Wie wird man Abgeordneter? Von 0. B. Server D er Beruf des Abgeordneten ist ein schöner Beruf, schon wegen der langen, langen Ferien und der, auch während der Ferien als Schweigegeld weiter bezahlten, recht nahrhaften Diäten. Auch das Freibillett erster Klasse, der be stechende Visitenkarten-Effekt des M. d. R., die Persönlichkeitssteigerung, das Sesam-öffne-dich bei allen Türen, vom Ministerium bis zum Chef-Kontor, vom Universitäts-Dekanat bis zur Redaktion, und schließlich der Jagdschein der Immunität, so viel würdevoller als der des § 51, sind nicht zu verachten. In Deutschland wird man Abgeordneter durch die Partei. Alles das Gute und Schlechte, was über das deutsche Parteiwesen zu sagen wäre, trifft für die Auswahl der Parlamentskandidaten zu. Die Darwinsche Auslese, die zum Überleben der Passendsten führen soll, ist leider auch bei der Auswahl der Volksvertreter nicht so häufig wirksam, wie sich gläubige politische Kinder das vorstellen. Es führen verschiedene Wege zu dem beliebten Beruf. Der sichtbarste, ehren vollste, aber auch der aufreibendste Weg zu einem Mandat ist der über die Popu larität. Dafür ist aber der, der ihn ging, auf Lebenszeit versorgt. In aller Demut muß seine Partei ihn bitten, die Spitze ihrer Kandidatenliste zu zieren. Popularität ist: wenn jeder schon einmal den Namen gehört hat. Die Öffentlichkeit besteht hauptsächlich aus der Presse, dem Versammlungslokal, der Litfaßsäule, dem Nachbarn, den unbekannten Mitreisenden, dem Radio, der Wochenschau, den Anekdoten der gegnerischen Witzblätter. Wie man es anstellt, die Medien der Öffentlichkeit in Trance zu versetzen, das ist eine ganz besondere Begabung, die nicht gelehrt und noch nicht einmal definiert werden kann. Ebenfalls nicht zu lehren und gewissermaßen durch die Geburt bestimmt sind andere Fähigkeiten, die auch, richtig angewandt, mit ziemlicher Sicherheit zu einem Sitz in dem souveränen Machtkörper führen, bei dem „alle Gewalt vom Volke ausgeht“. Es sind nicht so sehr persönliche Fähigkeiten, es sind mehr die Fähigkeiten der Geld- und Machtmittel, die eine Persönlichkeit hinter ihrem Rücken hat. Wahlen kosten Geld, viel Geld. Es gibt auch Käuze, die hiezu das eigene Geld verwenden, nur aus dem rührenden Ehrgeiz, Abgeordneter zu werden. Diese Typen sind in Deutschland besonders selten, denn Deutschland wählt Listen, das Geld kommt in die Wahlkasse, und da gibt’s leicht Kuddelmuddel. Was nützt es Herrn A., wenn sein Geld dann doch für die Wahl des Herrn B. verwendet wird? Weniger rührend als der Ehrgeiz der Selbstzahler sind die volksvertretenden Stroh männer gewisser zahlender Industriegruppierungen. Um solch einem Mandat seinen Namen zu leihen, muß man viel Reputierlichkeit und wenig Gewissen, viel Personalkenntnis und wenig Eigenwilligkeit, viel Einfluß in den parlamentarischen Ausschüssen und wenig Beziehung zur Wählermasse haben. Für diese Art Kandidaten ist das Parlament nur eine Durchgangsstation. Ihre Karriere geht hoch darüber hinaus und endet in den Klubsesseln der schwerindustriellen Direktionsbüros. Ein anderer, diesmal wieder ein ehrenvoller Weg, der aber große Anforderungen an das Sitzleder stellt, ist das Hinauf-Dienen. Mit dem Zettelverteilen fängt es an. Über die Mitglieder-Kartothek, den Versammlungsbericht, das Festkomitee, die Kassenverwaltung geht es weiter. Dann kommt der Sitz des Revisors, beigeordnet 313