Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189702074
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-07
- Monat1897-02
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1897
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Bezugspreis 1» der Hauptexpeditioa oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Au«» Ladestellen abgeholt: vierteljährlich>ll4.50, bet zweimaliger täglicher Lust»llang in» Han« Durch die Post bezogen für Deutschland »ad Oesterreich: virrtrliädrlich 6.—. Direkt» tägliche Kreuzbandiendung in« Ausland: monatlich ^ti 7.bO. Die Morgen-AuSgobe erscheint ui» '/,? Uhr. di« Abend-An-gab« Wochentag» um S Uhr. NedacNon und Lrpe-Mon: JohanneSgasse 8. Di» Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 dt» Abend« 7 Uhr. /Malen: Otto »le««'» Porti«. (Alfred Hahn). Universitätsstraße 3 (Paulinmn), Laut» Lösche, Kathariaenstr. 14, part. und König-Platz 7. riWger TaAtlilall Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile St) Pfg. Reklamen unter demRedactwnsstrich (4qe- spalten) 50^, vor den Familiennachrichten (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Zifsernsup nach höherem Tarif. Anzeiger. Ämlsvratt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Aatlses nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. 88. Sonntag den 7. Februar 1897. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbesördernng 00.—, mit Postbrförderung 70.—. Annahmeschlaß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 91. Jahrgang. Aus -er Woche. Die Verhandlungen de« Reichstag« Uber den Proceß Leckert-Lützow sind in der Sache nicht ganz ergebnißlos gewesen und beanspruchen auch eine auf anderem Gebiete liegende politische Bedeutung. Zwar bleibt fast Alles aufrecht, waS gegen die Flucht in d,e Oeffentlichkeit — Herr v. Marschall schien selbst der Meinung zu sein, daß er wenigsten- daS Wort besser im Busen bewahrt hätte — auf Grund der bisher bekannten Thatsacken eingewendet worden ist. Daß aus Tausch — dessen Entlarvung im öffent lichen Proceß, nickt die Verleumdungsklage gegen Leckert nnd Lützow rief Bedenken hervor — im Disciplinarverfahren nickts herauszubringen gewesen wäre, wenn die criminalistiscke Er fahrung und Gewandtheit, die Herr v. Marschall in der Ge richtsverhandlung bekundet, zu Diensten gestanden hätte, er scheint noch jetzt unglaublich. Stichhaltige Gründe, weshalb mit den Ressorts nichts anzufangen gewesen wäre, hat der StaatSsecretair gleichfalls nicht anzufiihren vermocht. Fürst Hohenlohe, der vorher den Polen mit erwünschter Schärfe gedient hatte, hielt sich sichtlich zurück, er erkannte für sich nnr die Verpflichtung, für die politische Polizei im Allgemeinen ein- zutreten. DaS Novnm, welches Herr v. Marschall vorbrachte, ist jedoch geeignet, sein Verhalten begreiflich erscheinen zu lassen. Er hat auS der Vorerhebung erkundet, daß die Socialdemokraten von Dingen, die in der politischen Polizei vorzegangen, Kenntniß hatten und eine Enthüllung planten. War die Wissenschaft der Umsturzparlei von der Art, daß einer Action von dieser Seite durch die Ausdehnung veS Protestes Leckert vorgebenstt worden ist, so befand sich die Negierung in einer Zwangslage. Dieser Streich hätte in der Thal nicht durch ein — geheimes — Disciplinarverfahren parirt werden können. Ist eS nun noch eine Frage, ob die Socialdemo kratie wirklich „etwas Rechtes" von den Thaten Tausch's gewußt hat, so haben die Reichötagsverhandlungen die Ge wißheit gebracht, daß sie jedenfalls nicht von mehr Kenntniß gehabt hatten, al« nach dem Proceß Leckert Jedermann weiß. Bebel mußte die Gelegenheit zur angekündigten Namhaft machung der „Hintermänner" ungenützt verstreichen lasten. Der kleine Zug, den er zum Bilde Tausch's beigebracht, der Verkehr mit Aylwardt, ist unerheblich. Bei aller Anerkennung der feinen Dialektik, als deren Meister sich auch bei dieser Gelegenheit wieder Herr v. Marschall zeigte, muß man sagen, daß seine Ausführungen wirksamer gewesen wären, wenn sie sich darauf beschränkt hätten, die Inscenirung des viel besprochenen ProcesseS mit der Absicht, der Socialdemokratie eine gute Reclame zu verpfuschen, zu begründen. Durch eine solche Kargheit wäre der StaatSsecretair aller dings der unausgesetzten Beifallsrufe der Socialdemokraten, der Freisinnigen nnd namentlich des CentrumS verlustig gegangen, aber wahrscheinlich hatte er da- nicht als Entbehrung em pfunden. Herr v. Marschall kann mit dem Freisinn zu frieden sein. Er ist niemals auch nur annähernd so gut von den Conserdativen behandelt worden, ja Gras Mirbach schien seinen Parteigenossen Grasen Limburg wegen dessen im Abgeordnetenhause gegen den Staats- sccretair gerichteter Spitzen geradezu desavouiren zu wollen. Graf Limburg durfte sich daraus berufen, daß er dort in Uebereinstimmung mit seiner Fraction gesprochen habe. Aber daS ist eine Weile her, in der Politik ändern sich die Dinge manchmal rasch, und die Ersetzung des Herrn v. Manteustel durch Herrn v. Levetzow im Vorsitz der konservativen Reichs- tagsfraction läßt eS wenigstens nicht unwahrscheinlich er scheinen, daß vorgestern im Reichstage Symptome cineS innerhalb dieser Partei vollzogenen Umschwunges hervor getreten sind. Der Bock um er Dergarbeiter-Congreß wäre ein beachtenswertheS Ereizniß auch dann geworden, wenn er nicht Herrn Naumann Gelegenheit gegeben hätte, etwaige, nach dem Eingreifen in den Hamburger Streik noch be stehen gebliebene Zweifel an der Consequenz dieses Agitators zu zerstreuen. Wenn sich Arbeiter eines großen ErwerbS- zweiges zusammenthnn, um auf dem Boden der bestehenden Gesellschaftsordnung und unter ausdrücklicher Anerkennung der geltenden Rechtsordnung die Verbesserung ihrer wirth- sckastlicken Lage herbeizuführen, so kann man es ja wohl sehr fraglich finden, ob der Weg der rechte sei und ihm nickt vielmehr gesonderte Verhandlungen der Arbeiter der einzelnen Briebe mit ihren Arbeitgebern vorzuziehen seien, aber allgemeine politische Bedenken werden sich gegen ein solches Unternehmen nicht wohl Vorbringen lassen. Die erwachen erst, sobald die ökonomischen Gruppenbeslrebungen parteipolitischen, also fremden Zwecken dienstbar ge macht werden, mithin auf die Art auSgebeulet werden sollen, wie die Socialdemokratie den natürlichen Drang nach Hebung der Lebensverhältnisse bei den deutschen Arbeitern für sich auSnutzt. In Bochum ist das nach drücklich versucht worden. Die Herren Wagner und Naumann werden zwar als Männer angesehen sein wollen, die sich in den Dienst der Bergleute gestellt haben, in Wahr heit aber verräth jeder von ihnen gesprochene Satz, daß sie in jener Arbeitermasse ein Mittel zur Verwirklichung ihrer eigenen Ideen erblicken. Herr Professor Wagner bat dem Begehren der Arbeiter ohne Rücksicht auf die wirtlsschafilichen Verhältnisse Perspectiven eröffnet und Herr Naumann hat die Verbindung mit der Socialdemokratie empfohlen. Jenes führt zu falschen Vorstellungen von dem Maße des Erreichbaren, dieses zu unheilvollen Entschlüssen, wie sie die Jahre 1889 und 1890 gezeitigt haben. Das Wohlbefinden der Arbeiter kann also nicht als der nächste Zweck der Laienbetheiligung an dem Bochumer Congresse gelten, diese ist in der Liebe zu der eigenen Idee zu suchen, und da man seine Ideen liebt wie sich selbst, so hat daS Auftreten der eifrigen Herren seine letzte Quelle in einem Egoismus, der um kein Haar besser ist, als derjenige, der sich durch privatwirthschaftliche Rücksichtslosig keit brthätigt. Wer daS Wohl der Arbeiter will, der kann nicht in die Lage kommen, von einem Arbeiterführer wie Brust, der durchaus nicht blöde ist — Brust hat u. A. die ÄL»» «uLdigk.' AL nationalssociale Arbeitenimschmcichelnng sucht mit wach,endein E r - so^ldemokratische einzuholen und brauch man doch nicht von der Person des Herrn Naumann zn denken um sich z" der Ansicht zu bequemen, hier erscheine zum ersten Male ,n der Weltgeschichte eine Ausnahme von Flegel, daß Schmeicheleien nicht uu Intereste der (. ' ^ Bor^den ^C en t r ii'm s -„Socialisten" haben die National- kSst^ mit den Conservativen beschlossenen Margarmegesetz — um ein Beispiel von vielen anzuführen — hat die ultrainontane Partei geradezu LebenSmittelvertheuerung betrieben »n Interesse des Mittelstandes. In der MiltwochSs.tzung des Reichstag- wurde empfohlen, eben diesen Mittel stand ans Messer zu liefern, durch Anführung einer gesetz lichen Maximalarbeitszeit, die fast allein dre Kleinbetriebe, diese aber zumeist todtlich treffen wurde. Eine ähnliche Wirkung hätten die seit einer guten Weile vom (Zentrum an- gepriesenen Arbeiterkammern. Die Fabriken konnten sich vielleicht mit solchen Organisationen abfmden, die Hand werksmeister wären sicher verloren, wenn ste sich von social- demokratiscken Corporationen mit öffentlich-rechtlichen Befug nissen die Arbeitsbedingungen vorschreiben lassen müßten. Der clericale MarimalarbeilStag-Antrag ist dem social- demokratischen natürlich im Hinblick aus die Wähler ent gegengesetzt worden. Darauf ist jetzt Alles im ultramontanen ^ger zugeschnitten. Auch der plötzlich entstandene Unwille über MißBaughan nnd den Teufel Bitru dankt dem Herannahen einer neuen Legislaturperiode sein Entstehen. 8peetstor, der unbequem scharf hinter die Eouliffen blickende Verfasser der zu Beginn eine- jeden Monat« in der Beilage zur „Allgemeinen Zeitung" erscheinenden, vorzüglich orientirenden „Kirchenpolitischen Briese", giebt darüber Aufschluß. An der Verbreitung der neuesten TeufelS- geschichte ist, von dem wahrscheinlich in der Thal gutgläubigen Herrn Künzlc vom „Pelikan" ganz abgesehen, der Ultramon- taniSmuS gerade so betheiligt gewesen, wie der anderer Länder. Daß der Jesuit Gruber die Deutschen mit vem Werke Taxil's in der Hoffnung, „eS möge zu Nutz und Frommen der deutschen Volkes weite Verbreitung finden", bekannt gemacht, ist schon oft hrrvorgehobrn worden. Nicht so allgemein ist erinnerlich, daß die „Germania" und die „Köln. VolkSztg." das Buch empfohlen haben. Warum nun sind auf einmal die einst gepriesenen Heilswahrheiten „Schwindel" geworden? CentrumS und der Centrumspresse seit dem Jahre 1890 be obachtet, wird sich der Wahrnehmung nicht verschlossen haben, daß hier mit Consequenz den künftigen Reichstag- Wahlen vorgearbeitet wird . . . Nach dieser Richtung war der Trienter Congreß etwa« so unbequemes wie bedenkliches. Man konnte es unmöglich darauf ankommen lassen, das An sehen der ganzen Partei durch diese Teufelsspukgeschichteii compromittirt zu sehen." Die „Köln. VolkSztg." mußte also Vorgehen und nach einigem Zaudern sind ihr die meisten Hauptorgane des Centrums beigctreten. Auch der Pater Gruber trat jetzt gegen die — früher von ihm gepriesenen — „Enthüllungen" ans. Denn, so sagt ^eetutor, „die Jesuiten hatten von jeher die Praxis, bei Händeln von unsicherem Ausgang wieder einen Springer in Bereitschaft zu halten, der im gegebenen Moment von dem lecken Schiff auf das flotte hinübersetzt und dann munter die Fahne der Gesellschaft ans dem siegreichen Maste aufhißt". Daß der Ansspruch der römischen Commission, der den Glauben an die Existenz der Miß Vaughan und an das Erscheinen deS Teufels in einer römischen Freimaurerloge in das Belieben des Einzelnen stellt, also gestattet, zu glaube», WaS Gruber unv die „Köln. VolkSztg." früher als Wahrheit „zu Nutz und Frommen des deutschen Volkes" der Verbreitung empfohlen batten, das ist freilich unangenehm. Auch daß daS Cenlrum im Reichstage von dem Jesuiten- gesetze schweigt, hängt mit den Wahlen zusammen. Das Centraloraan der Jesuiten, die „Civiltü cattolica", hat näm lich, wie spoctator nachweist, „von Anfang an den Taxil- Vaugban-Schwindel als authentische Waare angenommen und empfohlen.... War cö ein Wunder, daß alle Kreise, die ihre geistige Leitung von den Jesuiten annehmen, aus diesen Leini gingen?" Man hat aber bisher die Jesuiten vorzugsweise als Lehrer zurückverlangt. Grund genug, im Augenblick still zu sein. Aber dieser Grund steht nicht allein. Die,Föln. Volzsztg." hat z. Z. außer dem Vaughan-Schwindel eine von Rom ans gehende systematische Hetze gegen den Dreibund und das Deut schthum zu bekämpfen. Sie „sagt aber", so bemerkt 8pectator, „weder hier, noch da, wo sie den Diana Vaughan Schwindel bekämpft, wer die Leute sind, welche sie veran laßt ist aufs Korn zu nehmen. Mit keinem Worte wirv dem lieben Leser verrathen, daß diese Artikelschreiber, welche nach der „BolkSzeitnng" frivole Verleumder nnd Lügner sind, welche den Haß gegen den Dreibund lehren und welche aus einer krankhaften Sucht heran- allerlei verrücktes Zeug über den Freimaurerorden und seine Einwirkung auf die deutsche Politik vortragen — daß diese Leute niemand anders sind, als die Jesuiten... Es wird unter diesen Umständen erlaubt sein, den Vorstoß der K. Volkszeitung" vorläufig auch nur für ein taktisches Manöver zu halten." Nicht nur erlaubt, sondern geboten. Eine Reihe von Zeitungen zerbricht sich jetzt die kost baren Köpfe darüber, WaS die Finanzminister-Conferenz /««illrtsn. Mekkapilger. Bon Otto Leonhardt. Nachdruck verboten. Jahr um Jahr wälzen sich auS allen Ländern, in denen Mohammed'S Religion bekannt wird, dickte Wolken von Pilgern der heiligen Stadt Mekka zu. ES sind Wolken des Unheil«, in denen Tod und Verderben lauern. Denn diese Karawanen sind e« zu ungezählten Malen gewesen, die die Keime verheerender Krankheiten von Ost nach West verschleppt haben; und auch jetzt wieder blickt die gesittete Welt auf die Mrkta^ilgrr mit der bangen Brsorgniß, daß sie die furcht bare Seuche, unter der gegenwärtig das unglückliche Indien leidet, verbreiten könnten. Will man dir Gefahr dieser Pilaerkarawanen ganz er messen, so muß man bedenken, daß ,n ibnen sich Menschen au« allen Thrilen der islamitischen Welt zusammensinden, daß unter ihnen viele sind, die schon in vorgerücktem Alter nnd daher geschwächt die heilige Fahrt unternehmen, und daß die meisten gegen die Forderungen der Reinlichkeit eine souveräne Mißachtung an den Tag legen. Auf den Schiffen, die an- Nordafrika und «NS Indien die Wallfahrer nach Arabien führen, werden sie dann wie die Heringe zusammen gedrückt. H. v. Maltzan, einer der wenigen Europäer, der vermöge einer Verkleidung als Muselmann aus dem Maghreb (Algier), die jedem Rumi (Christ) aufs Strengste verschlossene heilige Stadt besuchte, erzählt, daß daS Schiff, da« ihn über daS Rotbe Meer nach Dschedda brachte, an die 150 Hadschadsch trug, wahrend r« nur für einige 60 Platz hatte. Ist so der Ansteckung Thür und Thor geöffnet, so kommt hinzu, daß es dem Pilger auf« Schärfste untersagt ist, irgend einem Lebewesen auf seiner Wallfahrt ein Leid anznthun, und daß daher geradezu unbeschreibliche Mafien von Ungeziefer ihr liebliche« Spiel von Mann zu Mann treiben, dessen Qualen zn ertragen nur die fatalistische Geduld eine« Orientalen im Stande ist. DaS Schlimmste von Allem aber ist da« dem Pilger vorarschrirbene Eostiim, der Ihram, den man zu größerem religiösen Verdienste so früh al« möglich auf der Wallfahrt anlegrn soll. Der Ihram besteht nur au« zwei viereckigen Tüchern, von denen ein« al« Toga angelegt, da« andere um die Lenden geschlungen wird. Keine andere Kleidung, ja selbst nicht einmal eine Geldkatze dark der Pilger am Leibe tragen. Gegen die Kühle der Nächte, di» al« Reisezeit dienen, argen die brennende Hitze -er Tage, die bi- über 35, Grad Reaumur steigt, besitzt er keinerlei anderen Schutz. Vielmehr ist er obendrrm nicht allein gezwungen, barfuß zu geben, sondern auch sich den Kopf kahl scherren »u lasten und ohne Kopfbedeckung zn wandern; der einzige Schirm, den er -egen die unbarmherzige Sonne an- wenden darf, besteht darin, daß e« ihm gestattet ist, di« Hände überm Kopse zu halten. So ist e« nur natürlich, daß eine Unzahl der Wallfahrer an Erkältungen de« Halse«, der Brust und besonders des Unterleibs, andere an den Folgen deS Sonnenstichs erkranken. So mancher erliegt den Be schwerden schon, bevor er die heilige Stadt zu Gesicht be kommt; viele schleppen sich nur mühsam und frierend durch die Nacht ihre« Wege- nnd wissen, daß die Pilgerfahrt ihre letzte Erdenfahrt sein wird. Und dennoch — wenn im matten Lichte der Morgenröthe die graue Masse deS neun Mal heiligen Mekka auS der Einöde aufsteigt, dann ist keiner unter all den Hadschadsch, der an Schmerzen und Tod dächte. Dann kommt der ganze grenzenlose Fanatismus des Islam zum vollen Durchbruch. Ein hundert-, tausendstimmiges Jauchzen, Schreien, Weinen und Seufzen erfüllt die Wüste, ungezählte Arme werden zum Himmel emporgeworfen, ekstatische Pilger werfen sich schluchzend zur Erde, den heiligen Boden zu küssen. Alles aber ttbrrtönt gewaltig ein Ruf, — der Pilgerruf „Labik", „Labil" bedeutet etwa „Zu Dir flüchte ich". Zum ersten Male er hebt die Karawane diesen Schrei, wenn sie den Ihram an gelegt hat, und fortab begleitet er die ganze Pilgerfahrt. In diesem einzigen Ruse, immer und immer wieder angesicht« aller Heiligthümer und bei allen Andacht-Übungen auSge- stoßen, concentrirt sich gewissermaßen der ganze fromme Fanatismus der Wallfahrt. Nur ein Wort begleitet sie an nähernd ebenso häufig, ein Wort, in dem sich, wie in einem Gegensätze zu dem vergeistigten „Labik", der rohe Materialis mus de« Islam« ausdrückt: die Phrase „Elba Ketsch", „Opfere einen Hammel!" Elba Ketsch — daS ist daS Alpha und Omega der mohammedanischen Bußlehre. Ein Hammel sühnt jede Sünde deS Hadsch, ein Hammel deckt selbst die Unterlassung eine- der vorgeschriebenen heiligen Bräuche zu: ein Hammel entschuldigt e«, wenn der Pilger sich zu einer leichten Tänzerin verirrt oder gar in einer elenden Opinmkneipe einen eklen Rausch sucht. Für den Wallfahrer ist diese Buße insofern nicht immer ganz bequem, al« die Sündenböcke in Mekka während der Pilgermonate den vier- und fünffachen Prei« kosten, wie gewöhnlich. Die seltsame Mischung von ekstatischem Fanatismus und crassem Materialismus, die wir hier bemerken, kennzeichnet dir Pilgerfahrt im Ganzen. Vor dem schwarzen Steine der Kaaba, dem Mittelpunkte de« ganzen Islam«, liegen die Pilger fast bewußtlos in frommer Begeisterung Stunden lang hinaestreckt; mit unaussprechlicher Begeisterung küssen sie den längst von einer fettigen Schmutzkruste Überzogenen Stein. Wenn am 9. Tage de« Monat- Du rl Hödscha. dem großen Tage der Besteigung de- heiligen Berges Arafa, der Prtdiger zur Predigt reitet, dann werfen sich Gläubige vor sein Kamrel, entzückt, wenn r« auf ste »ritt. In der Hauptstraße von Mekka, El En,sah, rennen erhitzt, keuchend, bewußtlos, wie wahnsinnig, die Pilger auf nnd nieder, die den heiligen Laus (Sai) siebenmal die Straße auf und ab vornehmen. Aber neben ihm läuft mit kaltem, gierigem, spitzbübischem Gesichte, ihn nicht auS den Augen lassend, sein Mctuaf, der gemirtbete geistliche Führer, der ihn zu den Crremonien geleitet, wie eine Klette an ihm bängt und unter dem Anschein der strengsten Frömmigkeit keinen anderen Zweck kennt, als sein Opfer nach allen Regeln abgefeimtester Gaunerkunst z beuteln. Jede Andachtsübung im heiligen Mekka kostet ei Trinkgeld. In der weltberühmten Medschid el Haram, de heiligsten Moschee des Islams, der hochheiligen Stätte de Kaaba, tummelt sich neben der sinnlosesten religiösen Ekstaj da« materiellste Leben. Neben den zuckenden Leibern vo Prosternirten sitzen Pilger, die hier essen und trinken; gieri wie vie Wölfe treiben sich die brutelüsternen Metuasim umbe und streiten sich laut schreiend um die Pilger, die sich noi keinem solchen Blutsauger überantwortet haben; hier lehr an einer Säule ein Verscheidender, selig, in dem höchste aller Heiligthümer zu sterben; dort schwebt eine weiße Frauen gestalt aus dem berüchtigten Viertel von Mekka und bleil bei diesem oder jenem der Pilger stehen, um ihm zärtlich Anerbietungen zu machen. Viele Hadschadsch lassen sich dur< die fromme Begeisterung nicht abbalten, sich für die Ze ihres Aufenthaltes in Mekka eine temporäre Gattin zu nehme, von der sie sich dann sofort wieder scheiden lassen. S schlürfen dieselben Menschen hier mit fast thierischer Begeh, lichkeit den Ke ch der Sinnesfreuden, die Hitze und Krankbe nickt scheuten, um die Kaaba zn erreichen, die in wildem G' dränge ihr Leben daran wagen, um bei der Procedur dc Steinigung deS Teufels dicht an die den Satan versinr lichende Säule Dschemra el Ual zn gelangen. Die Reisenden, die den Muth und das Glück gehst haben, die Pilgerfahrt milzumachen — außer Maltzan sin noch besonders der Deutsche Burckhardt und der englisch Lieutenant Burton zu nennen — heben die Ähnlichkeit he, vor, die Mekka während der drei Pilgermonate mit ein« Messestadt hat. Die Waaren deS ganzen Orient- ströme dann hier zusammen; merkwürdig genug ist es, daß die Pilg« hier kaufen, denn sie werden unglaublich dabei betröge. Den Mekkanern müssen überhaupt diese Monate da« gam Jahr bezahlen. Die Wohnungen steigen unerhört ii Presse: in den Häusern dicht an der Moschee kostete r Burckhardsss Zeiten rin Logis die für orientalische Begrff enorme Smnme von etwa 50 Dollar«. Neben de keuchenden Sai-Läufern und den betenden Pilgern en wickelt sich ungenirt rin Schacher, der schon fast Betru genannt werden müßte, wenn dieser Begriff im Oriente ein reale Bedeutung besäße. Da« Gewimmel, daß Mekka i dieser Zeit erfüllt, ist besonders dann Überaus bunt, wem der einförmige Ihram nach dem ersten Besuche der Mosche wieder den Nationaltrachten gewichen ist. Stattliche Afghane, und elende Fellachen au« Egypten, ketzerische (schulische Perser, die, unablässig geschmäht, doch nie ihre ernste Würd Türken, stolze Beduinen, theatralische Krete, nubische Neger, dicht verschleierte Pilgerinnen — daS Alle wimmelt, schreit, drängt sich hier durcheinander. Ei ganz besonder« bewegter Tag ist wenn eine d großen Karawanen ankommt. Die wichtigste Karawan '/!. Damaskus, sie wird von einem Pasch als Abgeordneten de- Sultan- grsübrt. Nächst ib d aus Lagdav. Düse Karalvanin mögen zwischi 1000—5000 Wallfahrer zählen. Ihnen ziehen die Mekkaner, den Großscheriff der Stadt an der Spitze, entgegen: mit donnernden Labik-Rusen begrüßen sich die Schaaren und die Karawanen begeben sich, da die Stadt für so viele Tausende kein Obdach bietet, in besondere Lager. Welch' ein Leben sich nun entfaltet, mag man sich wohl vorstellen, wenn man sich vergegenwärtigt, daß jeder Pilger, bevor er den Ihram ab legt, sich wäscht, ruht und etwa- genießt, ans der Stelle zur Moschee muß, wo er den siebenmaligen Umgang um die Kaaba vorzunhmen, den heiligen Stein, die Fußstapfen Abra hams, den <Lsemsenbrunnen und zahlreiche andere Heiligthümer anzubeten hat. Erst nach der Erledigung dieser ermüdenden und langwierigen Procedur darf er an seinen irdischen Menschen denken. DaS wichtigste Erforderniß der Pilgerfahrt aher ist die Anwesenheit auf dem Berge Arafa am 9. Du el Hödscha. Dieser „Berg der Erkenntniß" hat seinen Namen von der Legende, daß Adam, der, a»S dem Paradiese geworfen, auf Ceylon niederzefallen war, hier erst seine treue Gattin wieder fand, die auf vem Berge Arafa zur Erde gekommen war nnd ununterbrochen nach Adam gerufen batte. Schwierig zn er klären bleibt allerdings, wie Maltzan bemerkt, daß unsere Ureltermutter, nach ihrem heutigen Grabe zu nrtheilcn, das in Dschedda gezeigt wird, etwa 500 Fuß gemessen habe» mnsi und ihr der heilige Berg -aber kaum bis an die Taille gereicht haben kann. Doch beeinflussen derartige Erwägungen keines weg« die ungeheure Pilzersckaar, die sich durch enge Schluchten dem Berge zuwälzt, zu Fuß, zu Pferde, ans Eseln und Kameelen. Die Besteigung de« Arafa erfolgt unter zahl reichen Gebeten und Andachlsübungen und schließt mit einer großen Predigt. Am nächsten Morgen erfolgt dann die „Steinigung deS Teufels". Im Thale Manaar hat nämlich der Böse in der Gestalt einer Schlange den Vater Abraham versucht, der ihn aber durch Steinwurfe znrücktrieb. Zu», Andenken daran Werken an dieser Stelle die Pilger alljähr lich am 10. Dn el Hodscha dem Teufel dreimal sieben Steine an den Kopf, d. h. auf die ihn vertretenden drei Säulen. Ueber eine Million Steine wird an diesem Tage im Tbalc Menaar aufgelesen und dem Satan an den Kopf geworfen. Es steht außer Zweifel, daß Mohammev diese Procedur wie auch die Anbetung der Kaaba und den Sai aus den, Heidenthum übernommen hat. Die« ist gewissermaßen ein Symbol für den Werth und die Bedeutung der Mekkafahrt überhaupt. Man wird ste durchaus als eine Götzendienerei bezeichnen müssen, und der sich dabei äußernde Glauben« Fanatismus wird pathologisch zu beurtheilen sein. So bat gesittete Welt rin Interesse daran, die Melkapilger- schaff, wenn nicht ganz zu hemmen, so doch so einzuschränkcn, daß sie siirder nicht den glühendsten Haß gegen alle Anders gläubigen stet« von Neuem zur Siedehitze zu erregen und Seuchen und Elend in alle Länder der civilisirten Welt zu tragen vermag.
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