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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1894
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-23
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18940723027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1894072302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1894072302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1894
- Monat1894-07
- Tag1894-07-23
- Monat1894-07
- Jahr1894
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lv»»»s»VreU >,»>» ««««-«» >«-- >» >» »>>»>- b«»irk uud d>m Bororte« errichtete« Bus- Ladestelle» »bgeholt: vierteljährlichst 4^0. »weünaltaer täglicher Zustelluug in» tzaol^l bbO. Durch die Post bezogen ,ur Teuiichlaud «ud Oesterreich: vierteljährlich S.—. Dirrcte tägliche Kreujbandlendun, t»A Ausland: monatlich >t 7.bO. Dte vkorgen-Au-gabe erscheint täglich'/,7 Uhr, dt« Abeud-AuSgab« Wochentags L Uhr. Lr-artion und LrpeLitiou: AohanneSgafie 8. rie Lrveditiou ist Wochentag» «»unterbrochen geöffnet von ftüh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filiale«: Ott» Ale««'» Lortt». <«lfrc» Haha). UniversitätSstraße 1, Laut» LSsche, Knthartnenstr. 14, Part, und Säuig-platz 7. Abend-Ausgabe. riWger. Nagcblaü Anzeiger. Organ für Politik, Localgeschichte, Handels- und Geschäftsverkehr. AnzetgeUePrets die Sgespaltme Petitzeile SV Psg. Reklamen unter dem Redactiontstrich (4 g»« spalten) bv^z, vor den Familiennachrichto» (6 gespalten) 40-H. Gröbere Schritten laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zissernsatz nach höherem Taris. Srtra-vetlagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^t 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag- 4 Uhr. Sonn- und Festtags früh '/,9 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeigen sind stets an die Expeditt«« zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig ^°372. Montag den 23. Juli 1894. 88. Jahrgang, Politische Tagesschau. * Leipzig, 23. Juli. Die Erörterung der Frage, ob gesetzgeberische Massnahmen ,e»rn Nie re»»lntt»naire Agitation zu ergreifen feien, ist Allerdings durch eine Anzahl Tagesblätler wieder etwas be lebt worden. Die Officiösen der „Nordd. AUg. Ztg." und ker sie paraphrasirendcn „Frankfurter Zeitung" baden sich »bei daS fragwürdige Verdienst erworben, die Angelegenheit, lie wie nur irgend eine streng sachliche Behandlung verlangt, ml den innerpoiitischen Machtsragen zu verquicken. Die Forderung nach energischer Bekämpfung der deutschen SesinnungSgenvssen der Lega und Caserio soll ihre Quelle in »in Wunsche haben, den „leitenden Staatsmännern »S Reiches eine Schlappe zu bereiten". Neben dieser Unter- Üellung läuft die Andeutung einher, das frühere Socialfflen- .zesetz habe nur der Angst des Fürsten Bismarck vor Attentaten auf seine Person seine Entstehung zu ver danken gehabt. Demnächst wird man uns wohl mit der Ent deckung überraschen, die Politik von 1864, 66 re. sei nur gemacht worden, weil die schlechten Nerven des Herrn v. BiSmarck-Schön- bausen gekitzelt sein wollten. Wenn dieses journalistische Treiben wirklich bestellte Arbeit sein sollte, so wird man die Kenn zeichnung der Männer, denen angeblich eine „Schlappe be reuet werden soll", als „Staatsmänner", für ungerechtfertigt »»sehen müssen. Wie immer man über die Zweckmäßigkeit weiterer gesetzlicher Schranken gegen die Umsturzbestrcbungen Lenken mag, jedenfalls handelt cs sich hier um eine große Politische Frage, und eine solche unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit des Min istcr- portescuilleS zu beantworten, würde daS Gegentheil von staatSmännischer Auffassung der Dinge vcrrathen. Nach unserer Empfindung machen sich „Nordd. Allgem. Zeitung" und „Franks. Ztg." einer Verleumdung der Absichten deS Grafen Caprivl schuldig, wenn sie ihn als auf einem pcr> sönlichen Standpunct gegenüber dem Verlangen nach Maß regeln gegen Anarchismus und Socialdemokratie stehend schildern. Für die verantwortlichen Leiter der Regierung kann nur Eines bestimmend sein: die Nützlichkeit oder Zweck- Widrigkeit der vorgeschlagenen Action. Ist sie von der Nützlichkeit überzeugt, so darf sie vor der Auflösung eines in der Ab lehnung verharrenden Reichstags selbst dann nicht zurück schrecken, wenn sie des Ergebnisses der Neuwahlen nickt sicher ist. Eine solche Sicherheit besteht niemals, und hat ins besondere im Mai 1893 nicht bestanden, als der Reichstag wegen deS Widerstandes gegen die Heeresverstärkung auf gelost wurde. Wie wenig damals eine „Schlappe" auSgc schloffen war, hat die knappe Mehrheit für die Militair- vorlage nachträglich dargethan. Auch daS Tivoli-Programm, welches — nach officiöser Darstellung — die ReichSrcgierung trotz deS MuthcS der Kaltblütigkeit so sehr scheuen soll, war zu jener Zeit schon Proclamirt. Obgleich die Leiter der socialdemokratischcn Streikcom Missionen wiederholt dringend vor unbedachten Streiks ge warnt und obgleich auf dem Gebiete der Lohnbewegung in diesem Jahre kein einziger Sieg der Arbeiter zu verzeichnen ist, so ist doch zur Zeit an größeren und kleineren Streiks kein Mangel. ES ist eben der Geist des Widerspruchs und deS HochmuthS — wir erinnern nur an die Stettiner „Braven" — unter den Arbeitern so stark, daß die besonneneren Führer nickt mehr zur Geltung kommen. NenncnSwcrthe Streiks bestehen, abgesehen von den verschiedenen BierbohkottS, in Olden burg (Arbeiter der Glashütte, für wöchentliche Unterstützung sind 2000 nothwendig) und Schlotheim in Th. (Seiler) Kleine AuSstände sind zu verzeichnen in Leipzig (Drucker bei Wezel und Naumann), Berlin (Schuhmacher in einer Anzahl zrößcrcrWcrkstätlen),Nürnberg(Former),Bremen,Delmenhorst. Fürth, Hof u. s. w. (Tischler in mehreren Werkstätten), so daß inSgesammt die Socialdemokratie immerhin mit den auSgespcrrten Brauarbeitcrn für 3000 „Genossen" zu sorgen bat, also jede Woche ungefähr 30 000 ausbringen muß. Die Brandschatzungen in allen Fabriken und Cantincn (Sammellisten) sind deshalb an der Tagesordnung. Es wird auch hierbei ein terroristisches Vorgehen nicht immer ver mieden. Hand in Hand mit der Lohnbewegung gehen die zahlreichen Congresse. So werden die Schuhmacher sich am 22. August in Erfurt versammeln, die Zuschneider am 29. und 30. Juli in Berlin Zusammenkommen, die Metall arbeiter des HerzogtbnmS Braunschweig am l2. August ihre Conferenz haben. ^ Die Partei- und Kreisconferenzen auf- zusllbren, hieße fast die Namen der deutschen Wahlkreise ab schreiben. Auch da, wo sonst noch niemals die Social demokratie sich versammelt bat, rust sie ihre Getreuen zp einer Besprechung zusammen, wie in Plattling ^Bayern). trS ist zur Zeit bei den Svcialdcmokraten eine Regsamkeit, die sich die bürgerlichen Parteien nur zum Muster nehmen können. Zwischen dem großen englischen Bergarbeiterbund und den Zechenbesitzern ist es in Folge des mitgetheiilcn, von den Vertretern beider Parteien abgeschlossenen Ucbrr- einkommeuS zu einem zweijährigen Waffenstillstand gekommen. Vom ersten August dieses Jahres bis zum ersten Januar 1896 werden die Löhne unverändert bleiben und 30 Procenl über dem als Normalmaß angenommenen Lohnsatz von 1888 sein; ferner werden vom ersten Januar bis ersten August l896 die Löhne von einem EinigungSamt festgesetzt werden innerhalb der Grenzen von 30—45 Procent über jenen 1888er Normallohn. Durch dieses Abkommen wird die Kohlen industrie des Landes aus ein paar Jahre hinaus aus eine sichere Basis gestellt und vor Lohnkämpfen bewahrt. Aller dings sind cS die Bergarbeiter, welche den augenblicklichen Nachlheil haben, da der neue vereinbarte Lohn gegen 7 Proc. niedriger ist, als der seit t891 gezahlte, und unter den Arbeitern ist deshalb eine große Minderheit mit dem Vorgehen der Führer nicht einverstanden. Allein die Letzteren konnten nicht besonnener und klüger handeln, denn die Grubenbesitzer hatten bereits beim Einigungsamt einen Antrag auf eine noch erheb lichere Lohnkürzung gestellt, das Amt wurde ihuen im Hinblick geben habe», und wenn sich die Arbeiter nicht gefügt hätten, wäre es abermals zu einem Streik gekommen, der wieder mit einer schweren Niederlage der Bergleute geendet hätte, da dieselben sich noch keineswegs von dem finanziellen Ruin deS vorjährigen Streiks erholt haben. Insofern aber ist daö zu Stande gekommene Compromiß für die Bergarbeiter von größter Bedeutung, als eS ihnen, wonach sie so lange gestrebt, einen „Minimallohn" aus zwei Jahre hinaus sichert. Mehr als nöthig» erregen die Bemühungen des Herrn Bong hi im Jntercffe einer franzöflsch-italicilischc» Ver söhnung in Italien Aufsehen. „Folchetto" ereifert sich darüber, daß Bonghi mit Geldern des Journalistcn-VereineS, der ib» zum Preßcongreffe nach Antwerpen sendete, persön Uche Rcclamezwcckc verfolgen durste und findet es äußerst unstatthaft, daß ein Italiener im AuSlande seine Regierung verdächtige und ihr im Gegensatz zu der öffentlichen Meinung, die durchaus frankophil sein solle, kriegerische Absichten ansinne, was ganz und gar eine Lüge sei. Davon abgesehn, sei Bonghi Staatsbeamter, der schon aus Anstand sich vor gewissen unbedachten Urthcilen hüten sollte. Die „Tribuna" nennt Bonghi einen einsamen Sonderling, dessen Worte zu den französischen Thalcn wenig stimmen; während er von der Liebe Italiens zu Frankreich spreche, würden italienische Arbeiter verfolgt, gehetzt, ge schlagen, und selbst bervorragende Pariser Blätter schreiben unverblümt, daß zwischen Italien und Frankreich eine Ver kündigung unmöglich sei. In der That wird daS LicbcS- wcrben Bonzbi'S, deS Sprechers einer verschwindend kleine» Gruppe auf Montccitoriv, in Paris sebr wenig gewürdigt. Viele Blätter nehmen sich nicht einmal die Mühe, seine Erzählung von der Audienz bei Easimir Perier zu rcproduciren, und diejenigen Organe, welche die Sacke einer Besprechung unterziehen, bemerken mit Recht, daß Bonghi eigentlich nur in seinem eigenen Namen spricht. „Die Initiative deS Deputirlen der Basilicata gereicht ihrem Urheber zur Ehre", schreibt der „Jour", „aber sie entspricht leider der Wirklichkeit nur in geringem Maße. Die Schrille, welche Herr Bonghi bebusS Annäherung der beiden Nationen thnt, verdienen Anerkennung, baden aber wenig Aussicht auf Erfolg. Herr Bonghi ist nicht ein ofsicieller Sendbote des OuirinalS; er dringt in seinem Handkoffer nicht die Präliminarien eines Vertrages, sondern er ist nur ein Reisender, der Frankreich siebt und keine Gelegenheit versäumt, cS u sagen, und wir dürfen in ihm nichts Anderes sehen." VaS ist erfreulich, von weit größerem Belang aber ist die Erklärung Bonghi'S, weder er noch Casimir Perier hätten in der vielbesprochenen Unter redung ein Wort über den Dreibund geredet, eine Erklärung, die den entrüsteten Artikeln einiger Dreibund- Blätter über den Präsidenten der sranzösischen Republik allen Boden entzieht, und man kann nur bedauern, daß nicht ein sofortiges Dementi von officiöser französischer Seite erfolgt ist. Bei Allem, waS man von Casimir Perier weiß, mußle die ihm zugcschricbcne eminent taktlose Acußcrung von vorn herein höchst zweifelhaft erscheinen, denn sie widerspricht in gleicher Weise den entschieden friedlichen Gesinnungen des Präsidenten, seinen herzlichen Dankcökundgebungen anläßlich des Gnadenaclcs des deutschen Kaisers und der augenblick lichen Auffassung maßgebender Kreise der Republik von dem Verbältniß zu Deutschland, daS, wie Baron Courccl wenige Stunden vor dem Besuche Bonghi'S bei Perier in der Kammer geäußert batte, auf colonialem Gebiete vielfach daS der Interessengemeinschaft sei. Sein volles Vertrauen auf die Erhaltung deö Friedens in Europa wird der sranzösischc StaalSches dem ilalicnisckcu „Friedeuöschwärmer" zweifellos xroSgrdrürtt hadnr. daS ringeschobcne „trotz des Dreibundes" kommt auf Rechnung des aus den Chauvinismus eines großen BruchtbeilS seiner Leser Rücksicht nehmenden Berichterstatters des „Journal de DebatS". lieber das Treiben italienischer Anarchisten in Indien bringt die „Kölnische Volkszeitung" folgende Mit theilung aus Jhansi in Indien vom vorigen Monat: Vor einiger Zeit kam ein Italiener, mit Namen Dominichette, hier an und micthetc ein kleines HauS, etwas außerhalb der Stadt gelegen. Bald wohnte er nicht mehr allein: zwei andere Italiener waren nämlich nackgekommcn, des Namens Galiguani und Paravicenni. Es stellte sich später heraus, daß der Letztere unter dem Namen El Maestro eine bekannte anarchistische Persönlichkeit ist. WaS diese Drei in der Wohnung getrieben, und warum sie ihre» Ans enthalt in Jhansi genommen, darum batte sich wohl Niemand gekümmert, wenn eS der Polizei nickt ausgefallen wäre, daß Maestro ost nach Bombay reiste. Eine jetzt vorgcnommenc Hanödurcksuchung ergab, daß die drei Italiener eine Bomben- sabrik daselbst eingerichtet hatten. Die fertigen Bomben wurden jedeSmal von Maestro nach Bombay gebracht, wahr scheinlich, um durch andere Eingeweihte nach Europa geschafft zu werden. Zwei der Italiener wurden sofort festacnommen; der Dritte jedoch, welcher sich wieder auf der Reise nach Bombay mit „Waare" befand, ist noch frei. Deutsches Reich. ^5 Berlin, 22. Juli. Nach einer mehrfach für officiös ge- baliencn Auslassung, welche an die Behandlung deS deutschen ZuckerimporlS durch Nordamerika anknüpst, erkennt auch die Reichsregierung jetzt an, daß eS wiinschenSwerth sei, die auf ehr unklarem NecylSbodcn sichenden Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Nordamerika in ein festes und mizweidentigcS Verhällniß zu bringen. ES müsse im Interesse beider Länder siegen, wenn hier völlige Klarheit und vertragsmäßig festzelcgtc Normen geschaffen werden. ES chcinl also, daß die RcichSregierunz jetzt in dieser Hinsicht Schritte zu thun gedenkt. Es ist in der Thal sehr wünschenS- wcrth, nickt nur ein festes und geregeltes, sondern auch ein für u»S günstigeres handelspolitisches Verhällniß zu den Vereinigten Staaten zu Stande zu bringen. Unser jetzige« Verhällniß zu Amerika ist ungünstiger als daS zu irgend einem anderen Lande, und eS ist schwer verständlich, wie man, ohne vertragsmäßig dazu verpflichtet zu sein, einem so wichtigen GclreideauSfnbrlande die ermäßigten Kornzöllc, die andere Länder mit Zugeständnissen aus in dustriellem Gebiet verkaufen mußten, ohne jede Gegenleistung gewähre» konnte, um dadurch fortgesetzt neue zollpositische Mißhandlungen cinzutauschen. Ein Zollkrieg ist bei einem ernjle» Versuch, ein billiges n»d festes Vcrj,äsi„iß herzustellen, nicht gleich zu befürchten. Amerika balle einen solchen noch mehr zu scheuen als wir, da seine Anssuhr nach Deutschland an Gewicht und Werlb die deutsche Ausfuhr nach den Ver einigten Staaten erheblich übersteigt. * Berlin, 23. Juli. Die Zwölfcrcommission deS s ocial- dculokratischcn Gast und Schankwirtke-VereinS batte am Freitag nach rem „Elysium" eine öffentliche Ver sammlung sämmtlichcr Gast und Schankwirlbe Berlins und der Umgegend clnbcrusen. Es waren, der „Nat.-Z" zufolge, circa 800 Personen da, in der Mehrzahl arbeitslose „Ge nossen" aller möglichen BcrnsSarte». Von den Gast- und Schankwirlbcn Berlins und der Umgegend waren — mit Ausnahme einiger Wirthe, welche sich iusormiren wollten — nur diejenigen vertreten, welche streng zur socialdcmokratischen Parteifahne halten. Ter Verlaus der Versammlung bewies, daß eS der socialdemokratischcn Biercommission nur darum zu thun war, snr das boycottsreic Bier mehr Abnehmer zu gewinnen. Das Geschäft in boycoltirtcm Bier ist nämlich schlecht gewesen, selbst die zielbcwußlestcn „Genossen" sollen lieber Wasser trinken, als das ganz junge, zudem »och schlecht behandelte Bier. Der in der Versammlung anwesende Saalbcsitzer Joöl, Besitzer der AiibreaS-Festsälc, wurde gefragt, was man ibm denn gethan habe, daß auch er sich den Localverwcigcrn angeschlossen habe. Als Herr Joöl bcmcrklc, daß der unerhörte Terroris mus der Socialdcmokraten ihn dazu veranlaßt bade (man habe von ibm verlangt, daß er auch den bei ihm verkehrenden bürgerlichen Gesellschaften das von diesen begehrte Bier nicht vorsetzc» dürfe, daß auch diese das von der social- dcmokratischcn Biercommission vcrordncte Bier trinken müßten, waS sich kein Gast und auch kein Gastwirtk gesellen lassen könne), wurde er durch fortgesetzte Zwischenrufe am Weiter- sprcchcn verhindert und lehrte hieraus mit einigen anderen Gastwirtben der Versammlung den Rücken. — Die Neuordnung des Mädchenschulwesens wird, wie die „V. Z." erfährt, de» Abschluß neuer Ver einbarungen, betreffend daS Mäbchenschulwesen, zwischen Preußen und einigen Bundesstaaten zur Folge haben. Fer»illet»n. Thermidor. 2) Erzählung von Julius Kehlheim. Nachdruck verbotl». (Fortsetzung.) „Und nun gewährt mir eine Bitte," fuhr Fanchon fort, ganz nahe an da« Lager der Kranken herantretend. „Erlaubt, daß ich da« Kind für diese Nacht mit mir nehme. Ohnehin bedürft Ihr der Ruhe, und die Kleine stört Euch. Morgen bringe ich Euch die kleine Heidin wieder als ein Christen- kind. Nicht wahr, Ihr gebt sie mir mit? In FanchonS Stimme zitterte eine ängstliche Besangcnhcit, ihre Bitte ab geschlagen zu sehen. Die Kranke schien auch wirklich einen Augenblick unent schlossen. Dann aber willigte sie ein. „Aber morgen gleich nach der Taufe bringt Ihr mir meine Hebe zurück?"' fragte sie dringend. „Eure Adrienne!" verbesserte die junge Frau. „Aber wie bringt Ihr die Kleine von hier fort?" fragte die Kranke besorgt. „Auf diesen meinen Armen!" rief Fanchon. „Ich bin kräftig und gesund." Und sie hüllte daS kleine Mädchen, da« schläfrig zu werden anfing, und dessen Augenlider sich langsam zu schließen begannen, in ihr Tuck ein. „Schlaft Wohl, Dolores, und seid unbesorgt! Ich wache über Eurem Kindel" Und eisig, als ob ihr der schwererrungene Schatz wieder abgenommen werden könne, machte sich Fanchon mit ihrer für sie kostbaren Bürde davon. Kopfschüttelnd folgt ihr Mutter Margot, leise und besorgt vor sich hinflüsternd: „Ob ihr die Last, welche sie sich da aufgelaben, nur nicht zu schwer Wird." Zweites Capitel. Wie reizend die kleine Hebe in ihrem, von FanchonS ge schickten Händen improvisirlcm Taufkleidchcn auS weißem Mull, mit rosenfarbigen Bandschleisen verziert, au-sah! DaS blauschwarzc, in natürlichen Locken sich kräuselnde Haar — welche« an Glanz und Farbe an daS seiner Beschützerin ge mahnte — strömte einen leisen Dust vou Reseda aus, und da« liebliche Kindergesicht strablte vor Lust und Glück über di« B«wirthm>g und die Liebkosungen ihrer jungen Pathia. Als am Abend die beiden Frauen die neue „Christin" ihrer Mutter zurückbrachten, flog ein Schimmer von Glück über ihr bleiches, hageres Gesicht. „Adrienne!" hauchte sie und drückte einen Kuß aus ihre Stirn. Die Kleine aber mit der Gedanken- und Treulosigkeit der Kinder strebte nur Fanchon zu, streckte ihre Aermchen nur nach ibr bin und brach in heftiges Weinen aus, als sich ihre Pathin anschickle, daS ärmliche Zimmer zu verlassen. Dolores, welche dieses Gebühren ihres Kindes mit schmerz lichem Lächeln mit ansah, sagte nicht ohne Bitterkeit: „Sie liebt daS Neue ... das Schöne, wie ibr Vater! Bei mir sicht sie nur Elend und Schmerz. Ich fühle mich heute wieder recht schlecht, und wenn Ihre Güte, Madame, sich noch diese Nacht mit der kleinen Adrienne belästigen wollte . . ." „Gern, o gern!" ries Fanchon mit kaum zu bewältigender Freude und hob das Kind vom Bett der Kranken, um cS auf ibrem Schooß zu halten. Mutter Margot runzelte die Stirn. „Gewöhnt Euch nicht allzusehr an daS Kind, Fanchon", warnte sie, „es würde Euch sonst zu wehe thun, es wieder lassen zu müssen." Statt aller Antwort drückte Fanchvn die Kleine nur noch fester an ihr Herz. Die Kranke setzte sich im Bette auf und verschlang diesen Anblick mit den Augen. „Ihr seid aut, Madame, o so gut!" flüsterte sic. „Ihr werdet mein Kind nicht verlassen, wenn ich fort müßte .... nicht wahr? Ich werde leichter sterben, wenn ich Eure Zu sage habe." Margot stieß Fanchon heimlich mit nicht mißzuverstebender Deutlichkeit an, um ein — bei einer erst sllusundzwanzig- jäbrigen Frau ziemlich folgenschweres — Versprechen hintan zuhallen. Allen, sie kam mit ihrer wohlmeinenden Mahnung zu spät. Mit den, einen Arm daS Kind umschließend, erhob Fanchon die andere Hand gegen den Himmel und sprach mit einem Ausdrucke in Len GesichtSzüzen. welcher auch daS Herz der besorgtesten Mutter zu beruhigeu im Staube ge wesen wäre: „Wenn Ihr sterben solltet, Dolores, dann soll Euer Kind daS meine sein!" Ucker die bleichen, eingefallenen Wangen der Kranken flog ein flüchtiges Roth und gab ihr für einen Augenblick ihre eingebüßte Schönheit wieder. Doch nur für einen Augen blick. Mit einem schmerzlichen Seufzer sank die Kranke wieder in ihre Kiffen zurück. Mutter Margot begleitete Fanchon vor die Thür. „Nehmt die Tochter deS Hausmeisters mit Euch, Fanchon," sagte sie leise, damit daS nervös geschärfte Ohr der Kranken sic nicht vernehme, „ich kann Euch beute Abend nicht geleiten. Ich bleibe die Nacht über hier. Ich fürchte, ihre Erlösung ist der Armen näber, als sic glaubt." In FanchonS Herzen kämpfte daS Gesühl des Mitleids mit einer bei der sanften Frau fast unbegreiflichen, dämo nischen Anwandlung selbstsüchtiger Freude, welche sich nur durch einen Blitz ihres sonst so ruhig blickenden, dunkeln AugeS vcrrielh. „Wenn cö geschehen sollte, ist Adrienne mein!" Sie sprach cS mit fliegendem Athen,. Margot gab keine Antwort. Diese Wendung der Dinge sagte ibrem gesunden Sinne nicht zu. Kopfschüttelnd kehrte sie zu DolorcS zurück, welche sich fiebernd auf ibrem arm seligen Lager bin und her warf. Bald stellte sich bei der Kranken das Delirium ein, in welchem vergangenes Glück und verrathcnc Liebe, sowie der furchtbare Sturz, welcher sie an den Rand des Grabes gebracht, eine Hauptrolle zu spielen bestimmt waren. Drittes Capitel. Zehn Jahre sind eine lange Zeit, wenn sie sich als Zu kunftsbild vor unseren, Blicke ausdehnen — zurückgelegt schrumpfen sie zu einem Nichts zusammen. Nicht- lägt übrigens den Gang der Zeit unhörbarer vorübcrrauschcn, als ein regel mäßiges, einfach sich von Tag zu Tag gleichmäßig wieder holendes Leben. Zehn Jahre sind nahezu spurlos über Fanchon Bontcrre'S Haupt dahingezogcn. Etwa- voller ist sie geworden und sehr zufrieden sieht sie aus, seit sie die Erbschaft von DoloreS übernommen. Tie kleine Adrienne zählt nun zwölf Jahre. Sie ist für ibr Alter groß und entwickelt und wunderbar schön. Im Viertel unter den andern Kindern heißt sie da« Zizcuncr- mäbchen ihrer schwarzen Haare und dunkeln Augen, sowie deS gelben Schimmers wegen, der ihren Teint vergoldet, und welchen der triviale Geschmack ihrer Altersgenossen nicht zu würdigen versteht. Fanchon hat, um sie all' den Neckereien der anderen Schulkinder zu entziehen, sich bereits vor mehr als einem Jahre entschlossen, ibr Pflegekind einer «heuern, vornebmen Pension zu übergeben, so schwer ihr selbst auch die Trennung geworden ist. In der Pension ist Adrienne die Erste. Nicht so sehr au- Fleiß, als au« Ehrgeiz. Sir möchte etwa» Besondrer sein. Dir banale Auszeichnung, nur „die Schönste" zu sein, genügt dem seltsamen Kinde nicht. Fanchon ist halb er schreckt, halb entzückt von all' dem Wisse», daS sich nach und nach i» dein kleine» MäLcheukopfe ausgespeichert hat, und von welchem Akricnner die und da ihrer Pflegemutter ein paar Brocke» mit nack,lässiger Grazie zuwirft, welche diese gierig auflicst. Auch Mutter Margot, welche nach wie vor die gute Freundin dcS Hauses geblieben, muß an den erstaun lichen Fortschritten AtrienncS Antbeil nebmen. Sie räth hier und da Fanchon zu etwas Vernünftigem, welches jedoch selten angenommen wird. So rätb Mutter Margot, Adrienne'S fähigen Kopf zu dem einer tüchtigen Reche»i»cisteri»sa»Sz»bilrcn, wodurch sie dereinst ibrcr Pflegemutter eine verläßliche Stutze im Geschäft werden könne. Denn Fanchon führt ibr Geschäft, als deS selige» Bonterre Wittwe unverdrossen weiter seit Lem Tode ihres Mannes, da dasselbe eine „Goldgrube" ist, und ihre Auslagen, daö Budget ihres sonst einfachen Hausstandes, sich vergrößert haben. Adrienne'S Erziehung verursachte bedeutende Auslagen, und auch verschievene Verfeinerungen des täglichen Lebens brachte AdrienneZauS ihrer Pension mit nach Hause. Selbst Fanchon » bürgerliche Toilette mußtc sich gewissen, zeitgemäßen AenLcrungen anbeqnemen, um den Anforderungen jener Gesellschaftskreise zu genügen, aus welchen sich die Zöglinge der Pension recrutirtc». Mutter Margot hatte gegen Lie Erziehung Adrienne'S — als Vertreterin gesunden Menschenverstandes — in einer vornehmen Pension protestirt. Sic glaubte ein Mädchen zu Hause unter Lei» schützenden Auge der Mutter am besten aufgehoben. Allein Fanchon, welche die Liebe zu ihrem Pflegekinde scharfsichtig gegen die Lücken ihrer eigenen Bildung machte, wollte den Segen der Bildung, wie jeden anderen Segen des Lebens auf da« Haupt ibreS Lieblings niederleaen. Eines Sonnlags Abends war Mutter Margot zu Besuch gekommen, um auch Adrienne zu sehen, welche diesen freien Tag stet« bei Mama Fanchon zubrachte. Seit jeher hatte da« Pflegekind ihr den Muttername» bcigelegt, nun ver wandelte da« junge Mädchen denselben, dem Beispiel ihrer vornebmen Mitschülerinnen in der Pension folgend, i« da- anmuthigere, tosendere „Mama". (Fortsetzung folgt.)
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