerung und zunehmende Ehelosigkeit der Männer in den höheren Ständen zwingen einen größeren Prozentsatz der Mädchen gebildeter Kreise zum Verzicht auf ihren natürlichen Be ruf als Gattin und Mutter. Für sie soll die Ausbildung zur Univer- sitätsreife in Studienanstalten erfolgen, die möglichst an höhere Mädchenschulen angegliedert werden. Man wird anerkennen müssen, daß diese Erleichterung des Uni- versitätsstudiums einem Zuge der Zeit und einem sozialen Bedürfnis entspricht. Außerordentlich sympathisch berührt es, daß die Schul reform doch nicht einseitig die Wünsche einer Minorität berücksichtigt, ondern neben die Ausbildung des Verstandes und die Verstärkung des Wissensfonds auch die wirtschaftliche Ausbildung stellt. DaS junge Mädchen soll im Anschluß an die Schulbildung in den Pflichtenkreis des häuslichen wie des weiteren Gemeinschaftslebens, in die Elemente der Kindererziehung und Kinderpflege, in Hauswirtschafts, und Ge- iundheitslehre, Wohlfahrtskunde, sowie in die Gebiete der Barmherzig- seit und Nächstenliebe eingeführt werden. Um diesen Aufgaben gerecht M werden, ist der Aufbau eines Zweijährigen- oder doch mindestens Einjährigcn-Lyzeums auf die höher« Mädchenschule in Aussicht ge nommen. Die Lyzeen sollen sich darauf einrichten, den jungen Mädchen auch die Möglichkeit der Ausbildung al- Sprachlehrerin, Hauswirt schafts-, Handarbeit-- und Turnlehrerin zu bieten, um aus diese Weise auch denjenigen, welche nicht die Berechtigung als wissenschaftliche Lehrerin erwerben wollen, eine angemessene Betätigung ihrer Kraft zu gewähren. Natürlich ist es im Nahmen eines Leitartikels nicht möglich, auf die Einzelheiten der Reform näher einzugehen, ihre Beurteilung bleibe Fachmännern überlassen. Indessen hat ja fast jede Familie an der Reform ein außerordentlich starkes Interesse, und so mag in diesem flüchtigen Neberblick zunächst wenigstens festgestellt werden, daß die Gedanken, die in ihr zum Ausdruck gelangen, uns gesund und frucht bar zu sein scheinen. Selbstverständlich kommt alles auf ihre Aus- führung an, und hoffentlich treten der Verwirklichung nicht allerhand schulbnreaukratische Bedenken und allzu männliche Vorurteile hemmend in den Weg. Gelehrte Frauen können Ausnahmen bleiben; aber ge bildete Frauen, di- dem Pfanne verständnisvolle Gefährtinnen zu sein vermögen, und die auch selbst in der Lage sind, ihren Lebensweg mit sicherem Schritte zu gehen, solche Frauen tun uns dringend not. Zur Abnahme -er deutschen Auswanderung. Seitdem im Sommer 1907 in Amerika ein starker Konjunkturrück gang eintrat, der in der Industrie und Landwirtschaft in der Union starke Arbeilerentlassungen zur Folge hatte, nahm die Rückwanderung aus Amerika eine große Ausdehnung an, und viele Deutsche kehrten in die alte Heimat zurück. Obgleich die wirtschaftlichen Verhältnisse in Nordamerika sich wieder gebessert haben, ist bisher ein Zurücksluten deutschen Materials in dieiem Jahre nicht beobachtet worden, auch hat die Auswanderung Nichtdeutscher über Bremen und Hamburg nicht im gleichen Maße zugenommen wie in den Vorjahren. Es kann mit Freuden konstatiert werden, daß die deutsche Auswan derung bedeutend abnimmt. Im ersten Semester des Jahres wanderten 7549 gegen 11927 Deutsche im Vorjahre über deutsche Häsen aus, 1500 gegen 2700 über fremde Häfen. Die Auswanderung Deutscher sank also in Jahresfrist um 38 Prozent, und cs ist Hoffnung vorhanden, daß sie noch mehr abnehmen wird. Die schlechten Wirtschaftsverhältnisse in Amerika haben auch die Auswanderung Nichtdeutscher erheblich beein flußt, und die Schiffahrtsgesellschaften klagen über schlechte Geschäfte. So sind im ersten Halbjahre nur 37 760 Fremde über deutsche ^äsen ausge wandert gegen 217 580 im Vorjahre, dies ist eine Abnahme von fast fünf Sechstel. Im ganzen wanderten bisher über deutsche Häsen seit Beginn des Jahres aus zirka 70000 Personen gegen 350 000 im gleichen Abschnitt des Vorjahres, also 80 Prozent Abnahme. Interessant ist eine amtliche Zusammenstellung über die deutsche überseeische Auswanderung seit Bestehen deS Reiches. Die höchste deutsche Auswanderung fand im Jahre 1881 mit 221 000 Deutschen statt. Nach dem Kriege von 1870 stieg die deutsche Auswanderung von 76 000 auf 128 000, fiel bis 1877 bald aber auf 23 000, stieg zu Beginn der 80er Jahre rapide nach den Gründerjahren von 36 000 im Jahre 1879 auf 117 000 11880) und 221000 i1881), von da ab macht sich wieder ein allmähliches Fallen mit einigen Sprüngen bemerk- bar: 1883: 173000, 1893 : 87 000, 1898 : 22 220 sdie kleinste Zahl). Von 1898 steigt die Zahl langsam bis 36 000 s1903) und fällt sodann auf 31600 (1907) etwas. In den 37 Jahren der Statistik wanderten 2 707676 Deutsche aus, also beinahe ^Millionen. Die meisten sind der alten Heimat verloren gegangen, 12 000 von ihnen blieben nur in Europa, fünf Sechstel der Gesamtsumme ging nach Amerika, der Rest nach Australien, Asien und Afrika. Am auswanderungslustigsten sind von denDeutschen die Bayern sl907 wanderten 3404 aus), es folgen Posen s3332), Brandenburg mit Berlin l2725), Hannover l2424), Königreich Sachsen s1925), Rhein- land s1892), Westfalen s1620) usw. Von den 26 deutschen Bundesstaaten waren die Schcwmburz-Lipper am bodenständigsten ssie gaben nur eine Person ab), während das nur wenig größere Reuß j. L. 116 entsandte. Bemerkenswert ist, daß die Elsaß-Lothringer deutsche Häfen vermeiden und hauptsächlich über Antwerpen und Havre auswandern, während die noch südlicheren Bayern und Schwaben größtenteils den Weg über Bremen und Hamburg wählen. Von den 31 700 Deutschen, die 1907 auswanderten, rekrutierten die meisten aus der Land- und Forstwirtschaft, fast 11 000, die Industrie gab 9000, der Handel 3000 ab, Dienstboten waren 2700, freie Berufsarbeiter 800. 30 800 Personen gingen 1907 allein nach Nordamerika, 580 nach Südamerika, 37 nach Afrika, der Rest nach Australien; nach Asien wan derte niemand aus. — Von den 363 615 ausländischen Auswanderern, die 1907 über deutsche Häfen gingen, wanderten nach Nordamerika 347000, nach Argentinien 9000, der Rest nach dem übrigen Amerika, Britilch-Südafrika und Australien aus. Es waren u. a. 120000 Russen, 110 000 Oesterreicher, 113 000 Ungarn und 18 000 aus Balkanstaaten. Petersburger* Brief. (Von unserem Petersburger p.-Korrespondentcn.) Petersburg, 18. August. Wir saßen bei Cubat, mein Freund Germann Augustowitich und ich, und ließen unsere Blicke zufrieden auf der breiten Newa ruhen, die wie ein dunkler Teppich zu unseren Füßen lag. Es war ein herrlicher Sommerabend und wir hatten schwedischen Punsch. Da gehen alle Wünsche schlafen. Alle? Wirklich alle? Ein Wunsch hielt mir die Augen offen. „Kellner", prosanierte ich, „Eure Limonade ist matt. Bringen Sie uns Eis." Ter Blick meines Punschfreundes traf den meinigen. „Du", mur melte er, „im Eise ist etwas drin." Wenn mein Freund Germann Augustowitsch das Dativ-E anhängt, so habe ich stets dasselbe Gefühl, als wenn einer die Notbremse zieht. Das bedeutet stets, daß Gefahr m Sicht ist. Ich bohrte also meine Augen sozusagen mitten in das von Germann Augustowitsch apostrophierte Eisgebilde. Wirklich, es war etwas drin. Da ich kurzsichtig bin, so konnte ich nicht konstatieren, ob dieses Etwa- auch Beine hatte. Aber ich sah ganz deutlich, daß eS schwarz war. Wenn in Rußland etwas schwarz ist, so ist daS in 99 unter IM Fällen dasselbe, als wenn man ,,schmutzig" gesagt hätte. Und diesen ganzen widerwärtigen Dreck im Eise hätten wir ums Haar in das schwedische Gold versenkt! Mich schauderte und Germann Augusto witsch spuckte aus. Unsere Entrüstung war baumgroß. Der Kellner grinste wie ein Nashorn, wenn es verliebt ist, und meinte: „Das schadet nichts, Bärin. Das Eis ist ganz rein. Es wird immer in der Küche abgewaschen." Mein Freund Germann Augusto- witsch bemühte sein Tativ-E aufs neue und erklärte: „Ich glaube, der Mann ist im Recht—?. Die Hauptsache bleibt doch unter allen Um- ständen das Abwaschen." Wir tranken unseren Punsch also ohne Eis. Der Kellner hatte die Nummer 17. ... Man legt bei uns einen ganz besonderen Nachdruck auf das Aeußerlichc. Die Philosophie des Gefrorenen, die uns Kellner Nr. 17 zum besten gegeben hat, sie paßt in alle Lebensvcrhältnisse, die an der Newa vor Anker liegen. Jüngst sah ich eine junge Dame der Gesellschtt veranlaßt, an der Tür zu rühren, die aus dem Leben führ!. Sie wollte sich selbstmorden, denn es paßte ihr etwas nicht. Sie voll brachte ihr Werk allerdings nicht, denn man pumpte ihr noch recht zeitig den Magen aus. Es war ein ganz plebejischer Selbstmord- veriuch: die Dame hatte Schwefelsäure getrunken. Aeuherlich aber ging es dabei höchst romantisch und absonderlich zu. Mademoiselle hatte ein Ballkleid angelegt; sie hatte Girlanden an die Wände ihres Zimmers gehängt und ihr Bett mit weißen Rosen bestreut. Als ich das las, da mußte ich an meine famose Nummer 17 denken: „Das Eis ist ganz rein. Es wird immer in der Küche abgewaschen." Dieses arme Kind, das da glaubte, mit dem Tode scherzen zu dürfen, und eine kleine Flirtation mit dem Sensenmann arrangierte, ist nun aber durchaus nichts Originelles. Nichts ist es, als ein Typus; kein Individuum, sondern ein Teil, der sich von der großen Masse losgelöst hat. Sie sind alle, alle so- die meisten vielleicht, wahrscheinlich sogar, etwas weniger exaltiert. Alle aber tragen sie den lebensmüden Zug um die blassen Lippen, alle haben sie die Lebensfreude, wie tolle Verschwender sinnlos, unnötig Mm Fenster hinausgeworfen. Ach, wie schade ist es um diese russische Jugend!- Sie, an deren Wiege die Intelligenz, die Grazie als Gevatter standen. Vergebens fragst du, woher diese grausige Hoffnungslosigkeit, dieser schale Lebensüberdruß gekommen sind. Sind cs vielleicht die allzu scharfen Kontraste, die unsere Jugend unter die Näder gestoßen haben, die sie zermalmen? Tie Selbstmordchronik der Kinder und Halberwachsenen füllt hierzulande jährlich dicke Bände. Unsere Jugend verachtet das Leben. Sie ist stolz darauf und rühmt sich dessen. Die Briefe, die diese Aermsten, die den Wert des Lebens nicht verstehen lernten, den Ihrigen zurücklassen, klingen alle in die Phrase auS: „Ich bin müde. Das Leben hat mich enttäuscht. Ich verachte den Lebensgenuß." Man ist versucht, zu glauben, daß all diese embryonischen Lebensmüden vergiftet sind. Nicht nur mit Schwefelsäure oder anderen tödlichen Limonaden, sondern mit dem zu hastig geschlürften Lebens- genuß. Bald wird eS Sport werden, sich einander im Erfinden von Martyrien, die zum Tode führen, zu überbieten. Mit sen- timentalen Ergüssen kann man diese Verlorenen dem Leben ebensowenig wiedergewinnen, wie durch echtes Mitleid. Man muß die Energie haben, ihnen zu zeigen, daß dieses Spie len mit dem Tode nichts Heroisches bedeutet, sond-^i etwas« unendlich Häßliches. Denn diese LebenSmiidigkeit ist nichts Echtes. Sie ist gekünstelt, sie ist eine Phrase, die als großes Wort der lieber- zeugunq genommen sein will, sie ist nur auf daS Aeußerlichc. auf den Effekt berechnet. Wenn die Tochter des „Wirklichen Staatsrats", von der ich eben erzählte, gewußt hätte, daß die Zeitungen nichts von der Romantik ihre- Tode- berichten würden, — fast möchte ich weiten lwenn nämlich einer so töricht wäre, die Wette zu halten, woran ich stark zweifele!), daß Mademoiselle das Ballkleid ruhig im Schranke ge- lassen und aus den geschmacklosen Girlanden- und Rosenschmuck ver- zichtet hätte. Und vielleicht hätte die junge Dame dann überhaupt darauf verzichtet, Schwefelsäure zu trinken. Nicht immer freilich zieht die Sucht, effektvoll abzuschneiden, den Mantel der Tragik an. Ich möchte nach soviel Traurigem auch von etwas Lustigem erzählen. Nun soll man zwar von Frauen und Stadt- Verwaltungen nichts Schlechtes sagen, steht im Knigge. Aber ein Petersburger Brief ist doch schließlich ein Brief wie andere und ich hoffe, daß die diskreten Leserinnen das Briefgeheimnis wahren werden. Was aber die Herren Leser anlangt, so möchte ich nur ganz ergebenst daran erinnern, daß wir in Petersburg sozusagen mit der Pistole in der Hand Herumlaufen. Das Duellieren ist sehr in Mode bei uns. Und ich kann versickern, daß bei einem etwaigen Duell, das eine Indiskretion sicher zur Folg« hätte, die Herren Stadtverordneten stets im Vorteile wären, da ihr Kopf durch ein zolldickes Brett gedeckt ist. Also — nichts ausplaudern! Die Stadt Petersburg baute sich vor einiger Zeit ein neues Haus. Denn ihr altes war zwar noch nicht soweit, daß man von einem höheren Stockwerk in ein niedrigeres gelangen konnte, ohne die Treppe zu be nutzen, aber es war festgestellt worden, daß es nicht mehr repräsen- tationsfähig sei. Das neue Haus liegt an der Garlenstratze, die so gar nichts von einem Garten bat, dem bekannten Alerandermarkt gegen- über. Die Luft des Trödelyandels zog dem unternehmensfrohen Archi tekten des Dumagebäudes in die Nasenlöcher und weckte in ihm das Verlangen, etwas zu schaffen, waS den Konkurrenzneid der braven Trödler von vis-a-vis wachrufen könnte. So entstand der neue Bau. Er sieht ganz standesgemäß aus und hat nur einen einzigen kleinen Fehler: seine Mauern waren nicht recht fest. Es gab Risse in ihnen von Daumenbreite und wenn einer der Stadtväter während der Sitzung nieste, so sagten die Kollegen nicht, wie das gewöhnlich der Brauch ist, „Zur Gesundheit", sondern sie bekreuzigten sich und murmelten: „Komme gesund auf die Straße!" Eines Tages beschlossen die Herren der Stadt- Verwaltung etwas Welterschütterndes zu tun. Darum verzichteten sic darauf, von Defiziten und Tramwayhaltestellen zu sprechen und be schlossen, dem Erbauer des neuen Hauses „in Anerkennng seiner emi- nenten Leistung" eine — Gratifikation von A)00 Rubelchen in die Tasche zu schieben. Als das der Architekt erfuhr, der das Tauriiche Palais zum Dumagebäude umgewandelt batte, wurde er gelb. „Wie? War denn in seinem Hause die Decke des Si^ur.gssaales vielleicht nicht herrintergefallen? Was waren dagegen alle Spalten und Ritzen, die sich in den Mauern des städtischen Gebäudes gezeigt hatten? Als ob diese Mauerdefekte nicht auch durch das viele Reden der Stadtverordneten entstanden sein konnten. Da war dock so ein rechter, echter Decken einsturz ein ganz anderes Ding, nicht? Und nun bekommt der Kollege Architekt eine Gratifikation von 2M0 Rubeln, während er. . . ." Von außen dagegen sieht das neue Gebäude der Stadtverwaltung ausge zeichnet aus. Geradeso, wie das — Eis, das uns Nummer 17 serviert hatte. „Das schadet nichts, Bärin. Das Eis ist ganz rein. Es wird immer in der Küche abgewaschen." Ich fürchte, ich fürchte, auch da neue Stadthaus hat sein „Schwarzes im Innern, genau so, wie die Petersburger Krankenhäuser und Asyle. Und eines schönen Tages wird irgend io eine lumpige Zimmerdecke den Stadtvätern aus die harten Männerschädel fallen und an ihnen zerschellen. Dann wird man wahr- scheinlich Kleister kaufen und das freigelegte Gebälk mit Aktendeckeln verkleben. Wie es in der StaatSduma geschah. als der „Potolok" herunterrasselte Die Abgeordneten aber werden eine geheime Sitzung abhalten und beschließen, daß di« glückliche Errettung der Väter der Stadt durch ein Diner zu feiern sei. Dazu wird man den Arzt ein laden. der die Abgeordnetenschädel verbunden hatte und als Ehrengast den Herrn Architekten. Alles wirb gütig und tränenbeströmt und be- trunken sein und der Architekt wird eine Denkmünze und eine Grati fikation erhallen. Und jedermann wird mit sich und der ganzen Welt zufrieden sein, mit Ausnahme eines: des Architekten vom Taurischen Palais. Der wird vor Neid in zwei Hälften zerplatzen und den Schülern der anatomischen Klinik ein Fest macken. Aber auch mein Freund Germann Augustowitich wird sich freuen und bei Nummer 17 eine Woge schwedischen Goldes bestellen.
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