02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.08.1897
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-08-10
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18970810022
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
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Caserio, dessen Dolch der französische Präsident Carnot vor drei Jahren zum Opfer gefallen ist, konnte auf eigene Faust gehandelt haben, der Meuchelmörder Golli war zugestandener- nnd erwiesenermaßen der Vollstrecker des Willens einer Ver- sckwörerbande, die aus Anarchisten verschiedener Länder be steht. Der Italiener gehört offenbar zu den hervorragenderen Persönlichkeiten der Mordpartei, bat in Frankreich, England, Belgien und zuletzt auf dem Schauplatz seines Verbrechens Beziehungen angeknüpst, seine That ist nicht nur eine von ihm, sondern auch von Anderen wohlüberlegte, nicht die Folge der Eingebung eines einzelnen Fanatikers. Es haben nicht nur Pariser Anarchisten von seinem Vorhaben gewußt, auch die dortige Polizei muß sofort den internationalen Zusammen hang, den Verschwörungs-Charakter erkannt haben, da sie nach dem Bekanntwerben der That Haussuchungen ver anstaltete. Die deutsche Socialdemokratie wird angesichts dieses Verbrechens nicht behaupten können, daß der Anarchis mus nicht morde, sondern höchstens einzelne verrückte Anarchisten. Sie wird sich auch nichts darauf zu Gute thun können, Wenn die Theilnahme von Deutschen an der Verschwörung nicht sollte erwiesen werden. Selbstverständlich wird dieser negative Umstand auch das deutsche Bürgerthum bei der Bemessung der Bedeutung der Schandthat nicht beeizr- flusscn. Haben doch auch wir den Anschlag auf das Niederwald - Denkmal und die Ermordung dcS Polizei- rathes Rumpf zu verzeichnen gehabt. Der Eindruck, den die Ermordung Canovas' in Deutschland bervor- gebracht hat, ist nicht weniger tief, als die Empörung über die Erdolchung Carnot's, und man wird aus dem jüngeren Verbrechen keine anderen Lehren ziehen als aus dem älteren: der Ausbreitung des revolutionären GifteS, das Social demokraten und aus Socialdemokraten mordbereite Anarchisten macht, ist mit jedem wirksamen Mittel entgegenzuarbeiten. Wenn die „Post" auch in der abgelebnten preußischen VereinS- gesetznovelle ein solches Mittel sieht, so ist bas eine Auf fassung, die wir nicht tbeilen, aber ehren können. Wenn sie aber nicht verschmäht, ihre Worte so zu setzen, daß ein Zu sammenhang zwischen der Ablehnung jenes Gesetzes und der spanischen Greueltbat gedacht werden kann, so beweist das Blatt eben nur, wessen Leute fähig sind, deren Ehrgeiz eS ist, einfluß- und besitzreichen Persönlichkeiten zu Gefallen zu schreiben. Wenn auch ein Vcreinsgesetz solche Verbrechen oder die Entstehung einer Stimmung, welche zu solchen Verbrechen fähig macht, verhindern könnte, so wäre doch mit der An nahme eines verschärften preußischen Gesetzes nicht einmal in Deutschland etwas getban gewesen. Es ist ein Italiener, der in Spanien gemordet hat, und da auch bei einem andern Beschluß des Abgeordnetenhauses andere deutsche Staaten, wie z. B. Württemberg, ihre milderen Gesetze beibehalten hätten, so wäre nicht ein mal für Preußen etwas verhütet worden. Vorbeugen kann der socialdemokratischen Agitation in Deutschland nur ein deutsches Gesetz und der anarchistischen „Propaganda der That" nur polizeiliches Zusammenwirken der europäischen Staaten. Dienstag den Gegen den neuen amerikanischen Zolltarif, der am 24. Juli Gesetzeskraft erhalten und, von der Erhöhung einer wichtigen Reihe von Zollsätzen abgesehen, Zucker mit einem Zoll zuschlag in Höhe der im Herstellungslande gezahlten Prämien belegt, ist, wie mitgetheilt, von deutscher Seite erneut Ver wahrung eingelegt worden. Zum ersten Mal ist das geschehen am 5. April, als die sogenannte Dingley-Bill, welche diese neue Bestimmung enthält, imRepräsentantenkauseAnnabme gefunden hatte. Diese Protestnote besagte, daß die deutsche Regierung sich durch die neuen Zollmaßnabmen von der Verpflichtung der Meistbegünstigung der Vereinigten Staaten befreit fühle, sobald von amerikanischer Seite die bestrittene Differenzirung des deutschen Zuckers zum Gesetz erhoben werde. Die deutsche Regierung würde sich, so lautete der Passus wörtlich, vor die Frage gestellt sehen, ob diejenigen Vergünstigungen noch länger zu gewähren seien, welche sie den Bereinigten Staaten bisher durch die An wendung der niedrigen Zollsätze aus den zwischen dem deutschen Reich einerseits und Oesterreich-Ungarn sowie verschiedenen anderen Staaten andererseits abgeschlossenen Zollverträgen auf die Einfuhr aus den Vereinigten Staaten namentlich hinsichtlich der landwirtbschaftlichen Erzeugnisse geboten hat. Und die Autonomie der beiderseitigen Tarifgesetz gebungen ist ja in den MeislbegünstigungSverträgen unversehrt geblieben. Die Erneuerung des Protestes ist zunächst formal-recht lich zu verstehen, denn die erste Note hatte nur die Beschlüsse des Repräsentantenhauses vor sich; die des Senats und die Zu stimmung des Präsidenten standen noch aus. Damit hat die deutsche Regierung sich das Recht freier Entschließungen gewahrt und wird diese treffen, wie die anderen Umstände, die für die Regelung der deutschen Handelsbeziehungen nach Amerika es am zweckmäßigten für die deutschen Interessen erscheinen lassen. Wir erinnern in dieser Hinsicht daran, daß eine differenzielle Behandlung des deutschen Zuckers durch die Vereinigten Staaten schon einmal im Jahre 1894 der deutschen Regierung Anlaß zu einem Proteste gab, daß sie eS aber bei der durch diesen Protest geschaffenen Rechtsunterlage bat bewenden lassen, da der Ausstand auf Cuba die dortige Zuckerproduktion vernichtete und damit die cubanische Exportconcurrenz nach den Vereinigten Staaten mit der Wirkung lahm legte, daß Deutschland noch im Jahre 1896 rund für 65 Millionen Mark Zucker nach Amerika auSfübrte. Welche Maßnahmen die Reichsregierung zunächst treffen wird, läßt sich auf Grund deS bisherigen Materials nicht sagen. Denn seit dem ersten Protest ist eine wichtige Veränderung vor sich gegangen; England bat auf den 30. Juli 1898 seinen Handelsvertrag dem Reiche gekündigt, und England ist Durchfuhrland und hat ans ganz natürlichen Gründen einen erheblichen Theil der deutschen Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten, wenn derselbe auch in der Zollstatistik nicht zum Ausdruck kommt, schon jetzt in Händen. Die deutsche Regierung hat aber keinen Anlaß, einer dirrcten Verbindung mit Amerika einen englischen Zwischen handel, der schließlich nur zur Einschnürung der deutschen Exportindustrie benutzt würde, vorzuzieben. AuS einem unangenehmen Regen käme man auf diese Weise nur in eine unangenehmere Traufe. Erfreulich ist, daß Deutschland in sofern in aller Ruhe seine Maßnahmen treffen kann, als die drohende Zollerhöhung einen so sehr verstärkten Export nach Amerika zur Folge gehabt hat, daß fast für Jahresfrist schon hierdurch die Wirkung der Zollerhöhungen ausgeglichen ist. Ferner kommt in Betracht, daß die Dingley-Bill alle Prämienländer trifft, gleichviel, ob sie offene oder verdeckte 10. August 1897. Prämien zahlen, so daß die europäischen Zuckerconcurrenz- länber bei der Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten durch weg einen noch höheren Zoll zahlen muffen, als Deutschland wegen der größeren Höhe ihrer Prämien. Alles in Allem genommen: die Regierung hat von dem Reichstag das Ver trauen beansprucht, daß sie, wenn entscheidende Entschlüsse zu fassen seien, mit der Festigkeit, die auf unser, von dem Prä sidenten Cleveland noch anerkanntes, gutes Recht sich stützt, die kühle und ruhige Erwägung verbinden werde, auf welche die großen und wciterverzweigten Interessen, die hier aus dem Spiele stehen, Anspruch haben. Von den in erster Linie in Betracht kommenden Reichsämtern wird das Auswärtige Amt seit gestern von einem Diplomaten der Bismarckischen Schule, das Reichsschatzaml von dem bisherigen Bot schafter in Washington, der als gründlicher Sachkenner in der vorliegenden Frage gelten kann, geleitet. Man darf daher wohl den weiteren Entschließungen der Regierung mit Vertrauen entgegensehen. Der „Temps", der seit einiger Zeit sich besonder» deutschfeindlich geberdet, widmet dem Besuch dcS deutschen Kaisers in Petersburg einen Leitartikel, der nicht nur die poli tische BedeutungderKaiserzusammenkunft nachMöglichkeit berab- zusetzen, sondern auch Zwietracht zwischen Deutschland, Oester reich und Rußland, den gefürchteten „neuen Dreibund", zu säen versucht. Der „TempS" meint, Kaiser Wilhelm werde sich in Petersburg in einiger Verlegenheit befinden. Es sei nämlich sehr wohl denkbar, daß bei Anwesenheit des Kaisers Franz Joseph in Petersburg etwas AehnlicheS zu Stande gekommen sein könne, wie seinerzeit der deutsch-russische sogenannte „Rück versicherungsvertrag". Oesterreich-Ungarn könne wohl die Gelegenheit benutzt haben, um das seinerzeit von dem Fürsten BiSmarck gegebene Beispiel zu seinem Vortheil nachzuahmen und dadurch an Deutschland eine Art mora lischer Revanche zu nehmen. Dieses Gerede zielt anscheinend darauf ab, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, d. h. gleichzeitig zwischen Deutschland und Oesterreich und Deutschland und Rußland Mißtrauen zu erregen und in die Petersburger Begegnung ein verstimmendes Element zu bringen. In der Hauptsache dürfte der „Temps"- Artikel den ganz praktischen Zweck haben, das öster reichisch - russische Einvernehmen bei Deutschland anzu schwärzen. Wir glauben nicht, daß dieser freundliche Versuch gelingen wird, denn über dies Einvernehmen sind wir zum Mindesten ebensogul unterrichtet, wie der „Temps", und die Herzlichkeit der Begrüßung in Petersburg dürste beweisen, daß da zu Treibereien durchaus kein günstiges Feld ist. Die österreichische Politik hat sich seit dem Bestehen des Dreibundes stets als loyal bewährt. Das mag den „TempS" ver drießen, aber er kann nichts daran ändern. — In der Londoner Presse wird über den Besuch des deutschen Kaisers in Petersburg vielfach die Ansicht ausgedrückt, daß er einigermaßen den Glanz von dem bevorstehenden Besuch Faure's wegnehme. „Standard", der im Anschluß hieran den Gedanken eines Dreibundes zwischen Rußland, Deutschland und Frankreich erwähnt, der auf einer gemeinsamen Gegnerschaft gegen England beruhen würde, meint, ob die Franzosen sich nicht bald fragen würden, ob sie durch Freundschaft mit England nicht mehr gewännen, als verlören. In diesem Punct sei schon ein Erwachen zu bemerken. England werde vielleicht nicht geliebt, aber cs sei auch vielleicht weniger einer gemeinsamen Feindseligkeit ausgesetzt, als irgend eine andere Macht. Inzwischen könne England mit Be friedigung solche Freundschaftsbeweise wie die gegen 91. Jahrgang. wärtige Zusammenkunft in Peterhof beobachten, sie wirkten auf die Erhaltung des Friedens hin, und das sei Englands Hauptinteresse. Soweit der „Standard" mit seinem aus Heuchelei und Verlegenheit gemischten Gewäsch. Thatsache ist, daß die französische Presse gerade im Gegensatz zu der Annahme des englischen Blattes trotz der russisch-deutschen Freundschaftsversicherungen an dem Bündniß mit Rußland festzuhalten aufs Dringendste räth, Thatsache ist ferner, daß die Petersburger Kaiserbegegnunz zwar auf die Er haltung des Friedens hinwirkt, daß dies aber nicht zur Befriedigung, sondern zum grimmigsten Acrger Englands ge schieht, das seine friedenstörerische Hand bisher überall mi Spiele gehabt bat und Tbatsache ist endlich, daß England nach wie vor nicht weniger, sondern weit mehr als eine andere Macht, einer „gemeinsamen Feindseligkeit" ausgesetzt ist. Dafür sorgen schon die unaustilgbaren angenehmen Eigenschaften des modernen Vertreters des Zreater Lritaiu. Ueber das anarchistische Attentat auf den spanischen Ministerpräsidenten Canovas del Castillo liegen uns heute noch folgende Nachrichten vor: * Madrid, 9. August. Tie Minister der öffentlichen Arbeiten und der Fmanzen, sowie Marschall Martinez Campos sind hier eingetroffen. In ganz Spanien herrscht vollkommene Ruhe. Der Mörder Canovas' hat erklärt, er habe nicht nur die Anarchisten von Barcelona gerächt, sondern auch den Jnsurgenten-Führer vr. Rizal, der auf den Philippinen kriegsgerichtlich erschossen wurde. Tie Polizei sand in der Wohnung des Mörders eine große, noch mit zwei Schüssen geladene Pistole. Die Nachricht von der bevorstehenden Wiederberufung der Liberalen zu der Regierung erscheint un begründet. * Köln, 9. August. Die „Kölnische Zeitung" bringt über die Ermordung des Ministerpräsidenten Canovas folgende Darstellung: Auf eine Entfernung von 3 m gab der Mörder den ersten Revolver schuß ab, der Canovas rechts in die Stirn traf. Ter zweite Schuß traf rechts in die Seite; die Kugel drang durch das Schulter blatt hinauf. In schneller Folge seuerte der Verbrecher den dritten Schuß und traf Canovas diesmal in die Brust. Die erste Kugel soll den Tod bewirkt haben, und zwar sofort. In dem Verhör behauptete der Mörder, er habe keine Mitschuldigen' die Zeiten der Verschwörungen seien vorbei; seit sieben Monaten habe er, der Mörder, nichts mehr von seiner Familie vernommen. Er behauptete ferner, den wahren Urheber des Verbrechens von Barcelona habe man nicht entdeckt. Endlich sagte er, sein Verbrechen sei nur der Anfang einer Reihe von anderen, viel ernsteren, die in Spanien und anderwärts bevorständen. * Rom, 9. August. Ter Marineminister Brin, der Finanz minister sowie die anderen augenblicklich nicht in Rom weilenden Minister sandten dem spanischen Botschafter beim italienischen Hofe, Grasen Benomar, Beileidstelegramme wegen der Er mordung von Canovas. Der Ministerpräsident di Rudini, die Unterstaatssecretairc, das diplomatische Corps, die Hoswürdenträger, Crispi, sowie fast jämmtliche in Rom anwesenden Senatoren und Deputirten zeichneten sich in die auf der spanischen Botschaft ausliegenden Listen ein. Ter Papst sandte seine Beileidsbezeugungen; der Staats- lecretair Rampolla ebenso wie der Cardinal Cretoni verfügten sich persönlich aus die spanische Botschaft. Der italienischen Polizei ist Feuilleton „Harmonieen". 12s Roman von A. Fischer-Löher. Alle Recht« vorbebalten. Tbätig zu sein, war auch sein Lebenselement, sich selbst aus Allem etwas zu schaffen, auch aus den Menschen. Darum brachte ihm der Verkebr mit der Comtesse so viele angenehme Stunden. Er war sich darüber jetzt klar, auch daß eS sehr traurig für ibn wäre, das wieder zn verlieren. Er hatte nichts an die leere Stelle zu setzen. Trotz der innigen Liebe, die ihn an seine Gemahlin fesselte, verhehlte sich der Fürst zuweilen nicht, daß seine Ehe nicht ganz das Glück in sich barg, das er erwartet halte. Sie batte etwas Gedankenarmes. Clarissa kam nicht reckt darüber binauS, daß nur scköne Gefüblsmomente der Jnbalt des Lebens wären, und konnte ibn damit ermüden. Es war so wenig Beweglichkeit in ihr, gewiß eine schöne Gleichmäßigkeit und Innigkeit, aber der gänzliche Mangel an neuen Reizen iin engsten Beisammenleben mackte auch kein Steigen der Liebe möglich. Sie war auch bewegungslos geworden, und darüber batte er manchmal daS Gefühl von Langweile, selbst in den Koiestunden. Er haßte dieses Gefühl, er strengte sich förmlich an, sich dessen zu erwcbren, und hatte Zuflucht in der großen Tbätigkeit der Leitung der Güter gesucht, die ihm Graf Lotbar gern überließ. Der Gedankenaustausch mit der Comtesse war ihm auch so eine Zuflucht. Auch Renate kam zu der Ueberzeugung, daß es für sie einen Verlust bedeuten würde, die anregende Unterhaltung mit dem Fürsten zu missen. „Ich glaube, wir Haden unS beide in diesem Augenblicke überlegt, daß wir doch recht tbvrichte Menschen waren, nur einen Moment unser gegenseitiges Interesse an einander an zuzweifeln", sagte der Fürst nach einem kurzen Stillschweigen. Er batte sich aus seiner Wagenecke aufgerick trt und wandte sich voll zu Renate herum. Sein Auge hing bittend an ihrem Gesicht. „Ich meine, wir überlassen eS nicht mehr dem Zufall, dieses Interesse sestzuhalten. Wir wollen e« pflegen und Freunde sein, da wir uns schon in dir Liebe Ihrer Verwandten theilen. Wollen Sie, Renate?" Er streckte ihr die Hand hin, in die sie ohne Zögern einschlug. „Ja, das will ich. Aber bedenken Sie", entgegnete sie mit einem schelmischen Blicke in seine lächelnden Mienen, „die Gefabr liegt nabe, daß wir nnS zu genau kennen lernen. Vorhin erschien Ihnen das nicht günstig". „O doch, seitdem Sie mir erklärt haben, daß Ihnen damit ein Mensch immer interessanter wird", sagte er lustig. Sie schüttelten sich zum Abschiede die Hände und waren erstaunt, daß sie schon die Stadt erreicht batten. Die Fahrt erschien ihnen kurz, als sie vor der Villa Abschied von einander nahmen. Dreizehntes Capitel. Es war verabredet worden, daß Graf Lothar und der Fürst mit ihren Damen am Tage nach dem Begräbnisse deS Generals zu Renate in die Stadt kommen sollten, damit die beiden Männer die Aufräumung und Dichtung der Papiere des Verstorbenen vornäbmen, während die Damen Renate bei dem Empfange der Trauerbesucke beistanden. Ein Hin und Her zwischen Eberstein und Renate'« Stadt wohnung ergab fick überhaupt in den folgenden Wochen durch Alles, waS ein solcher Todesfall nach sich zog. WaS Graf Lothar zu viel wurde, hatte Fürst Schwarzenburg be reitwillig übernommen. So wurde er auch der Vermittler zwischen den sick viel fach widerstreitenden Wünschen Renate's und denen ihrer Verwandten. Mit seiner Fürsprache setzte sie es durch, daß die väterliche Billa nicht verkauft wurde und daß sie sich iu dem ersten Stockwerke derselben eine Wobnung einrichten durfte, während in die untere ein Verwalter mit seiner Familie zog. Es war ihr dadurch unverhofft ein eigenes Heim ver blieben, in dem sie fick mit einer Gesellschafterin zum Winter häuslich einzurichten gedachte. Diese Aussichten ließen sie für den Sommer viel freudiger nach Eberstein gehen. Es war ein warmer Junitag, als sie dorthin übersiedelte. Di« Gräfin halte ihr >m Schloß drei allerliebste Zimmer eingerichtet. Sie war sichtlich dabei ron dem Wunsche geleitet worden, eS ihrer Nichte so behaglich wie möglich in Eberstein zu machen. Die Zimmer waren bell und sonnig gelegen und auch nickt gerade in direkter Verbindung mit den Räumen, die sie selbst bewohnte, damit sich die Nichte freier fühlen konnte. Renate blickte mit Rührung auf die Rococoeinrichtung des traulichen Wohnzimmerckens. Es war ein warmes, beimlickes Nestchen, eine Miniaturausgabe ihres Rococo- salons dabeim. Sie küßte die Hand der Tante, und eine Thräne tiefer Dankbarkeit fiel dabei auf diese Hand. „Siebst Du, ich glaube, Eberstein wird nun doch Deine Heimath", rief die Gräfin lebhaft, um ihre eigene Rührung zu bemcistern. „Das ist ja der reine Unsinn, allein im Winter in der Stadt sitzen zu wollen. Wir werden schon sehen. Ohnehin kann nichts auf die Dauer sein. Du wirst Dich über kurz oder lang verheiratben. Nun, ich hoffe, erst kommt jetzt ein Jahr für unS in Eberstein." „Ich werde gewiß nicht das Trauerjahr für Papa mit Hochzeitsgepränge unterbrechen", erwiderte wehmütbig Renale und sah an ihrer schwarzen Kleidung herunter. „Sei ohne Sorge, Tante Luisa." „Wenn Du eS sagst, will ich es glauben. Weißt Du, daß die Mutter des Marquis Dernier an den Onkel ge schrieben bat, sobald sie von dem Ableben Deines VaterS erfuhr?" fragte die Gräfin. „Wir hatten uns lieb gewonnen", entgegnete Renate ein fach. „Sie Hal auch an mich geschrieben." „So, so, also auch an Dick. Und soll es noch etwas mehr heißen als einfache Condolenz?" Die Tante fixirte dabei die Nickte. Diese machte eine Wendung, weil eS in ihrem Gesichte zuckte. „Ick glaube ja, Tante, aber ich finde, ich passe nicht für den Franzosen." „Wer weiß!" Die Gräfin war in Bezug auf di« Liebe mißtrauisch geworden. Was nicht zusammenpaßte, schien sich doch in Liebe anzuziehen. Vielleicht sprach jetzt aus Renate noch die Trauer, und das ging vorüber. WaS Alle» möglich war, batte sie täglich an dem jungen fürstlichen Paare vor sich. Es war unglaublich, wie diese Beiden im innersten Wesen ungleich waren und einflußlos,auf einander blieben und sich doch innig liebten, wie eS sch,en. Die Gräfin hatte sich überhaupt das Kopfschütteln über dieses Ehepaar angewöbnt, seitdem es drüben im andern Schloßflügel wohnte. Das war etwas, waS sie kaum für möglich gehalten batte. Eine Frau, die weiter keine Lebens aufgabe kannte, als die GefüblSjchwärmerei für ihren Gatten zu pflegen, und ein geift- und kraftvoller Mann, der die Schwachheit gegen diese Selbstsucht so weit trieb, daß er sich ihr beugte! In dieser Ebe siegte eine leblose, starre Liebe. Wer hätte das ahnen können! Die weiche, träumerische Clarissa Falkenstein mit ihrem sanften Wesen, die nie wider sprach, entwickelte sich weder zu einer fügsamen noch zn einer rücksichtsvollen Gattin. Sie blieb Alles, waö sie gewesen war, immer sanft, nie widersprach sic, aber sie konnte einen Menschen zur Verzweiflung bringen mit ihrem Wesen, das keine Bewegung kannte, sondern im Kerne keimlos war. Es batte sich zwischen der Gräfin und der jungen Fürstin durchaus kein mütterliches und töchterliches Verhältniß an gebahnt, daS sich die Gräfin so sehr gewünscht batte. Sie blieben sich innerlich genau so fernstehend wie früher. Clarissa war sür nichts zn baden, weder für die Gesellschaft noch für den Familienverkehr. Sie hielt sich Alles fern. Dadurch war etwas Unbefriedigendes in das Zusammen- wobnen mit dem jungen Paare in Schloß Eberstein einze- zogen, etwas, was allmählich zu einem Drucke wurde, den alle Schloßbewohner außer Clarissa selbst empfanden. Durch den Aufenthalt ihrer Nickte im Schlosse hoffte die Gräfin auf eine Anregung für die Fürstin. Clarissa hatte ja früher viel mit Renate verkebn. Sie schien sich auch darin nickt zu täuschen, denn Renate war kaum einige Stunden im Schlösse/ jo ließ sich daS fürst liche Paar zn einem Besuche bei Renate melken. „Das ist vernünftig von Dir, Clarissa", lobte die an wesende Gräfin sie. „Du bist seit zwei Tagen nickt anders als zur Dinerstunde auS Deiner Wobnung gekommen." „Es regnete, liebe Tante", entgegnete sic in ihrer sanften Art. „Bis zu mir wäre sie nicht naß geworden, nicht wahr, TituS?" wandte sich die Gräfin an den Fürsten, weil Clarissa doch nichts erwidern würde. Sie kannte das schon an ihr. „Entschuldigen Sie, bitte, Frau Gräfin, meine kleine schwer fällige Frau", klang des Fürsten Antwort, als könne man von ihm nicktS weiter verlangen, als das gut zu heißen, WaS seine Frau tbat. Und Clarissa machte ein Gesicht, als wäre AllcS ganz selbstverständlich. Tie Gräfin gericth in eine leichte Erregung. „Ich fürchte, Sie werden wirklich zu nachsichtig, TituS. Launen ganz nackzugeben, ist immer ein gefährlich Ding." „Ack, Tante Luisa, Tu kannst e- glauben, ich bin nicht launenhaft, dazu bin ich immer viel zu gut mit meinen Freundinnen und Bekannten fertig geworden. Und jetzt liegt gar kein Grund vor, Launen zu Haden. TituS und ich wollen
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