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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.02.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-02-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960201029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896020102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896020102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-02
- Tag1896-02-01
- Monat1896-02
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Bezug-Preis E> hex Hauptexpeditton oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten Au»« gabrstellen abgeholt: vierteljährliche 4.50, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» e 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich e 6.—. Direct» tägliche Kreuzbandiendung in» Ausland: monatlich e 7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Redaktion und Expedition: Johannrosaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Filialen: Otto Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), Universitütssrraße I, Lonis Lösche, Kotkinrinenstr. 14, part. und KönigSvlah 7. Abend-Ausgabe. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Amtes der Stadt Leipzig. Anzeigen,Pret- die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Reclamrn unter dem RedactionSstrich <4ge» svalteni 50/H, vor den Familien Nachrichten (6gespalten) 40 >H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsas nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morarn-AilSgabe, ohne PostbefÜrderung e 60—, mit Postbefördernng e 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4Ubr. Für die Montag.Morgen-Ausgabe: Sonnabend Mittag. Bei den Filialen »nd Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leivckq. Sonnabend den 1. Februar 1896. 90. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Februar. Die zahlreichen und scharfen Vorhaltungen, die der Reichstag wegen des konsequenten „Schwänzen«" eines großen TbeileS seiner Mitglieder hinnehmen muß, veranlassen eins dieser Mitglieder, im „Hamb. Corr." „mildernde Um stände" für die Schwänzer geltend zu machen. Der Herr schreibt nämlich: „Wer heute (am 30. Januar) die Verhandlung ins Auge saßt, die sich in der Hauptsache mit abgethanen Dingen besaht, der wird es begreiflich finden, daß die Mitglieder, die gleichzeitig dem Abgeordnetcn-Hause angehören, lieber nach dem Döntwssspiatz pilqerten, um über das Herzenskind des Ministers I)r. Bosse, das Bolksschullehrerbesoldiingsgeietz, zu discutiren. Zum Capitol: Behörden für die Untersuchung von Seeunsällen war von keiner Seite ein Antrag gestellt; die Bewilligung der Etatssumme stand auch gar nicht in Frage. Tie vierstündige Verhandlung mußte nur deshalb stattfinden, weites einem socialdemokratischen Vertreter Hamburgs, Herrn Metzger, und dem Abg. Bebel so gefiel, zur Förderung ihrer Agitation unter der seemännischen Bevölkerung gegen die Hamburg-Amerikanische Packetfahrtgesellschaft und den Norddeutschen Lloyd zu Felde zu ziehen und zur Beseitigung der vorhandenen Mißstände eine neue Reichsseebehörde in Anspruch zu nehme». Das Geschäft war schon im vorigen Jahre bei der Besprechung der Interpellation Stumm wegen des Untergangs der „Elbe" betrieben worden und mit demselben Erfolge oder Mißerfolge. Bis auf einige Neben sachen war auch die Abwehr der Angriffe und die Zurückweisung der Forderungen im vorigen Jahre ganz dieselbe wie beute, abgesehen vielleicht von dem Bericht der Abgg. Frese und Lenzmann über ihren Jncognitobesuch auf LloyLdampsern und der Mutheiiung des Abg. Bebel, daß sein vorjähriger Bremerhavener Gewährs- mann inzwischen von der Bremer Polizei abgeschoben worden sei, da er Ausländer — Oesterreicher — ist. Für Bebel war es natürlich selbstverständlich, daß die Ausweisung zu Gunsten des Bremer Lloyd stattgefunden habe, während Staatssecretair von Boetticher meinte, der Mann sei als socialdemokratischer Agitator ausgewiesen; deren hätten wir so schon genug. Charakte- ristnch war es, daß die beiden Sociaidemokraten ans keiner Seite Unterstützung fanden. Herr von Stumm konnte zwar der Consequenz wegen nicht umhin, sein Lieblingsthema von der Nothwendigkeit staatlicher Aufsicht über den Schifsfahrtsrerkehr zu behandetn, ober er rückte doch sichtlich von den social- demokratischen Wortführern ab und wollte sich „sachlich" dem Standpunct der nationalliberalen Partei nähern, Namens deren Herr Jcbsen der deutschen Rhederei ein sehr gutes Zeugniß aus- stellte. Das praktische Ergebniß der langen Debatte war nur die Mittheilniig des Herr» v. Boetticher, daß eine Novelle zur Seemanns- ordnung in Arbeit sei, die im nächsten Monat der Commission für Seeschifffahrt und Sachverständigen aus dem Rhederstande zur Begutachtung vorgelegt werden solle. Das war aber auch Alles. Endlich »m 5 Uhr wurde der Titel bewilligt, und das Haus konnte re quasi bene xosta nach Hause gehen." Es ist ja begreiflich, daß gewissenbafte Männer, denen cs um Förderung der Arbeiten des Reichstags und nicht um Schürung der Parteileidenschasten durch znm Fenster hinaus gehaltene Reden zu tbun ist, durch solche Reden sich angeckelt fühlen. Aber sie wußten, als sie sich aufstellen ließen, voraus, daß ihnen bei der Ausübung ihres Mandats nicht eitel Freude über sachliche Behandlung der Berathungsgegenstände erblühen würde. Gehen sie trotzdem öden Debatten aus dem Wege, so verletzen sie eine Pflicht, die sie ihren Wählern und dem ganzen Reiche gegenüber übernommen haben. Und überdies siebt es ihnen ja frei, den Schluß solcher Debatten herbei zuführen. 8 53 der Geschäftsordnung des Reichstags lautet: !> „Der Antrag auf Vertagung oder auf Schluß der Debatte bedarf der Unterstützung von 30 Mitgliedern. Wenn solche erfolgt, so wird demgemäß ohne weitere Motivirung des An trags und ohne Discusjion über denselben abgestimint." Von diesem Rechte, öden und fruchtlosen Debatten ein Ende zu bereiten, bat der Reichstag »n seiner besten Zeit ausgiebigen Gebrauch gemacht. Aeltere Mitglieder des HanseS werden sich noch deS Mannes erinnern, der gewöhnlich das Amt des „Schlußmachers" übernahm. Es hat ihm an An feindung von Seiten solcher Collegen, die eine nicht zur Perfektion gekommene Rede wie einen Stein im Leibe füblten, nicht gefehlt, aber über diese Anfeindungen half ihm die Anerkennung hinweg, daß er ein wesentliches Verdienst um die rasche Er ledigung der Geschäfte sich erworben habe. Wenn gegen wärtig Schlußanträge weit seltener eingebracht werden, so liegt dies auch nicht an einer Verfeinerung der parlamen tarischen Sitten und an einer größeren Rücksicht auf die Minoritäten. Durch feinere parlamentarische Sitten zeichnet sich der jetzige Reichstag von seinen Vorgängern wahrlich nickt aus, und wie eS um seine Rücksicht auf die Minoritäten aussieht, kann man aus den Beschlüssen der Wahlprüfungscommission ersehen. Der Hauptgrund der selteneren Anwendung der „Schlußmacherei" liegt darin, daß im Hause nur selten Mitglieder genug an wesend sind, um einen Schlußantrag zu unterstützen. Es ist also die Lauheit der Majorität, was den rede- und betzlustigen Rednern einen Mißbrauch der Zeit und der Geduld ihrer Zuhörer gestattet. Es siebt daher den Mitgliedern der Majorität übel an, wenn sie das Fernbleiben vieler Abgeordneten von den Verhandlungen mit einem Mißbrauche zu entschuldigen suchen, an dem lediglich oder doch wesentlich die „Schwänzer" die Schuld tragen. Wenn diese nur so viel Pflichtgefühl besäßen, als sie von ihren schulpflichtigen Kindern verlangen, so kämen sie nicht in die Lage, nach faulen Ausreden zu jucken, für die sie ihren Sprößlingen die rechte Antwort jedenfalls ertheilen würden. Das umfangreiche Capitel der Unterlassungssünden des Reichstags wird in neuester Zeit noch wesentlich ver größert durch den Herrn Präsidenten. Ganz besonderes Be fremden bat sein Verhalten am Mittwoch erregt, als der socialdemokratische Abg. Auer zu folgender Aeußerung sich verstoß „Das zweierlei Maß, mit dem gemessen wird, muß die Arbeiter unweigerlich zu der Annahme führen, daß man sie um jeden Preis ausreize» will. Diese Meinung wird auch unterstützt durch Aus- lassungen in hervorragenden bürgerlichen Blättern, z. B. in den „Hamburger Nachrichten". Man will die Arbeiter zur Verzweiflung und atsdann zu Ausschreitungen bringen. Das wird Ihnen aber nicht gelingen. Jedenfalls kann aber bei einem solchen Vorgehen Jhrerseils von einer Versöhnung auch keine Rede sein. Wer soll auch den Kamps führen gegen uns? Das ist doch kein Geaner mehr, der große bekannte Unbekannte, der seine vom Abgrund tiefster Gemeinheit der Gesinnung zeugen den Artikel in den „Hamburger Nachrichten" ablagert." Der Redner wurde von stürmischen Zwischenrufen unter brochen, die einen Ordnungsruf des Präsidenten forderten. Aber der Herr Präsident ließ sich zu einer Rüge nicht herbei, nickt einmal am anderen Tage, nachdem er Gelegenheit gehabt batte, das Stenogramm der Rede des Abg. Auer zu lesen. Die „Staatsb.-Ztg." schrieb daher am Donnerstag: „ . . . Auch heute unterließ es der Präsident, den Abgeordneten Auer wegen seiner gestrigen unflätigen Ausfälle gegen de» Fürsten Bismarck zu rügen, obwohl es bisher Sitte gewesen ist, daß der Präsident des Reichstages eine Beleidigung Abwesender nicht lin- gerügt ließ. Der Centrumspräsident scheint die Ehre des Fürsten Bismarck nicht so hoch einzuschätzen als die anderer Menschenkinder." Und die „Berl. N. N." bemerkten: „Der Herr Reichstagsprästdent ist bekanntlich schwerhörig. Ob diese Schwerhörigkeit in Bezug auf den Fürsten Bismarck etwa eine besonders große ist, haben wir nicht sestzuslellen vermocht. Aber der Vorgang scheint doch denjenigen Blättern Recht zu geben, die einen schwerhörigen Herrn seit längerer Zeit als für die Führung des Präsidiums nicht geeignet bezeichnen. Aber das Alles scheint den Herrn Präsidenten ebensowenig zu berühren, wie die Parteien, die ihn mit der Führung der Geschäfte betraut haben. Vielleicht ist es ihnen angenehm, wenn er manche ibrer Kundgebungen nicht hört. Das An sehen des „hohen" Reichstags erhöhen sie aber sicherlich nicht, wenn sie in einem durch-ihre Mitschuld verödeten Hause eine solche Geschäftsführung durch Duldung unterstützen. In Belgien haben die Klerikalen große Mübe, ihr neues Schulgesetz praktisch durckzufübren, und lbatsächlich ist dasselbe, obwohl es schon 6 Monate in Kraft besteht, noch nirgends zur Anwendung gelangt. Die liberalen Gemeinde vertretungen der großen Städte und Industrieorte, in denen die Klerikalen einer antiklerikalen Zweidrittelmehrheit gegen überstehen, setzen dem Schulgesetze einen unüberwindlichen Widerstand entgegen, und die Priester haben sich deshalb bis jetzt gehütet, von den Bestimmungen des neuen Gesetzes Gebrauch zu machen. Allerdings tbut die Regierung auch Alles, den liberalen Gemeindevertretungen den Widerstand gegen das Schulgesetz zu erleichtern, indem sie im Gegensätze zum Wortlaute der Ver fassung, die alle Religionsbekenntnisse in Belgien gleichstellt und ausdrücklich die Bevorzugung des einen vor dem andern untersagt, den Versuch macht, den Katholicismns auf dem Berorvnungswege zur belgischen Staatsreligion zu erheben. Der Unterrichtsminister Schollaert, einer der schlimmsten klerikalen Eiferer, die Belgien jemals gesehen, hat näm lich den katholischen Geistlichen allein neben einem Sonder gebalt von 3 — 4200 Francs für den Religionsunterricht auch noch ein allgemeines Aufsichtsrecht über die Volks schulen eingeräumt. Die protestantischen und israeli tischen Religionslebrer dagegen beziehen nicht nur kein Gcbalt, sondern genießen auch kein AnfsichrSreckt. Daß dieser rücksichtslosen Bevorzugung des katholischen Glaubens bekenntnisses eine grobe Berfassungsverletzung zu Grunde liegt, ist zweifellos, und man kann cs daher nur billigen, daß die liberalen Gemeinde-Vertretungen die Verordnungen Scbollaert's als ungesetzlich und nichtig ansehen. Sie werden forlfabren, den katholischen Inspektoren den Eintritt in die Schulräume zu versagen, und da der Regierung kein Mittel zu Gebote siebt, zwangsweise vorzugeben, so wird sich der Unterrichtsminister mit seinen Verordnungen nur eine neue Niederlage zugezogen haben. Der Präsident der französischen Republik Felix Fan re ist in einzelnen Pariser Blättern neuerdings Gegen stand hämischer Angriffe. Es scheint, daß seine persönlichen Feinte oder seine politischen Gegner jedes Vorkommniß, das geeeignet ist, die Scandalsuckt anzufachen, benutzen wollen, um ivre vergifteten Pfeile gegen ihn abznschießen oder ibm mit täglichen Nadelstichen unangenehm zu werden und so ibm schließlich die Präsidentschaft zu verekeln. Und Herr Faure wird wohl seine Brust mit dreifachem Erz umpanzern, jede persönliche Empfindlichkeit und alle Nervosität bei seinen engsten Familienangehörigen Niederhalten muffen, wenn er, seinem Vorsatze getreu, in dem ihm anvertrauten hoben Amte unbeirrt bis zum Ablaufe der ihm gesteckten pflichtgemäßen Frist ausbarren will. Diesmal ist es Tonkin, das den Intriganten in den Wandelgängen der Kammer und in der Presse die Gelegenheit bietet, den Präsidenten der Republik in die Erörterungen über den neuesten Scandal hineinzuzerren. Der frühere Herausgeber des „Matin", Edwards, der als levantinischer Jude einen ausgeprägten Geschäftssinn besitzt, ist nämlich an den sonderbaren Intriguen betheiligt gewesen, welche die Opiummonopolgesellschaft in Indochina betrieb. Der parlamentarische Berichterstatter, der die Finanzverhält niste der Colonie zu prüfen hatte, äußerte sich abfällig über die Rolle» die dieser Herr gespielt balle. In Folge einiger peinlicher Zwischenfälle, die in der Kammer stattsanden, glaubte sich die Regierung verpflichtet, eine strafrechtliche Untersuchung gegen Edwards einzuleiten. Bei der Haussuchung soll nun der Polizeicommissar zunächst einige Briese gesunden haben, welche Felix Faure weiland als Unterstaatssecretair der Eolonien an Edwards geschrieben halte. Der jetzt gut ministerielle „Rappel" sucht die Sache in ein unschuldiges Licht zu setzen, indem er er klärt, es handle sich um weiter nichts, als darum, daß Felix Faure als Unterstaatssecretair der Eolonien einen „sehr ein flußreichen Journalisten auf dem Laufenden gehalten habe über die damals eingeleiteten Unterbandlungen zur Er neuerung des Privilegiums der Bank von Zndockina, wie dies ja üblich sei und wie es die Höflichkeit erforderte". Ter „Rappel" klagt über die Hinterlist, mit welcher gewisse Deputirte diese ganz unbedeutende Thalsacke auszubeuten suchen. Er fragt zugleich, für wessen Rech nung die Feinde des Slaalschess arbeiten. Das ist in der Thal eine bedeutsame Frage. Denn hier kommt Alles daraus an, für wessen Rechnung gearbeitet und waS dafür ausgezeben wird. Der Fund der Briefe ist an sich harmlos, aber es fragt sich, was die Presse daraus macht. Bei der Reizbarkeit des Publikums hat sie leider nur zu leichtes Spiel, wenn sie hochgestellte Persönlichkeiten anschwärzl. Die Regierungsblätter erklären, die Untersuchung werde in voller Gesetzmäßigkeit und obne jegliche Verheimlichung ihren Fortgang nehmen. Die dabei interessirlen hochgestellten Per sönlichkeiten hätten selbst diesen Wunsch ausgesprochen. Die Vorgänge auf dem abcffinischen Kriegsschauplatz werden in Deutschland fast mit demselben Interesse und der gleichen Spannung verfolgt wie in Italien selbst, und Kaiser Wilhelm hat wiederum nur dem Volksempsinden den rich tigen Ausdruck verliehen, wenn er seine Freute über die endliche Befreiung Galliono's offen knndgegeben hat. Man berichtet uns darüber aus Rom, 3!. Januar: Die „Agenzia Stefani" meldet aus Berlin: Der Kaiser begab sich heute nach der italienischen Botschaft, um dem Botschafter General Grafen Lanza seine Genugthuung über die Wieder vereinigung der ColonneGalliano mit der italienischen Armee vor Adahagamus auSzusprechen. Der Kaiser beauftragte den Bot schafter, sich bei dem König Humbert und der italienischen Negierung zum Dolmetscher seiner lebhaften Glückwünsche, sowie seiner Wünsche für eine bnldige, glückliche Beendigung des Krieges zu machen. Leider erfährt aber durch neuere Meldungen die Freude über die Freigabe des Bataillons Galliano eine wesentliche Feuilletsn» ^ verlassen und verkannt. Erzählung von Wladimir Korolenko. Uebers. v. Ad. Garbell. Nachdruck «erboten. D. S. G. I. Vor nickt langer Zeit lebte im Westen Rußlands ein gewisser Pan*) Joseph LosinSki. Man kann mit Sicherheit annebmen, daß er nickt zu den großen Herren gehörte, denn in jeder mit einem Strohdach versehenen Hütte jenes Dorfes lebte ein solcher Pan und alle hießen ebenso wie Joseph, „Losinski". Wahrscheinlich batten sie diesen Familiennamen von ihrem Heimathsdors empfangen, das wiederum nach dem Worte Lose (Rebe) Losischza genannt wurde. Um aber den einen vom andern unterscheiden zu können, fügten die Losinski'S ihrem Familien- noch Zunamen bei. So gab eS jetzt unter ihnen Leute, die die Namen von Vögeln und andere» Tbieren trugen. Ja einer hieß sogar Schmutzfink, ein anderer Rad, mit einem Worte, jeder hatte seinen Spitznamen, den er daS ganze Leben hindurch beibehielt. Die Pane Losinski waren ehemals weißrussische Schljachtitschs**) und Unirte. Sie hatten ihren Adel aber schon längst begraben. Wie dem auch war und obgleich die Einwohner von Losischza schon längst ibre Dokumente und Embleme verloren batten und einer rechtgläubigen Bauerngemeinde zugezählt und vielleicht die ärmsten von all ihren Nachbarn wareu, so lebte dennoch daS Andenken einer bessern Vergangenheit unter den Strohdächern fort, und verwandelte sich m die Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft. Die LosinSkis verstanden alle zu lesen und zu schreiben, gingen sauber gekleidet, bekundeten eine stolze Haltung und vergaben sich nichts, weder den katholichen Polen, noch ihren rechtgläubigen Nachbarn gegenüber. Und nirgends wurden Angereiste so gastfrei empfangen und nirgends hörte man so aufmerksam deren Erzählungen über die weite Welt als in Losischza zu. ^ . So lebte auch Joseph LosinSki, der den Spitznamen die „Femerstange" hatte, in der Heimath, d. b- er lebte nicht besonders. Er war verheirathet, hatte aber keine Kinder, *) Pan in Polen, soviel wse gnädiger Herr. **) Polnische Edelleute. und so manches Mal dachte Losinski darüber nach, daß, wenn er solche besäße, eS ihnen ebenso schlecht, ja vielleicht noch schlechter ergeben würde, als ibm selbst. Das wollte er durchaus nicht. Das weiß ja jeder, daß, so lange ein Mensch noch jung ist und hinter seinem Rücken keine Kinderschaar schreit, es ihm immerhin noch möglich ist, zu suchen, wo ihm auf der weiten Welt das Glück blühe. War er doch nicht der erste, noch der letzte, der sich von den Verwandten verabschiedete, die Beine in die Hände nahm und blindlings in die Welt hinausging, um zu suchen, zu arbeiten, mit der bösen Noth zu kämpfen und daS im fremden Ofen gebackene bittre Brod in der Fremde zu essen. Nicht wenige solch unstäter Menschen waren aus Losischza fortgegangen; sie waren ausgezogen einzeln und zu Paaren, und einmal sogar folgte eine ganze Schaar einem schlauen Agenten und schmuggelte sich Nachts über die Grenze. Aber es batte immer kein Resultat gehabt oder es endete gar noch schlimmer. Ter eine wurde per Etappe zerlumpt und hungrig zurück gebracht, ein anderer war in der großen Welt spurlos wie eine Stecknadel auf der Landstraße verschwunden. Joseph LosinSki war, so viel man wußte, der erste, der nicht verschollen, sondern der ein Lebenszeichen von sich gab. Er war, wie es schien, ein Mann von Kopf und nicht von denjenigen, die sich verlieren, sondern ein solcher, die andern auf die Beine Kelsen. Wie dem auch sei, nach einem Zeitraum von kaum zwei Jahren, vielleicht aber auch etwas mehr, kam ein Brief mit einer rothen Postmarke, wie man sie bisher in jener Gegend noch nicht gesehen batte, in Losischza an. Man war über denselben nicht wenig erstaunt', und las ihn im ganzen Amtsbezirk, sowohl die Schreiber als der Lehrer wie auch der Geistliche und noch andere bedeutende Leute, die sich dafür interessirten und endlich wurde auch die Frau des LosinSki gerufen, der man den in einem ganz zerrissenen Couvert steckenden Brief mit der deutlichen Adresse: „Anna Losinski, die Frau Joseph Losinski'S — Oglobla in Losischza" übergab. Dieser Brief war von ihrem Manne auS Amerika, aus dem Staate Minnesota. Aber aus welchem Orte er kam, ist jetzt schwer zu sagen denn . . . Uebrigens werden wir eS später erfahren. In dem Briefe stand geschrieben, daß Losinski Gott sei Dank lebe, gesund sei und auf einer Farm arbeite und ihm Gott ferner helfen werde, sowie Er es bisher gelban. UebrigenS sei es ihm als Arbeiter dort sogar bester als manchem selbstständigen Besitzer in Losischza. Das Land ist ein sehr gesegnetes, die Küke geben bei jeder Melke ungefähr einen Eimer Milch, und die Pferde sind so groß wie die Ochsen. Einen Menschen, der den Verstand auf de», reckten Fleck und gesunde Arme bat, achtet und schätzt man, und ihn, den Joseph LosinSki, fragte man sogar, wen er zum Präsidenten des Landes wählen würde. Und er, Losinski, habe seine Stimme nickt minder als die andern abgegeben, und wenn es auch nicht so kam, wie er und sein Herr es wollten, so hätte es ihm dock sehr gefallen, daß man einen Menschen um seine Meinung fragt. Mit einem Worte, alles wäre gut, nur sebne er sich nach seiner Frau und habe deshalb nach Möglichkeit gearbeitet, um für das erste Geld ei» Ticket zu erstehen, welches er ibr in dem Briefe sende. Dieses Ticket sei das blaue Papierchen, auf dem eine Lokomobile und ein Dampfschiff abgebidet sind. Die Bedeutung des Tickets sei die, daß man sie, seine Frau, nun zu Land und zu Wasser gratis befördern würde, wenn sie nur bis zu der deutschen Stadt Hamburg gelangte. Und zu diesem Zweck möge sic ihr Häuschen, die Kub und all ihr Hab und Gut verkaufen. Während die Losinski den Brief las, schauten die Leute sie verwundert an und besprachen unter sich den Umstand, daß einem so leeren Papierchen die große Kraft innewohne, einen Menschen bis ans Ende der Welt ohne Bezahlung zu befördern. Selbstverständlich begriffen dabei alle» daß solch ein Pa pierchen dem Joseph Losinski viel Geld gekostet haben mußte. Und das bedeutet ja gewissermaßen, daß Losinski nicht ver geblich in die Welt hinauSgezogen und daß man in dieser immerhin noch sein Glück finden könne . . . Und jeder dachte bei sich: „Auch mir könnte so etwas passen" . . . Ein Schreiber der Gemeindeverwaltung, der den Brief mit dem Ticket der Losinski nicht gleich übergeben, sondern eine ganze Woche bei sich behalten batte, dachte ebenfalls: „Dieses Weib ist so dumm . . . Mit diesem Papier könnten klügere Leute nach Amerika kommen, um dort ibr Glück zu suchen" . . . Doch auf dem Billet stand deutlich geschrieben: Mistreß Anna Joseph Losinski — Oglobla. Die Worte Joseph Losinski und Oglobla hätten noch nichts geschadet, aber die Mistreß und Anna bedeuteten augenscheinlich ein Frauenzimmer. Mit einem Worte, er sah sich gezwungen, das Billet adzu- licsern, obgleich er noch im letzten Augenblick darüber seufzte Die Losinski batte den Brief also empfangen, sich auf eine Bank gesetzt, ihn gelesen »nd war in Thränen auSgebrochen. Gewiß war sie über den Brief froh. Denn auch vor Freuden weint man ja. Andererseits mußte sie aber daS Heimathsdors, die Ver wandten und Nachbarn verlassen. , Auch muß gesagt werden, daß die Losinski ein junges, hübsches Weib und wie man sagt, mit einem glatten Gesicht war. Ohne ihren Mann konnte ihr dock allerlei Unglück zustoßen. Hatte sie doch schon derselbe Schreiber nicht unbc tielligt Vorbeigehen lassen, und sie mußte sich gestehen, daß dieser „Feind" ibre Herzensruhe störte. Sie hörte zwar nie darauf, aber immerhin blieb doch etwas Haffen, wenn man sagte, daß Joseph Losinski weit weg und noch Niemand auS jenen fernen Ländern nach Losischza zurückgekehrt sei, unk baß Raben die Gebeine ihres Mannes bereits längst von dannen getragen hätten, während sie da ihre junge» Zabre im Warten verbrachte, ohne Mädchen, noch Wiltwe oder Frau zu sein. Zwar war die Losinski ein vernünftiges Weib, das, wie man sagt, dem Teufel eine barte Nuß zum Knacken gab, und es war nicht leicht, sie vom rechten Wege abzubringen. Doch hatte sie beiße Kämpfe z» bestehen, wie sich daS beim Empfange des Brieses auch bewies. Augenblickliche Freude, früherer Kummer, alle sündhaften Gedanken der Jugend, alle schlaflosen Nackte, alle leiden schaftlichen Aufwallungen stürmten jetzt auf sie ein. Diese Gefühle übermaniilen sie so sehr, daß ste ohnmächtig wurde und ihr Bruder Matwei Losinski — Diiiscklo sie auf seinem Arm von der Amtsstube weg nach ihrem Häuschen bringen mußte. II. Bald verbreitete sich die Nachricht durch daS Dorf, daß LosinSki eine so außerordentlich reiche und wichtige Persönlich keit in Amerika geworden sei, daß er sogar den Präsidenten ernenne. Die jungen Leute begannen sofort Pläne zu schmieden, wie sie LosinSki s Beispiel folgen könnten. Sie versammelten sich oft im „Kruge" und saßen da sehr lange, wobei sie Bier und Wein tranken, rauchten, stritten, lärmten und prahlten, so daß man hätte glauben können, eS würde in Losischza auch nickt ein junger Mann mehr bleiben. Alle beabsichtigten, zu reise» und reich zu werden, und gedachte» später aus Losischza Mädchen kommen zu lassen, um dort ein neues Losischza !u gründen. „Amerika ist ein schönes Land", sprachen sie. „Wenn man sogar Losinski gefragt bat, wen er zum Präsi denken haben will, was werden dann andere zu bedeuten haben, die mehr als er sind. Hohoh, hohohol"
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