27 mu CRQ6 «HU 19 Et ne Pariser Croteske von Ulrich Becher igneau, Madam Kecke und Pawlitschek wohnten zu dritt in einem alten gritzgrauen Haus in Paris. Schritt man von Notre Dame her über die Brücke über den breiten Fluß, dann einige Schritte an der Kaimauer mit den Ständen der Altbücher-, Altbilder- und Altwaffenhändler entlang, dann wieder rechtsschwenkend in das Gewirr von engen Gassen und struppigen kleinen Häusern, so sah man sich unverhofft vor einem riesenhaft quersteigenden Holzpfahl. Das Haus war so betagt, so baufällig, so erdengrau und so ins Auge springend schief vorgeneigt, daß es von einem mannsdicken Balken hatte gestützt werden müssen, der nun weit über den Bürgersteig hin ausragte und unter dem die einen unbehaglichen Schrittes hindurchgingen, andere, weniger ent schlossene wichen ihm im Bogen aus, manche stießen auch — gewöhnlich in der Dunkel- oder Trunkenheit — mit erschrockenem Aufschrei gegen den Leiseächzenden, verharrten sekunden lang in stummem Schmerz; darauf begannen sie schrecklich auf Madam Keckes altes Haus zu fluchen. Drohungen wurden laut. Ein angeheitert heimkehrender Tischler aus der Nachbarschaft, der bei dem Anprall einen schmerzhaften Schaden an seiner Nase davongetragen hatte, hatte sogar geschworen, dieser verwünschten Elsässerin den Balken schlankweg abzusägen. Behördlicherseits war Madam Kecke zu wiederholten Malen nahegelegt worden, in den Abriß des Hauses einzuwilligen, was sie stets mit all der ihr eigenen lorgnon betonten Entschiedenheit verweigerte. Madam Kecke saß in ihrem Haus wie ein alter Vogel in seinem unerreichbar hohen Nest. Schließlich hatte sich die Abteilung für „Straßenzucht und öffentliche Sicherheit“ dafür entschieden, jenen Stützbalken „provisorisch“ setzen zu lassen. Mittlerweile war der Balken von bleichender Sonne und Regenschauern heimgesucht worden, durch Sommer und Winter, welches ihm selbst bereits ein bejahrtes Aussehen verlieh, ein weißliches, angeschimmeltes. So blieb, auch behördlicherseits, alles beim alten. Vigneau schlief zuoberst in der Dachkammer. Madam Kecke hauste im obersten Stockwerk, bestehend aus fünf kabinenartig kleinen Salons. Der Mittelstock stand mit streng verschlossenen Fensterläden unvermietbar und unbenutzt, da sie auf eine ganz unsensible und selbstverständliche Weise den Standpunkt vertrat, es spuke dort. Das Parterre mit der Pförtnerkammer und den beiden Sälchen, voll gestellt mit verstaubten, vermorschten, mit weißen Laken zugedeckten Möbeln hielt sich, obwohl Madam Kecke es vor sich selbst zu vertuschen suchte, faktisch wiederurn ausschließlich zur Verfügung Vigneaus, der dort sein Mittagsschläfchen zu vollbringen, seine Rechnungen, seine Kriminalromane, seine billigen Zigarren, seine Nußschalen, Pflaumenkerne, Bleistiftstummel wahllos herumliegen zu lassen pflegte. Es mag als wunderliches Mißverhältnis erscheinen, daß die Herrin nur ein Stockwerk innehabe, der Diener hingegen zwei. Doch besaß Madam Kecke eine derart vogelhaft nestähnliche Vorstellung von einem Heim, die sich mit dem Be- C