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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.11.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-11-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971105013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897110501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897110501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-11
- Tag1897-11-05
- Monat1897-11
- Jahr1897
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Bezugs-Preis in der Hauptexpedition oder den im Stadt« bezirk und den Bororten errichteten AuS« gabestellen abgeholt: vierteljährlich >l4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteliäbrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich7.50. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/-? Uhr, die Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Uedartion und Expedition: AohanneSgasse 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Ltt» Klemm s Sorkin,. (Alfred Hahn), Universitätsslraße 3 (Paulinum), LoniS Lösche, Aatdarinevstr. 14, part. und Königsplatz 7. Morgen-Ausgabe. ApMcr TagÄalt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nokizei-Amtes der Ltadt Leipzig. 5G. Freitag den 5. November 1897. Auzeigeu-Preis die 6gespaltene Pctitzeile 20 Pfg. Rcclamen unter demRedaciionsstrich (4ge« spalten) 50 vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40/H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzrichniß. Tabellarischer und Zisferniatz nach höherem Tarif. trptra-Vkilagen (gesalzt), nur mit dec Morgen-Ausgabe, ohne Postbcsörderunz 60.—, mit Postbesörderung ./t 70.—. Ännahmkschluk fiir Änzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 91. Jahrgang. Das französische Uufatlversicherungsaesetz. Mit 518 gegen 13 Stimmen hat bekanntlich am 29. October die französische Abgeordnetenkammer ein Un- fallversicherungsgesetz bewilligt, das einer nun sechzehn jährigen parlamentarischen Arbeit an diesem socialpolitischen Werke ein Ende zu bereiten bestimmt ist. Seit Anfang deS vergangenen Jahrzehnts pendelten Gesetzentwürfe über Organisation der allgemeinen Versicherung der Arbeiter gegen die Betriebsgefahren zwischen Deputirtenkammer und Senat hin und her, ohne daß eine Einigung der beiden legislativen Körperschaften hätte erzielt werben können. Regelmäßig wurden die von der Zweiten Kammer auS- gearbeiteten, wesentlich der deutschen Gesetzgebung nach gebildeten Entwürfe vom Staate, aus Furcht vor einem Einbruch des StaatSsocialismus, zu einem Schalten reducirt, der dann wiederum bei den Deputirlen keine Gnade fand. Auch der soeben votirte Text stellt, wie wir schon hervor« hoben, eigentlich nur einen äußerlichen Friedensschluß dar. Die Kammer der Abgeordneten, auf ihre eigenen weiler gebenden Pläne verzichtend, bat einem von der Regierung anerkannten CommissionSvorschlag ihre Zustimmung gegeben, den auch ohne Zweifel der Senat billigen wird. Um bei den bevorstehenden Wahlen nicht wiederum mit leeren Händen zu erscheinen, bat sich die Deputirtenkammer, namentlich auf Drängen der socialistiscken Gruppe hin, zu diesem Schritte entschlossen. Tie 13 Gegner recruliren sich fast nur aus den Kreisen der äußersten Rechten. Bisher gab es — wir folgen hier einer Darstellung von F. Schottböfer-Paris in der „Socialen Praxis" — in Frank reich außer den durch die tztz 1382 bis 1384 des eocks eivil geregelten privatrecktlichen Ansprüchen bei Verletzungen durch fremde Schuld überhaupt kein Recht der Arbeiter auf Enl- schädigung für in ihrer Berufslbäligkeit erlittene Unfälle. Eine specielle Haftpflicht des Unternehmers war nie an erkannt. Die Anerkennung der besonderen Betriebsgefahr, daS ..risguo xrotesziuunol^, war überhaupt einer der Haupl- puncle, gegen den nickt nur die Unternehmer selbst, sondern auch die liberalen Nationalökonomen der alten Schule skck heftig verwahrten, obwobl das doch herzlich wenig mit dem Individualismus zu schaffen hat. Immerhin bestand auf Grund des Gesetzes vom 11. Juli 1868 eine staatlich dotirke und geleitete Unfallversicherungscasse (Oaissa tl'ussuranco vu c»8 ck'acwicleut), die jedoch bei Abwesenbeit des V er sich erungö zwanges sich nur schwach entwickelte. Bis zum Ende des Jahres 1894 hatte sie im Ganzen 36 572 Verträge abgeschlossen und nur 74 Unfälle mit Rentenansprüchen zu verzeichnen. Die jährliche Durch- schnntszabl der Versicherten belief sich auf 1407, und der beträchtliche Uebersckuß der Mitglicderbeiträge über die Ausgaben der Casse gestaltet ibr, ein Vermögen von etwa 6 Millionen Francs anznsammeln. Entsprechend den drei angesetzlen Gefahrenklassen betragen die zu leistenden Prämien 3, 5 und 7 Francs, wofür im Falle dauernder ErwerbS- störung den Versicherten ein Anspruch auf das 320fache der eingezahlten Prämien zustebt, der auS der Staalscolation auf den doppelten Betrag erhobt werden kann. Jedenfalls ist die Wirksamkeit der (Lasse fast völlig unbemerkt geblieben, wie auch die existirenden privaten Versicherungsgesellschaften nicht sehr hervorgetreten sind. Das vorliegende Gesetz, das zwar noch der Ratification durch den Senat bedarf, bleibt weit hinter dem deutschen zurück. Man fürchtet sich noch immer vor dem großen Apparat, den nach französischen Vorstellungen unsere Unfallversicherung notbwendig macht. Immerhin enthält eS die Anerkennung der speciellen Betriebsgefahr und des daraus logisch sich ergebenden Versicherungszwangs, wenn es auch zur Durchführung deS letzteren noch nickt die berufsmäßige Ver- sicheruugSpflicht der Unternehmer auf Gegenseitigkeit anerkennt, sondern ihnen frei giebt, sich einzeln zu versickern oder in Gruppen zu vereinigen. Den Mittelpunkt der zu schaffenden Organisation bildet die obenerwähnte schon bestehende staat liche Unfallversicherungscasse, bei der die zur Sicherung der Entschädigungsansprüche der Arbeiter geforderten Beiträge einzuzahlen sind unk die auch die Auszahlung der Renten ibernimmt. Für alle Unternehmer, die sich nickt individuell bei der Staatskasse versickern, besteht jedoch die Verpflichtung, den territorial, nicht berufsmäßig, formirten Vereinigungen beizutreten, die ihrerseits dann Collectivverträge mit der Staatscasse abschließen. Diese Vereinigungen können sich auf mehrere Departements ausdehnen, in industriereicken Gegenden aber auch auf kleinere Gebiete beschränken. Tie Beiträge derUnter- nebmer werden im Umlageverfahren bemessen nach dem Gesammtbetrag ihrer Löhne und nack dem noch zu be stimmenden Gefabrencoefficienten ihres Berufszweiges. Hier bei ist wiederum jenen Unternehmern, die besondere Unfall verhütungsmaßregeln in ihren Betrieben, einführen, eine bis zu 30 Proc. gehende Ermäßigung zugestandcn. Ein Special fonds zur Sickerung der Beitrage wird gebildet durch einen Zuschlag von 4 Proc. zu der Gewerbesteuer und bei Berg werken von 1 Frc. auf 10 000 FrcS. Werth der Anlage. Genaue Regelung dieser Organisationen bleibt einem be sonderen Oonssil 8upörienr6 cko3 Lccick<?nt8 äu travail und dem Verwaltungswege vorbebalten. Den Gegenstand der Versicherung bilden die auS einem Betriebsunfälle erwachsenden SckadenansprLcke der Arbeiter oder Angestellten, wenn die durch den Unfall ver anlaßte ArbeilSunterbrechung länger als vier Tage dauerte. Der Versickerung unterliegen die Bauindustrien, Fabrik betriebe, Weikplätze, Transportunlernehmungen zu Land und zu Wasser, öffentliche Magazine, Bergwerke, Steinbrüche nnd alle Betriebe, in denen explosible Stoffe bergestellt oder ver wendet oder eine nickt durch Menschen-oder Tbierkraft getriebene Maschine gebraucht werden. Arbeiter, die mehr als 2400 Frcs. Lohn beziehen, haben bios bis zu den diesem Einkommen ent sprechenden Entsckädignngen Anspruch. Die gewährte Rente beträgt zwei Drittel des JahreslobncS bei ganzer und dauernder Erwerbsunfähigkeit, und ?/g per Verminderung des Arbeitseinkommens bei nur thcilweisem, aber dauerndem Verluste der Erwerbsmöglichkeil. Für vorübergehende Arbeits unfähigkeit wird nach dem vierten Tage die Hälfte des Tagelvbnes verabreickt. Bei Todesfällen erhält die Wittwe eine Lebensrente von 20 Proc. des Jabreslobnes ihres Mannes, die Kinder unter 18 Jahren erhalten bis zu 40 Proc. des selben. Bei Junggesellen können die in Frage kommenden aufsteigenden Erben höchstens 30 Proc. des Jahreslobues beanspruchen. Dem Unternehmer fallen die Heil- und Be erdigungskosten zur Last, wenn er nicht seinerseits einer diesen Zwecken dienenden Casse beigetreten ist oder eine solche in seinem Betriebe eingerichtet hat. Bei Arbeitern unter 18 Jabrcn und Lehrlingen darf zur Nentenberecknung kein geringerer Lohn als der niedrigste an erwachsene Arbeiter gezahlte in Ansatz gebracht werden. Rach definitiver Rege lung der Entschädigung kann der Verunglückte übrigens Auszahlung von deS zur Constituirung der Rente uötlngen Capitals in Baar verlangen, die Hälfte dieses Capitals auck zur Schaffung einer Lebensrenle für leinen Ehegcnossen verwenden lassen. Basis der Nenkenberecbuung bildet stets das dem Unfall vorbergezangene Jahreseinkommen in Geld oder Naturalien, wobei in den Saisonindustrien auch der in der lodten Saison mögliche anderweitige Arbeitsverdienst einbegriffen ist. Die Untersuchung der Unfälle, die Entscheidung über die Rechtsansprüche, Revisionen fallen ganz den gewöhnlichen VerwaltungS-und Gerichtsbehörden zu. Damit zeigt der französische Entwurf seine stärkste Abweichung von der deutschen Organisation der Unfallversicherung und gerälh viel tieser in die Richtung der so sehr gefürchteten Staatsintcrvention als auf den in Deutschland eingeichlagenen Wegen. Der erste Schritt in dieser Richtung wurde aller dings schon gemacht, als man die berufsmäßige Organisation fallen ließ. Denn nur aus Grundlage der letzteren ließe sich ohne große Schwierigkeiten die völlige Selbstverwaltung der Versicherungsanstalt durchführen, die gerade unsere Unfall versicherung einer zu weitgehenden Staatseinmischung ent zieht. Dieser Punct bildete übrigens auch eine der Streit fragen zwischen Senat und Deputirtenkammer. Im Ganzen charakterisier sich der Entwurf, der aus wahl taktischen Gründen zweifellos Gesetz werden wird, als ein etwas hastig fertiggestellles Product, dem auch seine viel mehr verlangenden Gegner, wie die Socialisten und Radicalen, ihre Zustimmung geben, um nur überhaupt einmal einen wirklichen Schritt zu thun und eine Grundlage für weiteren Ausbau zu schaffen. Deutsches Reich. Berlin, 4. November. Unter dem Gesichtspunkt einer klerikal-conservativen Zukunftspolitik kam die „Kreuzztg." vor einiger Zeit zu dem Ergebniß, „daß gute, wahrhaft kon servative Katholiken des Landes Ba den" die nationalliberale Herrschaft mit der „Kreuzztg." als ein Unglück, die Be freundung katholischer Wähler mit Demokraten und Social demokraten als ein mindestens ebenso großes Unheil betrachten!" Welchen Widerhall diese „wahrhaft konservative und monarchische Politik" bei den Conservativen Badens findet, dafür einige Proben. In Durlack-Land wurde der konservative Candidat Kirchenbauer gewählt, wie der andere konservative Abgeordnete Dank der nationalliberalen Unterstützung. An die eigenen Wähler war zuvor von der dortigen conservativen Parteileitung ein Appell ergangen, in welchem zu lesen war: „An unsere evanqeliichen Gesinnungsgenossen! Mähler! Morgen sollt Ihr wählen. Auf der einen Seite sieht die Partei des römischen Papismus, des Feindes der evangelischen Kirche und der Gewisjens- sreiheit, in Verbindung mit den Parteien der Börsen-Temokratie und der vaterlandslojen Socialdemokratie, der frechen Berrätkerin aller Religion und unseres modernen Staates; auf der anderen Seite steht die Partei des Herr» Kirckenbaucr, der seit 16 Fahren als evangelischer Christ und als Patriot. unseren Wahlbezirk ver- tritt . . . Wähler! Laßt Euch doch nicht durch die billigen Phrasen und.gewissenlosen Versprechungen, die niemals gehalten werden können, die Augen blenden! Seht Euch doch die Gesellschaft aus der anderen Seite genau an; kann dieser Bund des römischen Papstthums und Jesnitismus mit der Börse und der gottes lästerischen Socialdemokratie Euer Interesse vertreten??? Jeder Einzelne aus diesem schmachvollen Bund ist Euer Feind, zusammen aber sind sie Eure Todfeinde. Pilatus und Herodes sind Freunde geworden!" Ferner äußerte sich das Organ der badischen Conservativen in Karlsruhe, das vor der Wahl wahrlich nicht an Be kämpfung des Nationallibcralismus gekargt hat, über die Ilcrikal-demokratisch-socialistische Gemeinschaft: „Wir müßten es vom conservativen Standpunkt aus wahrlich beklagen, wenn diese „Svottgeburt von Dreck und Feuer", die sich Opposition smajvrität nennt, auch nur im Geringsten die Maßnahmen der Regierung beeinflussen könnte, ganz davon ab gesehen, daß unser Großherzog verfassungsgemäß sich an „Majori täten" überhaupt nicht zu wenden braucht. Tas ist die Lage, die Herr Wacker mit seinem Fanatismus und seiner beschränkten politischen Anschauungsweise geschaffen hat: eine Majorität, die in allen Fragen der liberalen Weltanschauung von Erziehung, Kirche, Schule, Kunst, Wissenschaft, Literatur, praktischer Ethik viel radikaler ist, als die frühere und durch ihre buntgescheckie, die größten Wider- sprüche in sich vereinigende Zusammensetzung absolut nicht in der Lage ist, irgendwie von Einfluß aus die Gestaltung der Regierung-;- maßnahmen zu sein." * Berlin, 4 November. Der „Köln. Ztg." wird von hier geschrieben: „Auf die endliche Lösung der durch die Ungewiß heit des Schicksals der Mili t airstrafproceßordnunx herbeigeführten inneren Krisis, die in ihrer großen Dauer je länger je mehr nachtheiliz auf die politische Lage zurück wirkte, bat, wie zuverlässig verlautet, der Groß her zog von Baden einen bestimmenden Einfluß auSgeiibt. Ihm soll es zu verdanken sein, daß schließlich die Hemmnisse überwunden werben konnten, die der Vorlage ter Mililair- strafproceßordnung in einer dem heutigen RechtSbewußl- sein entsprechenden Form an daS Plenum deS Buudesraths und an den Reichstag entgegenstanden. Dadurch ist Len- Reichskanzler Fürsten Hohenlohe die Einlösung seiner dem Reichstage gegebenen Zusage und damit das Verbleiben im Amte möglich gemacht worden. Man wird Wohl nicht feblgehcn in der Annahme, daß die Verhandlungen hierüber mit ihm während seiner jüngsten Anwesenheit auf Schloß Baden im Einverständuiß mit dem Kaiser durch den Grvßberzez von Baten zu Ente geführt Worten sind. Tieser würde datnrch seinen unvergänglichen Verdiensten um die deutsche Sache ein neues Ruhmesblatt binzugefügt haben; denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die mit der Militairstrafproceßordnung im Zusammen hang stehende Unsicherheit der politischen Lage allmählich sich als überaus schädlich für den Reichsgedanken erwies, das Ansehen deS Kaisertbums zu beeinträch tigen geeignet war und die parlicularistischen Be strebungen ebenso wie den Radikalismus mächtig förderte. Gegenüber den daraus erwacksenten Gefahren muß das Verbleiben des Fürsten Hohenlohe aus dem Reichskanzler posten in jedem Falle als erfreulich begrüßt werden." * Berlin, 4. November. Die „Post" erwidert aus die 'charse Abweisung, die ihre Denunciation des Herrn v. Rottenburg fast bei der gcsanimtcn Presse gesunken bat, mit einem in ordinärem Ton gehaltenen Artikel unter der Uebersckrift „Hungrige Preßmeute". Wie hungrige Hunte über einen fetten Bissen, so seien verschiedene Blätter über den Artikel „Universilätscurator und Politiker" hergefallen. Weiter heißt cS: „Zorn macht blind, und daher haben Misere geschätzten Gegner auch wohl gar nicht bemerkt, daß die Artikel des Herrn v. Rotten burg nicht deshalb uns interejsirten, weil sie iiir Erweiterung des (koalition-rechtes eintraten. Diese Liebhaberei ihres Verfassers war ;a bekannt. Unsere Beleuchtung keiner Essays wurde, wir haben diesen Umstand besonders hervorgehoben, nur durch das geistige Milieu veranlaßt, in dem sie sich präientiren. Keines der gegnerischen Organe hat erfreulicher Weiie abgeleugnet, daß es eine „eminent politische Angelegenheit" ist, die unser Artikel anschnitt, ob cs nämlich wünschenswerth sei, daß die die Univer sität Bonn mit Vorliebe frequentireiide» deutschen Prinzen und Söhne der ersten Familien des Landes in dieses Milieu kämen. Vorläufig sind wir mit dem durch Schweigen seitens unserer Gegner hierin bekundeten Einverständ nisse zufrieden." Ein Gelehrter darf also seine Ansichten deshalb nickt in einer Berliner Zeitschrift veröffentlichen, weil deutsche Prinzen und „Sölme ver ersten Familien des Landes", beiläufig junge Leute, die kaum noch eine Atmung haben, was da§ Coalitionö- reckt überhaupt ist, fick Studirenö halber in Bonn aushallcn oder vielleicht in Zukunft einmal anfbalteu können. Sollte es aber nicht wünsckenswerth sein, daß die Handvoll Prinzen und Erelleute, Vie sich in Bonn größtentbeilS weniger des Curators und der Professoren als der Borussia wegen auf- zuhalten pflegen, „in dieses Milieu kommen", so mögen sie getrost wegbleiben. Damit wäre, wie die „Voss. Ztg." zutreffend bemerkt, die „eminent politische Angelegen heit" erledigt. V. Berti», 4. November. (Telegramm.) Der Kaiser begab sich beute Nachmittag zur Jagd nach PieSdorf. (-) Berlin, 4. November. (Telegramm.) Heute Vor mittag fand die Beisetzung des Generalmajors von Bütow in Gegenwart des KaiserpaarcS, des Prinzen Fiiedrich Leopold, der Familie v. Bülow, darunter der StaalSminister v. Bülow, des kaiserlichen Hauptquartiers, der obersten Hof chargen, vieler Mitglieder der Generalität, des Officiercorps, zahlreicher Abordnungen von Regimentern und Kriegervereinen statt. Nach der Trauerrede in der Capelle trugen Unter- osficiere von den hessischen Dragonern den Sarg zur Gruft. Der Kaiser und die übrigen Herren folgten, während die Kaiserin mit den leidtragenden Damen in der Capelle ver blieb. Nach der Verabschiedung der Familie v. Bülow kehrte das Kaiserpaar nach Potsdam zurück. (Wiederholt.) FerrrUeton» Schlaf und Schlaflosigkeit. Von S.-R. vr. L. Fürst (Berlin). Nachdruck ver oten. (Schluß.) Das Gegenstück zu der Schlafsucht ist die ungemein verbreitete Schlaflosigkeit. So Mancher kennt das Ideal eines ge sunden, normalen Schlafes schon seit Jahren nicht mehr. Und wenn er seine Muskeln noch so sehr durch Gehen, durch Bewegun gen ermüdet, wenn er noch so regelmäßig den gewohnten „Schlaf trunk" einnimmt, sich ernstlich bestrebt, an Nichts zu denken oder bis 1000 zu zählen — der ersehnte Schlaf, für den er gern die schwersten Opfer bringen möchte, stellt sich nicht ein. Spät sucht er sein Schlafzimmer auf in der sicheren Hoffnung, „nun müsse er doch müde sein". Er liest zum Ueberfluß noch etwas recht Langweiliges oder Gleichgiltiges. Aber der süße Schlummer kommt nicht oder flieht ihn schon nach wenigen Stunden wieder. Mehrmals in der Nacht macht er Licht und verlöscht es wieder. Hundertmal wechselt er seine Lage; bald liegt er rechts, bald links oder auf dem Rücken, bald mit herabhängenden, bald mit em porgehobenen Armen. Aber — ach — der Geist ist's, die Gedanken sind's, die ihn nicht schlafen lassen. Ideen, Pläne, begonnene Ar beiten, Dinge, die am nächsten Tage erledigt sein muffen, da zwischen große und kleine Sorgen aller Art, verdrießliche Erleb nisse, die nicht aus dem Sinne kommen wollen — Alles dies läßt die müden Augenlider nicht zum dauernden Verschluß, das arme Gehirn, das so gern schlafen möchte, nicht zur Ruhe kommen. Endlich entschlummert es, aber nur für wenig Stunden. Noch ehe der Tag graut, ist der Schlaf wieder vorüber oder nur ganz oberflächlich, von Stadien des Halbschlafs unterbrochen. So naht der Morgen. Allein die Sonne bescheint keinen Glücklichen. Matt und schlaff erhebt sich der Ärmste vom Lager; seine Züge haben nicht- von Erfrischung, sein W.sen bekundet keine Erholung. Und so muß er wieder in die Tretmühle der Arbeit, der neuen geistigen Erregung, die das Leben des Tages mit sich bringt. Noch sind die Ganglien nicht von den Ermüdungsstoffen des vergan genen Tages frei und schon häufen sich neue in ihnen an, um bis zum Abend wiederum zuzunehmen. Der Schlaflose hat dies Spiel schon so oft durchgemacht, daß er der Nacht nur mit Schrecken entgegcnsieht, aber auch dem Tage ohne rechte Freude. Uebereinstimmend wird von den an Schlaflosigkeit Leidenden dieser Zustand als eine Pein, als ein Unglück bezeichnet; er wird um so mehr als solches empfunden, weil das Leiden in erster Linie geistig hochstehende, regsame Menschen befällt. So oft man sich mit solchen Patienten beschäftigt, immer hat man den Eindruck, daß die Agrypnie — so lautet der wissenschaftliche Ausdruck —, wenn sie auch an sich keine selbstständige Krankheit ist, doch schlimmer ist, als manche Krankheit. Sie ist ein anomaler Zu stand, welcher dem Betreffenden das Dasein verleidet, ihn körper lich und selisch tief herunterbringen, feine Functionen zerrütten, seine geistige Spannkraft lähmen kann. Diese sich Monate und Jahre lang fortsetzende ungenügende Ruhe der Gehirnsubstanz bildet für den Leidenden eine Qual. Schon darum erscheint es als eine Pflicht des Arztes, daß er Alles aufbietet, um diese Bcdauernswerthen wieder zu glücklichen Menschen zu machen, zugleich aber, um zu verhüten, daß sie ein Opfer des Morphinismus werden. Der Charnbdis der ch m sch-n Vergiftung verfallen Leichtsinnige, nachdem sie die Scylla der Schlaflosigkeit umsegelt haben. Ehe man aber eine Behand lung mit Erfolg einleiten kann, muß man aufs Sorgfältigste die Ursachen zu ergründen suchen. Gerade hier liegt jeder Fall anders, und wer dieser individuellen Verschiedenheit nicht Rechnung trägt, wer gewohnt ist, nach einem gewissen Schema zu verfahren, oder gar glaubt, Alles nur mit einem „Recept" zu er reichen, ist gründlich auf dem Holzwege. Schlaflosigkeit ist eben das Resultat einer ganzen Anzahl von Anlässen, die auf den Menschen einwirken, und denen er oft Jahre lang Wider stand entgegensetzt, bis seine Kraft erlahmt. Sie ist keineswegs nur das Symvton eines körperlichen Leidens, sondern sehr ost zugleich oder ausschließlich ein Erschöpfungs- und Erregungs- Zustand der Psyche, eine ausgeprägte Neurasthenie. Allerdings kann aber auch für eine Neurasthenie der erste Anstoß in chronifcher Schlaflosigkeit liegen. Was im einzelnen Falle das Primäre ist, der Schlafmangel oder die Nervenschwäche, das kann nur die Untersuchung lehren; ebenso läßt sich keineswegs leicht fest stellen, in was die momentan gestörte Ernährung und abge- fchwächte Function des Großhirns besteht, welche feineren Vor gänge sich hier abspielen. Selbst die wissenschaftliche Bezeichnung: „Assimilations-Hemmung der Ganglien", sagt uns sehr wenig; sie ist cin Wort, das eine Hypothese bezeichnet und umschreibt, ab-r keine Ausklärung giebt. Denn, was sich wirklich in jenen Nerven-Centren der grauen Substanz, die sich in zahlreichen tiejen Falten und Windungen um den weißen Kern des Gehirns lagert, vollzieht und was sie nöthigt, bis zum Ausgleiche uns noch unbekannter Veränderungen, einige Zeit ihre Thätigkcit einzu schränken, wissen wir nicht. Alle Vergleiche aus dem täglichen Leben, wie das Herabmindern einer Gasflamme oder eines elek trischen Stromes auf ein Minimum bis zum Wiedergebrauch der vollen Kraft, sind doch gegen die activc Nervenzelle und ihre Functionen plump. Genug — diese Ruhe ist ein zwingendes Naturbedürfniß. Wo sie ausbleibt, leidet der Mensch; wo man dem Menschen grausamer Weise den Schlaf entzieht, wie dies orientalische Despoten als Strafe, unsere der Cultur und Re ligion sich rühmenden mittelalterlichen Vorfahren als Folter mittel übten, geht er qualvoll zu Grunde. Es ist sicher mehr als ein volksthümliches Scherzwort, daß Jemand „vor Hunger nicht schlafen und vor Müdigkeit nicht essen kann", wenngleich sich doch der unter beiden Calainitäten Leidende schließlich für die Beseiti gung der einen oder der anderen entscheiden muß. Schlaflosigkeit ist meistens das Resultat der Lebens weise, der Lebensverhältnisse, gewisser Berufsarten und Gewohn heiten. Diese zu ermitteln, die Summe aus ihnen zu ziehen, nachdem man dem ersten Entstehen und der Entwickelung des Leidens nachgespürt hat, dasjenige Moment ausfindig zu machen, welches gerade diesem einen Menschen den für seine Existenz un entbehrlichen Schlaf stört und raubt, das ist eine Aufgabe von Bedeutung. Sie verlangt, daß man sich in die Eigenart dieses Naturells, in die Einzelheiten seines Denkens und Empfindens versenkt, sich mit seinen Lebensschicksalen und Herzensangelegen heiten vertrauter macht. Fast Jeder, der an Schlafmangel leidet, hat Etwas, wo ihn der Schuh drückt: Ueberreizung und Ueberan ftrengung mit allzustarker geistiger, zumal abendlicher Arbeit, „Uebermüdung", unzweckmäßige Lebensweise in Bezug auf Er nährung oder Muskelthätigkeit, Erregungs- oder Deprcssionszu stände, Affecte freudig-aufregender Art oder niederschlagende Stimmungen. Angst, Furcht, Sorge, Kummer — Alles dies kann in Frage kommen, wenn es sich darum handelt, die U r - fache der Schlaflosigkeit zu ermitteln. Dies ist ganz unmög sich ohne das Vertrauen und die Offenheit des Patienten, ohne eigenes Nachdenken und Abwägen, ohne ein Sich-Versenken in dessen Stimmung und Situation. Wer nicht jeden Fall individuell und psychologisch betrachtet, wer die Mühe scheut, den Wurzeln des Nebels nachzugrabcn, der darf sich nicht wundern, wenn er in der Therapie der Schlaflosig keit leine Erfolge erzielt. Zum großen Theil liegen die Ursachen auf psychischem Gebiete und dort hat auch die Behandlung, ob wohl Hypnotica und Narcotica, Massage und Hydrotherapie in vielen Fällen die Cur sicher unterstützen, ihren Schwerpunkt. Ob wohl der gewissenhafte Arzt Alles, was den Schlaf eines Men sehen dauernd beeinträchtigt, mit Sorgfalt zu ermitteln sucht, ist es doch Sache des Patienten, den Arzt auf die richtige Spur zu bringen. Klar, nüchtern, wahrheitsgetreu muß er über sein Leben berichten, nichts verschweigen oder Zusehen, nichts übertrei ben oder beschönigen. Nur dann kann der Arzt beurtheilen, was den Betreffenden erregt und bewegt, ihn erfüllt und bekümmert, ihm die Ruhe raubt.' Aber auch die körperlichen Ursachen sind zu berücksichtigen; die Lebensweise, die Art und Dauer der Bc schäftigung, der Beginn der Nachtruhe und die Aufstehezeit, die tägliche Kost, die Bewegung im Freien, das Sitzen am Schreib tisch, gewisse Liebhabereien (Reizmittel, Alkohol, Tabak, Sport). Auch die bisherigen Gcsundheitsverhältnisse, Residuen etwaiger früherer Krankheiten, sowie der Stand der Körperfunctionen kam men in Frage. Kurz — die Ermittelung des Wesens der Agrypnie stellt in jedem Falle andere, stets aber ziemlich compli- cirte Aufgaben, denen man nicht mit einem Schema, einer Schab lone oder einem Recept gerecht wird. So ist z. B. auch die Form der Schlaflosigkeit in so fern maßgebend, als der »in« zu spat em«
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