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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.11.1892
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1892-11-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18921110028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1892111002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1892111002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1892
- Monat1892-11
- Tag1892-11-10
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«LimrremeirtSpreiS t» d« Hauptexpedittoa oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten AuS« aabtstellen abgeholt: vierteljährlich 4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung in« ^»aus 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 8.—. Directe tägliche Kreuzbandjenduug in- Ausland: monatlich ü« S.—- Die Morqen-AuSgabe erscheint täglichV,7 Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags b Uhr. Redartion und Expedition: IohanneSgaffe 8. DI« Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: ktt» Elsmm» Ssrtim. («lsre« Hahn), Universitätsstraße 1, LoniS Lösche. Aathoriaenstr. 14. Part, und SöuIgSplatz 7. Abend-Ausgabe. WMr Tageblatt Anzeiger. Legan für Politik, Localgeschichte, Kandels- «nd Geschäftsverkehr. i JnsertbmAbeeüO Die Sgefpaltme Petitzeüe 80 keclame» unter dem Redactionsstrtch (4ae- «patte») 60-L, vor den Familiennachrichte, (6 gespalten) 40^. Gröber« Schriften laut unsere« Pak«» verzeichatb- Tabellarischer und ZigertNatz »ach höherem Larts. Extra-vei lagen (gesalzt), »nr mit de, Morgen-Ausgabe» ohne PoslbefSrdetnaa ^4 60.—, mit Postbefärdrrung Itnnahmrschtuß für Inserate: «bead-Lnsgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag« 4IlhQ Soun« und Festtag» früh '/,S Uhr. . vet den Filialen und «nnadm,stellen je et»» halbe Stund« früher. Lusrrat» sind stet» an die GxpedMaE z» richten. Druck «ud Verlag von E. Pol« iu L^pjlA. 578. Donnerstag den 10. November 1892. 86. Jahrgang Amtliche Bekanntmachungen. Gesucht wird der am 23. April 1857 i» Drciskau geborene Handarbeiter Friedrich Gustav Sommcr. wekcher zur Fürsorge für seine Familie anzuhaltcn ist. Es wird gebeten, p. Sommer im Betrctuugssalle mittelst Zwangs- Passes anher zu weisen. Leipzig, den 3. November 1892. Drr Rath der Stadt Leipzig. (Armcn-Ämt, Ablh. II) A. R. H, 1/6584. Hentjchel. Mr. Die neuesten pariser Attentate. *Jn Frankreich zittert der staatliche Boden unter dem wuchtigen Anprall des Wogendranges der socialen Revolution. Mit starrem Entsetzen blickt Paris auf die verstümmelten Opfer dcS Dynamit-AttcntateS in der Rue des Bons EnsantS, daö in Wirklichkeit auf den Vorsitzenden des Vcr- waltungSrathcs der Carmauxer BcrgwcrlSgesellschaft, Baron Reille, abgesehen war. Zn Frankreich bat das köpf- und würdelose Verbalten des Ministeriums Loubet die Anarchie zur Vollsührung neuer Greuelthatcn geradezu herausgefordert. DieRegierung und die böheren Stände haben, statt sich zu Herren dcS allgemeinen Stimmrechtes empvrzuschwingen, auö purem Klcinmutb, um nickt zu sagen aus Feigbeit, diese Waffe dem Straßenpöbcl zu schrankenlosem Mistbrauch überlassen. So ist es dahin gekommen, daß heule die Hefe des Prole tariats den Ausschlag giebt, während Regierung, Be hörden. Kammer und Presse nur ncch als Sklaven des allgemeinen Stimmrecktö cxistiren, welches sie mit Zucker brot» und Peitsche, häufiger aber mit letzterer, rezalirt. Die rothc Fahne von Earmaux und die Dynamitbombe in der Rue des BonS Enfants sind Wirkungen derselben Grund ursache, nämlich des Hasses, der das Proletariat zur Vernichtung des Bestebenden anstachelt. Diesen dämonischen Haß haben gerade diejenigen Gesellschaftsklassen, welche den EntwickelungSgang in Frankreich entscheidend beeinflussen, in unbegreiflicher Verblendung großgczogcn. Sie haben mit dem Feuer gespielt wie thörichte Kinder; jetzt, wo die Flamme zum Dache hinausschlägt, jammern sie wie hilflose Kinder, und Pariser BourgeoiSblättcr stimmen richtig schon den ominösen Ruf nach einer rettenden eisernen Faust an. Sollte die Noth in der That schon so dringend sein? Das Ministerium Loubet mit scincm planlosen Tasten und Schwanken bietet allerdings ein wahrhaft klägliches Schauspiel dar, angesichts dessen selbst waschecht radicale Seelen wohl den Wunsch in sich verspüren mögen, daß ein kraftvoller Wille durch einen Machtspruch endlich einmal Ord nung und Zucht in die Lotterwirtbschast der Demagogie bringen möchte. Noch aber sind die Dinge kaum so weit ge diehen. Der gegenwärtige Augenblick ist zu dem Staatsstreich tiu cko siöelo noch nicht reis. Ter republikanische Mohr darf nicht eher gehen, als bis er seine Arbeit, mit welcher er am Tage nach Unterzeichnung des Frankfurter Friedens von dem Willen der Nation betraut wurde, völlig gethan hat. Etwas Dauerhaftes wird und kann freilich unter den jetzigen precären Umständen in Frankreich daS Licht der Welt noch nicht erblicken, viel mehr kann von einem Tage zum andern das Unzulängliche zum Ereignist und das Unvernünftige zur Thatsache werden. Lehrt doch die Geschichte gerade Frankreichs, daß in kritischen Momenten die Versuchung, durch eine äußere Action sich über innere Schwierigkeiten hinwegzuhelfen, übermächtig wird. Deutschland hätte wahrlich ernstesten Anlaß, diese Blätter der französischen Geschichte seinem Gedächtnis; un auslöschlich cinzuprägen. Wie es in Paris augenblicklich auSsieht, erhellt auS einem Telegramm, wonach zahlreiche Fremde die Stadt aus Furcht vor neuen Dhnamitattentaten verlassen und vieleBeamte, welche die Rache der Anarchisten fürchten, ihre Familien fortschicken. Auch der „TempS" glaubt, daß die Attentate sick wiederholen werden. Dem Minister Loubet ging ein Telegramm auS Paris zu, in dem gesagt ist: „Das neueste Attentat ist unsere Antwort aus den Schiedsspruch." — Wir haben schon in der letzten Nummer die unwürdigen Scencn angedcutct, die sich in der vor gestrigen Sitzung der Pariser Dcpntirtenkammcr ab gespielt haben. Wir geben aber zur besseren Kennzeichnung der beispiellosen Verwirrung, welche die Köpfe der sran- zösiscken Minister und Volksvertreter erfaßt hat, noch folgen des Telegramm der „Vossischen Zeitung": Paris, 9. November. Die Kammer war während der Ver handlung über Reinach's Anfrage wegen des Dynamit- Verbrechens außerordentlick aufgeregt. Reinach sagte: „Ich verlange von der Regierung Mitthcilungcn, namentlich aber sörmliche kategorische Versicherungen der Festigkeit und Kraft." Gabriel, ein bonlangislischer Abgeordneter aus Rane», ruft mit blödsinnigem Lächeln dazwischen: „Verlangen Sic Lebensversicherungen?" (Ungeheurer Tumult: viele Abgeordnete ballen die Fäuste gegen Gabriel. Ruse: Hinaus! Dununkops! Schändlich!) Baisan entgegnet:,.Hätten Siedle fünf Leichen gesehen, dann wäre Ihnen nicht spaßhaft zu Muthel" (Geschrei: Zur Ordnung!) Vorsitzender Floquet: „Fühlen Sie nicht, meine Herren, daß ein solcher Ausdruck jeder Ahndung ent- geht? Wäre er vorbedacht, so würde die allgemeine Entrüstung seine Strafe sei»." Minister Loubet erzählt alles Bekannte über den Tyiiamitanschlag und fährt sort: „Derartige Verbrechen machen glauben, daß mir in den Zustand der Wildheit zurückkehrcn." Teschanel: „Das ist das Ergebnis) gewisser Lehren." Clemenceau entgegnet in herausfordernder Rausboldhallung: „Kommen Sie heran, sage» Sie das auf der Rednerbühne!" De schauet: „Nur Geduld, ich werde kommen!" Revillon: „Gegen wen sind Ihre Worte gerichtet?" Deschanel: „Nicht gegen Sie, aber gegen die Anarchisten." Hobbard: „Man schickt sich an, diese traurigen Verbrechen politisch auszubcmen." Vorsitzender Floquet: „Es ist tief zu beklage». Laß Sie in einer so traurigen Lage nicht die Sammlung eines gemeinsamen Schmerzes zeigen können." Graf Bernis: „Man führt in Earmaux die rothe Fahne mit Zu- stimmung der Regierung spazieren." Minister Loubet: „Sie haben nicht das Recht, das zu sagen; beweisen Sie, was Sie behaupten!" Gras Bernis: „Ich wiederhole, man hat in Car- maux die rothe Fahne entfaltei, man hat gesungen: Ter Baron vor die Kanone, der Marquis vor die Flinte, schneiden wir ihnen den Kopf ab! und Sie haben gewähren lassen." Lasarguc: „Der Unterdrückte verlhcidigt sich mir olle» Massen." Dsroutöde fährt wüthend aus und schreit: ,Lhr seid vateriaudslose Verbrecher!" Er macht Miene, sich auf Lasargue zu stüweu, der ihm mit geballten Fäuste» entgegenspringt. Tie beiden Kainpshähne werden auseinander gerissen. Minister Loubet spricht inmitten des furchtbaren Tumulls weiter: „Solche Verbrechen sind eines gesitteten Volkes un- würdig; wenn sie sich wiederholen könnten, würde» sie das Volk entehre», das nicht Alles anfbieten würde, sie zu ver- hindern." Rufe rechts: „Sie habe» nicht gehandcli." Loubet: „Wir haben gehandelt. Ich glaube nicht, daß man die Regie- rung gerechter Weise der Schwäche zeihe» kann." (Großer Lärm rechts, Rufe: Ta hört Alles aus, dazu gehört Stirne! Sie waren Waschlappen!) Loubet: „Ich wiederhole, man kann uns nicht der Schwäche zeihen." (Neuer Sturm rechts, Ruse: Schämen Sie sich! Schlagen Sie sich an die Brust!) Loubet: „Lassen Sie dock mindestens dieser Sitzung den Eharakter stummer Trauer. In 24 Stunden können Sie von uns Rechenschaft verlangen. Ich glaube nicht, daß irgend eine politische Partei die Verantwortlichkeit für dieses Verbrechen übernimmt; wir sind ungenügend gewasfnet, unsere Gesetze gestatten nicht, die Lobredner von Raubmord und Verwüstung zu fassen." Graf Bernis: „Sie begnadigen ja die Schuldigen!" (Großes Getöse.) Loubet: „Ich habe die Ehre gehabt, darauf hinzuwcisen, zu sagen, daß die Gesetze, das Recht, gegen die Männer, die, wen» sie verfolgt und vcr- urtheilt sind . . ." Gras Bernis, Loubct's Gestammel von Neuem unterbrechend: „Was nützen Gesetze, da Sie sie doch nicht an« wendcn lassen!" Loubet: „Wassncn Sie uns mit neuen Gesetzen! Ich füge Hinz», daß die Wandcrecdner, welche die ungebildeten Nothleidenden anshetzen und anstacheln, das Maß des Gerechlscrtigtcn und Erlaubten überschreiten . . ." (Rufe rechts: Sie entschuldige» die Verbrecher!» Loubet: . . . „eine schwere Verantwortung über- nehmen. (Großer Beifall links.) Ich fordere alle gute» Bürger auf, gegen diese Sendboten, gegen diese innere Mission zusammen zu wirken." Granger: „Haben sie jemals einen Socialisten nach Dynamit rufen hören ?" Loubet versichert schließlich, die Regierung werde ihre Schuldigkeit thun. De la Fasse (Bonapartist): „Die unglaubliche Schwäche der Regierung ist allein an den entsetzlichen Verbrechen schuld; selbst wenn sie es wollte, könnte sie mit ihrer Vergangenheit nicht mehr stark sein, sie muß also verschwinden." Er beantragt folgende Tagesordnung: „In Anbetracht, daß die Schwäche der Regierung eine Gesellschaftsgesahr ist, soll sie ihren Platz einem Ministerium räumen, das regieren kann und will." Ferroul, einer der Carmauxer Wandcrredner, erklärt, er sei »ach Earmaux gegangen, um die Ruhe zu erhalten, nicht um zu Hetzen; man dürfe die Socialisten nicht mit den Anarchisten verwechseln, die im Gegenthcil deren schlimmste Feinde seien. Terrier, der vor wenigen Tage» die Amnestie beantragt hat, betritt die Rednerbühne. (Großer Lärm, Ruse rechts: „Haben Sie wieder eine Amnestie zu verlangen?") Er stottert einige verworrene Phrase» über die Bosheit der Verbrecher, daS Vertrauen zur Republik und »dergleichen. Prinz Leon: „Für das heutige Ver brechen find einzig die Männer verantwortlich, die seit Wochen die Carmauxer Vorgänge geduldet und de» Arbeitern gestattet haben, zu singen: „Wirschneiden ihnen die Köpfe ab", die sich haben »ötbigcn laßen, Leute zu begnadigen, welche morden gewollt, und die auf solche Weise den Arbeitern den Glauben beibrachte», sic seien die Herren im Lande." Mitchell lheilt nicht die Ansicht seiner Parteigenossen von der Rechte»; an dem neuen Verbreche» sei die Schwäche der Regierung unschuldig. Very sei »ach Fourmies ausgcflogcn, wo die Regierung sich im Gegenlheil kräftig erwiesen. Nach neuem Tumult und wirrem Hin- und Hcrreden über eine Reihe vorgcschlagener Tagesordnungen wird schließlich Aränes, regierungsfreundliche Tages ordnung angenommen. politische Tngesschau. * Leipzig, lO. November. Die Eröffnungsrede, mit welcher dem preußischen Landtag gestern sein Aufgabewerk aiigekündigt worden, ist eines jener nüchternen Aktenstücke, die neuestens den Anfang schwerer Wochen kennzeichnen. WaS an der Eröffnungsrede allenfalls zu bemerken wäre, ist bas Fehlen gewisser hergebrachter Fremdwörter. Nur die Ver deutschung des EoiiiptabilitätSgesctzes will noch nicht ge lingen, denn ein Gesetz „für die Veranschlagung, Fübruug und Eontrvle dcS Staatshausbaltü" hat zwar den umständlich längsten Titel, aber die „Eontrvle" steckt doch noch als An leihe bei den Franzosen dazwischen. Dafür ist das fundirte Einkommen durch Besitzeinkommen verdrängt und dergleichen mehr. WaS nun den Sachgebalt der Eröffnungsrede an langt» so bietet er nichts, was irgend Anspruch auf Neu heit machen könnte. Man weiß längst, daß der am 3l. März d. I. erfolgte Abschluß der JahreSrechnung für die Staatswirthschafl über 42 Millionen „Fehlbetrag" ergab und daß die Rechnung für dieses Jahr sick nicht bester stellen wirb. Daß unter diesen Umständen der Finanzministcr I>r. Miquel allen übrigen Verwaltungen gegenüber den Mann mit den zugeknöpften Taschen spielen muß, ist ibm vermuth- lich in diesem Augenblick nicht einmal sehr unbequem. Er weiß uni so sicherer, daß angesichts so offen liegender Tbat- sackcn der Herr College von der Reichsfinauz gar nicht weiter bei ihm anklopft, ob nicht doch etwa im preußischen Säckel noch ein Rest von 10—12 Millionen auf dem Matri- cularwcg für den Rcichösäckel zu haben sei. Preußen hat nichts, rein gar nichts übrig und muß selbst verschiedene Löcher zustopscn — tönt aus dieser Eröffnungsrede die preußische Melodie »ach dem RcichSschayamt hinüber. Deswegen halten wir auch die neuestens umlausende An deutung, daß etwa die Hälfte der Mehrforderungen dcS Reiches auf die Einzelstaaten umgelcgt werden sollen, sür durchaus unglaubwürdig; und wenn sie doch zulreffen sollte, so wäre eö erst recht verständlich, warum gewisse Regierungen noch mit den Weisungen an ihre Vertreter im BundeSrathe in, Rückstände sind. — Betreffs der Steuerreform läßt die Eröffnungsrede ebenso wenig bereits einen klaren Umriß des Planes erkennen; bestätigt wird nur, daß ganze Arbeit gemacht werden soll. Wie namentlich die Ueberwcisung der Ertragssteuern an die Gemeinden gedacht ist, daö zu offenbaren, bleibt der heute erscheinenden Denk schrift Vorbehalten; man mag sich dann zunächst darauf gefaßt machen, daß jedes Dorf, jede Stadt sich eiligst hinsctzt, um zu rechnen: „WaS Hab' ich davon?" Fenilletsn. Dämmerungen. Roman in drei Büchern von Rudolf von Gottschall. ö4s Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Fünftes Eapitel. Eine Künstlerin! Lothar fing in seinen Photographie kasten schon mancke rin sür episodische Figuren in seinen Romanen — doch diese Teresa hatte das Zeug sür eine Haupt- Heldin. Dieser grundlose Lebensüberdruß . . wie orainell, wie entzückend! Die Kritik würde es vielleicht unwahrschein lick finden, dock das Unwahrscheinliche ist gerade oft die l'öckste Leben-Wahrheit! Wie anziehend diese aschgraue Stimmung . . so war sie ihm zuerst entgegcngetreten; aber nock anziehender, wie ans dies Grau in Grau der erste Eckimmer eines auslcucktcnden Frühlings fällt, leise violette »nd rothe Tinten wie die Ahnung eines farbenreichen Lebens. Und er selbst hatte dies Wunder bewirkt durch die Macht seiner Persönlichkeit; ihre Zuneigung zu ibm zeigte sich bald und er durste an ihrer Liebe nicht zweifeln. Doch nur allmählich löste sich diese Spannung ihrer Seele, die der ganzen Welt gegenüber sich abschloß; immer mehr Licht siabl sich in ihre Dunkelheit und er war Lnciser, der Licht bringer! Sie batte sich einsam gefühlt, abseits stehend mit ihrem unverstandenen Trübsinn . . er zeigte ibr, daß sie gerade ans der Höhe der Zeit stehe unk deshalb den höchsten Berus zur Kunst habe; denn die Weltanschauung der Ver zweiflung sei mit Recht die herrschende geworden; alle wahrhast großen Dichter und Denker huldigten ihr und nur aus diesem vulcanischcn Boden könnten die echten Blüthcn der Kamst gedeihen. DaS aber hob er stets hervor, daß kiese Verzweiflung nickt die Leidenschaft und den Genuß dcS Lebens ausschlicßen; man tanze nin so wilder und trunkener aus dem Boden, unter dem das Erdbeben schlummere. Sic fühlte sich dadurch gehoben, daß ihre tiefe Melancholie nicht als eine vereinsamte krankhafte Seclenstimmung erschien, sondern daß sich darin der Geist der ganzen Zeit spiegelte und daß sic den großen Genien derselben verwandt war. Und auch die Mahnung an den stürmischen Genuß dcS Lebens sank einen anfangs leisen, doch stets wachsenden Widerhall. War das Leben ein trostloser Sumpf — warum nicht wenigstens die Wunderblumen pflücken, die mit prangen den Kronen daraus hervorwachsen? Lothar las ihr seine Gedichte, las ibr Eapitel aus seinen Romanen vor und sie geriet!, immer mehr in den Bann dieses Schwarmgeistes, der sich nie erhabener dünkte, als wenn er die Welt und alles was biöbcr die Weisheit der Jahrhunderte gelehrt, aus den Kopf stellte. ES lag bisweilen etwas Berauschendes in seiner Darstcllungsweisc und Teresa zeigte eine überraschende Empfänglichkeit sür die Wagnisse dieser Gedankcnsprünge, während sie den Lekren der üblichen Moral gegenüber empfänglich geblieben war unb diese nickt vermocht batten, sic aus ihrer traumseligen Gleichgiltigkeit anszurütteln. Nickt blindlings gab sie sich jenen Abenteuer lichkeiten dcS Denkens und Empfindens hin; etwas in ibr setzte sich dagegen zur Wehr; aber cs berührte sie doch in innerster Seele und sie war wack geworden . . geistig wach — wie sie cS noch nie gewesen in ihrem Leben. Es war ein schwüler Sommernachmittag, auf dem bellen Kies der Gartenwege brannte die Sonne — die Marquisen waren hcruntergelaffcn . . vom Blumentisch bauchten Rosen üppigen Dust . . es waren Spenden, die Teresa auf der Bühne erhalten und ins Wasser gesetzt . . in diesen Vasen blieben ja die Erinnerungen eines schönen Erfolges einen Tag länger frisch. Sie saß, mit einer Stickerei beschäftigt, am Fenster; neben ihr lag eine Rolle, in die sie bisweilen in den Pausen des Gesprächs einen Blick warf. Lothar, in einen Schaukelstuhl an ihrer Seite sich lehnend, las ihr aus einem Manuskript vor. „Da wird sie uns immer als hehres Vorbild bingestellt, die Natur: sie soll uns an ihrer Hand führen wie ein Kind am Gängelband, wir sollen in ihr eine würdige Matrone sehen und doch ist sic ein Racker und hetzt ei» Geschöpf aus» andere, und sie freut sich, wenn Alles, was da kreucht und fleucht, lebt und athmet, sich gegenseitig auffrißt. Und da beißt eS, wir sollen der Natur gemäß leben! DaS wäre ja die unwürdigste Knechtschaft. Freilich, sie hat uns in ihrer Gewalt, wenn wir uns auch mit Händen und Füßen ab zappeln; doch haben wir noch ein Stückchen Geist, der den Pfropfen sprengt, womit sie uns zugekorkt bat. Wir sehen ihr damit in die Karten und stehen über ibr. Aus Augen blicke nur — doch da gilt'S, diese Augenblicke festzuhalten, und gerade wenn wir ihr einen Streich spielen können, feiern wir den Triumph unserer Freiheit. Es ist möglich, daß sic unS dafür bestraft; doch eS bleibt uns das stolze Gefühl, unS einmal von ibr freigemacht zu haben. Man vcrurtheilt, was wider die Natur ist . . und doch . . giebt cs in der ganzen Welt ein Wesen außer dem Menschen, daS diese auf dringliche Allmutter verleugnen und mißachten kann ? Nicht in der Tugend, nickt im friedlichen Auslebcn des Daseins — nein, im Laster und im Selbstmord beweisen wir unsere Frei heit und Menschenwürde." „Das ist ja unerhört", sagte Teresa, von der Stickerei aufschend; „für Sie müßte eine besondere Kanzel gebaut werden." „Es ist wenigstens neu — »nd die neuen Wahrheiten müssen sich mit dem Ellenbogen Platz machen. Diejenigen, welche den Eultus der Natur treiben, galten bisher sür Freigeister lind große Heiden, auch der Jupiter Goethe, der, wenn er in Weimar sein ambrosisches Gelöst schüttelte, den ganzen Olymp der geistigen Halbgötter erschütterte, die mit ibm sieben und fallen. Doch das waren alles beschränkte Köpfe. Wer die Natur anbetet, ist ein Baalspriester — nur wer diesem Racker einen Fußtritt versetzt, ist wahrhaft frei!" „Und dock verlangen Sie von der Kunst, daß sie nicht- wiedergiebt al« die Natur?" „Gewiß — das sind einmal unsere Vorlagen! Doch die Kunst soll sie wicdergcben in ihrer ganzen Scheußlichkeit. Wir sollen sie nicht bewundern, sondern vor ihr erschrecken." Es trat eine Panse ein . . Teresa warf wieder einige Blicke in ihre Rolle. „Freilich", fuhr Lothar fort, „sind inir die Natur- gläubigen nock lieber als die Geisterseher; der ganze ideale Spuk, der in Staat und Kirche und auf dem Bisher sind ja nur solche Beispiele ausgemacht worden, W» die Gemeinden entschieden im Vortheile sein sollen. Jetzt wird der hinkende Bote nicht auSblciben. Richtig ist ja, daß, wenn auS der Vermögenssteuer 40 Millionen neu flüssig ge macht werden sollen, um mit überwiesen zu werden, rechne risch jede Gemeinde wenigstens etwas mehr haben wird al« bisher. Aber die Vermögenssteuer muß doch irgendwo auf gebracht werden, und dort, wo sie die höheren Erträge liefert, wird eö der Gemeinde schwer genug werden, dieselben steuer- fähigen Personen auch noch für die Gemcindebrdürfniffe eut- sprcchcud Höker mit heranzuzichcn. Fällt aber einer Gemeinde auch nur ein Millionär auS, der „aufsLand" vcrzieht.'so bekommt die ganze Uebcrweisungsrcchnung einen bedenklichen Riß. Da« ist es, was dem Finanzminister I)r. Miquel nächsten« a» lehrreichen Beispielen wird vorgerechnct werden und WaS, so weil wir übersehen, daö eigentliche, aber freilich auch einzige Hindernis; der Reform ist. Loben darf man die preußische Regierung übrigens dafür „voll und ganz", daß sie jeglichen andercii gesetzgeberischen Erfindungsgeist in allen übrigen BerwaltungSzweigen zur Ruhe verwiesen hat. DaS Werk, daS hier vollbracht werben soll, ist umfassend genug, um eine ganze Tagung in Anspruch zu nehme». Und eS bleibt nur zu wünschen, daß bei etwaigen Schwierigkeiten, die daS Ecntrunl machen sollte, nicht auf einmal wieder die Unter richts» crw alt» ng den gesetzgeberischen Neformdrang ver spürt. Je weniger sie in diesem Winter von sich reden macht, desto besser für die allmälige RUckentwicklung der Dinge auf eine nationale Basis, in Preußen nicht nur, sondern auch im ganzen Reiche. Die Reichs-Officiösen haben den Auftrag erhalten, den Sturm zu beschwören, den sie durch ihre bodenlos ungeschickte Stimmungömacherei sür die Militairvorlage herauf- bcschworen habe», und suchen zunächst die Aufmerksamkeit von den berüchtigten Landwehr-Artikeln abzulcnkcn, indem sie daS Eapitel der Evncessioncn zur Militairvorlage, über die „sich reden läßt", neuerdings zur Erörterung stellen. Ueber eine „weitere formelle Gewähr", daß die Dienstzeit nur zwei Jahre dauern werde, lasse sich reden. Mr die liberale Linke bedeutet das ja ein Entgegenkommen» wenn <neck nur „formeller" Natur, d. h. an einer Stelle, wo die Mannschaftsziffer und der uervus reimia völlig unberührt bleibt. Die wesentlichen Zugeständnisse uiüssen aber in letzterer Hinsicht gemacht werden, wenn der Boden einer Ver ständigung gewonnen werden soll. Darüber kann schon der preußische Erat den Herrn Reichskanzler aufklären, und wenn dieser wirklich noch im Zweifel sein sollte, so wird ihn ein Blick in die srciconscrvative Presse, die von vornherein die günstigste Stellung der neuen Vorlage gegenüber eingenommen hattbelehrrn. Heute wieder klagt die „Post" bitter über die einseitige Betonung der militairischen Gesichtspunkte und die Unterschätzung der volk»- wirthfchastlichen Momente, die in den efsiciösen Preß- äußcrungen zu Tage tritt, und betont auf das entschiedenste, daß man selbst von solcher Seite, welche bereitwilligst di« militairischen Vorzüge der geplanten Hecrcöorganisation an erkennt, zu einer Bewilligung der letzteren sich nur entschließen wird, wenn sie streng in den Grenzen sich hält, die durch die unerläßliche Rücksicht auf die volköwirthschaftliche Lage gezogen werden. In Betreff der ungarischen Ministerkrisis wird heute auS Pest gemeldet, in den Kreisen der liberalen Partei glaube man zuversichtlich, daß die Krone Zugeständnisse machen, folglich die gegenwärtige Regierung mit Ausnahme Szapary'S weiter verbleiben werde, wodurch dann auch der Bestand der liberalen Partei gesichert sei. Mit großem Interesse wurde den Acnßerungen der oppositionellen Partei führer in der gestrigen RcichötagSsitzung entaegengesehen und cs erregte großes und angenehmes Aufseben, daß Gras Apponyi und Karl EoctvoeS, der nach dem jüngst verstorbenen Jranyi der Führer der äußersten Linken ist, zwar die Erklärung Szapary'S, soweit sie die Gründe Theater sein Wesen treibt, muß mit dem Hahnenruf einer neuen Zeit verschwinden. ES ist mir ganz recht, daß Sie Hauptrollen der Operette spielen, obschon uns leid thut, daß Sie dazu singen müssen, denn Sie haben kein musika lisches Talent... und dazu diese Gassenhauer. Ich würde Ihnen rathen, zum Schauspiel überzugehen, doch da herrscht ja die große Entartung der Kunst, vor der ein junges Geschlecht sich bekreuzigt. In der Operette weht doch noch ein Hauch der Freiheit — da dreht daS Laster der ganzen sittlichen Weltordnung eine Nase und streckt ibr die Zunge aus; da ist doch »och die Tic und Chic echter Ungebundenhcil und daS ewig Weibliche zieht unö nicht heran, sondern herab, wa« auch viel richtiger ist, »nd wir lernen des Dichters Wort versieben: ein schöner Körper hat auch seine Seele! Doch im Schauspiel regiert die Langeweile der Elassiker und die Vorkämpfer einer neuen dramatischen Richtung haben sich noch nicht Bahn gebrochen. Hier und dort einmal Ibsen — doch der ist mir auch zu sehr Romantiker und spintisirt und nörgelt mir zu viel. Bleiben Sie bei der Operette, Teresa! Eine Nachtigall sind Sie freilich nicht, aber doch bisweilen eine allerliebste Spottdrossel, und Sie haben, ohne cS zu wissen und zu wollen, doch daS Nixenhafte, Sircnenhafte, was uns alte behext . . . Sie haben mit einem Wort den Teufel im Leibe und daS ist das A und O aller darstellende» Kunst." „Und Wohl auch das A und O aller Dichtung; denn in Ihren Werken stirbt sein Pferdefuß überall die schönste« Funken." „Doch welche nüchternen Gespräche führen wir heute", sagte Lothar, sich auf einmal erbebend, „was sollen uns die platonischen Dialoge, da wir doch schon lange nicht mehr an die platonische Liebe glaube»! Und dazu dies langweilige Sie! — nein, Teresa, wir haben uns einmal gefunden und daS ist ein berauschendes Glück, das Du nicht von Dir weisen darfst. Ringsum die kable Wüste de- Lebens . . . wir empfinden diese grenzenlose Lede, aber wir empfinde» sie gemeinsam »nd bell lodert eine Brandfackel darüber auf — daS ist die Gluth unserer Liebe." (Fortsetzung folgt.)
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