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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.12.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-12-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190912283
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19091228
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19091228
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-12
- Tag1909-12-28
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DezuffS-Pret- str L«tz»rg uad >vor»rt» »xrch >ms«r» LViger und Svrdiirure la« Hau« ««bracht > v<) »z manatl., L.1V «ertrljLdrl Bet unjern flilialea a. Annadmeslellen adgrholtt IS maaatl.. i.LS vierttgahrl. Durch bt« »ok> Innerhalb Lrullchlunda und der dratlchea Kolonien »ierreljihrl. U.liv monatl. »äiv autlchl. Postdetlellacld. sverner in Belgien, DLnemark. d«n Doaaaftaaten. Italien, Luxemburg, «lieberlaad«, kor» wegen, Oesterreich-Ungarn, Nullland, Lchiveben, schwelg ». Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« TeichüCriielle de« Blatte» erchüitllch. Da« Leipziger Lagedlatt erscheint wbchent» llch < mal und «war axrgea« «bnnnemend-lllinmch», > vug»ft»«pl»H 8, bei unseren LrLgern, Illlalru, Spediteur« und Annadinetzellen. sowie PdSLmter» und BrleftrSgcrn. DI» ettlzelne Kummer kostet 1« bledaktlvn und Beschäfttltell« Iobanni-gasse 8. Fernsprecher i I«E. I«««, »«SS«. Nr. 359. KGigtrTagtblM Handelszeitung. ÄmLslikatt des Nates und des Nolizeiaintes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis itlr Inlerai« »ui Leipzig and Umgebung dl« kgespalten, Petitzelle 2k> sinanzielle Anzeigen Äs Reklamen l von audwärt« Ll) keNamen l.A) 0»mAu«!anb Sl)^z, llnanz. Anzeigen dteklamen tLU Inserate». Behörden i» »mUichenDell40^d Beilagegedadr b o. tauient exkl. Posl- gcbübr. Geschitiwan,eigen an deoorzugter Siclle im Brene -rhübl. Radati nach Dari, Festertellt» AusttLg» können nlchl zurüik- gczagen werben. Für da» iLttchelneu an besilinmreo Lagen und LIiyro wird keln« Äarantt» übernommen. Anzeigen-Annahme, Augnklo«platz bei simtlicheu Filialen «. allen Annoneru- lirpedUioaen de» Zn« und Au-Iaade«. H»uvt-8lllal, VerNn: Lari Danaer. Heriogl. Bapr. Hösbach» Handlung, Lügowltiobe llt, lTelepbon V). Ar. Haupk-Fillale LreSderu ketslrage 4,1 (Telephon 46Ä). DierrStcr^, 28. Dezember 1909. >03. Jahrgang. Das wichtigste. * Der Oberbürgermeister von Vromberg Knobloch ist zum Direktor (ersten Geschäftsführer) des Hansabundes gewählt worden. (S. Dtschs. R.) * AuS Kapstadt werden über London graste Diamantenfunde in der Kalahari gemeldet. * Gegen den Prinzregenten Tschun von China wurde ein Attentat verübt. Prinz Tschun ist leicht verletzt. (S. Ausl.) « Bei der Sturmkatastrophe in Oporto haben auch die deutschen Dampfer .Sachsen" und .Nestor" ihren Untergang gefunden. (S. Perm.) * Wie aus New York gemeldet wird, wütete im Osten der Ver einigten Staaten zwei Tage lang ein Sch nee sturm, wie er so heftig seit zwanzig Jahren nicht aufgetreten ist. In Chelsea und Massa chusetts wurden durch eine Sturmflut dreiPersonen getötet und 1ö6 obdachlos. Die größte Schneehöhe betrug 22 Zoll. AuS Phil adelphia wird gemeldet: In New Jork sind nach den bisherigen Fest« stcllungen fünfzehn Personen dem Sturm zum Opfer ge« fallen. Der Gesamtverlust an Menschenleben ist noch nicht zu übersehen. Der Eisenbahn», Telephon» und Telegraphen verkehr ist gestört. (S. auch Verm.) Cesefvüehte aus -ein Atolsnsaletat. Wir haben schon einmal gegenüber allerlei abfälligen Meinungen, die in einem Teil der Prelle zutage traten, darauf hingewiesen, daß der koloniale Haushaltsetat für 1910 erfreuliche Fortschritte in sich birgt und im ganzen genommen den Kolonialfreund befriedigen kann. Damit soll nicht gesagt sein, daß er übersichtlicher und für den ge wöhnlichen Sterblichen verständlicher ist; gerade das Gegenteil scheint uns der Fall zu sein. Aber schließlich ist er auch nicht für die Allgemeinheit bestimmt, sondern für eine Gruppe von Leuten, die sich darin zurechtfindcn oder doch zurechtfinden sollten. Nichtsdestoweniger würde es angenehm empfunden werden, wenn bei der Erläuterung der einzelnen Positionen weniger mit Verweisungen als mit tatsächlichen Angaben gearbeitet würde, denn das allzuviele Hin- und Herblättcrn ist für das Studium des Etat? außerordentlich störend. Nuu noch ein paar Punkte sachlicher Natur, die uns bei diesem Stu- dium ausgefallen sind. Bei Ostafrika ist nicht viel zu erinnern, wenigstens ist es ohne nähere Unterlagen, wie sie den Mitgliedern der Budgetkommission zur Verfügung stehen, sehr schwer, in alle Einzelheiten einzudringen. Es muß immerhin anerkannt werden, daß das löbliche Bestreben, Spar samkeit walten zu lallen, in einer Reihe von Positionen hervortritt, wenigstens in der Zivilverwaltung. Anderseits müllen wir, wie dies schon mehrmals geschehen ist, bei dieser Gelegenheit erneut darauf Hin weisen, daß dieses Bestreben bei der Militärverwaltung zu vermissen ist. Es wird selbst von alten, erfahrenen Schutztruppenoffizieren an erkannt, daß den veränderten Verhältnissen bei der Zahl der Offiziers stellen nicht genügend Rechnung getragen wird. Es wären an vielen Stellen Offiziere überflüssig, denn es gibt drüben eine Menge Leut nants, die nichts zu km haben und den Stationschefs, bei Licht besehen, fast zur Last sind. Ihre Stellen werden lediglich aus alter Gewohnheit weiter besetzt. In früheren Zeiten, als der Stations- und Kompanie- chcf noch eine ganze Menge Verwaltungsarbeit zu erledigen hatte und sich um die Kompanie kaum bekümmern konnte, war eine große Zahl von Offizieren ganz am Platze, denn es war natürlich ein unhaltbarer Zustand, daß oft und viel die Aerzte, statt ihre überaus wichtigen Funktionen ausznüben, Offiziersdienst tun mußten. Heute ist das an den meisten Stellen anders geworden. Die Stationschefs sind von der Verwaltungsarbeit entlastet und wissen oftmals mit ihren Leuten schlcch- terdings nichts anznfangen. Es wäre also sehr zu empfehlen, daß im einzelnen die Berechtigung der Offiziersstellen nachgeprüft würde. Des gleichen wäre die Einschränkung der teuren Dienstreisen sehr zu wünschen. Es geht dabei eine ganze Menge Geld darauf, und manchmal mag diesen Reisen nur der Wunsch zugrunde liegen, den nun einmal bewilligten Etat aufzubraucken. Wir haben dabei ganz bestimmte Fälle im Ange, auf die gegebenenfalls znrückzvkommen wäre. Im Etat für Kamerun vermissen wir vor allem iede Andeutung, daß dem Projekt einer Südbahn irgendwie — durch Nachprüfung der durch die dortigen Handelsfirmen veranlaßten Erkundung der Linte — näher getreten werden soll. Wie uns von verschiedenen zuverlässigen Seiten versichert worden ist, bat Staatssekretär Dernburg den be teiligten Firmen in dieser Hinsicht ganz bestimmte Zusicherungen ge macht, und diese haben infolgedessen auf ihre Kosten das Bahnproiekt Kribi—Lolodorf erkunden lassen und etwa 80 000 .kl dafür ausgcgcben. Nun soll ihnen sang- und klanglos das dem Kolonialamt eingercichte Material zurückgesandt worden sein mit dem Bemerken, daß die Re- gierung nicht daran denke, dem Projekt näher zu treten. Die Aussichten der von den Firmen des Südbezirks seinerzeit zugunsten ihres Bahn- Projektes eingeleiteten Agitation waren gar nicht so aussichtslos, und sie haben diese Agitation seinerzeit nur eingestellt, weil ihnen bestimmt zugesichert war, daß man nach Bewilligung der Bahn Duala—Edea— Widiwenge, die an sich gewissermaßen eine Konkurrcnzlinie für die Südbahn bedeutet, auch dem Südbahnprojckt in verkürzter Form näher treten werde. Und nun werden sie brüsk abgewicsen. Man muß sagen, daß diese Politik der Kolonialverwaltuna ziemlich unverständlich ist. Es ist den Südfirmen hiernach wirklich nicht zu verdenken, daß sie es ablehnen, die nächstjährige Landesausstellung in Duala zu beschicken, die doch in der Hauptsache den Interessen der von Duala ausgehenden Linien dient und geeignet ist, den Nordbezirk auf Konto des SüobezirkS in den Vordergrund zu stellen. Dazu kommt, daß die Negierung immer noch nicht der Vertretung des Handels im Süden, der Handelskammer in Kribi, die Rechtsfähigkeit verliehen bat, mit der Begründung, daß der Vorsitzende der Kammer — kein Kaufmann sei. Nach Laac der Ver hältnisse ist es aber keinem der Kaufleute des Bezirks möglich, den Vorsitz zu übernehmen, die dortigen Firmen haben daher den Rechts anwalt Dr. Prange als Vorsitzenden gewählt, der zufällig dem Gouver nement nicht sonderlich genehm ist, und den man nicht zum Mitglieds des Gouvernementsrates haben will, welche Würde dem Vorsitzenden der Handelskammer in Kribi, wenn sie rechtsfähig ist, zulommt. Noch einen Posten vermissen wir im Kameruner Etat, nämlich die Mittel für die Anstellung von Wanderlehrern, zu Kulturversuchen usw. Vor reichlich zwei Jahren wurde ein Ausfuhrzoll auf Kautschuk s40 Pf. vro Kilo! einacsübrt. Die von den Handelsfirmen dagegen vor- aebrachten ernsten Bedenken wurden seitens des Kolonialamtes durch die Zusicherung zum Schweigen gebracht, daß die Regierung« die Ein nahmen zum Teil zugunsten des dadurch belasteten Handels verwenden werde. Und zwar in der Form, daß Wanderlehrer angestellt würden, die die Eingeborenen zu rationeller Gewinnung des Kautschuks anzu leiten hätten. Ferner durch regierungsseitig zu veranlassende Pflanz versuche. Die Negierung erhebt nun schon seit zwei Jahren den Aus fuhrzoll und hat schon Hunderttausende dafür vereinnahmt, aber von den versprochenen Gegenleistungen hat man nie wieder etwas gehört, obwohl Gouverneur Dr. Seitz seinerzeit vor seiner Ausreise in die Ko lonie den Vertretern des Handels dis Erfüllung jener Gegenleistungen nachträglich noch besonders bestätigt hatte. Beim Etat für S ü d w e st a f r i k a berührt es, wie schon bet Be sprechung der Eisenbahnvorlage betont, überaus sympathisch, daß die unverhofften Mehreinnahmen aus der Diamantenproduktion, von denen man nicht weiß, wie lange sie dauern werden, sofort zum großen Teil dazu benutzt werden sollen, um der Kolonie ein gutes Eisenbahnnetz zu schaffen, wie es Britisch-Südafrika auch nicht viel besser bat. Die Ko lonie kann Dernburg und ihrem Gouverneur dafür nur dankbar sein. Was wir aber an dem Etat beanstanden, ist die überaus unzulängliche Dotierung der neu geschaffenen Gemeinden, und wir können nur wieder holen, was wir jüngst schon einmal gesagt haben, daß wir es für un statthaft und kurzsichtig halten, wenn der Fiskus, nur um einen günstig aussehcnden Etat zu erzielen, auf Kosten der gesunden Entwicklung der jungen Gemeinden und damit der Wirtschaft des Landes sich seine eigne Finanzwirtschaft möglichst beguem einrichtet und es den Kommunen über läßt, sich den Kopf über die Beschaffung der notwendigen Gelder zu zer brechen. Besonders schmerzlich wird es in der Kolonie empfunden, daß das von Dernburg bei seiner Anwesenheit in der Kolonie versprochene Kre ditinstitut immer noch nicht ins Leben gerufen ist. Um so mehr hätte man erwarten dürfen, daß von dem unverhofften Gewinn aus der Dia- mantengewinnung einstweilen ein Fonds zur Unterstützung notleidender Farmer geschaffen worden wäre. Da den Leuten nach Ansicht von Ken nern meist schon mit 2000 bis 3000 Mark vollauf gedient wäre, so hätten schon 100 000 Mark ausgcreicht, um zahlreichen Existenzen, die es verdienen, auf die Beine zu helfen. Namentlich handelt es sich dabei um Ansiedler im Nordbczirk, die wegen der landwirtschaftsfeindlichen Tarif politik der Otavibahn auf keinen grünen Zweig kommen konnten. Es läßt sich ja nicht verkennen, daß die Schaffung eines Kreditinstituts überaus schwierig ist, weil die südwestafrikanischcn Farmen, namentlich wenn sie dazu noch verschuldet sind, keine rechte Beleihungsgrundlage bieten. Aber nichtsdestoweniger darf sich unseres Erachtens die Koko- nialvcrwaltung nicht auf den Standpunkt stellen, dem Dernburg seiner zeit Ausdruck verlieben haben soll: die Negierung könne sich nicht darum kümmern, wenn einige Dutzend Farmer zugrunde gehen. Es stehen in diesem Fall denn doch nicht nur rein materielle und rein persönliche Interessen auf dem Spiel, sondern auch ideelle und allgemein-koloniale Interessen. Dies haarscharf nachzuweisen, ist nicht notwendig, das muß man im Gefühl haben. Man sollte meinen, daß der Reichstag sich ver anlaßt fühlt, für die in Frage kommenden Landsleute zu sorgen. Mit 100 000 Mark ist, wie gesagt, viel zu machen. In Neu-Guinea zieht ausweislich des Etats der Fiskus immer noch Vorteil aus den verpönten Ausfuhrzöllen auf Plantagen produkte. Es ist eigentlich bedauerlich, daß man für diese volkswirt schaftlich verpönte Einrichtung, die soviel geschadet hat, nicht anderwei tigen Ersatz zu schaffen verstanden hat. Vielleicht befaßt sich der Reichs tag jetzt mit dieser Frage. Auch auf Samoa hat man anscheinend nicht übel Lust, denselben Mißgriff zu machen und auch dort ähnliche Konflikte hervorzurirfen, statt daß man versucht, die Eingeborenen allmählich stärker bcranzuziehen. Wir verstehen insbesondere nicht, warum man mit solcher Aengstlichkeit die Einnahmen aus der Kopfsteuer der Eingeborenen der Allgemeinheit entzieht und ausschließlich der sogenannten Eingeborenenverwaltung, in unfern Augen einer Spielerei, vorbehält. Es wäre jedenfalls nicht not wendig. sogar die Ueberschüsse, die erzielt werden, zu diesem unprodnk- tiven Zweck zu reservieren. Wenn wir nun einmal Samoa als deutsches Land betrachten, so entspricht es keineswegs den Grundsätzen politischer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, wenn die Kosten der Verwaltung der Kolonie ausschließlich vom Mutterlande bzw. der Weißen Bevölkerung getragen werden. Tenn die Eingeborenenverwaltung ist in der Haupt sache nicht ernst zu nehmen, sondern nur eine Konzession, die der Eitel- keil und Begehrlichkeit der eingeborenen Häuvtlinae acmackt wirt» Damit genug für diesmal. Mit diesen Nnssübrunaen sollen nur ein paar kleine Winke für d>e Etatsberatung gegeben werden. Loubet Liber -Le deutsch französischen Beziehungen. Der frühere französische Präsident Emile Loubet hat mit dem be- kannten Schriftsteller Adolphe Brisson vor einiger Zeit eine Unter haltung über die europäische Politik gehabt, deren Inhalt jetzt in einem Artikel aus Brissons Feder in der „Neuen Fr. Presse" unter der hoch trabenden Ucberschrift „Die Fürsten Europas, Erinnerungen des Herrn Emile Loubet" wicderqcgcbcn wird. Loubet soll die „lln'dankbarkcit" als ein „Gewächs der Demokratie" bezeichnet und we.ter einige Belang- losigkcitcn über den Zaren und rcn König von England zum oeften ge geben haben und schließlich auf den Deutschen Kaiscr zu sprechen gekommen sein. Sachlich Neues bietet Herr Loubet eigentlich nicht; ausfällig ist nur, daß er gerade jetzt aus seiner Präsidentenzeit erzählt, während er sich bisher in Vieser Beziehung sehr zurückhaltend gezeigt hat. Daß Loubet eine deutsch-französische Annäherung begünstigt hat, daß er im Iakre 1906 beinahe mit dem Deutschei'. Kaiser zujammcngetroifcn wäre, ist ebensowenig ein Geheimnis wie die Sehnsucht der Franzosen nach einer Verständigung über Elsaß-Lothringen, natürlich in franzö sischem Sinne. In der Pariser Presse haben die Ausführungen Loubet- Brissons bereits recht unfreundliche Kommentierungen hcrvorgerufen. Infolgedessen hat Loubet den Rückzug angctreten, indem er die „Agence Havas" zu der Erklärung ermächtigt hat, daß er entgegen dem Inhalt des verössentlichtcn Interviews weder über Ereignisse während seiner Präsidentschaft noch über eine aktuelle Frage der europäischen Politik ein Urteil abgegeben habe. Trotz dieser Abschwächung halten wir es aber für die Pflicht der politischen Chronik, von dem Inhalt ienes Artikels, soweit er sich auf den Kaiser bezieht, Kenntnis zu geben. Brisson bat nach seiner Darstellung im Verlause der Unterhaltung Loubet gefragt, ob er sLoubctj persönliche Beziehungen zu Liaiser Wilhelm II. gehabt und ein Zusammentreffen mit dem Deutschen Kaiser gewünscht habe. Herr Loubet erwiderte, er hätte gern ein Zu sammentreffen mit dem Kaiser angenommen. Eine solche Entrevue war fast beschlossene Sache. Es war abgemacht, daß die deutsche und die französische Flotte sich im Jahre 1906 in den italienischen Gewässern treffen sollten. Um jede Zweideutigkeiten zu vermeiden und seinen guten Willen zu zeigen, übernahm Herr Loubet die Initiative zu einem Besuche, den Kaiser Wilhelm ihm bald darauf erwidern sollte. Eine „ungeduldige, etwas heftige Gebärde des Kaiser s" und seine plötzliche Abreise brachten das Projekt zum Schei tern. Loubet bedauert das. Er hätte gewünscht, es möchte seiner Prä sidentschaft beschicken gewesen sein, alle Schwierigkeiten zu lösen, alle Streitigkeiten zu mildern. Er hätte sie gern zu einer Apotheose des Friedens gestaltet. Der Vorgänger des Präsidenten Jalliöres fuhr wörtlich fort: „Ich weiß sehr gut, daß zwischen den Völkern Europas noch keine vollständige und endgültige Harmonie herrscht. Aber wenn die Idee des ewigen Friedens auch noch keine offizielle Anerkennung gefunden hat, wenn sie die Völker noch nickt entwaffnet, so geht der Friedensqcdanken dennoch seinen Weg, vollbringt eine langsame unter irdische Arbeit und sät Keime, die einstmals Früchte tragen werden. Seit beinahe vierzig Jahren hat es keinen großen europäischen Krieg gegeben. Das ist ein Erfolg, das ist ein in der Geschichte einzig da stehendes Phänomen. Als man vor einiger Zeit glaubte, Frankreich und Deutschland würden feindlich aneinandergeraten, als man auf jeder Seite der Grenze bereit war, sich zu schlagen sdie Festigkeit, die wir bei dieser Gelegenheit zeigten, machte uns Ehre), konnten wir uns dennoch nicht entschließen, an bcn Krieg zu glauben. Man weigerte sich, daran zu glauben, man wies den Gedanken an eine Metzelei von sich, wo Tausende menschlicher Wesen umgekommen wären. Und Sie sehen, die Hoffnung der Vernünftigen hat recht behalten, da schließlich die Klug heit und Vorsicht Wilhelms II., unterstützt von der Erfahrung und der Weisheit des Kaisers von Oesterreich, die Katastrophe vermieden. Bündnisse und Ententen werden heute nicht mehr zum Zwecke des Krieges, sondern des Friedens geschlossen. Darum bedroht kein Bünd nis das andere. Der Dreibund kann neben der Tripel- Entente bestehen. Das enge Verhältnis zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn hat den Frieden während der bosnischen Krisis er- halten und ermöglicht, daß Frankreichs Friedensratschläge in Belgrad guten Boden fanden. Ohne den internationalen Frieden zu stören, ohne leine Verbündeten zu verlassen, kann Italien überall die guten Be ziehungen pflegen, die seinen Interessen entsprechen. Daß Rußland und England sich einander genähert haben, schließt nicht aus, daß Ruß- land auch mit Deutschland und Oesterreich gute Nachbarschaft hält, daß es sich mit Oesterreich da verständigt, wo beider Länder wohlverstandenes Interesse eine Verständigung erheischt. . . Tie Idee des Friedens geht ihren Weg. Ich habe Vertrauen in die höhere triumphierende Macht der Idee. Sehen Sie, es gibt ein Problem, an besten Lösung die Ruhe der Welt hängt. Solange Frankreich und Deutichland sich nicht verständigt haben, um kraft genieinsamen Willens und in freundschaftlicher Weise das Schicksal Elsaß-Lothringcns zu ordnen, so lange wird ein Sauerteig von Zwiespalt, von schleckt er loschenem Haste weiter gären, so lange werden Keime von Zwist und Konflikt bestehen. Hat der Kaiser nicht in unzähligen Rüden der Welt seinen unwiderruflichen Beschluß verkündigt, nichts an der gegenwär tigen Ovdnung der Dinge zu ändern? Nun denn, trotz seiner kriege rischen Erklärungen und seiner rauhen Unnachgiebigkeit wird er viel leicht eines Tages, nächstens, morgen sich veranlaßt sehen, das zu tun, was er als ewig unerfüllbar bezeichnet hat. Wer weiß, ob nicht in einem Jahre um dies« Zeit ein Monarch mit federbusch umwallter Pickelhaube durch die Straßen von Paris zieht? Wer weiß, ob schöne Pariserinnen dann nicht Wilhelm II. mit Blumen begrüßen? Die Kraft der Verhältnisse, der nichts entrinnt, trägt den Sieg über Menschenwillen davon. Wir werden von einer geheimnisvollen Logik geführt." Da Herr Loubet die Unterredung durch sein Dementi bereits der Bedeutung, die ihr möglicherweise hätte zugesprochen werden können, entkleidet hat, erübrigt sich vorläufig ein weiteres Eingehen auf den Inhalt des Brissonschen Artikels. Deutsche» Reich. Leipzig, 28 Dezember. * Bevormundung sächsischer Gemeinden. Die ministerielle „Ver ordnung" über das Finanz, und Anleihewcsen der sächsischen Gemeinden ist bereits der Stadt Schneeberg verhängnisvoll geworden. Tiefe Stadt will eine Anleihe von 700 000 .L ausnehmcn, und zwar für den Ankauf der Gasanstalt, die einer Privatgesellschaft gehört, die Moder nisierung des Wasserwerks und die Anlage eines Elektrizitätswerks, sowie für den Umbau des Rathauses, der auf 200 000 veranschlagt worden ist. Die Finanzlage der Stadt ist sehr günstig, sie verfügt nach Abzug der Schulden in Höhe von 391907 .kl und eines nicht nutzbringen den Vermögens sSchulhänscr und dergl.) über ein nutzbringendes Reinvermögen von 2 637 000 .<l. Es ist also absolut keine Gefahr vor handen, daß sich die Stadt mit der Anleihe übernimmt. Die Aufsichts behörde hatte auch gegen die Kapitalaufnahme für die produktiven Un ternehmungen nichts cinzulvcnden, aber die 200 000 .tl für den Rat hausumbau beanstandete sie, weil eben die erwähnte Verordnung für Bauten zu „unproduktiven Zwecken" sRathäuser, Schulhäuser usw.f Anleihen nickt zulasten will. Man soll die hierzu erforderlichen Sum men ersparen, also aus Steuern zurücklegcn. Die Angelegenheit wurde nun vor dem Kreisausfchuß in Zwickau verhandelt. Dort wandte sich Oberbürgermeister Dr. Schmid-Plauen sehr entschie den gegen die ministerielle Verordnung. lieber seine Ausführungen berichtet das „Zwick. Tagcbl.": Oberbürgermeister Dr. Schmid hält überhaupt die angezoaene ministerielle Verordnung für ein Unding und erklärt sie offen für ein wenig glückliches Produkt der Staats- regie rung. Als Verordnung sei dieses Produkt überhanpt unmöglich, höchstens hätte sic als Denkschrift eine Berechtigung. Auf die Dauer, damit könne man sich aber unbedenklich im Angesicht dieser Verordnung trösten, sei dieselbe unmöglich aufrecht zu- erhalten, das würden die beteiligten Ministerien schon sehr bald einseben. Dann enthalte die Verordnung auch eine grenzenlose Un- gerechtigkeit kleineren Städten Sachsens gegenüber. Dresden, Leipzig hätten kostbare Natlmusbanten, die Millionen erforderten, aus Anleihemittcln erbaut, Chemnitz stcbe ebenfalls vor einem bereits genehmigten Prunkneuban eines Rathauses, warum sollen kleine Ge meinden sich nicht einmal einen bcfcheidenen Umbau leisten können
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