— 140 — Am 18. Mai 1848 wird der siebzigjährige Greis nochmals in den Strudel des öffentlichen Lebens hineingezogen; Lindenau wird in die National-Versammlung zu Frankfurt a. M. gewählt, 1 Nachdem er verschiedentlich sich an den Verhandlungen in der Paulskirche betheiligt hatte, bringt er in der 77. Sitzung am 14. September 1848 den Antrag ein: „Die National-Versammlung möge die Genehmigung des Waffenstillstandes vom'26. August 1848 unter den seit 17. März erlassenen Gesetzen ertheilen.” Lindenau ergreift das Wort: „Nur mit einer gewissen Scheu betrete ich heute die Tribüne, da die Schwäche meiner Brust es mir erschwert, der ganzen Versammlung verständlich zu werden, und es dadurch beinahe zur Unmöglichkeit wird, eine tiefer eingehende Mittheilung zu machen, während ich doch gerade heute auf das Lebhafteste wünschte, die mir inwohnende lebendige Ueberzeugung auch auf Sie, meine Herren, übertragen zu können: denn unsere heutige Berathung, unsere heutigen Beschlüsse sind für unser gesammtes Vaterland, für dessen Gegenwart und Zukunft, sowie für den Erfolg unserer Handlungen überhaupt so wichtig und folgenreich, dass gewiss Jeder, der mit der schleswig- holsteinischen Angelegenheit sich bekannt zu machen veranlasst fand, sich verpflichtet finden muss, seine Ueberzeugung klar und bestimmt liier auszusprechen und zu begründen. Ich muss dies um so mehr, als Mitglied der vereinigten Ausschüsse, für meine Verpflichtung halten, als ich weder mit dem Majori- täts- noch mit dem Minoritäts-Gutachten mich einverstehen kann, da ich die extremen und entgegengesetzten Ansichten weder mit unserem Berufe, noch mit unserer Stellung lür vereinbar halte. Die von der Majorität beantragte Verwerfung des Waffenstillstandes lässt einen Bruch mit I’reussen, lässt einen europäischen Krieg befürchten; Preussen hat neulich officiell erklärt, dass die Fortführung dieses Krieges eine Un menschlichkeit sei, während dabei irgend ein wesentlich thiitiger Beistand von Oesterreich nicht zu erwarten ist. Es fragt sich nun, was wir für Hiilfsmittel besitzen, um unseren kühnen Beschlüssen Folge, und was noch nothwendiger ist, Erfolge zu sichern. Ich höre hier viel und täglich von Deutschlands Kraft und Flinheit sprechen, und so gern ich mich dem wohl- thuenden Glauben an die Wirklichkeit dieser Worte überlassen möchte, so muss doch eine nähere Beachtung Her bestehenden Verhältnisse fürchten lassen, dass wir uns täuschen und in mancher Beziehung nicht die Wirklichkeit, sondern nur deren Schein besitzen. Dass wir, meine Herren, nicht einig in unserer 1 Vergl. .Denkwürdigkeiten aus der Paulskirehe” von Wichmann. Han nover 1888; und „Allgemeine Zeitung, 18-48, Stuttgart und Augsburg”, sowie „Stenographische Berichte über die \ erhandlungen der deutschen constituirenden National-Versammlung zu Frankfurt a. M.”