02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.05.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-05-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970505026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897050502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897050502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
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Nimdsch." nicht nur wissen, am Montag Nachmittag habe nicht nur eine Sitzung des Kronraths stattgefunden, sondern sie habe auch zur end- giltigen Zurückziehung derNovelle zum pre «bischen Vereinsgesetz geführt; Fürst Hohenlohe habe daher seinen Abschied genommen, als sein Nachfolger werde Gras Waldersee genannt, der ein ausführliches Programm beim Kaiser eingereicht habe, welches dessen Genehmigung bereits gefunden haben „solle". Zn einem Nachtrage zu dieser Nachricht meldet das genannte Blatt, das gesammte preußische Staats in in isierium habe bei dem König um seine Ent lassung nachgesucht. Hemzutage muß man ja täglich auf Ueberraschungen gefaßt sein, aber die Meldung der .Tägl. Nundsch." wird doch schwerlich viel Gläubige finden, sie müßten denn in dem Lager der antisemitischen „Staats- bürger-Ztg." sich finden, die schon vor einigen Tagen eine Ministerkrisis in ziemlich sichere Aussicht stellte und dabei ver- rielb, daß eine solche Krisis ihren Wünschen entsprechen würde. Wahrscheinlich ist denn auch die Meldung der „Tägl. Nundsch." auf die Hintermänner der „StaaiSbürger-Ztg." zurückzuführen. Ist somit schon die Quelle verdächtig, aus der die Meldung fließt, so ist noch viel verdächtiger die Behauptung, Graf Waldersee habe dem Kaiser bereits ein ausführliches Pro gramm vorgelegt, das die Genehmigung des Monarchen ge funden haben „solle". Graf Waldersee hat Programme schwerlich ans Lager und entwirft sie auch sckwerlich von heule auf morgen. Hätte er also nach einem Borgange, der am Montag Nachmittag in einer Sitzung des Kron raths sich abgespielt hätte, ein Programm eingercicht, das schon gestern Abend — denn um diese Zeit ist die uns heute vorliegende Ausgabe der „Tägl. Nundsckau" fertig gestellt worden — die Billigung dcö Kaisers gefunden, so würde das beweisen, daß der Kaiser sich bereits früher nach einem Nachfolger für den Fürsten Hohenlohe umgcsehcn und also mit dein Gedanken an einen Bruch mit dem jetzigen Neichökanzler und preußischen Minister präsidenten schon früher sich vertraut gemacht hätte. Das widerspricht aber Allem, was über das Berhältniß des Kaisers zum Fürsten Hohenlohe bekannt geworden ist. Und endlich macht noch ein Drittes die Krisen meldung verdächtig und unwahrscheinlich. Es haben gestern Sitzungen des Neichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses staltgcfnnden und, in keiner dieser Sitzungen ist nach den vorliegenden Berichten irgend etwas vorgefallen, was auf den Eintritt eines so schwer wiegenden Ereignisses schließen lassen könnte. Nun ist es allerdings nicht Gepflogenheit der höchsten Reichsbeamten und der preußischen Minister, über derartige Ereignisse zu reden, bevor sie reif sind zur amtlichen Publikation. Aber ebensowenig liegt es in ihren Gepflogenheiten, von Absichten zu reden in einem Augenblicke, in dem sie schon mit einem Fuße außerhalb ihrer amtlichen Wirksam keit stehen. Ter preußische EultuSminister I)r. Bosse hätte also nicht über seine Absichten bezüglich der Regelung der Profcssorengebälter und AehnlicheS gesprochen, wenn er ein Abschiedsgesuch eingereicht hätte. Im Reichstage gab der StaatSsecretair Or. v. Boettick er die Erklärung ab, daß der Entwurf einer Militairstrafproceßreforin sich in den Ausschüssen des Bundesraths befinde, und fügte dann auf den Einwurf des Abg. Richter, daß er Belehrung über den Geschäftsgang im Bundesrath nicht bedürfe, wörtlich hinzu: „Ich glaube, es wird mir Niemand zutrauen, daß ich dem Abg Nickter über den Geschäftsgang der Behandlung von Vorlagen im Bundesrath hätte Belehrung ertheilen wollen. Der Kernpunkt der von mir gegebenen Auskunft war der, daß gegenwärtig die Militairstrafproceßordnung zur Berathung den zuständige» Aus schüsse« des Bundesratds vorliegt. Und wenn der Vorredner an das Verspreche» des Reichskanzlers erinnert hat, so habe ich ihm daraus zu erwidern, Laß dieses Versprechen nie dahin ging, daß der Reichstag im Herbst damit besaßt werden sollte, denn das konnte er nicht versprechen, weil die Er füllung eines solchen Versprechens nicht von ihm allein abbängt, sondern die Zusage bezog sich darauf, daß im Herbst eine solche Vorlage den gesetzgebenden Faktoren des Reiches zugeben sollte. Diese Zusage ist in vollem Maße erfüllt; der Entwurf einer Militairstrafproceßordnung sowohl, wie das Einsnhrungsgcsetz, letzteres allerdings später, sind dem Bundesrath zugegangen. Wenn jetzt die Ausschüsse zur Erledigung der ihnen gestellten Ausgabe noch nicht gekommen sind, so wird sich zwar der Reichs kanzler, wie ich an nehme, bemühen, die Anstände, die in dieserBeziehung einer definitiven Beschlußfassung noch entgegenstehen, zu beseitigen, aber ein Versprechen zu geben, eine Vorlage bis zu einem bestimmten Termin zu erledigen, dazu ist Niemand im Stande. Mit demselben Rechte könnten wir vom Reichstag verlangen, daß er uns einen bestimmten Termin bezeichnet, bis zu welchem die ihm vorgelegten Gesetzentwürfe erledigt sein werden. Man muß eben den Dingen Zeit lassen und, wenn sich Schwierig keiten ergeben, daran denken, daß die Erledigung nicht so schnell geht, wie es die betheiligten Faktoren wünschen." Hätte Fürst Hohenlohe seinen Abschied genommen, so hätte der vorsichtige Herr Or. v. Boetticker sicherlich nicht von der Mühe gesprochen, die der Reichskanzler sich geben werde, um die Schwierigkeiten zu beseitigen, die einer definitiven Beschlußfassung des BundeSralhs über die Militairstrasproceß- reform noch entzegenstehen. Das Programm des Grasen Waldersee kennt Herr v. Boetticker sckwerlich; im Namen dieses angeblichen Nachfolgers deS Fürsten Hohenlohe hätte der Skaatssecretair also nicht sprechen können. Aus alledem läßt sich mit annähernder Bestimmtheit schließen, daß die „Tägl. Rundschau" stck leichtgläubig zur Verbreiterin einer Meldung gemacht hat, die nichts ist, als eine grobe Spekulation auf das Sensationsbedürfniß gewisser Leserkreise oder eine nichtsnutzige Treiberei, die berbeiführen soll, was angeblich geschehen ist. Wenn übrigens richtig ist, was gestern im preußischen Abgeordnetenhaus erzählt wurde, so werden schon die nächsten Tage ein bündiges Dementi der Meldung bringen. Es wurde nämlich versichert, die Novelle zum preußischen Bereinsgesetze, die außer ter Aufhebung des Verbots der Verbindung politischer Vereine nur eine Verschärfung der Vorschriften gegen die Theilnahme jugendlicher Personen an Versammlungen ent halte, werde dem Hause in den nächsten Tagen zu geh en. Wenn wir auf die vorgestrige Reichstagssitzung zurück kommen, so braucht der Leser nickt zu fürchten, daß an ihren Vorfällen persönlicher Art die Vortrefflichkeit dieser Körper schaft und ihrer Leitung gezeigt werden soll. Nach dieser Richtung sei nur ein Vorschlag gestattet. Herr v. Kardorff hat zwei Mitglieder des Hauses beleidigt und sich dann bereit erklärt, ihnen Gcnngthuung zu geben — mit der Waffe natürlich. Das Beleidigen ist im Reichstag erlaubt, aber das Duell ist nun einmal in ganz Deutschland verboten, und es macht sich nicht schön, wenn in einer gesetzgebenden Versammlung in Einem fort das Gesetz verletzt oder die Geneigtheit, eS zu verletzen, ausgesprochen wird. Wie wäre es, wenn man für Erklärungen, wie die von Herrn v. Kardorff abgegebene, andere Oertlichkeiten, z. B. die respectiven Fraclions- kneipen, bestimmte? Die Studenten haben oder hatten einen ähnlichen Brauch. Eignen sich die Parlamentarier ihn an und beobachten sie dabei die Regel, die Beauftragten in Ehrensachen möglichst spät, wenn der anfeuernde Alkohol seine Schuldigkeit gethan, in die Herberge des Gegners zn schicken, so wird sich mit diesem Verfahren ein weiterer Vortheil ver binden. Trotz der zahlreichen Anerbieten, sich zu schlagen, kommt unter den Reichstagsabgeordneten nie etwas dergleichen zu Stande. Dadurch tritt unser Parlament gegen das franzö sische und das ungarische in den Schallen, und das ist ver drießlich. Tie „Sicherheitspistolen", welche in den genannten Ländern von der Humanität der Tapferkeit beigeselll worden sind, wird die sonst bewährte deutsche Waffenindustrie wohl auch nock zu verfertigen im Stande sein. Der deutsche Wähler will nicht daS Blut seines poli tischen Vertrauensmannes sehen, aber er kann ver langen, daß von dem Manne, dem er „die höchste Ehre, die der Bürger zu verleihen hat", rnitverschafft, ein oder zwei Mal in jeder Legislaturperiode in der Zeitung zu lesen ist, er, der Geehrte, habe sich „in einer Ehrenaffaire mit tadel- lofer Ritterlichkeit benommen". Der Seniorenconvent, den schon sein Name dazu aufruft, sollte in der ergiebigeren Ordnung LeS Duellwesens unter den Neichstagsabgeordnelen eine seiner und des 15. Zuni 1803 würdige Aufgabe erblicken. Als die Verhandlungen zwischen dem Transvaal und dem Oranje-Frei st aale wegen eines Bündnisses be gonnen, gaben wir sofort der Vcrmulhnng Ausdruck, daß die Engländer den famosen tz 4 der Londoner Eonvention heranziehen würden, um den Vertrag für ungiltig zu erklären, denn es war anzunehmen, daß bei den merk würdigen englischen Begriffen von politischer Redlichkeit die englische Regierung aus der Eonvention die Bestimmung herausgreifen würde, die ihr paßt, und die Bestimmung nicht beachten würde, die ihr unbequem ist. So ist eS auch ge schehen. Die englische Negierung beruft sich auf die Bestim mung, daß die südafrikanische Republik nur mit Genehmigung Englands gillige Verträge mit andern Staaten abschließen könne, aber sie übersieht absichtlich, daß der Oranje-Freistaat aus drücklich von dieser Bestimmung ausgeschlossen ist. Nun könnte faktisch der südafrikanischen Republik der Protest Englands gleichgiltiz fein, weil, auch wenn der Vertrag für ungiltig erklärt wird, die Boeren des Oranje-Freistaats den Boeren des Transvaal, wenn es darauf ankomml, die Treue wahren werden. Die südafrikanische Republik darf aber die Erklärung der englischen Regierung um deswillen nicht hin- nebmen, weil sie sicher sein kann, daß die englische Regierung die Hinnahme dieses einen Bruch der Londoner Eonvention durch England gleichkommenden UebergnffS zum Anlaß für weitere Uebergriffe nehmen würde. So treibt die englische Regierung, falls sie auf ihrer Erklärung bestehen bleibt, absichtlich zum Kriege. Ein englisches Blatt hat letzthin den Haupt- unruheslifier in England, Chamberlain, dahin charakterisirt, daß er ein FricdenSengel sei, der zwar das Wort „Friede" im Munde führe, dessen Palme aber ein Schwert bilde, dessen Strahlenkrone Bajonnette seien und dessen Gürtel der Riemen einer Patronentasche bilde. Dieses zutreffende Bild kann auf die gejammte gegenwärtige englische Regierung ausgedehnt werden. Unter diesen Umständen wird eS den Boeren nicht leicht werden, den Tag des Znbiläums der englischen Königin, wie Präsident Krüger vorschlägt, als einen Festtag zu begehen. Aber der Vorschlag ist gut, denn er zeigt, daß Krüger, wie bisher. Alles vermeiden will, was als Illoyalität oder als eine Verletzung Englands angesehen werden könnte. Aus solche Weise setzt er das letztere ins Unrecht, sllr den Fall, daß es, wie vorauszusehen, zu einer neuen Vergewaltigung Transvaals schreitet. Zn diesem Sinne sind wohl auch Krügers Worte zu verstehen, er bedauere, nicht sagen zu können, daß der politische Horizont unbewölkt sei, aber er blicke frohgemuth und furchtlos in die Zukunft, voll Vertrauen auf die gerechte Sache der Republik. Die am Sonntag abgehaltene Berathung der Quoten - Aus schlisse beider Reichshälften Dcsterrcich-Ungarns ist resultatlos verlausen, d. b., es wurde fcstgestellt, daß eine Verständigung beider Deputationen auf Grund der For derungen jeder einzelnen nicht zu erreichen sei. Zn der be treffenden Sitzung offenbarte es sich, wie wir einem tele graphischen Bericht der „Voss. Ztg." entnehmen, daß die deutschen Mitglieder der österreichischen Deputation, namentlich Sckönborn, Dumba und Menger, gern einen Ausgleich herbeigcführl hätten, während die Tschecven, Polen und die Klerikalen jede Verständigung unmöglich machten. Der österreichische OuotenauSschuß verharrte auf der Be völkerungszahl als BcrechnungSschlüssel, während die Ungarn die Stcuerleistung zur Grundlage der Berechnung nehmen wollen. Tie weitere Gestaltung der Dinge dürfte nunmehr folgende sein. Da die Unmöglichkeit einer Verständigung festgestellt ist, müssen beide Regierungen verbandeln. Da jedoch Graf Badeni mindestens 37 v. H. fordert, während Banffy kaum über 33 hinauSgeben kann, erübrigt nur, daß beide Regierungen zurücklreten, was übrigens auch in ruhigen Zeiten bei jeder früheren Ausgleichscampagne der Fall war. Nebenher meint man in Pest," eS sei Badeni mit seinem Rücktritt Ernst. Da er mit dem neuen ReichSralh und besonders mit der Obstruktion der Deutschen nicht fertig werden könne, komme ihm diese Gelegenheit sehr er wünscht, sich einen schönen Abgang zu sickern, gleichsam als Opfer des österreichischen Patriotismus und der ungarischen Uebergriffe zu fallen. Voraussichtlich wird jedoch die Krone den Rücktritt nicht annehmen, sondern beide Eabinette verpflichten, zu bleiben und irgend eine Miltelzahl zu ver treten. In diesem Falle kommt die Krone nicht in die Lage, ihr Schiedsrichteramt zwischen beiden Staaten auS- üben zu müssen, was um jeden Preis verhindert werden soll. Namentlich in Ungarn ist der Entschluß allgemein, der Krone diese fatale Notbwendigkeit zu ersparen, durch die sie entweder hüben oder drüben in eine unangenehme Lage geriethe und kort dürste sich schließlich doch noch eine parlamentarische Mehrheit finden und normale Verhältnisse herbeiführen. Ganz anders jedoch ist die Lage in Oesterreich, wenn die Deutschen die Obstruktion fortsetzen. Dann ist es unabsehbar, wenn der Ausgleich parlamentarisch erledigt werden kann. Ein Obstruclionsobjcct von solcher Güte wie der Ausgleich ist gar nicht mehr denkbar, da er aus 18 Gesetzentwürfen besteht, über die mit Leichtigkeit viele Monate hindurch gesprochen werden kann. Findet sich also kein Weg der Verständigung zwischen Badeni und den Deutschen, dann bleibt nichts übrig, als ein Provisorium eintretcn zu lassen. Man fürchtet, baß die Verhältnisse in Sneewittchen. L8j Roma» von A. I. Mordtmann. Nachdruck verbotcn. Während er weiter schritt, machte ihm Lieser Gedanke so viel zn schaffen, daß er gar nicht bemerkte, wie ein arges Unwetter berauszog. Plötzlich brach cs los, und Zarnow, von dem strömenden Regen übersatten, rettete sich in eine primitive Ostcria, die wenige Schritte von ihm ihre gast lichen, wenn auch ein wenig räucherigen Pforten öffnete. Einige Männer und Frauen aus dem Volke faßen drinnen an rohen Tischen, er wünschte ihnen guten Tag und setzte sich. Indem die geschäftige Wirthin eine Flasche Vino uvstrulv vor ihn hinstellte, und er in die Flutben des herabstürzenden Regens hinaussah, fiel ihm jener andere tropische Regentag in Brasilien ein, da er Zuanita'S Brief mit der Kunde von Eäcilienö Untreue erhielt. Seine GcmüthSsliminung war ähnlich wie damals, nur daß ihn nicht so graue verzweifelte Hoffnungslosigkeit niederdrückle. Denn damals batte er Gewißheit nnv beute peinigte ihn am Ende ja nur eine ganz willkürliche Hypothese. Er bemühte sich, den Gedanken an Cäcilie sestzuhalten und sich einzurcdcii, daß der Kummer um die Zugendgeliebte noch die erste Stelle in seinem Herzen einnekme. Aber das gelang ihm nicht; er wollte ein Glas des dunkelrothen starken Weines auf Las Andenken Eäcilienö leeren, ließ eS jedoch balbwegS zwischen Tisch und Lippen wieder sinken, weil er sich der heuchlerischen Sentimentalität schämte. Da- nächste Glas leerte er auf Juanita's Wohl, und das folgende eben falls. Und da er zu den Leuten gehörte, die vom Wein» weder melancholisch, noch streitsüchtig, sondern beiter werden, so verbesserte sich seine Laune mit jedem Glase, daS er trank. Die Flasche war leer. Das Unwetter, nunmehr von Blitz und Donner begleitet, dauerte noch immer fort. Er ließ sich noch eine Flasche geben, und daS erste GlaS schwenkte er, wie von fröhlichem Uebermulh erfüllt, gegen daS Fenster, das eben von einem hallenden Donner erzitterte, und rief: „Auf Dein Wohl, holdselige Juanita!" „LvvUa lluLnitu!" tönte eS ihm zur Seite. Eine kecke, gluthäugigc Trastcverinerin, deren elfenbeinweiße Zähne aus dem lachenden üppigen Munde hervorblitzten, stand neben ihm und trank ibm zu. Zarnow gab fröhlich Bescheid, nun traten noch zwei Männer in Volkstracht hinzu und stießen mit ibm an. Auch hier wirkte der alte Zauber von Zarnow'S Persönlichkeit, die sich überall bei Menschen und bei Thieren bewährte. Die naiven Nachkommen der wellbeherrschenden Römer hatten Gefallen an der kraftvollen Männergestalt gesunden, die da so einsam eine Flasche nach der anderen auskneipte und in das tobende Unwetter hinein der Geliebten zutrank. Zarnow ließ für die harmlosen Leute Wein kommen und ergötzte sich an der drolligen Unterhaltung mit ihnen, so daß er darüber seine Sorgen vergaß. Als er zwei Stunden später seinen Zechgenossen die Hände schüttelte und auf die nun wieder in Hellem Sonnenschein daliegende Straße hinauS- trat, fühlte er, daß der starke Wein ihm zu Kopfe gestiegen war. Er segelte, nicht ohne mannigfache bedenkliche Ab weichung von der geraden Linie, eilfertig seinem Heim zu und warf sich aufs Lager, um Len Nest des Tages zu verschlafen. Am nächsten Morgen waren die kecken Geister des Wein dunstes verflogen und die Dämonen der Sorge an ihre Stelle getreten. Zarnow war wieder geneigt, Vie Welt als eine trübselige Studie in Grau und Grau anzusehen. Wenn er heute von Juanita keinen Brief erhielt, wollte er telegrapbiren, ihm graute vor der Aussicht, sich noch länger mit der tödten- den Ungewißheit zu Plagen. „Wäre sie nur nicht so reich!" seufzte er, indem er diesen Entschluß faßte. Er gab es auf, den wahren Zustand seiner Gefühle länger vor sich selbst zu verheimlichen. Sobald Vie Post ihre Schalter öffnete, war Zarnow da. Und als er auf dem Briefe, den der Beamte ihm übergab, die von der wohlbekannten Hand geschriebene Adresse erkannte, hätte «r ausjubeln und den braven Mann an seine Brust drücken mögen. Ungestüm riß er das Couvert auf Und über flog mit gierigen Augen die ersten Zeilen . . . „Golt sei Dank!" Das war ein recht absonderlicher AnSruf de- Herrn Dr. Zarnow, wenn man bedenkt, daß er durch die mit nickten erfreuliche Mittbeilung veranlaßt war, Juanita habe in Folge einer heftigen Erkältung drei Tage lang das Bett hüten müssen und darum nicht an ihn schreiben können. Dann drückte Zarnow seinen Mund auf die letzten Zeilen des Briefes, wo es hieß: „Ich habe mich im Bette nicht gelangweilt, denn eö war so schöu, in aller Ruhe an Sie zu denken und mir auS zumalen, wie hübsch eS wäre, wenn wir wieder einmal zu sammen an jener Stelle säßen, wo wir unS Pfingsten so gut unterhielten. Das ist Loch die köstlichste Stunde nieiueS Lebens gewesen." Zarnow war Philologe, es darf daher nicht Wunder nehmen, wenn er diese wenigen herzigen Zeilen einer mit großem Scharfsinn ausgesübrten Untersuchung unterwarf'. Er fragte sich, ob wohl ein liebendes Mädchen diese Stelle ebenso oder zärtlicher geschrieben haben würde, und da das Ergebniß seiner Forschung ihn nicht befriedigte, so machte er eine Gegenprobe mit der Frage, ob wohl die Zeilen wesentlich anders lauten würden, wenn sie aus einer einfach dankbaren Gesinnung ohne Beimischung wärmerer Gefühle entsprungen wären. Auch hier kam er nicht zu einem überzeugenden Er- aebniß, wohl aber zu einem Entschluß: er wollte seinen Aufent halt in der ewigen Stadt abkürze» und nur noch einige Tage in Neapel zubringen, um Pompeji, woran ihm am meisten lag, zu sehen, dann aber geradewegs nach Hamburg zurück reisen. Dadurch kürzte er die beabsichtigte Dauer seines Aufent haltes in Italien um mehr als eine Woche ab. Er telegrapbirte an Juanita seine Entschlüsse; fast hätte er sich verleiten lassen, das ganz bestimmte Dalum, an dem er sie in Bergedorf aussucken würde, anzugeben und die Bitte hinznzufugen, sie mochte ibn auf derselben Bank er warten, wo er sie damals getroffen hatte. Aber er unter ließ es; abergläubisch wie alle Liebenden, wollte er daraus, ob Juanita ihn dort erwarten würde oder nickt, ein Omen für sich entnehmen. War sie dort, so lieble sie ihn, sonst .. . Sonst! Er seufzte tief auf; o, die Freude an erfolgreicher Thätigkeit und erfüllter Pflicht war wobt etwas Schönes, aber sie würde ihn für eine zweite Enttäuschung nicht ent schädigen. Ohne Juanita war da« Dasein seines schönsten Inhalts beraubt, und an eine so verödete Zukunft renken hieß sich die Freude an der schönen Gegenwart vergällen. So zwang sich Zarnow, jeden Gedanken an die Möglich keit einer andern als der ersehnten Zukunft weit von sich zu verscheuchen und die Gegenwart in rem Gedanken, wäre er auch eine Illusion, zu genießen, welchen schönen Abschluß sie in dem Wiedersehen mit Juanita finden würde. Daß er nach wie vor entschlossen war, die reiche Juanita nicht zu umwerben, und daß er sich dabei trotzdem um ihre Gegen liebe bangte, war einer jener inneren Widersprüche, über die ein verliebtes Gcmülb nicht gern nackdenkt. Auch Zarnow schob ihn bei Seite, wie man ein unbequemes Aktenstück bei Seile schiebt, das mau erst dann erledigt, wenn weiterer Aufschub absolut nicht mehr thuulich ist. So genoß er die Schönheit des paradiesischen Golfs von Neapel, den unbeschreiblichen Reiz, den daS auSgegrabene Pompeji auf den klassisch Gebildeten ausübt, die wilde Ro mantik des Vesuvs und die zauberhafte Anmuth Capris mit dem ruhigen Behagen eines Mannes, dem der Genuß nicht durch daS allmähliche Näberrücken deS Augenblicks, da er von all diesen Herrlichkeiten Abschied nehmen muß, getrübt wird. Er sah der Heimkehr nicht mit llumuth, sondern mit freudiger Erwartung entgegen. Endlich war es so weit. Frohgestimmt setzte sich Zarnow in Len Eisenbabnzug, der ihn HesperienS schönen Auen ent führen sollte. Er fuhr beinah ohne Aufenthalt wieder über München und Frankfurt nach Hamburg zurück. Spät am Sonnabend kam er dort an. Am nächsten Morgen in aller Frühe wollte er auf demselben Wege wie vor einigen Wochen nach Bergedorf hinausgehen, nm jenen ganzen Vormittag noch einmal in der Erinnerung zu durchleben. Mit Entzücken begrüßte er beim Erwachen Lett bellen Sonnenschein, hätte es geregnet, so durste er ja nicht daraus rechnen, Juanita im Freien zu treffen, und sein ganzes Liebes- orakel wäre zu Wasser geworden. Die Vorbedingung für ein glückliches Omen war damit gegeben. Wie ihm noch alle Einzelheiten seines damaligen Psingst- SpaziergangeS gegenwärtig waren! Hier war die Stelle, wo er das Vlnmenstränßchen von dem hübschen Dienstmädchen bekommen, an jenem Zaune hatte er die Veilchen gepflückt, dort dem Finken zugeschaut; «S mochte wohl derselbe Vogel von damals sein, der jetzt hier am Boden umherhüpfte und emsig Nahrung suchte; er sang aber nicht mehr, den» er hatte gewiß Familie und damit häusliche Sorgen bekommen. Die Aurikeln, Hyazinthen und ErocnS waren verblüht, aber die ersten Rosen brachen aus und purpurner und weißer Flieder erfüllte mit seinem köstlichen Dufte die wärmer gewordene AtbMosphäre. Die Lerchen trillerten wie damals, und aus den Dörfern erklang, sonntäglich stimmend, das Glockenläuten. Ein Lichtes Laubdach gewährte willkommene» Schatten dort, wo er damals gelegen und die durch daS frische Grün auf den Rasen fallenden zitternden Lichtringe beobachtet batte; jetzt siel daS Licht spärlicher durch und tiefer klang daS melodische Rausche« des Winde- in den Baumkronen. Zarnow warf sich nieder, lauschte den mannigfachen Tönen deS Waldes und sah durch eine Lücke deS LaubdacheS zu,
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