Die Vorherrschaft des Auges Von Joseph Delteil D er Film durchlebt eine schlimme Viertelstunde. Von allen Seiten wird er angegriffen und zwar von Meisterhand — denn er hat sich erlaubt, Sprech film zu werden — und merkwürdigerweise erhebt sich niemand, um seine Ver teidigung zu ergreifen. Wie haben sich die Zeiten geändert! Noch vor drei oder vier Jahren hätten sich bei den geringsten Anzeichen einer Gefahr tausend Schilde erhoben. Damals war der Film ä la mode und noch nicht gefährlich: Kinder um schmeichelt man gern. Es lebe der Film! Das genügte, um ohne viel Mühe fortschrittlich zu scheinen ... Heute steht er ziemlich verlassen da — so verlassen wie Chap lin! Seine Feinde sind am Ruder . . . Zunächst muß aller dings einmal festgelegt werden, von welchen Filmen die Rede ist. Es ist ein merkwürdiger Doppelsinn, mit dem Wort Film die arm seligsten, lächerlichsten Machenschaften zu be zeichnen. Da nutzt es auch nichts, von Ver gnügen für Anspruchslose zu reden! Der Unterhaltungsfilm ist genau wie der Unterhaltüngsroman ein Vergnügen für Anspruchslose! Wenn wir aber vom Film reden, so ist damit selbstverständlich „Goldrausch“ oder „Potemkin“ gemeint, genau so, wie wir, wenn wir von Literatur sprechen, an Valery denken. Alles andere zählt nicht. Daß es bis heute im Film nur ganz wenige Meisterwerke gibt, tut nichts zur Sache. Es werden jährlich durchschnittlich zehntausend Bücher publiziert. Wieviel Meisterwerke gibt es darunter? Etwas anderes: der Film ist ungefähr zwanzig Jahre alt. Die französische Lite ratur geht bis auf Karl den Großen zurück. Der Film hat also noch Zeit, Proben zu liefern, und es ist höchst ungerecht, schon jetzt die Früchte der Reife von ihm Csaky (Aquarell) 9