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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 27.04.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-04-27
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18920427020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892042702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892042702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-04
- Tag1892-04-27
- Monat1892-04
- Jahr1892
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Reklamen unter dem Redactionsftrich ltgo» spalten) öO^, sor den Familtennachrichdul (6 gespalten) 40 Kröge re Schritten laut «nsrve« Preis- verzeichnib- Tabellarischer «nd gtffrrnsat »ach höherem Laris. Sztra-Vetlagcn (gesalzt), »nr mit der Morgen-Au-gab», ohne Postbefürderung 60. —, mit Postbesürderung ^l 70.—. ^auahmeschlaß far Zaserate: Lbend-Au-gabe: vormittag» 10 Uhr. Morge»-Ausgabe: Nachmittag- «Uhr. Sonn- und Festtag» srüh S Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ela» halb« Stunde früher. 2»ser«te sind stets an dt« Erpedttt«» zu richten. Druck »nd Verlag von E. Polz t» Leipzig ^214. Mittwoch den 27. April 1892. 86. Jahrgangs ver vynamitfeldzug der pariser Anarchisten schreitet von Erfolg zu Erfolg. Ravachol'S Frcvelthaten haben, weit entfernt, in den leitenden Kreisen deS französische» Volkes den schweren Ernst des Augenblickes zu Gemüthe zu führen, nur zu einer den Verbrecher gleichsam glorincirende» TageSberichterstattnng gedient, die von dem auf pikante ZeitnngSlcctüre versessenen Publicum mit Gier verschlungen wurde, während andererseits der alberne Cnltus, der mit dem Urheber von Ravachol'S Verhaftung, den Kellner L'Hcrot, ge trieben wurde, zeigte, wie absolut unsäbig die öffentliche Meinung des republikanische» Frankreichs ist, anö den Mah nungen der Ereignisse die allein angemessenen Lehren zu ziehen. Plan täuschte sich mit echt franrosischem Leichtsinn über die Thatsachc hinweg, daß sich in Paris eine catilinarische Bcr- schwörergesellschast ctablirt bat, welche i» Befolgung einer wahrhaft teuflischen Praxis über die Metropole Frankreichs einen Zustand heraufznbcschwörcn sich beflissen zeigt, wo Reiner seines Lebens sicher ist, wo Jeder mißtrauisch beob achtet, ob der Andere nicht etwa im nächsten Augenblicke eine Dynamitpatrone hervorziche; wo auf dem öffentlichen Verkehr der Alpdruck einer permanenten Katastrophensurchl lastet, wo Richter, Staatsanwälte, Geschworene, Sicherheit« beamte, kurz Alle, die von Berufs wegen mit Anarchistenproccssen zu lbun haben oder auch nur zu tyun haben könnten, seitens leS PublicumS auf Armeslänge fern gehalten werde», a»S Sorge, man könne unversehens daS unbelkeiligte Mitopfer eines anarchistische» Racheactes werde». Zn Ansehung deS Umstandes, daß der 1. Mai dicht vor der Thür steht und daß noch so manches Kilogramm gestohlenen Dynamits seiner „programmgemäßen" Verwendung harr», erscheint cS nur zu be greiflich, wen» Regierung und leitende Elaste» der französischen Republik alle Mühe haben, eine äußerlich gefaßte Miene zn zeigen. Rücksichtsloses Einschreiten gegen etwaige sich am I. Mai de- mercklich machende autoritälSfcindliche Tendenzen würde von der öffentlichen Meinung als eine erlösende That betrachtet werde» und die in immer weiteren Kreisen Raum gewinnende Befürchtung zerstreuen helfen, als ob die Executive nn Kampfe gegen den VlnarckiSinuS ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei. Ueber das neueste Dynamit-Attentat und den Proceß Ravachol, der nicht, wie man fast allgemein erwartet hatte, mit einem Todesurthcil, sondern nur mit Verurtheilung zu lebenslänglicher Zwangsarbeit ge endet hat, liegen heute folgende Meldungen vor: Paris, 26. April. Ravachol ist von seinen Genosse» an seinen Angebern gerächt worden; gestern Abend um halb Zehn wurde Bery's Gasthaus am Boulevard Magenta in die Luft gesprengt. Am Morgen hatte Verq wieder, wie alle die Tage her einen Drohbrief erhalten, der ihm anknndlgtc, das, er vor der Schlußverhaiidlung in der Strafsache gegen Ravachol noch ciwaö erleben werde. Er schenkte dem Schreiben keine Beachtung. Das Gasthaus stand unter beständiger Bewachung. Im Augenblicke der Verwüstung ging der dazu befohlene Schutzmann vor dem Hause würdevoll auf und ab, er wurde mit großer Gewalt zu Boden ge- morsen, und als er sich wieder aussetzte, fragte er die Herbeieilenden schüchtern: „Was geschehen sei?" Im Gasrbaus waren zur Zeit deS An« jchlaas der Wirth Bery. seine Frau und Tochter, di« an der Lasse saßen, cm Kellner und sieben Gäste, der Held L' Herot war im Hin ierladc» und aß sein Abendbrod. Nach übereinstimmenden Aussagen stammte plötzlich eine jähe Loh« auf, gleichzeitig krachte ein furchtbarer Donncrschlag, alle Gasflammen erloschen, und in der Finsterniß wurden durch dringende Hilferufe laut. Als man mit Lichten, hcrankani, sah man ein gräßliches Schauspiel. Bery lag stöhnend unter der »in- gestürzten Lasse, die ihm das Bein zermalmt hatte. Lherot hob seine ohnmächtig gewordene Schwester, Bery's Gattin, aus und trug sie hinaus. Beide waren kohlrabenschwarz, wie denn auch der ganze Raum mit einem dicken Qualm gefüllt war, der die Wände, die Decke und alle Gegenstände mit einer Rußschicht überzog. Der Kellner, die kleine Bery nnd einer der Gäste waren von Glassplittern leicht verletzt und ihre Kleider hingen ihnen in lockeren Fetzen am Leibe. Das Gebäude war nicht beschädigt, aber die Einrichtung deS Gast. Hausse- vollkommen verwüstet. DaS Schaufenster war aus den Boule- vard hiuausgeschleudert, Tische und Stühle Hutten unglaubliche Flüge durch die Lust ausgesllhrt und lagen theils im Saal« zu Haus, lheils wett ab auf der Straße; den Boden bedeckte» Trümmer von Flaschen, Gläsern und Geschirr. Auf dem Boulevard entstand eine ungeheure Panik. Alles lies zuerst mit tollem Geschrei in wilder Flucht davon und erst nach 10 Minuten begann der Andrang der Neugierigen. Gerade als die Bombe platzte, fuhr ein Pserdebahnwage» an der Stelle vorüber, ein Blcchtisch kam durch die Luft geflogen, fiel mit Geprassel einem Berdecksahrgast flach aus den Kopf, ohne ihn übrigens zu verletzen, nnd schlug ihn platt unter die Bank nieder. Ein Vorüber gehender erhielt einen Stuhl aus die Achtel und brach unter entsetz lichem Wchgeschrei zusammen. Man stürzte herbei, hob ihn auf, suchte ihn zu beruhige», doch bedurfte es endlosen Zuredens, um ihn zu überzeugen, daß ihm nichts geschehen war. Die Polizei war sehr rasch zur Stelle, ein Untcrossicier der Schutzleute drang muthig in« Gasthaus ein nnd siel durch die offene Fallthür in den Weinkeller, audere Schutzleute liefen drei Gäste» Bery's nach, die daOonliesen. Sie wurden eingeholt, aufs Commissariat geschleppt »nd streng gefragt, weshalb sie gelaufen seien; sie antworteten zitternd: ,stic seien auSgerissen, um nicht anfzusliegen", man entließ sie mit der Mahnung, rS nicht wieder zu thun. Bery wnrde mittlerweile ins Kranfenhaus Saint Louis geschafft, wo man sofort zur Abnahme des zermalmten BeineS schritt. Der Zustand der übrigen Benetzte» ist un bedenklich, doch ist Frau Berry völlig stumm geworden, eine Erscheinung, die bei hysterisch veranlagten Personen als Folge einer heftige» Erschütterung nicht selten beobachtet wird. Lherot ist ganz unbeschädigt davongekommc». Am Boulevard Magenta, den aus der nahen Prinz Engen - Caserne herbei gerufene Marine-Infanterie-Soldaten und Fenerwehrlcute absperrten, herrschte bi» 1 Uhr Morgens ei» ungchenreS Gedränge, die Menge war auss Heftigste erregt und ein unvorsichtiges Wort konnte lebensgefährlich werde». Polizcipräfcct LozS, Commissar Drescb, Untersuchungsrichter Athalin erschienen gegen elf Uhr und nnlcrsuchten die Oertlichkeit. Die allgemeine Meinung war, daß die Verheerung iniltelst Dynamits ausgcsührt worden sei »nd daß die Thätcr ihre Bombe an die Seitenthür des GnsthauS- saals gelegt hatten. Die erstell Verhöre ergaben keine Anhalte, pnncte zur Entdeckung der Thäler. Jeder Befragte wollt« verdächtige junge Leute, übel aussehende Arbeiter, räthselhaste Frauenzimmer gesehen haben, man hätte von außen gewinkt, zwei junge Leute wäre» in einer Droscht« mit einem Handkoffer gekommen, cingelrcte» und eiligst wieder weggegangen, u. s. w , doch scheine» alle diese Aussagen werthlos, se>l fleht nur, daß die Polizei bei ihre» Masseiiverhastuiige» nicht die Richtige» gefaßt hat und daß die Anarchisten thu», was sie wollen. Heute herrscht in der Bevölkerung eine unerhörte Aufregung, die sich auch in den Blättern widerspiegelt. „Voltaire" verlangt Standgerichte, „Paix" beschwört die Ravachol-Geschivorene», ninthiq ihr, Pflicht zu thu», di« Organe EvnslanS' llagc» Loubct der Unsähigtcit an und schreien aus Leibeskräften »ach einem Gesellschastsrettcr. (Voss. Ztg.) Paris. 26. April. Proceß gegen Ravachol und Genossen. Am Schluß de» Verhör» sprach Ravachol über die avarchis'ls.hcn Theorien. Er habe die Attentate begangen, um die Ausmcrliamleit ans die unglückliche Lage der Anarchisten zu lenken. Im Lause des Verhörs befragt« der Vorsitzende Ravachol wegen der ihm zur Last gelegten Ermordung eines Geistlichen und der Leichenschändung, woraus Ravachol jedoch die Antwort venveigerle, weil diese Pnncte nicht In der Anklageschrift enthalte» seien. Ter Vorsitzende machte hierauf über beide Verbreche» eingehende Mittheilungen. Das Verhör des Angeklagten Simon ergab keine neue» Dholsachcn. Derselbe bewies noch größere» EyniSmuS als Ravnchol. Er gab zu, den Aufpasser bei dem Attentat aus dem Boulevard St. Ger- main gespielt zu haben. Der Angeklagte Chaumentin beschuldigte Ravachol der Urheberschaft des Dynamitdiebstahls in Snisy-sous- Etiolles und fügte hinzu, Ravachol habe eine Tynamitpalrvne in den Corridorcn des Juslizpalasles ntederlegcn wollen. Die übrigen Angeklagten suchten sich gleichfalls zu rechtfertigen, ihr Verhör ergab keine neuen Momente. Der Gerichtshof ging alsdann zu dem Zeugenverhör über. Paris, 26. April, S'/, Uhr Abends. Proceß gegen Ravachol und Genossen. Der Gencralprocurator verlangte das Schuldig gegen alle Angeklagte», welche gewöhnliche Mörder nach dem gemeinen Rechte seien. Er beantragte gegen Ravachol und Simon die Todes strafe, sür die Uebrigen Zulassung mildernder Umstände. Die Sitzung wurde vertagt. Paris, 27. April. (Telegramm.) Proceß Ravachol und Genossen. Ravachol nnd Simon wurden zu lebensläng licher Zwangsarbeit verurthcilt, die andern drei Angeklagte» wurden freigesprochen. Paris. 27. April. (Telegramm.) Nachdem das Schwur- gcricht das Urlheit über die Angeklagten gefällt hatte, riefen Ravachol und Simon: „Es lebe die Anarchie"! Im Zuschauerraum Hörle man sagen, das sei die Antwort auf das Urthell der Jury. Die Verhandlungen wurde» unter großer Erregung ausgehoven. DaS „Journal des Töbatt" bedauert, daß die Geschworenen nicht ebenso ihre Pflicht erfüllt haben, wie der Staatsanwalt die seinige. Paris, 27. April. (Telegramm.) Einzelne Blätter ver- lange» die Proclaniirnng des Belagerungszustandes sür Pari«. NllgesichlS der groflen Gefahr müsse die Regierung auch außerordentliche Maßnahmen treffen. Jedermann, der anarchistiichcr Gesinnung verdächtig sei, müsse unschädtich gemacht werden. Paris, 27. April. (Telegramm.) Die Polizeiagentcn ver- hastete» gestern Abend aus dem Boulevard Scbastovol ein Individuum in dem Augenblicke, als es eine Trinkstube verließ. Der Vcrhastete ist ei» Tischler, R»e Fanbonrg wohnend. Nach seinem Ausenlhall wird ßlw» lange gesucht. Man glaubt, daß er der Anslisicr oder ein Mitschuldiger der Explosion im Restaurant Very sei. Ein anderer Anarchist, Lapeyre, wnrde ebenfalls verhaftet. Paris, 27. April. Anläßlich des Dynamit alte» tals aus dem Boulcvard Magenta schreibt der „TenipS", das Ver- brechen sei eine prompte, schreckliche Antwort aus die Ausführungen der oppositionellen Blätter der Rechten und der äußerste» Linte» gewesen, welche die Regierung ivegen ihrer vorbeugenden Maßregel» getadelt hätte». Die Anarchisten tümmcrtc» sich weuig um die Auslassungen der Presse, sonder» versolgie» ihr Ziel. Gciahr drohe jedoch nicht vo» dieser Handvoll Bösewichlcr, deren eine der Ge rechtigkeit ihrer Sache bewußte Demokratie sehr schnell Herr werde» würde; die eigentliche Gefahr sei in Leu schlimme» Absichten der Parteien zu suchen, in den Plan!» einiger Ehrgeizige», die in allem was geschehe, nichts sehen, als ei» Mittel zur Befriedigung ihrer Leidenschaft n»d ihrer Rachsucht. Man müsse daher darauf gefaßt sein, Laß alte Feinde der Republik sich verbinden, »m ans der nnarchlslische» Gefahr sür ihre Zwecke Nutze» zn ziehe». Die Republikaner müßten hieraus damit antworie», daß sic sich eui- müthig in» ihre Fahne sammel» und nm die, welche sic tragen. Jeder wohlmciucnde Bürger müsse einsehen, daß i» diesem Augen- blick eine Niederlage der Regierung zugleich eine Niederlage der Republik und eine noch schwerere Niederlage der Gcsellschast »nd des Vaterlandes bedeute. — DaS „Journal des DebatS" führt aus, die geslrigcflalastrvphc müsse de» Blätter», welchedieRegicrnng wegen der vorbeugenden Berhaflunacn der letzte» Tage getadelt halten, doch zu denken geben. Tie Anarchisten besäßen eine feste Organisation und befolgte» harlnäckig ihr Programm der Zerstörung. Sobald nun aber die Regierung im Begriffe sei, ihre volle Energie gegen diese schlimmsten Feinde der Gesellfchafl anzuwendcn, da erhebe sich ein Theit dieser Gesellschaft zur Berlheidigung der Anacchislen. Diese Leute hätte» bereit« zu lange ihren Einfluß ausge.wt. Es sei zu hassen, daß man von jetzt an gegen jede Anwandlung uo» Schwäche gefeit sein werde. politische Tagesschau. * Leipzig, 27. April. ES mehren sich die Anzeichen, das; man in den leitenden politischen Kreise» des Königreichs Sachsen i» neuester Zeit auf die Propaganda der Socialdcinokratic wieder cm sehr wachsames Angc richtet. Von socialdcniokratischer Seite war beabsichtigt, auf den 20. April eine» „allge meinen sächsischen Geiiieindevcrtrcterlag" cinzu- berufcn. Mit Bezug hieraus hat taö k. Ministerium des Innern in Dresden ein Rundschreiben an sämmtlichc Ainls- hauptmannschaften des Landes folgende» Inhaltes gerichtet: „Bon socialdemokratischer Seite wird, wie in Blättern dieser Partei angckttndigt ist, die Veranstaltung eines allgemeine» suchst- scheu Gemeindevertretertages beabsichtigt, und es sind alle diejenigen Vertreter sächsischer Landgemeinden, welche an der wo möglich an einem Sonntage noch vor Psingslen abzuhallendcn Versammlung Theit zu nehmen gesonnen sind, ausgesordcrt worden, die durch Georg Horn in Löbtau unlerjeichnetc „Commission" dicS bis zum 30. d. M. wissen zu lassen, und ihr zugleich bis dahin über alle von ihnen in Geineindc-Veiwattuiigs-Aiigklegenheiten wahracnom- menen Uebelstände, namentlich im Steuer-, Straßenbau-, Armen, und Schulwesen re. Mitlheilung zu machen. Da es hierbei schwerlich um Anbahnung wirklicher Verbesserungen, sondern offenbar nur um Ueberlragung der svcialdenwkratischen Agitation aus das platte Land zu thun ist, diejenigen Gemeinde- Vertreter also, welche nicht selbst der socialdeinokraiische» Partei an gehören, alle Ursache habe», von jener Versammlung fern zu bleiben und mit der sogenannten Commission in keinerlei Verbindung zu treten, so erscheint eS ganz zweckmäßig, wenn di« AiiitShauptmann- schosien die Geineindevorstünde ihre« Bezirks über die Natur de- ge- planten Vorgehens nnd der gedachten Commission aufzuklären ge denken, um zu verhindern, das, dieser Agitation vielleicht au- bloßer Unkenntniß der Sachlage eine gar nicht gewollte Unterstützung zusließe. Es bleibt den Anttrhanplmannschaslen überlaffen, in wie weit fke ein ähnliches Verfahren ihrerseits sür angemessen erachten wollen. Dresden, am 16. April IV32." Der Wiederzusammenlritt deS preußischen Landtag- bat natürlich sämmtlichc» Fractioncn Anlaß zu Besprechungen über die inncrpolitische Lage und die Parlcitaktik gegeben. Am »leiste» hatte die conservative Fraction des Ab- geolduclenhauseö zu solchen Besprechungen Ursache. Es hat denn auch gestern eine Fraclioiiösitzung stallgcsundcn, in der sich jckoch, wie man bört, wenig Neigung zeigte, aus die Parlcistreitigkcitcn im eigenen Lager cinzugcben. Die An- aclcgciibcit Hcllkorff wurde allerdings besprochen, die weitere Behandlung aber hat man unter dem soriucll freilich zu treffende» Vorwände abgelcbnt, daß Herr von Helldorff rem Abgcordnetciibause nicht angehöre. Dagegen wird sich die Fraction nächster Tage bcrciiS mit der Umgestaltung deS Parteiprogramms befassen. Inzwischen stellt sich mckr und mebr heraus, daß Herr v. Hcltdorff die »leisten seiner Gegner i» Preußen, die meiste» seiner Freunde in den übrigen Bundesstaaten findet. So veröffentlicht er heule in seinem „Eons. Wockenbl." folgende Zuschrift ans Baden: „Der Kanipk, welche» Herr v. Helldorss.Bedra gegenwärtig so muthig nnd sest gegen die Presse seiner eigenen Partei führt, wird von nnS süddeutschen, insbesondere von uns badischen Cou- serval'ven mit mehr Theilnahme verfolgt, als man im Norden ahnen mag. Verehren wir doch in Herrn vo» Helldorff de» Vater der deutsch-conservativen Partei, an welche wir Con- scrvativen i» Siiddeulschlanb uns anschließen tonnten, nachdem bis zu ihrer Gründung sür uns keine entsprechende Partei in Preußen bestanden hatte. Für die Politik der Allconservalivcn nnd der „Krcuzzeilung" gab cs bei uns kein Verstand»»!. Dies erkannte Niemand besser als der hochbegabte Führer der süd deutschen Eonservaliven, der verstorbene Oberkirchenrath 1>r. Mnhl- häußer, und deshalb verband er sich srendig mit Herrn v. Helldorss zur Abfassung des dcutsch-conservativen Programms. Bor 187ü waren die badischen eonservaliven Abgeordneten znm Zollparlament und zum Reichstag, so Herr von Güter und später Prinz Wilhelm von Baden, einfach gezwungen, sich der sreicon- servativcn Fracliv» anziischließe». Herr von Helldorss war unser Manu, zu dessen treuesten Genossen sodan» auch die späteren Ab geordnete», wie Herr von Marjchall u. A. zählten. Und wiederum verstehen wir ihn heute, da man ini Norden den Versuch macht, mit allerlei Tascheiispikler-ztiinsistückchen ihm die von ihm gegründete Partei unter den Füßen hinwegzuziehcn; denn im kleinere» Maß- stab hat die jetzige Leitung der conservativen Partei i» Baden voll ständig mit den gleichen Mitteln dasselbe Spiel mit ihrem früheren Führer, Herrn v. Göler, gespielt. Herr v. Helldorss «nd Herr v. Göler sind dem Geiste treu geblieben, ans weichem die deutsch- evnscrvalive Partei heranewnchs, wäbrcnd ein großer Theil ibrer Parteigenossen de» Redaktionen der „Kreuzzeilung' »»d des „Reichs- boten" znm Opfer siele», welche unler dem Aushängeschild „Ehrislen- thum und Monarchie" mit Künste» der Verdrelmug und des Per- schweigenS hnrmlose Seele» verblendete». Es ist lies zu beklagen, daß das „Eonservativc Wochenblatt" aus einen verhälttiißmäßig kleinen Leserkreis beschränkt »l. Wie soll einer die Wahrheit höre», wenn er nur die genannten Blätter liest? Tie von der dcnlschfreisinnigen Fraction des preußischen Abgeordnetenhauses angckündigte Absicht, die Re gierung um Auskunft über die Gerüchte zn ersuchen, welche über die Veranstaltung einer Lotterie zum Zweck der Umgestaltung des Schloßplatze« in Berlin verbreitet sind, Hai zur Folge gebabt, daß die „Bcrl. Polit. Rachr." eine Darlegung veröffentlichen, die angeblich von autoritativer Seite stammt und deren wesentlichen Inhalt der Telegraph bereits mitgcthcilt bat. Bei dem Umsang, den voraussichtlich die Debatte» über die Angelegenheit annebmen werden, glaube» Moderne Junggesellen. Lts Roman von B. W. gell. -lachdcucl c-icbotcn. (Fortsetzung.) Eine schwere, fast unmögliche Aufgabe k Aber ihr starker Geist verzweifelte nicht daran, sie zu losen. Wer so Schwere« vollbracht im Dienste der Barmherzigkeit wie sie, wer ein eben erblühendes Eheglück darum preisgegeben, der würde auch die Kraft finden, das Werk zu Ende zu führen. Und der zweite, schwierigere Theil dieses Werkes forderte srüher ihre Hingabe, als man erwarten durste. Geist und Körper des Kranke» erstarkten zusehends, seine erwachende Denkfähigkeit trat alsbald klar hervor und eines Tage« beim Spazierengehen war er eS selbst, der die Sprache ans diese Dinge brachte und Cornelic ohne viel Einleitung fragte, wie sic über die nächste Zukunft bestimmt habe, denn sie könne ibn nicht dem Leben wicdergegeben haben, um dasselbe aufs Nene zu vernichten, indem sie ihn je wieder verlasse. Daß er nicht im Stande sei, ohne sic zn leben, habe seine Krankheit wohl klar genug bewiesen. Er sprach so ruhig, klar und ohne jede Erregung, daß Eornelie, so sehr ihr Herz auch vor der entscheidenden Stunde bebte, eS doch hoch ausschlagcu fühlte in Freude und Dank über feine voll wiedcracfuntene GcisteSklarheit. Und so zögerte sie nicht, saust, aber fest zu entgegnen: Wie kann ich für immer bei Ihnen bleiben, Ueber Freund, da Sie doch wissen, ich gehöre meinem Gatten? Ich war da. als Cie mick, brauchten. Nun. wo Sic wieder gesund an Leib und Seele, kann die barmherzige Schwester freudig ihres Weges ziehen und — versäumte Pflichten wieder gut zu machen suchen, setzte sie etwas leiser yinzu. Er wich schmerzlich betroffen zurück (5or««lie — daS kann Ihr Ernst nicht sein! Sie wissen, wie e« in »einem Herzen auSsieht —, daß Sir mir vvr- bestimmt waren von Anfang an und ich schon Ihr Bild in meiner Seel« trug, noch che meiar Augen Sie gesehen. Tauchen die alten Wahnaebilde wieder auf, Graf? unter brach sie ihn streng. Ich habe zu früh triumphirt, als ich Sie genesen glaubte — ich sehe, Sie sind es nicht. Ebenso wenig wie ich Ihnen vorbestimmt war, haben Sie mein Bild je in der Seele getragen — cs war ein wesenloses Geschöpf, das Ihre Phantasie geschaffen und das wahrscheinlich gar keine bestimmten Züge zeigte. Als Sie mich dann kenne» lernten und meine Erscheinung einigen Eindruck auf Sie machte — vielleicht nur, weil ich Ihnen unvermuthct gegen- übertral —, war Ihre leider nur allzu geschäftige Phantasie sofort bereit, Wirklichkeit und Einbildung mit einander zn verschmelzen und dem selbstgeschaffencn Idealbild meine Züge aufzudrücken So ist'S gekommen, mein Freund — ganz gewiß nur so. Mir ist, als sei meine Seele plötzlich hellsichtig geworden und erkenne klar die Vorgänge in der Ihrigen. Sie irren, Cornelie — ganz gewiß. Sie irren! murmelte Nemmelin ganz bestürzt. Nein! sagte sie zuversichtlich, fast heiter, obgleich ihr Herz ängstlich pochte. Galt eS doch, siegende UeberrcvungSkunst zu entfalten und eine Seele, welche, wie die eines Kinde«, vo» Neuem wieder zu vollem Bewußtsein erwachte, auch mit gänz lich neuen Vorstellungen zu füllen. Nein — ich irre mich nicht. Daß sich auf Grund jener ersten Einbildung wrftere anschloffen »nd sich daraus bei Ihrem Hang zum Grübeln nnd Vertiefen allmälig eine Leidenschaft entwickelte, ist nur zu natürlich, suhr sie in dem selben Tone fort. E« war eine Krankheit, lieber Freund — der Anfang jener später auSgebrochencn, jetzt Gott sei Dank überwundenen. Aber hüten Sie sich, in jene alten Wahn vorstellungen zurückzufallen — e« konnte unübersehbare Folgen haben, nnd zum zweiten Male ist vielleicht die Rettung un möglich. Sie aber haben Ihrer Mutter den Sohn zu erbalten — vergessen Sie da« nie, denn e« ist Ihre heiligste Pflicht! Wolf Nemmelin schwieg eine Weile, als brauche er Zeit, daS Gehörte recht z» erfaffcn. Sie wollen mir meine Liebe auSrcde» und st« als krank hafte Einbildung bezeichnen, sagte er dann schmerzlich. Kann aber Einbildung sein, waS al« lebendiges (Vesthl im Herzen quillt, täglich neu, wa« mich umschwebt i« Wachen und im i Trcumtr. daß Sie -da And, daß Ihre (^Witvxi i t mich mit Seligkeit erfüllt, daß ich lechze nach dem Ton Ihrer Stimme und dem Blick Ihrer Augen — soll daS Alles auch Wahn vorstellung und nicht Liebe, echte, seclenbeherrschende Liebe sein ? Cornclie hatte sich erröthcnd abgcwandt. Sie konnte eS nicht hindern, daß in diesem Augenblick all ihre Gedanken sehnsüchtig sich zu dem ferne» Gatten kehrten und cS sie verletzte, Worte der Liebe von eines andern Lippen zu ver nehmen. Gleichwohl bezwang sie dies Gefühl, um ihren wohlerwogenen Plan durchzusührcn. Und wenn dem so wäre? fragte sie sest. Ist jeder Liebe Gewährung beschicken — ist es eines ManneS würdig, sich von einer unerwiderten Leidenschaft völlig unterjochen, sein Leben dadurch zerstören zu lassen? Gewiß nicht! Ich denke hoch von Ihnen, Graf Wols — sonst wäre ich nicht hier an Ihrer Seite. Wollen Sie mir meinen Glauben an Sie ver nichten, die warme Freundschaft, die ick für Sie im Herzen trage, ersticken? Liebe wandelt sich über kurz oder lang ja doch in Freundschaft — nehmen Sie Ihren ganzen ManneS- stolz, all Ihre Willenskraft zusammen, dir Wandlung schon jetzt zu vollziehe». Cornclie hielt inne, denn sic bemerkte erst jetzt, daß der an ihrer Seite Wandelnde schwankte. Sofort »ahm sie seinen Arm und führte ihn der Veranda zu, wo sein Ruhebett bereit stand. Es ist zuviel geworden, sagte sie besorgt. Verzeihen Sie meiner Unvorsichtigkeit, die ich mir freilich selber nicht ver zeihe. Und jetzt ruhen Sie. Wir wollen nie wieder von diesen aufregenden Dingen sprechen, bevor Sie — ganz ge sundet. Die seelische Erschütterung dieser Stunde blieb natürlich nicht ohne Einwirkung aus daS Befinden des Genesenden, er kann und grübelte wieder, obne daß Eornelir, die ihn gewiffen» yaft beobachtete, sich besondere Unrubc darüber machte oder eS zu verhindern suchte Es ist der LäuterungSproceß seiner Seele, sagte sie sich mit richtigem Instinct, und er mußte kommen Wenn er beendet, wird Graf Wols gesund sein, »nd meine Ausgabe ist erfüllt. Und ihre Zuversicht trog nicht. Wenn auch noch Wochen darüber bingingen und eS unausgesetzter planmäßiger Pflege und seelischer Minirarbrit bedurfte, wenn auch mancher Rück» fall die Geduld de« Arzft« sowohl al- die Eaweaea« eine barte Probe stellte, endlich kam doch die Stunde, in welcher crsterer erklärte, seine Thätigkeit sei nunmehr beendet, denn WaS noch zu thun bliebe, sei nur durch die günstige Einwirkung von Luftveränderung nnd die seelische Anregung von Reise Eindrücken z» erziele». So ward denn eine Reise nacki dem Süden beschlossen Daß Wolf Remniclin den Ge danken ertrug, Eornclic aus dieser Reise z» entbehren, war der zweite größere Schritt zn seiner völligen Genesung. 16. Herr Michclson hatte wieder einmal einen Freier für Frau vvn Rathenow anfaestötert. Diesmal war cS, wie er triumpbircnd mitlhciltc, sogar ein Mann von Namen, von Adel, ei» Mann, der so »nd so viele Orden aufzuweiscn batte, wenn auch Herr Michclson natürlich nicht wissen konnte, sür welche Verdienste letztere verliehen worden waren. Ber- mntblich wußte eS der Besitzer selbst nicht. Und diesmal „klingtS" auch, suhr der findige HeirathS- vcriniNler voll Gcnuathunng fort. Herr von Plauenthal — Frau von Plaucnlhal, geborene Gräfin Mengen. — Haben Frau Baronin an dem Klang etwas anSzusetzcn ? Gewiß nicht. Durchaus nicht, versetzte Melanie lakonisch. Und waS ist sonst über den Mann zn sagen ? Oder nein — lasten Sie'S lieber, eS ist ja doch nebensächlich. DaS Vermögen, welches Sie für notbwendig bei dieser Hcirath krackten, wird wohl verbanden sein, und so überlasse ich Ihnen taö Weitere. Nur habe ich eine Bedingung zn stellen. Herr Michelso» ward unruhig — noch eine Bedingung! Waö diese Frau anspruchsvoll war! Jedenfalls war eS ibm lieb, daß sie so ohne Weiteres auf die Hauptsache selbst cin- ging, ohne nach den näheren Vcrbältniffcn seines MillionairS zu fragen, denn daß cS sie besonders beglücken würde, in ibrem Zukünftigen einen rcichgewordcncn, seckzigjäkrigen Brauer, der mit seinen, Gold Adel und Orden gekauft und jetzt nur noch die vornebme Frau brauchte, kennen zu lernen, wagte selbst Herr Michclson nicht zu kosten Und doch war nach seiner individuellen Meinung )eder Millionair von vorn herein ein Gott und alles Ucbrigc ncbensächlick Nun, »nd die Bedingung, Frau Baronin? Wenn Sie mir Ihr Ebrenwort gebe», diese» Freier nicht abzuweisen, will ich gern auf jede billige Forderung cingchrn. Sie ist billig, «rtgrgsrte Melanie gegen ihre Gewohnheit
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