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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.01.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-01-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190901155
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090115
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090115
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-01
- Tag1909-01-15
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Anzeigen-PreiS istr Jutcrate -ui Leipzig und Umgebung die 6-elvaitene Petitzeile 2ö finanzielle Anzeigen 30 Reklamen 1 von auiwärt» 30 Reklamen 1.20 vom Ausland 50H, stnanz. Anzeigen 752-. Reklamen 1.50 ltnserate v. Behörden >m amtlichen Teil40^i Beilagegebübr 5 ^ik v. Taufend ex kl. Post- gebühr, ibeichaiisauzeigen an bevorzug!«.' ir-telle im Preile erhäht. Rabaii nach Lar: Jesterleili« Auiträge können nichl zurück gezogen werden, ffür da» ürfcheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: AugustuSpIa» b>, bei fämtlichen Filialen u. allen Annoncen- irrpeditionen de» In- und Au«lande». Haupt-Filiale Berlin: Larl Duncker, Herzogi. Bayr. Hosbuch Handlung, Lützowftrahe 10. (Telephon VI, Sir. 4603). Haupt-Filiale Dresden: Seeftratze 4,1 (Telephon 4621). Nr. IS. Freitag 15. Januar 1909. Das wichtigste. * Die Sprachlehrerin Minya Petersen aus Ham burg wurde vom Reichsgericht wegen versuchten Verrates militärischerGeheimnisse zu vierJahren Zuchthaus, fünfjährigem Ehrenrechtsverlust und Stellung unter Polizeiaufsicht verurteilt. sS. d. bes. Art.) * In der Zweiten Kammer wurde am Donnerstag das Forst- und Feldstrafgeseh gegen fünf Stimmen angcnom- m c n. sS. Landtagsbericht.) * Der nationalliberale Landesverein für das König- reich Sachsen hält am 24. Januar in Dresden eine Sitzung des Landesausschusses und nach dieser eine Hauptversamm lung ab. (S. Dtschs. R.) * Der Reichstag hat den Handelsvertrag zwischen dem Deutschen Reiche und San Salvador in erster und zweiter Beratung ohne Debatte angenommen. * Der Bundesrat hat dem Entwurf eines Gesetzes zur Er gänzung des Gesetzes betreffend Postdampfschiffverbin dungen mit überseeischen Ländern zugestimmt. * Die Bank von England hat den Diskont von 2^b auf 3 Prozent erhöht. sS. Handelsteil.) * Der bisherige wurde wiedergewählt. französische Scnatspräsidcnt Dubost sS. Letzte Dep.) * In Serbien herrscht große Niedergeschlagenheit wegen der günstigen Wendung in der Balkanlage. Ausbrüche der Volksleidcnschaft sind zu befürchten! sS. d. bes. Art.) * Infolge des brasilianischen Eisenbahner st rcikes ist es in Pernambuco zu ernsten Ruhestörungen gekom- men. sS. Ausl.) Die Politik -es Nackten. Das preußische Abgeordnetenhaus, das im allgemeinen zu den trockenen Parlamenten zu rechnen ist und demgemäß vom großen Publi kum geschätzt wird, hatte am Mittwoch seinen pikanten Tag, und Olga Desmond, die nackte Partnerin des nackten Herrn Salge, hörte, diesmal bekleidet, von der Tribüne den Männerreden zu, so daß die sprechenden Abgeordneten wacker gegen die Attraktion der Holden zu kämpfen hatten, um zur Geltung zu kommen. Wir sind es im Deutschen Reiche gewohnt, die Berufspolitiker mit den schönen Künsten nicht eben glimpflich umgehen zu sehen. Wir haben noch die Reichstagsdebatten über Kunst und Künstler im Gedächtnis und schämen uns noch heute der Brutali- lät, mit der pietistische Anschauungen der Kunst die Grenzen stecken woll ten. Wir haben erst jetzt wieder gesehen, wie ungeschickt das Problem der Gemälde für den Sitzungssaal des Reichstages gelöst worden ist, und wie man nicht verstanden hat, den zweifellos hochbegabten Münchner Maler Jank vor einer Blamage zu bewahren. Solche Erfahrungen reizen förmlich zur Opposition, sobald die offizielle Politik die Hand an die nur gefühlsmäßig aufzunchmenden zarten Gebilde der Kunst zu legen sich er laubt. Und aus diesem inneren Widerspruch gegen solche Anmaßung heraus ist eine heillose Verwirrung der Begriffe im Punkte Nudität ent standen. Mancher, der zu den Modernen gerechnet werden möchte, glaubt nun auch die Verpflichtung zu haben, für die Nacktkultur ohne jegliche Einschränkung einzutreten und jeden einen Banausen zu schimpfen, der in der Nacktheit eines Weibes, das mit der Schaustellung seiner Körper formen Geld verdient, eine Scheußlichkeit oder zum mindesten eine schauderhafte Geschmacksverirrung erblickt. Auch in der Debatte des Abgeordnetenhauses zeigt sich nur selten eine Spur von der Freiheit der Auffassung, die vor dem Nackten an sich durchaus nicht zurückschreckt und nur in den besonderen Umständen, in dem Milieu, die Kriterien für die Zulässigkeit und Unzulässigkeit der Nacktheit suchen will. Man kann sehr wohl in durchaus modernem Geist erzogen sein und in ihm fühlen, man kann eine systematische Abhärtung unserer Jugend gegen die Lockungen des ungewohnten Anblicks nackter Körperformen billigen, man kann für Familienbäder schwärmen und kann den Zelotismus, der die Venus von Medici zu den unzüchtigen Bildwerken rechnet, aus tiefster Seele hassen und muß doch zugestehen, daß in dieser Schaustellung nackter Menschen sich Schamlosigkeit oder krankhafter Heroismus eines mißleiteten Geschmackes dokumentiert. Gerade die Leute, die eine Gesundung der Volksbegriffe über das Nackte erstreben, sollten doch den Widersinn erkennen, der darin liegt, daß dies als selbstverständlich gepriesene Nackte, als etwas Besonderes gegen Entree gezeigt wird. Wir haben gegen die Tendenz der Abgeordneten- hausbebatte nicht das Geringste einzuwenden, sehen mit ihr in dieser Schaustellung nackter Menschen alles andere als das Heil, und in den sogenannten Nacktlogen eine Gelegenheitsmacherei für Schweinereien. Nur können wir leider nicht mit Herrn Rocren einfach in jedem Akt ein Moment sexueller Erregung erblicken, und können nicht mit dem Ab geordneten Henning sagen: „Was soll der lebende Körper, der doch stets unvollkommen ist?" Wir meinen, daß sehr wohl ein solcher nackter Körper künstlerisch sein und wirken kann, daß er in künstlerischer Pose uns vorgeführt werden kann und daß di« Darbietung trotzdem verwerf- lich ist. Man stelle sich ein nackte- weibliches Modell vor, daS einem Maler ohne alle Scheu, auS einer Mischung von Gewöhnung und künst lerischem Nachempfinden heraus, seine letzten Geheimnisse enthüllt. Das selbe Modell wird es als eine Beleidigung auffasscn, wenn die Tür des Ateliers sich öffnet, um einen Fremden einzulassen. Und nicht nur von einem Fremden, sondern von Tausenden hat Olga Desmond sich gegen Geld beleidigen lassen. Es ist offenbar die Scheu gewesen, bei den Modernen in den Ver dacht der Rückständigkeit, der Verständnislosigkeit für die künstlerischen Aufgaben unserer Zeit zu kommen, wenn der preußische Minister des Innern sich ausnahmsweise von des Gedankens Blässe hat ankränkeln lassen und zaghafter, als man cs gewohnt ist, dem Unwesen der nackten Schaustellungen gesteuert hat. Aber er hat immerhin damit das ein erreicht, daß ihm manche Vorwürfe erspart geblieben sind, und daß die polizeiliche Exekutive hier von anderer Seite, aus dem Publikum selbst, von der Presse, von dem Parlament zum Zugreifen angetrieben worden ist. Die Situation ist für einen preußischen Polizeiminister nicht ohne Reiz, und Herr von Moltke h»t denn auch die Gelegenheit kühn er- griffen, um einige künstlerische Bekenntnisse abzulegen, die förmlich freiheitlich anmuten: „Die Schönheit des menschlichen Körpers, wie ihn Gott geschaffen hat, ist ebenso unbestreitbar, wie unverfänglich. Den menschlichen Körper in seiner Schönheit darzustellen, ist von jeher das höchste Ziel und berechtigte Streben jeder ernsten wissenschaftlichen Kunst gewesen. Wer würde andere als ideale Empfindungen beim An blick einer Venus von Medici und anderer unsterblicher Werke haben?" Das ist zum mindesten sehr viel vorurteilsloser, als das meiste, was sonst in den Debatten gesagt wurde. Für die Kunst im allgemeinen mag daraus allerdings wohl die Gefahr entstehen, daß nun auch in Zukunft das Maßregeln der preußischen Polizeiverwaltung als von diesem modernen Geist diktiert und deshalb gefeit erscheinen gegen die Kritik. Noch eine Merkwürdigkeit zeugte dieser interessante Tag. Ein kon servativer Abgeordneter, Herr Henning, sandte spitze Pfeile gegen „hoch stehende Herren und Damen unserer hohen Aristokratie", die er der Sympathie mit nackten Schaustellungen und dem Treiben der Nacktlogen verdächtigte. Ja er ging sogar soweit, den Minister des Innern als beeinflußt von dieser Sympathie hoher Persönlichkeiten hinzustcllcn, was natürlich von Herrn von Moltke mit Entrüstung zurückgewiesen wurde. Es ist ganz klar, daß der konservative Herr Henning nie und nimmer solche Beschuldigungen ausgesprochen haben würde, wenn er nicht dringenden Anlaß dazu zu haben geglaubt hätte. Es wäre sehr interessant, sein Material kennen zu lernen. Zarte Seelen mögen vielleicht in der unzweideutigen Benennung der DeSmondschen Fleischbeschau im Abgeordnetenhaus eine Rücksichts losigkeit gegen das anwesende schöne Fräulein erblicken. Demgegenüber muß aber doch schließlich gesagt werden, daß ein Parlament auf seine zufälligen Besucher keine Rücksicht nehmen kann, und daß Fräulein Desmond das vorher hätte wissen und fortbleiben können. Im übrigen aber leben wir der Hoffnung, daß ihrer Seele durch diese Worte großer Schaden nicht hat zugefügt werden können, zumal ein sorgfäl tiges Training sie schon gegen Blicke unempfindlich gemacht haben wird und sie vor solchen Gefühlsoerletzungen antiquierter Natur über haupt geschützt zu sein scheint. Hoffentlich erzeugt nun nicht etwa die einstimmige Ablehnung dieser gewaltsamen Erziehung zur Nacktkultur einen Sieg der Prüderie, die an Schädlichkeit den Auswüchsen der Nacktkultur nicht nachsteht. Erbauliche böhmische Zustande. L. Prag, 13. Januar. Die Vertschechung der Behörden macht immer größere Fortschritte; überall werden die gesetzlichen Bestimmungen außer acht gelassen, wenn es sich um das Deutsche und die Deutschen handelt; selbst die Statt halterei geht aneifernd vor. Bisher ist es niemals vorgekommen, daß bei der obersten Landesregierungsstclle die Beamlenbeeidigungen tschechisch vorgcnommen wurden. Die Beeidigung war eine innere Amtshandlung, die selbst unter Badeni von dem Sprachenstreite nicht berührt wurde. Jüngst nun sind zwei neue Bezirkshauptleute, Franz Fialka und Emil Knapp, vom Statthalter tschechisch beeidigt worden. Am schlimmsten sind jetzt die Zustände bei der Postdirektion für Böhmen. Der neue Postpräsident Kraus, der seine Stellung dem tschechischen Abgeordneten verdankt, glaubt seine Erkenntlichkeit dadurch zeigen zu müssen, daß er mit Haß gegen alles Deutsche auftritt. Diesem Manne ist die Postverwaltung von ganz Böhmen anvertraut. Die deutschen Abgeordneten sind wieder einmal getäuscht worden. Als näm lich im Herbste der Postdirektor v. Schafarik in Ruhestand ging, ver langten die Deutschen einen unparteiischen Beamten als Vorstand für die Direktion. Baron Beck wies darauf hin, daß er sich den Tschechen verpflichtet habe, wieder einen Tschechen an die Spitze der böhmischen Post zu stellen; um aber den Deutschen entgegenzukommen, habe er nicht den von dem Tschechenklub ursprünglich verlangten Scktionsrat Zampach. sondern den ihm als ruhigen, unparteiischen Mann beschriebenen Kraus zum Direktor gemacht und zum Schutze der Deutschen eine Vizepräsi dentenstelle geschaffen, welche mit dem Deutschen Swoboda besetzt werde. Wie bekannt, kam es bald zu Streitigkeiten zwischen den beiden Vor ständen. Das Ministerium traute sich nicht, die Tschechisierungcn des Präsidenten zu verbieten, sondern berief zur Schlichtung der ent- standenen Streitigkeiten beide Vorstände nach Wien. Was in Wien aus gekocht wurde, ist nicht bekannt, Tatsache ist jedenfalls, daß Kraus ge setzwidriger als vorher verfährt. Der Erfolg davon ist, daß Swoboda sich entschlossen hat, seine Sielle niederzulegen. Diese Zustände schreien nach Errichtung einer Postdirektion für die deutschen Teile des Landes. Auch im Landesausschuß sollen die Deutschen noch mehr vergewaltigt werden als bisher. Die Tschechischradikalen verlangen, daß alle Auf wendungen für deutsche Landeszwecke aus dem Voranschlag gestrichen werden. Es ist voraussichtlich, daß die vier tschechischen Beisitzer im Vereine mit den zwei feudalen Großgrundbesitzern allzu gern dem Ver langen der Radikalen nachgeben werden, obzwar von den Landes einnahmen weit mehr als die Hälfte deutschen Ursprunges sind. Die zwei deutschen Beisitzer werden einfach überstimmt. Auch bei dem Oberstlandmarschalle Prinzen Ferdinand Lobkowik werden die Deutschen nicht viel Schutz finden, hat er sich doch der Boykottbewegung gegen die Deutschen angeschlossen. Der Verein zur Wahrung tschechischer Inter» essen bat ein Verzeichnis herausgegeben, in welchem alle Geschäftsleute, die sich der AuSschlußbewegung gegen deutsche Waren angeschlossen haben, enthalten sind. Prinz Lobkowitz hat sich als Besitzer einer Handlung seiner Weine aus Berkovitz-Melnik in dieses Verzeichnis aufnchmen lassen. Der Prager Magistrat hat bekanntlich in lernen Häusern allen Mietern bei Kündigung verboten, an ihrer Wohnung oder ihren Ge schäften ein deutsches Wort anzubringen. Einem armen Trafikanten untersagte er den Verkauf deutscher Zeitungen. m. Jahrgang. Die Orientlage. Dar ssterreichisch-türkische Abksinmen. Aus Wien wird uns unter dem 13. d. von unserem ^.»Korre spondenten geschrieben: Der Großwesir Kiamil Pascha hat also die österreichischen Propositionen angenommen. Ausgezeichnet! Man atmet auf. Ein schweres Hindernis für die gottlob durch lange Iabre herrschende sriedliche Ordnung in der internationalen Politik erscheint beseitigt. Mehr als das, die Zugänge sür jene Friedensstörer, die mit Versprechungen nnd n»t Gold in der Hand die Unruhe steigern wollten, um im Trüben fischen zu lönnen, werden gesperrt; die Hoffnungen des englischen Handels, in der europäischen Türkei festen Fuß zu fasten, der englischen Diplomatie, nach der Zerrüttung der Staaten auf dem Balkan als Pazifikatoren große materielle Geschäfte erstehen zu lassen, zu Ehren des Vollsacks nnd zum Gewinn des britischen Kapitals, fallen ins Wasser. Wen kränkt das? Niemanden. Dafür ist die bosnisch- herzegowinische Frage ausgeschaltet aus den strittigen Punkten einer inter nationalen Konferenz. Vvlvoti non tit injuria; die Türkei ist zufrieden mit dem neuen staatsrechtlichen Zustande, folglich bleiben nur die bulgarische Königskrönung und die Aspirationen des großmannsüchkigen Serbien, und des finanziell derouten Montenegro übrig und dafür wird lein Mensck und kein Staat sich begeistern oder gar erklären, daß zur Rege lung dieser Kanapeefragen daS Schwert aus der Scheide gezogen werden müsse. Die Friedenszuversicht hat demnach eine starke und was mehr ist, allem Anscheine nach eine nachhaltige, tiefgreifende Stärlung erfahren. Und, waS vom österreichisch-ungarischen Standpunkte aus nicht hoch genug eingeschätzt werden muß, ohne geringste Einbuße des moralischen Prestiges, ohne Lädierung des in Wien bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina ausgerusenen Grundsatzes, daß irgendwer einen politi schen Rechtstitel besitze, Einsprache gegen die Umwandlung des faktischen Zustandes in einen legalisierten zu erheben. Die 2»/, Millionen türkische Pfund, die die Pforte erhält, bekommt sie als Entschädigung für die in den okkupierten Provinzen liegenden türkischen Staatsgüter ; nennt es die Türkei eine Enstchädigung für die Zedierung der Souveränitätsrechte an Oesterreich-Ungarn, so mag ihr diese Verbrämung deS materiellen Geschäftes gerne bewilligt sein. Doch wozu alle Tüfteleien und alle politischen und diplomatischen und staatsrechtlichen Haarspaltereien, der Effekt der neuen Instruktionen an den Markgrafen Pallavicini war ein guter, und wenn auch der normale Zustand auf dem Balkan nicht vollkommen ber- gestellt, die drohendste Gefahr einer blutigen Verwicklung ist beseitigt. Daß auf dem Balkan noch immer Zündstoff aufgestapelt bleibt, an diese Tatsache hat man sich schon gewöhnt, man trägt sie schon geraume Zeit, Oesterreich-Ungarn und ganz Europa. Anerkennt man aber die Zweck mäßigkeit des Vorgehens des Wiener Auswärtigen Amtes, ja je mehr man diese Methode, durch Geld die Ruhe herzustellen, billigt, desto mehr behalten sene Recht, die schon vor Wochrn geklagt haben, warum Frb. v. Aehrenihal ostentativ erkläre, er gebe keinen Heller für die Zu stimmung der Türkei. Zuerst keinen Heller und leinen Pfennig und keinen Groschen und jetzt 2^z Millionen türkische Pfund, abgerundet 60 Millionen Kronen? Man hätte die Sache wirklich billiger haben können! Hätte man sich sofort bei der Annexion mit klingender Münze bei der Pforte eingestellt, wie es Mark graf Pallavicini, daS wissen die Eingeweihten, vor Wochen vorgeschlagen, wäre die schwere Besorgnis der letzten zwei Monate dem wirtschaftlichen Leben erspart geblieben. Denn eigentlich zahlen wir jetzt der Türkei 60 Millionen Kronen und außerdem an wirtschaftlichen Kriegskosten für die lange Dauer der Verhandlungen mindestens 50 Millionen Kronen, die die österreich-ungarische Industrie, der Handel und der Verkehr durch die Boykottierung verloren haben. Doch das sind Rekriminationen und Betrachtungen, die nur die Bewohner inner halb der schwarzgelben Pfäble interessieren, für die europäische Welt kommt heute nur ein gutes Moment in Betracht, der Friede ist gestärkt, das bosnische Problem ist aller Voraussicht nach gelöst, geregelt und erledigt. * Zum türkischen Boykott» Zur Boykottsiluation, in der nunmehr, nach dem glücklichen Ab schluß der austro-türkifchen Zwistigkeiten, eine Wendung zugunsten des geschädigten Oesterreich eintreten dürste, liegt folgende Meldung vor: Wie», 14. Januar. (Telegramm.) Da der Boykott österreichischer Waren seitens der Türkei vor Beginn der Saison einletzte, kann, so hofft man, der entstandene Schamn vielfach wieder gntgemacht werben. In den mazedonischen Boykottkomileessind es auch Vertrauensmänner der serbischen Regierung, die die führende Rolle fpielen. Vie entrüstete» Serben. Der Abschluß des österreichisch-türkischen Uebereinkommens hat, wie wir schon kurz erwähnten, in Serbien tiefste Niedergeschlagenheit her vorgerufen. Man hoffte dort noch immer auf die Freundschaft und Widerstandskraft der Türkei, die aber jetzt gezeigt hat, daß sie jeder Abentcurervolilik durchaus abhold ist. Nachdem nun die Aussichten auf ein Bündnis der Ballanstaaten infolge der weisen Politik der Pforte verschwunden sind, waren auch die Belgrader Kompensationswünsche illusorisch geworden. Wohin soll man sich >etzt wenden? Denn auch Rußland hat den slawocken Vetter im Stich gelassen. Es ist daher zu hejürchten, baß es in Serbien leicht zu folgenschweren Ausbrüchen der Volksleibenschast kommen kann, und hier doch noch ein Brand angefacht wird, wie man ihn bisher klug zu verhüten gewußt hat. Die augen blickliche Stimmung in Belgrad wird zunächst durch folgenden tele- graphischen Bericht illustriert. Wie», 14. Januar. (Tel.) Die „Neue Freie Presse" meldet aus Belgrad, die Verwirrung und Niedergescklajzenheit ist hier unbeschreiblich, Milowanowitseh erklärt, das» für Serbien alles verloren ist Die 'Volksstim mung ist allgemsin gegen die Dynastie sowohl, als gegen die Negierung. (Gestern wollte König Peter den für abends angesetzten Hofball absagen. Der sdof- ball fand jedoch statt. Man erwartet Ltraf»en de monstrati o neu. Der serbische Kronprinz benutzt die Gelegenheit, da Serbien sich jeglicher klaren Besinnung zu berauben droht, um von neuem in KriegS- born zu stoßen. Welch Feuerchen der junge Mann dann anzündcn möchte, das geht ans folgender Depesche hervor: Wien, 14. Januar. lTel.) Au» Belgrad komme« Nachrichten, welche von einer deun- ruht-enden Eteigerung der itrregung infolge Ser österreichisch« tmktschrn Verständigung sprechen. Ties bcnnyt der Kronprinz, um nenerdiugs zu« Kriege zu Hetzen Man müsse, so erklirt
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