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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1868
- Erscheinungsdatum
- 1868-03-08
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-186803083
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18680308
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18680308
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Images schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1868
- Monat1868-03
- Tag1868-03-08
- Monat1868-03
- Jahr1868
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1868
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1755 Wenn sie accompagnirten, und daS warme treue Herz, die schöne musikalische Seele in der schlichten Hülle, wer könnte daS alles je vergessen! Man hat von allerlei Kränkungen geredet, die Pohlenz durch die Berufung Mendelssohns erfahren, ja mau schrieb sogar seinen schnellen Tod am 10. März 1842 auf Rechnung erlittener Ver nachlässigungen und Aufregungen. Es gehören aber diese Mit theilungen wie so manche andere aus dem Musikleben der da maligen Zeit in das Reich der Sage. Gehörte doch die Pietät zu den Grundzügen von Mendelssohns Wesen, verstand er es doch wie wenige, auch diejenigen zu ehren und hervorzuziehen, die schon wieder im Dunkeln standen, und er stellte Pohlenz als Gesang lehrer so hoch, schätzte ihn als Musiker njcht minder und versäumte keine Gelegenheit, dies auszusprechen vor all jenen Ohren, die da hören wollten. Mendelssohn war zwar ein echtes Kind seiner Zeit, im vollsten Sinne des Wortes, er vermittelte den Uebergang der classischen Musik zu der modernen, er sang in seinen Oratorien „dem Herrn ein neues Lied", aber er erkannte, daß, wie die Bibel das Fundament allen Glaubens, so die Traditionen der Boden, auf welchem diese neue Musik fußen müsse, und sprach es oft aus, wie all unser Wissen und Wirken doch eben in der Vergangenheit wurzele. Wer wie er an Hildebrandt von Leipzig aus, in Bezug auf einen alten Musiker, schreiben konnte: „Diese Erscheinung rührte mich schon, weil sie der Vergangenheit angehörte, wie denn Zopf und Perrücke für mich nie etwas Lächerliches, vielmehr etwas wehmüthig Feierliches haben", der sah sicherlich keinen alten braven Collegen über die Schulter an. Wurden doch ähnliche Gerüchte in Bezug auf Mendelssohns Beziehungen zu Schumann laut, die nachher eine so glänzende Widerlegung fanden durch jene Bewun derung und Freude, mit der er Schumannsche Schöpfungen auf- führte, zur Aufführung empfahl und Schumannsche Lieder singen ließ und begleitete. Wer diese geflügelte Künstlerseele einer so niedrigen Empfindung wie die des Neides fähig hält, dem mangelt alles und jedes Verständniß einer edeln und vornehmen Natur. Um Wilhelm Fink, den geistvollen Musikkritiker und Her ausgeber des „Musikalischen HauSschatzeS", einst auch vielgerühmten Prediger und liebenswürdigen Mann, sammelte sich damals auch ein kleiner Kreis, der gewissermaßen eine passive Opposition bildete gegen den neuen Dirigenten. Diese Opposition ging aber weniger von Fink als von seiner zweiten Frau aus, einer hochgebildeten Schülerin John Fields, die durch die Erscheinung Mendelssohns das anmuthige Talent ihrer zweiten Tochter Charlotte in den Schatten gedrängt sah. Ihre Abneigung, mit Mendelssohn in irgendwelche Beziehung zu treten, steigerte sich, als die Hand des Todes daS jugendliche Mädchenhaupt berührte, an dem so viele Hoffnungen hingen, und erlosch nur mit dem Leben der schwer geprüften Mutter. Wilhelm Fink folgte zuerst seinem Kinde in die Gruft, zärtlich gepflegt und heiß beweint von treuester Tochter liebe, seine Frau überlebte ihn trotz qualvoller Leiden mehrere Jahre. Wie oft trugen wir Blumen in ihr stilles Krankenzimmer und mußten ihr dann erzählen von der Welt da draußen, und ie erzählte dafür von jener viel reichern Welt da drinnen, wie ie zu sagen pflegte. Sie schloß dann den Reliquienschrein ihrer Erinnerungen auf, das strenge Gesicht wurde warm und belebt, die Augen verloren ihren finstern Blick und sie plauderte von ihrem russischen Leben, von ihrem berühmten Lehrmeister und von Ludwig Berger und seiner blonden deutschen Frau, die vor Heim weh in dem glänzenden Petersburg starb, und von dem schönen Kaiser Alexanver. Der Hofrath Rochlitz war eine jener liebenswürdigen Greisen- gestalten, die an einen klaren schönen Herbsttag erinnern. Ein reiches und bewegtes Leben lag hinter ihm, die Sonne neigte sich zum Untergange, aber er sah diesem Untergange mit der heitern Ruhe eines Weisen entgegen. Seine seelenvollen Augen, seine Unterhaltungsgabe, sein Jean Paul'scher Humor und sein jugend licher Enthusiasmus für alles Schöne in der Kunst und Natur, in welcher Gestalt es ihm entgegentreten mochte, machte ihn zu einer unbeschreiblich anziehenden Erscheinung. Zwischen ihm und Mendelssohn bildete sich das anmuthigste Verhältnis es lag etwas Unwiderstehliches in der Art, wie der junge Gefeierte sich dem Alter und dem Verdienst unterzuordnen wußte, und wiederum konnte Niemand diese Huldigung liebenswürdiger entgegennehmen als eben Rochlitz. Auch gar mancher jugendliche „Charakterkopf" aus jenen Tagen taucht auS dem Nebel der Erinnerung aus, die schöne Luise Schlegel-Köster mit den blonden Locken, Schülerin unseres Poh lenz , die er uns immer zum Muster aufstellte und deren herrliche Stimme ich noch immer höre, als sie einmal in Mozart's „vavickäe penitente" in der Paulinerkirche sang. Das dreigestrichene 0 drang so hell wie ein Sonnenstrahl in alle Winkel des düftern Gottes hauses, und mein lieber Vater, dessen Herz für Musik so begeistert schlug, trat nach der Aufführung in seinem Enthusiasmus an die Sängerin heran und sagte ihr einige warme Worte. Da stand ich stumm neben ihm und sah voll Bewunderung zu ihr hin und betrachtete das feine Gesicht und die goldenen Locken und war durchaus bereit einzusehen, daß unser Pohlenz Recht hatte, wenn er sagte: „Die Luise bringt's zehnmal weiter als du, aber nicht etwa, weil sie diese Prachtstimme hat, sondern weil sie übt wie ein braver Trompeter, und du nicht!" Auch der Erscheinung der Elisa Merti erinnere ich mich, jener eleganten Belgierin, mit den graziösen Bewegungen, die im Ge- wandhause so allerliebst französische Romanzen und kleine colorirte Arien sang. Ein junges übermüthiges Völkchen bildete dann ein kritisches Concertpublicum, jene Mitglieder eines der fröhlichsten kleinen „Mufikkränzchen" der Welt, die wir uns immer an den weltbekannten Donnerstag-Abenden im <Fewandhausconcert ein Rendezvous gaben. Wie Mancher und Manche sah unS damals über dw Achsel an und schüttelte den Kopf, daß dergleichen „Halb wüchsige" den hochgebildeten Leuten den Platz wegnäbmen. Und doch war es nicht unter jenen „Halbwüchsigen", auS deren Mitte in einer plötzlichen Pause einer Beethoven'schen Symphonie das Wort „Speckkuchen" laut und vernehmlich durch jenen Saal schallte, der das Motto trägt: Res severa 68t verum gauckium, das Unter haltungsthema zweier Damen. — Du reizendes, unvergeßliches Musikkränzchen, wie bist du doch in alle Wurde verstreut worden. Und damals dachten wir doch Alle, daß es ewig, ewig so bliebe! Ich glaube, Mendelssohn, der von unserm Treiben keine Ahnung hatte, so wie jeder warmherzige Musiker würde seine Freude gehabt haben, zu sehen, wie ernst wir es damals mit un- sern Studien meinten. T)ie Leistungen waren ja unvollkommen wie eben die Leistungen der Jugend, aber die Begeisterung für die Musik war in jedem von uns tief und glühend. Und dabei diese Glückseligkeit, so gemeinsam singen und spielen zu dürfen, dieses harmlose Vergnügen bei schwachem Thee, Heringssalat und Bischofs, diese kleinen schuldlosen Interessen und Passionen — und da zwischen Schubert und Beethoven, Mozart und Haydn, Vater Bach und Mendelssohn. Wie sie vor mir auftauchen alle jene reizenden Mädchenköpfe blond und braun, und die glänzenden Augen, von denen sich wohl manche seitdem „im Weinen übten", und jene jungen „Cavaliere", die sich längst in verschiedener Weise Namen gemacht und jetzt lange Titel und Orden tragen. Wie es uns heiliger Ernst war mit dem, was wir vortrugen und nach unserer Art sorgfältig studirt hatten, wie wir gegenseitig über uns zu Gericht saßen und uns voreinander fürchteten, und wie wir alle über einstimmten in jener Schwärmerei für den Einen, von dem eben ganz Leipzig erfüllt war: Felix Mendelssohn. Wie manches Glas leerten wir an jenen Abenden auf sein Wohl, wie mancher rosige Mund brachte einen Trinkspruch auf ihn aus, und schöne Augen strahlten bei solchem Hoch. Wir hatten auch unsere bestimmten Lieblinge in den Gewandhaus-Concerten, und mancher Berühmtheit gelang es nicht, unfern Beifall zu erwerben; dagegen schwärmten wir wiederum für manche Erscheinung, die erst viel später unfern Enthusiasmus rechtfertigte. Mit welchem Interesse beobachteten und referirten wir einander jede Bewegung der hervorragendsten Orchester mitglieder, wie verfolgten wir vor allem den Austausch der Blicke und des Lächelns zwischen David und Mendelssohn und das freundliche Nicken oder Stirnrunzeln Klengels. Es war und ist eine seltsame Einrichtung des Gewandhaussaales, daß man großen teils nicht dem Orchester, sondern der Zuhörer dem Zuhörer gegenübersitzt und also meist Wendehals spielen mußte vis zur Erschöpfung, um Mendelssohn dirigiren zu sehen. Zuweilen, in der großen Pause, erschien er wohl einmal in einer jener beiden Logen über dem Orchester und plauderte dort ein Weilchen. Ich denke, solch ein Gewandhaus-Concert muß aus der Kronleuchter perspective den Eindruck eines Blumenbeetes gemacht haben, mit diesem Reichthum der hübschen dunkeln und Hellen geschmückten Köpfchen, mit allen diesen eleganten Toiletten in vorwiegend Hellen Farbentönen, und wenn es viel zu hören gab, so gab es auch sicherlich nicht wenig zu sehen. Ach, wie manche holde Rose, die damals blühte, ist längst verweht und ins Grab gesunken! Ich sehe sie noch so deutlich, die vielbewunderte und geliebte Isidore P., nachher Frau von G., mit ihren wunderbaren Gazellenaugen, blendendem Teint und dunklem Haar, immer in duftiges Weiß wie in durchsichtige Schleier gehüllt; ich sehe das liebliche blonde Schwesternpaar Celeste und Lisbeth K. in ihrer Grazie und An- muth, die zarte Konstanze P., die pikante Marie B. und noch viele andere, nicht minder reizend: sie schlummern alle schon in kühler Erde. Der alte Gewandhaussaal hat viel Schönheit aufblühen und welken sehen. Wie die Menschen auf ihre Ahnen und Vorfahren, so haben auch einzelne Städte ihren Stolz'auf ihre Vergangenheit, und vor allen Leipzig auf seinen Musikruhm. Kein hochadeliger Junker kann mit größerem Vergnügen seinen Stammbaum mustern, mit größerer Praciston seine Ahnen an den Fingern herzählen, als dre Lindenstadt die Reihen der gelehrten und großen Cantoren, die dem Vater Sebastian an der Thomasschule vorangingen und folgten, wie die Sterne der Sonne. Man wußte genau Bescheid in Bezug auf jene „alten Herren" und hielt die Namen Kuhnau, Schicht und Hiller kaum minder in Ehren als Bach selber. Dankbare Schülerinnen: daS Schwesternquartett Podleska auS Böhmen, hatten dem Cantor Hiller ein Denkmal gesetzt an einer Stelle der Leipziger Promenaden, allwo das Füßchen der schönen Corona Schröter gar manchmal gewandelt und der Student
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