hat schon oftmals Künste erstarren oder schwinden gesehen. Das bei den Hellenen so beliebte Theater war im Mittelalter fast unbekannt. Die Marionetten, mit denen unsere Vorfahren im 18. Jahrhundert sich so ausschließlich beschäftigten, sind in unseren Tagen so gut wie ganz verschwunden. Und es gibt keinen Menschen auf der Welt, der verstehen oder sich vorstellen könnte, wie man Oden von Pindar, das größte griechische Kunstwerk nach dem Geschmack der Alten, tanzte ! Wir wollen uns beeilen und das Kino genießen! Es war ein göttliches Narkotikum, das ein gütiges Geschick der Menschheit des Kriegs für einen Augenblick lieh. Bald wird kein Geschäft mehr damit zu machen sein, und nichts als die Erinnerung wird bleiben, ein Schatten jener Schatten. 1918 wird bedeuten : Foch, Hindenburg, Charlie Chaplin und Fairbanks. Der Ton» und Sprechfilm ist nur eine Etappe. In spätestens fünfzehn Jahren wird auch er alle Fabeln aufgebraucht haben, dann wird auch er eine Krise erleben. Und wie der stumme Film wird er sich dann entscheiden müssen, ob er zu einer Kunst werden oder sich auflösen, ob er erfinden will — oder sterben. Wir leben nicht mehr in einem Zeitalter, da der Menschengeist menschliche Dinge und Künste leicht erfindet. Er gleicht diesen Mangel durch Entdeckungen auf dem Gebiet der Mechanik aus. Wenn die zwölftausend Fabeln, die die Unternehmer auf Lager haben (in Hollywood geht das Gerücht, daß dies die Gesamtsumme aller existierenden Fabeln wäre), durch den Tonfilm verkündet sind, wird man sie im Farbenfilm zeigen. Und wenn der Farbenfilm wiederum die zwölftausend Fabeln verkündet hat, wird das Fernkino sie zeigen, das die Fähigkeit besitzen wird, die» selben Bilder von einer Zentralstation aus auf alle Wände einer Stadt zu proji» zieren. Wenn das Fernkino die zwölftausend Fabeln verkündet hat, dann wird irgend ein Ich»weiß»noch»nicht»was, dessen Schöpfung die Industriellen und Ge» lehrten jedoch dann vollbracht haben werden, der Menge wiederum die zwölf» tausend Fabeln in einem neuen Verfahren zeigen. Auf diese Weise kommt es Künstlern, Gelehrten und Publikum durch Jahrhunderte hindurch nicht zum Be» wußtsein, und sie brauchen nicht darüber nachzudenken, was denn eigentlich Neues daran wäre; siebewundern nur ihre unerhörte Genialität und den ständigen Fortschritt der Menschheit. Vielleicht wy-d eines Tages irgend jemand, der Zeit dazu hat und sehr an» spruchsvoll ist, ein Mittel entdecken, die Wissenschaft zu zivilisieren und eine Er» findung in eine Kunst zu verwandeln, wie es beim Theater manchmal vorkam, und wie es beinahe dem guten, alten stummen Film geschehen wäre. Bis zu dem Zeit» punkt, da der Mensch über seine eigene Wissenschaft nicht mehr staunen und lernen wird, lieber mit sich selbst als mit Maschinen zu spielen, wollen wir feierlich das Kino begraben, das reizvolle, dunkle Asyl, das uns die Wissenschaft durch einen Zufall bescherte, wo unsere Müdigkeit und unsere Sehnsüchte sich an Bildern einer hellen, schönen Menschheit ergötzten. Laßt uns einen Flügel des Louvre für das Kino»Museum reservieren! (Deutsch von Eva Afaag)