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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940607029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894060702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894060702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-06
- Tag1894-06-07
- Monat1894-06
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Zu nächst werden sie diesen, da sie einen eigenen Eandidatcn «usgestcllt haben, grimmig bekämpfen; kommt er aber «t dem von den Nationalliberalcn und den Conser- «tiven oder mit dem von antisemitischer und agrarischer Leite ausgestellten Candidaten in die Stichwahl, so wird er kräftig unterstützt werden. Dafür bürgt die volkSpartciiichc .Herliner Zeitung", die mit Stolz verkündet, daß im 13. sächsischen Wahlkreise „die freisinnige Volkspartci Mann für Mann für den Candidaten der äußersten Opposition eingetreten war", und dafür arbeitet die nicht selten zu officiösen Kundgebungen benutzte „Frankfurter Hlg.", die bei dem Gedanken, daß ein echter und rechter Frei sinniger zwischen dem socialdemokratischen Pinneberger Can- titaten und seinem etwa mit ihm in die Stichwahl gelangenden Gegner auch nur schwanken könne, ganz außer sich geräth. Tie „Boss. Ztg", die von der Richter'schen Führung sich emancipirt hat, schrieb nämlich dieser Tage: „Tie Freisinnigen Schleswig-Holsteins haben bis jetzt in ihrer groben Mehrheit an der taktischen Regel seslgehalten, Laß bei Stichwahlen alle bürgerlichen Parteien der Socialdem o- krali« gegenüber znsaminenhalten müssen, und die Freisinnigen im sechste» Kreise haben im vorigen Jahre bewiese», daß man sich aus sie verlassen kann. Dieses Vertraue» mus; jede der bürgerlichen Parteien für sich in Anspruch nehmen und dabei gesonnen sein, eS nicht zu täuschen. Die Antisemiten und Agrarier, die Nationalen und Freisinnigen, sie haben alle das gleiche Interesse, bei der Stichwahl nicht im Stiche gelassen z» werden." Darin erblickt die „Franks. Ztg." eine „beleidigende Zumuthung" an die Freisinnigen, die gebührend zurück- zeviesen werden müsse. Die „Unentwegten" im Pinnebergcr Lichtkreise werden denn auch, wenn eS zur Stichwahl kommt, die „beleidigende Zumuthung" der „Boss. Ztg." „gebührend zunickweisrn". Freilich wird man dann nicht begreifen, warum die Herren, die doch selbst keine Aussicht haben, in die Stich wahl zu kommen, nicht gleich bei der Hauptwahl für den Tocirldemokraten eintreten. Nur um zu constatircn, daß sie sich selbst noch lieber haben, als die Socialdemvkraten? Das glaubt man ihnen auch ohne die Kosten und Aufregungen einer Stichwahl, denn an der Selbstliebe des „Freisinns" hat noch kein Mensch gezweijclt. Der Staatshaushalt, den der bayerische Landtag jetzt in die Ferien mitnimmt, schließt um 5 Millionen höher ab, al- der Voranschlag betrug, was neben einigen Gehalts aufbesserungen ganz vorzugsweise der Steigerung der Matricularbeiträge zuzuschreibcn ist. Die nothwendige Folge wirb natürlich die Erhöhung der eigenen Einnahmen des Landes durch neue Steuern sein. Wiederholt ist cs in der Presse und in parlamentarischen Reden auch des CcntrumS unverkennbar zu Tage getreten, daß in Bayern über diese Finanzlage allgemein eine sehr gedrückte und besorgte Stim mung herrscht, die sehr merklich gegen die fröhliche Harm losigkeit absticht, welche das Centrum im Reichstag allen Steuerprojecten gegenüber zur Schau trägt. Die langsame, aber sichere Wirkung dieser Stimmung in den Einzelstaatcn auf den Reichstag kann man abwarten. In Württemberg ist bekanntlich die VersassungS- re Vision noch vor Beendigung der parlamentarischen Schlacht in einer Versenkung verschwunden; das Ministerium selbst ist eS gewesen, das sein Werk damit dem Tageslichte entzogen hat. Man kann die Motive für dieses Vergeben ja leicht erratben: Bei dem scharsen Widerstande, den die Regierungs vorlage allseitig unb die von dem Ministerium gebilligten Commissionsvorschläge bei der großen Mehrheit fanden, war eine schroffe Verwerfung der Entwürfe unausbleib lich. Darin hätte die aus Volkspartei, Klerikale» und den Zuzüglern anderer Parteien bestehende Opposition einen großen Triumph gesehen. So ist das Ministerium Mittnacht einer Niederlage auö dem Wege gegangen, indem eS den Stein des Anstoßes sortgeräumt hak. Begreislichcrweise giebt die Opposition ihrem Äergcr über diese Tactik der Regierung Aus druck. Aber auch das Ministerium gebt nicht ohne Schädigung seiner Position aus dem Kampfe bcrvor, zumal da die Frage der VcrfassungSrevision auf der Tagesordnung bleiben wird. Dafür wird nicht nur die lebhafte Agitation der Volkspartci, der Ultramontancn und der deutschen Partei sorgen, sondern in noch höherem Grade das unabweisbar vorhandene Bedürsniß, das grundsätzlich ja auch von der Regierung anerkannt worden ist. Gerüchtweise verlautet bereits, daß die Regierung im Herbste von Neuem mit Ver trauensmännern der Parteien über die Verfassungsrevision unterhandeln werde. Kommt eS bei diesen Conserenzcn nicht u einem Einvernehmen mit den ausschlaggebenden Parteien, o ist ein für die Regierung günstiger Ausfall der Neu wahlen höchst fraglich. Die an den Handelsvertrag mit Deutschland an knüpfende» Vorgänge in Spinnen spitzen sich immer kritischer zu. Zunächst erscheint ein baldiger Ministerwechsel unver meidlich. Der Ministerpräsident Sagasta sowohl als auch der Minister des Auswärtigen Moret haben sich dieser Tage im Senat »och einmal bemüht, die Obstructiv» gegen de» Vertrag zu brechen; sie haben in durchaus loyaler und offener Weise anerkannt, daßTeutschland allen Grund habe, sich durch daöVcr- fahren des spanischen Parlaments verletzt zu suhlen und dasselbe als einen Mangel selbst an äußerer Rücksicht und Höflichkeit zu empfinden. Ablehnen könne man den Vertrag, aber die Entscheidung immerzu hinauSschiebcii, müsse verletzend wirke». Keine ernsthafte Nation würde künftighin mehr mit Spanien verhandeln wollen. Zugleich wiese» die Minister »ach. daß Spanien größere Vorlheile von dem Vertrag habe als Deutschland. Gegen die hartenKöpfc der spanischen Conservalivcn half das aber Alles nichts. Es stellt sich überhaupt immer deut licher heraus, bas; der Handelsvertrag nur das Werkzeug ist, um die liberale Regierung zu Fall zu bringen. Inzwischen wird von verschiedenen Seiten berichtet, daß sich die Folgen des Zollkriegs für Spanien bereits in sehr enipsindlichcr Weise bemerkbar machcii. Die AuSsuhr von Wein und von Producten der Colonien, Kaffee, Tabak, hat eine fühlbare Störung und Einschränkung ersahrcn. Noch ist in Italien die Spannung nicht gelöst, welche der plötzliche Rücktritt dcS Ministeriums CriSpi in einem äußerst kritischen Moment dervorgerufen bat, und schon taucht eine neue Sensation auf, welche die öffentliche Meinung in Aufregung zu bringen geeignet ist: der Banca-Romana- Proceß und die schmachvolle Nolle, welche der frühere Ministerpräsident Giolitti, der Vorgänger Crispi's, in demselben zu spielen beginnt. Man erinnert sich, daß nach der stürmischen Sitzung der römischen Depu- tirtenkammer vom 2i. November v. I. das Ministerium .Giolitti plötzlich zu dcmissioniren erklärte, weil der Bericht der parlamentarischen Sicbenercommission über die Banken enquete u. A. ergeben hatte, daß Giolitti zwar »icmals Gelder der Banea Roinana zu Waklzwecken erhalte», daß er aber schon l889 von den Machenschaften der Bank Kcnntniß gehabt und daß er trotzdem die Ernennung des anrüchige» BankdircctorS Tanlongo zum Senator gebilligt habe, um dem Ansehen des Staates zu Liebe, die Unregelmäßigkeiten zu vertuschen. Jetzt nun stellt eS sich heraus, daß dem Sicbencransschuß bei Weitem nicht alles Material zugänglich gewesen ist, daß aber noch Zeugen und Schriftstücke vor handen sink, welche beweisen, daß Giolitti durchaus nicht der gutgläubige ValerlankSfreund war, der, um das Prestige Italiens nach außen zu retten, dunkle Machi nationen mit dem Mantcl der Liebe und der Hoffnung zu deckle, die Sünder würden sich bessern und so arg BöscS nicht wieder thun. Laut zeugeneidlicher Aussage dcS Grasen Graziadci hat Giolitti s. Zt. brieflich die Haslentlassung eines gemeinen Verbrechers versprochen, falls dessen Familie sich verpflichte, bei den Wahlen für den RegicrungScandidalcn fünfzig Stimmen auszubringc», daö heißt zu „kaufen". Ebenso ging auö den Verhandlungen die Thatsachc hervor, daß die Negierung einen Schcm-Proccß cinleitcle und Tanlongo zum Schweigen zu bestimmen suchte gegen das Versprechen, ihn in letzter Instanz freisprcchen zu lassen. Aber die Enthüllungen nähme» noch bedenklichere Dimensionen an. Wie schon im Morgcnblatt telegraphisch mitgetheilt wurde, sagte u. A. ein Polizeiccmmissar auS, daß im Beginn dcS Proccsscö aus Grund eines Einverständnisses zwischen dem Untersuchungs richter, dem Polizeidirector und den Angeklagten der Tbcil der beschlagnahmten Papiere Tanlongo's, durch den der Minister bloßgestcllt worden wäre, bei Seile geschafft wurde, der Untersuchungsrichter gestand selbst ein, daß er unter dem Einflüsse der Regierung gestanden und wiederholt ins Ministe rium berufen worden sei, und was das Erbaulichste ist, cs sind Briese vorhanden, welche beweisen, daß Giolitti selbst vom Bank Gouverneur Gelder zu Wahlzwecken erpreßt und denselben wegen Nicht-Einhaltung gemachter Zusagen bedroht hat. Das ist daö sranzösischc Panama in vielsach verschlim merter Auslage„»»d es laßt sich denken, daß die Erregung, welche in Rom über diese Enthüllungen herrscht, eine unbeschreibliche ist. Giolitti, der nebst Gcnvssen Lemnächst aus der Anklage- vank erscheinen wird, ist bereits politisch ein tokter Mann, und Crispi ist somit eines seiner gefährlichsten Gegner ledig. Zanardclli, der gestern zum König berufen wurde, läßt sich durch ein Portefeuille vielleicht »och versöhnen, und Rudini kann kaum mehr zu de» Rivale» CriSpi'S gerechnet werden. So scheint der dcmissionirlc Ministerpräsident nach wie vor Herr der Lage. Die norwegische,, Radicalen entwickeln bereits den größten Eifer für die Vorbereitung der Wahl camp ag ne. ES ist nicht zu bezweifeln, daß der AuSgang der nächsten allgemeinen Wahlen zum Stortbing für die weitere Gestaltung der politischen Zustände in Norwegen und die Entwicklung der UnionSsrage von größter Be deutung sein wird. Die norwegische Regierung hätte ge wünscht, die Tauer der Wahlagitation abzukürzc» und sämml- lichc Wahlen auf einen einzigen Tag anzubcraumcn, dies hat sich jedoch mit Rücksicht aus die außer Landes befindlichen Seeleute als undurchführbar erwiesen, so daß drei Termine festgesetzt wurden: der l9. August, an welchem 9 Ab geordnete, der 17. September, an welchem 7ä, und der >2. November, an welchem 9» Abgeordnete gewählt werden. Die markanteste Erscheinung in der gegenwärtigen Phase der Wahlbewcgung ist das von rabicaler wie von socialistischer Seite kundgegebcne Bestreben zur Herbei führung eines Wahlcartels. Tic Socialisten haben an den Vorsitzenden deS allgemeinen Linkenvereins ein Schreiben gerichtet, in dem erklärt wird, daß die socia- listischcn Wähler bereit seien, überall für die radicalen Candidaten zu stimmen, wenn die Radicalen ihrerseits de» Socialisten eine angemessene Vertretung im Stortbing einräumen wollen. Man darf eS schon jetzt als höchst wahrscheinlich anscbcn, daß dieses Wahlbündniß zu Staude kommen wird Haben doch die bekannten radicalen Führer Ull- inann, Lövland und Andere schon vor Wochen das Zu sammengehen der Linken mit den Socialisten bei den bevor stehenden Wahle» verkündet. Aber selbst sür den Fall, daß das Cartel a» irgend welche» Umständen scheitern sollte, ist vorauszuseke», daß die socialistischen Wähler, so weil sie sich nicht der Wahl enthalten, ohne Ausnahme für die radicalen Candidaten stimmen werden. Wenn die Radicalen sich vor läufig gegenüber dem Anträge der Socialisten noch etwas rescrvirt verhalten, so hat dies seine Ursache hauptsäch lich darin, daß die letzteren, wie kürzlich erwähnt wurde, bei der ConstitutionSfcicr am l7. Mai in sehr ungebührlicher Weise ausgetreten sind. Sie übersandten nämlich dem Stortbing eine Adresse, in welcher, unter Androhung von Gcwallthäligkeite», die Einführung des allgemeinen Stiiiim- rcchrs verlangt wurde, eine Drohung, welche zur Folge halte, daß die Adresse sofort rut acta gelegt wurde. Die Ver ständigung der beiten Gruppen wird jedoch kaum auSbleiben. AuS Bulgarien kommen nur Nachrichten, die von der RcgierungSseite stamme». Stambulow und die Seinigen haben wenig oder keine Gelegenheit, zum AuSlaude zu sprechen. DaS muß man berücksichtigen, um die schön klingenden Be richte nicht zu überschätze», die namentlich über Interviews mit den neuen Ministern verbreitet werden, deren Zweck kein anderer ist, als die Zustände im Innern zu verschleiern und die europäischen Mächte davon zu überzeugen, daß das Ministerium Stoilow nicht nur den guten Willen, sonderu auch die Macht dazu habe, geordnete Zustände z» garantiren. Glauben scheinen die neuen Machthaber nicht zu sinke», denn nicht allein, daß dcrj „Voss. Ztg." zufolge Oesterreich und England geratben haben solle» Vtambulow wieder an die Spitze der Regierung zu be rufen, will ein Drahtbcricbt der „Daily News" wissen, daß sowohl der Sultan wie die Regierungen des Drei bundcs Botschaften an Stambulow richteten, in denen sie seinen Rücktritt bedauern. Wenn aus Sofia verkündet wird, 12 090 ZnstiinmungSttlegrammc seien an den Fürsten Ferdinand eingetroffe», so weiß man ja, wie da» ge macht wird. Die Behörden erhalten den Austrag, solche Adressen zu erlassen, einzelne Kriecher finden sich jeder zeit, aber hinter der Zabl der Zustimmungen steht eine winzige Menge Volkes; obendrein von einer Sorte, die sofort umschnappt, wenn die Gegenpartei zur Regie rung gelangt. Es mag sei», daß Stambulow'» Regime manchmal wie „Gewaltherrschaft" auSgeschen hat, aber was wäre auS Bulgarien und seinem Fürstenthron ge- worden, wen» eS nicht so gewesen wäre? Die heutigen Minister scheinen die Putsche von Burgas und Rustschuk, die Verschwörung Panitza'S, die Ermordung des Finanzministers Beltschew und des bulgarischen Vertreters Dimitrirw in Konstantiiiopel, das Attentat, da» von dem Bruderpaar Gregoricw gegen das Leben deS Fürsten Ferdinand geplant war, vergessen zu baden. WaS sollte dergleichen Vorgängen gegenüber ein wildes Regiment'? Die Bürgschaft sür die Sicher heit Bulgariens und den Thron lag darin, daß die Fäden der gesammlen Staatsverwaltung in einer kundigen, rasch und energisch dreinsahrenden Hand vereinigt waren. Achnliche Verschwörungen, politische Morde, Putsche und Attentaie Fenilletsn. Der Liebe und des Glückes Wellen. ILj Roman von M. v. Eschen. Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Einmal in ihrem Leben hat Tilli Nettberg Jemand doch wirklich gern gehabt. Sie war noch sehr jung, unbekannt mit dem, WaS sic jetzt die Welt nennt; er bereitete sich auf das Examen eines ToctorS der Philosophie vor, als sie beide sich kennen lernten bei seiner Mutter, einer bescheiden demüthigcn Frau Psarrerin nach der alten Art, die es noch für eine große Ehre hielt, wenn die Kleine von unten, während die Eltern ausgingcu, zu ihr berauskommen durste. Tic Familien wobnten in einem Hause; RegierungSratbS selbstverständlich im ersten. Pfarrers im dritten Stock. Wie Frau Ina Alles zum Wohl ihrer Kinder auSzunutzen verstand, batte sie auch schnell den Vor- theil begriffen, welchen die beaufsichtigende Gesellschaft einer gebildeten Frau sür ihr halbwüchsige-Töchterchen dem Allcin- dleiben oder der zweiselhaftcn Gesellschaft einer Jungfer rorauShaben mußte — zumal da die Psarrerin — nach Frau Ina — wirklich Bildung genug besaß, von dem tiefsten Respect gegen die geborene Gräfin durchdrungen zu sein. Auch der Sobn, wenn er sich ab und zu mal blicken ließ, schien ein stiller, bescheidener Mensch ohne jede Anlage zu nivellirend demokratischer Gesinnung, gegenüber den von Gott einmal fest gesetzten Ständen. Außerdem pflegte Frau Tina ihre Kinder von Jugend aus in festen Grundsätzen zu erziehen, also daß da aar nicht- passiren konnte. Und in der Tdat hatte die kluge Frau nicht Unrecht behalten. Al- Wilhelm Neuber sein Examen bestanden und glückstrahlend sein Patent als Gymnasiallehrer in der Tasche trug, war Tilli gerade einen Winter auS- gegangen. Sin Gymnasiallehrer aber hatte keine gesell- schaftlrche Stellung nach dem Codex Derer, die sich die Welt oder Gesellschaft nannten; er gehörte nickt in da- Casino, und einen solchen Menschen konnte man nicht heirathcn. — Da« war ein sehr zweifelloser Schluß für eine junge Dame, deren A und O jene Gesellschaft geworden und der nach Wortlaut der Mama ganz andere Chancen zu Gebote standen. Bei dem ersten Wiedersehen halte sich daher Doctor Wilhelm Neuber überzeugt, daß Tilli jedenfalls viel mehr AnpaffungS- talott PK di« Umgebung besaß, in der sie jgroß geworden, viel nachgiebiger und empfänglicher für die mütterlichen Wünsche und Hoffnungen war, als geeignet schien, über etwaigen thörichtcn des eigenen Herzens zu träumen. Er war stolz genug, von den seinen zu schweigen. Jabre waren seitdem vergangen, Jahre voll Hoffnungen und Täuschungen. Immer mehr hat Tilli b^zriffen, daß in ihrer Welt das Heirathcn sür unbemittelte Mädchen täglich schwieriger wird; diese Welt keine Stellung — nichts für alternde — ältere Mädchen bat. Da erscheint Bent von Windig unter den blauen Drape rien der Portiere. Ja, Bent von Windig! — Er gebürt auch zu denen, welchen sie entgegengekommen ist. Ein finsterer Zug tritt in das feine Gesicht, die Wangen röthcn sich, beinahe sieht eS auS wie Scham. Bent tritt herein, jetzt steht er neben Tilli. Ja, diesmal braucht nur sie die Hand zu reichen nach ihm. Er ist ins Feuer gekommen, seil sie ihn fallen ließ; er hat eS ernst genommen, seit sie es leicht nahm mit ihm; nein, seit sie ihn in die Reserve gestellt für den Andern, der — ein Schauer überläuft ihre Gestalt, rötber werden ihre Wangen. Ist Bent Einer von den Wenigen noch, für welche die Familie, die Stellung des Vaters, die Verwandten, die Bedeutung des sonst nur allein noch verlangten Geldes auszuwicgen vermag? Ist ihm grade diese Verbindung nützlich ? — Hat sie ihn lieb? — „Aberrr" — sie meint die Stimme der Mutter zu hören — „Unsinn, Kinder, von der Liebe kann kein Mensch mehr leben heutzutage; eine anständige Partie, das ist die Haupt sache." Und da meint das junge Mädchen eben nur, daß eS dock gräßlich sei, so von dem einen zu dem andern zu greifen , sich loszuschlagen wie eine Waare, die schadhaft geworden ist, für jeden annehmbaren Preis. Noch einmal steht sie sich lehnen dort über jenen Tisch neben . . . Hoch reckt sich da» zierliche Köpfchen auf dem feinen Hals, die Augen flammen. Dies wäre eine Gcnugthuung doch! Eine Heiratb ist eben die einzige Revanche, der einzige Erfolg sür ein Mädchen in ihrer Welt. Wer aber bürgt dasür, daß dieser Augenblick nicht die letzte Chance bietet? Im nächsten Monat wird Tilli sechsundzwanzig — Papa kann sterben, abgehen — dann — dann — ja, dann kann sie arbeiten um- Brod. Nein, sie kann c» nicht! Sie bat eS nicht gelernt, ihre Fähigkeiten, ihren Willen zu concentriren; nicht recht-, nicht link« zu sehen, immer nur gradau-, ein Ziel im Auge behalten; ein ernstes Ziel, das selbst, wenn cs erreicht, vielleicht ohne Freude, immer aber mit Mühe und Entsagung verbunden bleibt. Nein, sie will eS auch nicht; sie ist Tilli Rcttberg, Tochter des Präsidenten! Sie kann es auch nicht fertig bringen, in dem Dunkeln unbeachtet dabin- zuleben, ohne Luxus, obnc Glanz, obnc Stellung als die, welche ihr allenfalls die eigene Persönlichkeit bei denen er wirbt, die solches zu achten verstehen oder Zeit dafür babcn. Oft und oft haben derlei Gedanken ihren logischen Gang in dem zierlichen Köpfchen genommen. Kein Wunder, daß ein so wohlvorbcreiteteS Hirn für den entscheidenden Fall die Situation beherrscht und eine so wohlgewandte Dame das verbindlich liebenswürdige Lächeln auf die Lippen bringt, wie eS in dem Moment erforderlich ist. Und obwohl Fräulein Tilli ungesäbr zu Muthe ist, als sähe sic sich in diesem Augenblick aller Gewänder bar, ohne jede Hilfe, mit der die Kunst jeden Schaden verhüllt, als ginge ein wundersam Köst liches Gut unbekannt, unbesessen, in seinem Verlust nur ge ahnt, an ibr vorüber, reicht sie nach wenigen Minuten, als die tadelloseste aller Bräute, Herrn von Windig die Hand. ES wirb sich schon machen, überdachte sie später in ibreni immer noch einmal den Schicksalsfall. Es war taS einzig iöaliche; arme Mädchen habe keine Wahl! Auch Bent von Windig summirte noch einmal die Vor züge seiner Braut in Gedanke» und versicherte sich, daß er auf alle Fälle sich für den im Moment am geeignetsten Fall entschieden hatte. Tilli war in jeder Weise die Frau, n»t der ein Mann Carriöre machen konnte. Etwas Andere- be durfte es nicht. Mit diesem Schluffe war Bent von Windig gerade vor seiner HauSthür angelangt; plötzlich wandte er sich um, dahin zu geben, wo ein Schlag gegen ein gewisses Fenster eine gewisse Thür sür ibn öffnen bieß und damit die Arme eines unerfahrenen Geschöpfes, das alles Andere vergessen batte über dem Einen: Glück geben und Glück empfangen, so schnell und so heiß, wie es die Stimme verlangte in der jungen Brust. Auch Bent von Windig hat seit Kurzem erfahren, daß er doch noch ein junger Mann war; sein nur durch kluge Be rechnung auf jedem Gebiet eingcdämmte- junges Blut reagirte rann mit elementarer Gewalt da. wo eS ihm zuerst zum Bewußtsein gekommen. Er batte seine Augen ausgemacht »nd war zu der Erkenntniß gelangt, daß ein Mann Carriöre macken kann, ohne daß er gerade allen Freuden abzuschwören braucht; daß, wie die Familie doch auch nur eine staatliche Convention. aus staatlichen Rücksichten aufrecht erhalten werden muß, man eine Heiratb auS StandcSrücksichtcn schließt: Jemand auch ein durchaus anständiger Familien vater werden und sei» kann, wofern er nur den cou- ventioncllen Schein in Acht nimmt, llouni soll, qui mal > peu8v! „Gut, daß die Geschichte hier zu Ende ist!" Mit dem Gedanken hing Tonach endlich seinen Mantcl um. schritt er dahin, als der Rellberg'scke Diener die Thür der Villa hinter ihm schloß. „Weiß der Teufel, wie Verhältnisse und Ge wohnheiten aus den Menschen einwirken! Wäre beinahe ge kentert worden, wie ein stcuerloser Kutter, und hätte dock einen dumme» Streich gemacht, trotz alledem. Verdammt kluge, kleine, zierliche Hexe das. — Nein abscheulich, infam!" — Und anstatt der verführerischen jungen Dame trat eine ganz ankere Gestalt vor seine Seele. Und die sah er plötzlich sitzen an dein großen Kamin in der alten, hoben Halle auf den« Erlenhofe, wie eS in der Familienchronik stand, daß die früheren GutSfraucn Abends im Kreise der Ihrigen gclhan. Und eS wurde ihm eigenthümlich Wohl, eigentbümlich weh. Ein wunderbarer Zufall sübrte ibm eben die Erinneruiia an seine erste Liebe vor de» Sinn: Herzlose Puppe! — Seine Gedanken wunderten wieder zu Hilde zurück — die aber war gar eine Künstlerin, ein Blaustrumpf! Ob Hilbert von Danach auch sehr viele Vorurthcile ab gestreift hatte, i» dem Puncte war er diesen» im Große» und Ganzen seinem Geschleckt eigenen Mißtrauen treu geblieben. — Ob man ihm das allzu übel nehmen darf? — Ist eS doch eine nicht ungefährliche Bewegung, welche die Frauen auS ihrem durch Jahrhunderte begrenzten Wirken hinaus in die neuen Bahnen treibt, ein nicht immer glatt abgebender Proceß, wenn die Rückwandlung eintreten soll. Ab pah! Ibm konnte ja das doch Alles einerlei sein. Es waren wirklich nur die Verhältnisse, die einem immer wieder unwillkürlich derlei Gedanken vor die Seele brachten. Fräulein Hilde Moran und er hatten beide ganz andere Dinge zu thun. Er war ein Junggeselle geworden unk wollte eS bleiben. Und wahrscheinlich, uv» da- Glück des Junggesellen nicht zu gefährden, wollte er Hilde nickt mehr am nächsten Morgen besuchen, wie er sich eigentlich vor- genommen hatte, und versprach dafür — >»» ans andere Gedanken zu kommen — dem Hauptmann Hclldork. an dem Souper Thcil zu nehmen, welche- dieser einer hübschen Kunst reiterin zu Gefallen in dem Hotel „König Karl" für den anderen Abend arrangirt hatte.
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