Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-02-14
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189702141
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-02
- Tag1897-02-14
- Monat1897-02
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- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 14.02.1897
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Gröbere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsap nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesvrderung -6 60.—, mit Postbeförderung .6 70—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen find stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sonntag den 14. Februar 1897. 9l. Jahrgang. Aus -er Woche. Wie immer die kretische Angelegenheit sich gestalten Mag, Deutschland ist die letzte Macht, die eine Verwickelung in dieselbe zu befürchten hat. Dessenungeachtet ist es Wohl zu versieben, wenn man in der durch den Kaiser wieder in lebhaften Fluß gebrachten Erörterung der deutschen Flotten- i rage auch auf die Wirren im Mittelmeere hingewiesen hat. Deutschland bedarf, diesen Satz kann man niederschreien, aber nicht widerlegen, zur Erhaltung seiner gegenwär tigen Machtstellung, und zwar der Machtstellung in Europa, sowie zum Schutze der überseeischen Wirthschaftsinteressen einer beträchtlichen Vermehrung seiner Kriegsschiffe. Ver gleiche mit der Seemacht anderer Staaten zur Begründung dieser Notbwendigkeit heranzuziehen, ist nicht geboten und vielleicht sogar zweckwidrig. Man lockt dadurch eine Reihe von an sich unwiderleglichen, wenn auch nicht ausschlag gebenden Einwänden hervor. Dagegen erscheint cs sehr Wohl angebracht, die finanzielle Leistungsfähigkeit Deutschlands der von Ländern, die einen unvergleichlich höheren Flotten aufwand als wir bestreiten, gegenüberzustellen. Es ergiebt sich dann namentlich bei einem Vergleiche mit Frankreich, daß Deutschland ein gut Stück weiter gehen kann als bisher, ohne sich der Belastung deS einzelnen Steuerzahlers im Nachbarstaate auch nur zu nähern. Ueber die Nothwendigkeit und Möglichkeit einer Erweite rung der Stärke zur See besteht denn auch in den positiv gerichteten deutschen Volkskreisen keine Meinungsverschieden- teit. Diese Elemente beherrschen jedoch zur Zeit den Reichstag nicht, es hat deshalb keinen Werth, im Augenblicke der Flottenfrage einen weiteren Rahmen zu ziehen, als er ihm von der Regierung in dem vorliegenden Etat gegeben ist. Also: sollen die zweiten Raten für im Bau befindliche Schiffe in der geforderten Höhe und soll die erste Rate für ein Panzerschiff von den nationalen Parteien — daS Wort sie müssen lassen stahn — bewilligt werden? Was die zweiten Raten angeht, so sind sie in der ersten Lesung deS Etats, von dem Redner der nationalliberalen Fraktion wenigstens, nicht angefochten worden. Anders steht es mit dem ->,viss. Der Abgeordnete I)>. Pciaschc min werde für dieses Jahr Wohl zur Ablehnung der ersten Rate gelangen müssen, weil zwei solcher Panzerschiffe im Bau begriffen seien und die Technik bei der Herstellung dieser Fahrzeuge fortgesetzter Umgestaltung unterworfen sei. Ferner müsse auf die Leistungsfähigkeit der heimischen Wersten und darauf Rücksicht genommen werden, daß bei einem weiter ausgedehnten Werftbetrieb die moralische Verpflichtung entstände, die neu an- gestellten Arbeiter im Winter nicht brodlos zu machen, mithin weiter zu beschäftigen. Keines dieser Argumente ist unbesieglich, aber nur daS, welches sich auf die Leistungs fähigkeit der Werften bezieht, ist seit der ersten Etats- berathung erschüttert worden. Wenn also jetzt eine andere Auffassung platz greisen soll, so wird man sich klar machen müssen, daß der Wechsel lediglich auf die Dazwischen- kunst des Monarchen zurückgefübrt werden kann und muß. Es ist noch daran zu erinnern, daß der Abgeordnete vr. Paascke sich dahin resumirte, eS sei un denkbar, daß in dem Tempo, das im Etat vorgeschlagen sei. weiter gearbeitet werde. Die Angelegenheit wird damit — materiell — zu einer VerfassnngSfrage, die dabin geht, ob der Abgeordnete das Recht besitzt, die Verantwortung für seine Abstimmung auf die Schultern des Monarchen zu laden. Es versteht sich von selbst, baß diese Frage zugleich die der Geltung der Volksvertretung überhaupt und nach dieser Rich tung viel ernster ist, als vom Standpunct der VertheidigungS- sähigkeit, die man sicherlich nicht gefährdet, wenn man den Bau eines Schiffes ein Jahr später, als verlangt, in Angriff nehmen läßt. Nack unserer Meinung wäre es richtiger gewesen, sich in erster Lesung zu isoliren und die Bewilligung aller Forderungen für die Marine sogleich anzu sagen. Da man einen anderen Weg gegangen ist, wird man sehr reiflich und unter Berücksichtigung aller Factoren, welche unsere innerpolitische Lage so gestaltet haben, wie sie ist, zu prüfen haben, welche Entscheidung die ernsteren Folgen nach sich zu ziehen geeignet ist. Graf Mirbach ist ohne Zweifel der bescheidenste Parla mentarier im Reiche. Er begründet seinen Anspruch aus eine glänzende Carriöre lediglich mit einem Stockschnupfen. Die Frage, an welchen Platz ihn diese Gabe stellen könnte, wird nun wohl verstummen, nachdem sie im Reichstag dreimal erörtert worden ist. Auch über die düstere Prophezeiung eines antisemitischen Blattes, daß außer dem vorgenannten unglücklichen Witzling und Herrn von Levetzow noch andere conservative Abgeordnete der gemäßigten Richtung bei den nächsten Wahlen nicht mehr zu candidiren gedächten, wird die Gemüther nicht mehr lange beunruhigen, obwohl freisinnige Blätter viel Wesens aus ibr machen. Wenn die Conservativen, anstatt sich von der Agrar- demagogie zu scheiden, dieser ihre Partei ganz auSliefern wollen, so mögen sie es immerhin thun. DaS Wahlergebniß in Donaueschingen, wo für den verstorbenen Fürsten v. Fürstenberg der Nationalliberale vr. Merz in den Reichstag gewählt wurde, stellte trotz der geringen Mehrheit für den Sieger dem Wahlkreise ein sehr günstiges Zeugniß aus. Die Conservativen und die Demo kraten hatten sich offen für den Klerikalen erklärt, die Social demokraten haben jedenfalls nicht nationalliberal gewählt, und dennoch ist trotz der angewandten geistlichen Hilfsmittel bei einer Wablbetheiligung von seltener Stärke der Klerikale unterlegen. Ein Beweis, baß der Ultramontanismns in dem fast ganz katholischen Wahlkreise schwach ist. Herrn v. Man- teuffel und Herrn Haußmann ist nun die Freude verdorben, sich gegenseitig zu dem Sieg ihres gemeinschaftlichen Stich- wahl-Candidaten beglückwünschen zu können. . Deutsches Reich. ^ Berlin, 13. Februar. Die Vertreter der Stadt Berlin im Abgeordnetenhause haben sich wiederholt über Animos-tiit welche :n Pen Parlamenten gegen die Centrale des deutschen Reiche» besieht. ulean drauchl aber nur den Verlauf der Stadtverordnetenberathungen über die Theilnahme der Stadt an der Jahrhundertfeier des Geburtstages des Kaisers Wilhelm I. zu verfolgen, um zu begreifen, warum! Zuerst benutzten die social demokratischen Mitglieder der Versammlung diesen Anlaß zu einer schnöden antinationalen Demonstration. Die Versammlung handelte richtig, al« sie sich damals auf eine küble Abweisung des PronunciamentoS beschränkte. Sie machte aber dabei auch aus der Noth eine Tugend; ein von gerechter Entrüstung getragenes Kernwort sind die Socialdemokraten hier nicht mehr gewöhnt. Jetzt hat zum zweiten Mal die Stadt verordnetenversammlung mit derFeier sich beschäftigt; 160 000^5 sind verlangt, davon 120 oon .6 zur Ausschmückung der Fest straßen, wobei zugleich viele Hände Beschäftigung finden können. Die Summe klingt groß, sie ist aber gering, wenn man den Zweihundert-Millionen-Etat Berlins damit vergleicht. Sie drückt auch „die Kleinen" nicht; auf alle, welche weniger als 900 „6 Einkommen haben, entfallen kaum einige Pfennige. Erst recht wird diese Ausgabe zur Ehrenpflicht, wenn man Alles zusammenzählt, waS Berlin dem ersten Kaiser verdankt, weil cS durch ihn zur Reichshauptstadt wurde. In der Stadt verordnetenversammlung haben sich nun zwanzig Vertreter des „unentwegten" Freisinns gefunden und sich insofern zu den Socialdemokraten gesellt, als sie beantragen, die Bewilligung von 160 000^6 für die Frstfeier zu streichen. Sie beantragen weiter, 120 000 ^ der Kaiser-Wilhelm- und Augusta-Stiftung zu überweisen. Es verdient Anerkennung, an diesem Gedächtniß tage auch dieser Stiftung zu gedenken; sie wäre aber sehr übel daran, hätte sie auf die Munificenz der oben genannten Herren warten müssen. Nein, es handelt sich jetzt lediglich darum, daß Berlin an dem großen Tag auch nach außen, und nicht nur nach dem Reich, sondern auch nach dem Ausland hin, seinen Pflichten als Hauptstadt eines großen Reiches würdig entspricht. Es handelt sich um ein offenes Bekenntniß des nationalen Sinnes der Berliner Bürgerschaft, und es ist unwürdig, daran vorbei sich hinter den Mantel der Nächsten liebe und Barmherzigkeit zu flüchten. 0.11. Berlin, 13. Februar. Der deutsche Werk meister-Verband, der auf dem Boden der heutigen wirth- schaftlichen Ordnung steht, hat soeben seinen Geschäfts bericht für daS Jahr 1896 den Mitgliedern übermittelt. Er liefert einen vollgiltigen Beweis dafür, daß auch durch die Selbsthilfe Arbeiter großartige positive Schöpfungen vollbringen können. Der Verein hat im Vorjahr 438 783*6 gegen 411851 ^ im Jahre 1895 für leine Mitglieder oder deren Hinterbliebene ausgewendet und dadurch manche Thräne getrocknet und manches Unglück abge wendet. An Sterbegelvern für Mitglieder wurden gezahlt 2t9 000 *6, an Sterbegeldern für Frauen der Mitglieder 38 986 *6, zur Unterstützung von Wittwen und Waisen 132042 *6, zur Unterstützung von Mitgliedern 31 629 .6 u. s. w. Abgesehen von dem deutschen Buch druckerverbände, der ja bei den Zielbewußten strengster Ob servanz in Mißkredit gerathen ist, leistet keine socialderno- kratische Organisation ErwähnenswertheS für die Wittwen und Waisen; auch die Leistungen des deutschen Buchdrucker verbandes sind gering gegen die hier angeführten. Trotz dieser gewaltigen Ausgaben hat sich das Vermögen im Vorjahr um 249 062 vermehrt, so daß es jetzt 1 434 539 .6 beträgt gegen 1 185 477 im Jahre 1895. Natürlich übergießen die socialdemokratischen Agitatoren, weil sie selbst nichts leisten können, den Werlmeister-Verband mit Spott und Hohn. Er zählt heute 29 871 Mit glieder gegen 26 427 >m Vorjahre, die Zahl der Bezirks vereine ist von 550 auf 585 gestiegen. Die meisten Mit glieder hat der Verband in der Rheinprovinz, nämlich 5731; es folgt daS Königreich Sachsen mit 4318, dann kommt Westfalen mit 3278, weiter Bayern mit 2430, dann die Provinzen Schlesien und Brandenburg mit je 2100, die Provinz Sachsen mit 1514, Baden mit 1301, Württemberg n-.ii I?2 Ja den Hansestädten hat der Verband 519 Mit glieder. Selbstverständlich ist die Zahl der Mitglieder in den vorzugsweise ackerbautreibenden Theilen deS Reiches nur gering. Nach Procenten gerechnet befinden sich die meisten Mitglieder im Alter von 40—50 Jahren; der jüngste Invalid ist 38 Jahre alt (wohnhaft in Leipzig), der älteste 86 (wohn haft in Zeitz). * Berlin, 13. Februar. In der freisinnigen „Berliner Ztg." vom 7. d. M. heißt es bei Besprechung der Reichs lagsverhandlungen über den „Lützow-Leckert-Proceß": „Am schlimmsten trieb es der natwnallibrrate Professor Fried- berg, der sogar Ausnahmegesetze gegen die Sociaidemokratie empfahl. Seine pathetischen Tiraden blieben aber ebenso wirkungslos, als wenn er, der Sprößling einer jüdischen Familie, als evangelischer Glaubensstreiter und Culturkämpser im preußischen Abgeordnetenhaus« eine Vorstellung giebt." Der „Kreuz-Ztg." wird hierzu geschrieben: „Was in der „Bert. Ztg." steht, dürfte wohl zunächst als sehr gleich- gittig erscheinen; aber in den hervorgehobencn Worten spricht sich weniger die Privatmeinung ihres RedacteurS, als die noch immer nickt ganz auSgerotlete Auffassung eines großen Theils der deutschen Juden auS. Wer als Jude geboren ist» der soll und muß immer Jude bleiben. Zeigt er sich national gesinnt, so ist er ein Streber; äußert er sich als Christ, so ist er ein Heuchler; wagt er es, gegen die von den meisten Juden für Judensreunde angesehenen Ultramontanen zu sprechen, so „giebt er eine Vorstellung". Die Juden scheinen gar nicht einzusehen, wie sehr sie sich durch eine solche Auf fassung schaden; denn damit geben sie den deutschen Christen deutlich zu erkennen: Wir wollen bleiben, was wir sind, wir wollen unsere specisisch jüdischen Ansichten, die vernünftiger sind als die euren, gar nicht ausgeben, und wer „sich taufen läßt", gehört doch zu uns. Glaubt ihm nicht, wenn er ans einmal den eifrigen Christen und conservativen Deutsche» berauskehrt, denn das ist nickt möglich. Unter solcher Auf fassung haben die Männer jüdischer Abstammung, die sich durch Selbsterziehung zu christlicher und vor Allem ganz deutscher Gesinnung durckgerungen haben, schwer zu leiden, und schließlich ist es kein Wunder, wenn ihnen auch von christlicher Seite ein unverdientes Mißtrauen entgegengebracbt wird. Die Aeußerungen der „Bert. Ztg." bekunden eine unerhörte Anmaßung, Unduldsamkeit und zugleich Unverstand, und hiergegen muß jeder aus jüdischer Familie stammende Deutsche, der durch ehrliche Taufe ein ehrlicher evangelischer Christ geworden ist, entschieden protestiren." * Berlin, 13. Februar. Herr Szmula ist ein Ober schlesier, und somit mag das Abgeordnetenhaus glauben, er urtheile sachgemäß über die oberschtesischen Verhältnisse. Trotzdem aber ist cs höchst verwunderlich, daß seine vorgestrigen Ausführungen nicht in ihrem wichtigsten Puncte entschieden bestritten worden sind. Wohl ist es richtig, daß eS in Ober schlesien keinen Adel giebt, der seine reichen Mittel in den Dienst der polnischen Propaganda stellt, allein eine voll ständige Verkehrung der Tbatsacken ist eS, wenn Herr Szmula versichert,ein Tbeil der oberschlesischen Geistlichkeit nnterftütze die germanisirenden Bestrebungen der Regierung. Noch im vergangenen Sommer erklärte ein Geistlicher in der „Oberschlesischen Volksstimme", der Klerus dürfe nicht germa- nisiren, wenn er seinen Einfluß auf das Wasser polnische Volk nicht verlieren wolle, und diesem Grunde gemäß habe er denn auch niemals germanisirt. In demselben Blatte brüstete sich auch der Pfarrer von Jalkowitz, es sei ihm nach langen Mühen endlich gelungen, den deutschen Gottesdienst aus seiner Gemeinde völlig zu ver drängen. Ein eben solcher Demagoge im Priestergewande ist der Pfarrberr deS großen Ablaßortes Bogutschütz. Dieser reclamirt selbst den Friedbof für das Polen- thum und hat nicht einmal geduldet, daß den Tobten der Kleophasgrube ein deutsches Trauerlied am Grabe ge sungen wurde. Dies uuv noch manches Andere muß Herr Szmula wissen, und dock hat er die Naivetät, den Land tag zu lehren, eS gebe keine polnische Agitation in Ober schlesien! Daß ein Tbeil der Geistlichkeit ihm nicht gefällt, ist übrigens erklärlich, denn viele der Pfarrer glauben noch immer, ihr Berus sei nicht, die nationalen Gegensätze zu verschärfen, sondern zu versöhnen. Es mag fraglich sein, ob der vielgenannte Reichstagsabgeordnete für Pleß, Herr Rechtsanwalt Radwanski, ein polnischer Parteigänger ist, gewiß ist aber, daß Herr Szmula ein Pole vom reinsten Wasser ist. (Berl. N. N.) V. Berlin, 13. Februar. (Telegramm.) Ter Kaiser und die Kaiserin unternahmen heute Vormittags den regelmäßigen gemeinsamen Spaziergang durch den Thier garten und wohnten nach demselben der Probe zu „König Heinrich IV." im Schauspielhause bei. Um 3^ Uhr Nach mittags empfing der Kaiser den Cbef des Generalstabes zum Vorträge und gedachte um 7 Uhr einer Einladung des Staats- ministerS v. Loetticher zum Diner zu entsprechen. D Berlin, 13. Februar. (Telegram m.) Wie der „ReichSanz." meldet, begab sich der Kaiser beute Vormittag 10 Uhr in das Palais des Reichskanzlers und nahm den Vortrag desselben entgegen. (-) Berlin, 13. Februar. (Telegramm.) Der Reichs kanzler Fürst Hohenlohe und Gemablin werden am Tage der goldenen Hochzeit sich vom Fürstbischof Kopp kirchlich einsegnen lassen. (-) Berlin, 13. Februar. (Telegramm.) Der „Reichs- anzriger" veröffentlicht Mittheilungen über die Ver- tbeilung der für die Hinterbliebenen der Mann schaften des „)1tiS" eingegangenen Beiträge, die bisher 120 000 *6 ergeben haben. Feuilleton. Carneval am Rhein. Plauderei von Schulte vom Brühl (Wiesbaden). Nachdruck verboten. Wenn in Norddeutschland der Winter Alles in seinen Bann schlägt und sogar den Saisonvergnüglichkeiten einen Hauch von wohlanständiger Frostigkeit verleiht, gegen den selbst der steife Grog und die Punschbowle oft machtlos sind, lebt in Süddeutschland und am Rheine in des JahreS kältester Zeit vielerorts etwas wie eine elementare Frühlings- Hoffnung in den Herzen auf, steigt empor in die Köpfe und verwandelt verständige Menschen in übermüthige Fastnachts narren, sorgsame Steuerzahler in kleine Verschwender und bedächtige Philister in urfidele Menschen. Prinz Carneval ist eS, der dieses Wunder vollbringt, jener uralt« Gott, den alle Völker des Erdenrunds seit Alters her unter den ver schiedensten Namen verehrten und feierten, der bei den heid nischen FrühlingSfesten unserer Vorfahren ungesehen zugegen war, der bei den griechischen Bacchanalien die Eymbeln er klingen und den Tbyrsusstab schwingen ließ, der bei den Saturnalien der Römer den Ehrenvorsitz führte und beim Haulifest der Indier daS „treibende Agen«" war. Kein Wunder, daß christlicher ZelotiSmuS diesem ihm „unsauber" er scheinenden Geiste mit Weihwasser und Weihrauchduft a»S Leben wollte. Aber er war mächtiger als Pfaffenlist und theoretisch« EntsagungSsrcudigkrit: lackend schüttelte er seine Schellen, machte al« vernünftiger Weltmann einige Con- cessionen nnd wurde danach auch — zu einer christlichen Ein richtung. „Oarne vals!« Fleisch, lebe wobl, sagt der gläubige Sohn der Kirche in Italien, wenn er bei Beginn ber Fastenzeit Abschied nimmt von den Freuden deS FleischgenufseS. Und »Larve rale!" Fleisch, leb« wohl, das heißt: Armer Leichnam, laß Dir nichts abgehen und „freu' Dich des Lebens, weil noch das Lämpchen glübt", übersetzte unser uralter Geist fröhlichen UebermuthS das Wort, nahm eS keck ,um Namen an, begann seinen SiegeSzug in die christlichen Lande, trieb daS tollste Zeug und machte männliche und weibliche Laienschaft fast hirntoll mit Mummenschanz und allerlei sonstiger Narretei, bis ihm in Deutschland die Reformation und nackmals die Schreckenszrit des 30 jährigen Krieges merklichen Abbruch tbatrn. Aber dann wachte er aufs Neue auf, getreu dem schönen Liede: Hei levet noch, hei levet noch —hei wackelt mit dem Kopp. Und wenn er auch in Norddeutschland und überhaupt in vorwiegend protestantischen Ländern nur ein kümmerliches Scheindasein führt, überall dort im Reich, wo das Blut schneller kreist und Verstand und Herz schneller «ine LiebeS- beirath schließen, da ist er unumschränkter Herrscher viele Wochen lang vor jenem grau in grau gemalten Tage, den man mit heimlichem Gruseln Aschermittwoch beißt. Und würde man den Prinzen nicht Tag« vorher in Gestalt einer tollen Strohpuppe in Köln und anderswo durch Feuer jämmerlich vom Leben zum Tode bringen, er würde vor den Aschenkreuzen stieben, welche die frommen Büßer an jenem düstern dritten Tage nach Estomihi — Heuer schreibt er sich der dritte März — zerknirscht an ihrer Stirn tragen. Als einziger Trost und al« rin Erinnern an die vergangen« Zeit der Lust verdirbt sich der Niederrheiner an diesem Tage, dem Tage „Heile Weck", den Magen mit heißen Milch wecken, und dann kann da« Fasten und Bußethun beginnen, eine Thätigkeit, bei der „Schreiber dieses" noch keinen hat mager werden sehen, nicht Laicu«, noch weniger aber Clericu«. Bald nach Weihnachten, ja, mitunter schon vor dem Feste, hört man leiser oder lauter da« Geklirrr der Schellchen, welch« Se. allernärrischste Majestät an allerböckislihren, harlekinartigen Habit zu traaen geruhen, und allsogleich giebt sich m der Bewohnerschaft eine empsangSfreuvige Stimmung kund. Nirgend- aber wird rheinauf und rbeinab dies vrrheißungsvolle Klingeln freudiger begrüßt al« im „goldenen Mainz" und im „beiligen Köln", den beiden Centren der rheinischen Carnevalslust, den domgeschmückten, kirchengesegneten Städten, in denen der FaschingSulk seine größten und heitersten Blütben treibt. Und haben erst die Comit6s der CarnevalSgesellschaften getagt und sorglich be- rathen, was man diesmal Besonderes anstellen solle zu Ehren deS hrranziehenden Herrschers, dann kommt schnell „Stimmung in die Sache" und bald „steigt", in der Regel schon um Mitte Januar, kaum daß die Weihnackts aufwendungen und die NeujahrS-Rechnungen und Trink gelder einigermaßen überwunden, die erste der närrischen Sitzungen, die im Großen und Ganzen ein sich sehr ähnliches Gepräge tragen. Auf bohem Podium thront das Comits, der „kleine Rath", geschmückt mit der Narrenkappe und dem Stern, angetban mit den Insignien des Amtes. Und im Saale drinnen ein tolle« Gewirr von SitzungStheilnebmern masc-ulini xonerjg, dicht aneinander gedrängt die farbigen Narrenmützen mit ihren klingenden Scbellchen. eine ..Behauptung'^ die dem vollendetsten Kahlkopfe wie dem lockenstolzesten Schädel gut zu Gesicht steht, die alle Rangunterschiede aufbebt und alle dort zu löblichem Thun Versammelten kennzeichnet als getreue Unterthancn teS närrischen Prinzen. Ein wilder Lärm füllt da« Local, ein gewaltiger „Hecht" entwickelt sich in Gestalt dichter, blauer Tabaksrauchwolken, eine buntgrkleidete Capelle sorgt für da« richtige Ratabum und weiß, oft mit Beihilfe seltsamer Musikinstrumente, al- hohl« Schlüssel, Fässer u. dergl., die eigenartigsten Klang- rffecte zu erzielen. Die Würze dieser Versammlungen aber sind die Reden „in der Bütt", dieser meist in Form einer Bütte oder eines Fasses rechts und links zur Seite des Podiums aufgefübrten Rednertribüne, über der, einem drohenden DamokleS-Schwerte in vieler Hinsicht nicht un ähnlich, an dünnem Faden eine gewaltige Narrenkappe hängt, bestimmt, über dem Redner zu wackeln» der anfängt, die „hochansehnliche Festversammlung" durch seinen Vortrag zu „mopsen", mitleidlos aber denjenigen plötzlich zu bedecken und verschwinden zu lassen, dessen Rede als des Witzes gänzlich bar vom Präsidium erkannt wird, da« einen „feinen Riecher" für die Stimmung im Saale hat. Es ist wobl der Ehrgeiz eines jeden Narren, einmal auS der Bütt' herab Humor und Witz mit vollen Händen in den Saal hinabziistrenen und Beifall zu ernten. Selbst verständlich drängt sich in diesem Bemühen oft Talentlosigkeit, Mittelmäßigkeit und auch Taktlosigkeit heran, passendes Futter für die Kapp', aber es ersteben auch manchmal schlummernde Talente, und in der Regel sind die Hauptnummern in festen, bewährten Händen, wobei denn besonders die Vortragenden geschätzt sind, die in gut pointirten Versen Begebenbeiten politischer oder localgeschichtlicher Natur witzig zu behandeln wissen oder die humoristisch zu plaudern verstehen, oder «inen volkSlbünilichen Typu«, wie etwa in Köln den „Rbeincadett" oder in Wiesbaden da« „Birreche" gut verkörpern können. Sänger, Schauspieler, Salonmagier und dergleichen Persönlich keiten — e« finden sich ihrer stets in diesen Vereinen — stellen ihre Kunst oder ihre Künste gleichfalls in den Dienst der Unterhaltung. Eine weitere Abwechslung in den bunten Verlauf des Abends bringen Festlieder und die Empfänge und Ansprachen, wenn eine hervorragende Persönlichkeit, etwa der commandirende General, der Regierungspräsident oder der Oberbürgermeister auf der Bildflache erscheint, um an der Sitzung theilzunebmen. In feierlichem Zuge durch den Saal wird der Ankömmling zum Podium geleitet, woraus dann Rede und Gegenrede erfolgt, die mit gewaltigem Tusch der Musik beschlossen wird. Diese Sitzungen sind „Herrensitzunaen", und naturgemäß ist sebr Vieles, WaS da in der Bütr zum Vortrag kommt, „nur^ für Herren". Schade, daß da oft Zotige« und auch Persönliches mit unterläuft, das dem reinen Geiste echten Humors entgegen ist; aber Geschmack und Tact sind eben nickt Jedermann« Sache. Da ist eS denn erfreulich, wenn maßgebende Persönlichkeiten so viel wie möglich bestrebt sind,
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