02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991028026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899102802
- OAI-Identifier
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- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-28
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In Deutschland gelten dafür zur Zeit folgende Bestimmungen: Jugendliche Ar beiterinnen dürfen während der Zeit der Schulpflicht gar nickt, nichtsckulpflichtige von 13—14 Jahren nickt über sechs Stunden beschäftigt werden; für das Alter von 14—18 Jahren ist die Maximalarbeitszeit auf zehn Stunden angesetzt, Nacht- und Sonntagsarbeit verboten. Arbeiterinnen über 16 Jahre dürfen nicht Nackts und in Fabriken nicht unter Tage, ferner nicht über 11 Stunden, an Feiertagsvorabenden nicht über 10 Stunden beschäftigt werden; an diesen letzteren Tagen muß die Arbeit um 5h'z Uhr Nachmittags schließen. Den Arbeiterinnen ist ferner eine einstündige Pause zu gewähren; Frauen, die einen Haushalt zu besorgen baden, auf ihren Antrag eine halbe Stunde mehr. Wöchnerinnenarbeit ist für vier bis sechs Wochen (je nach ärztlichem Gutachten) verboten. Ausnahmen von den letzten Be stimmungen dürfen gar nicht, von den die Arbeits zeit betreffenden nur in geringem Umfange gestattet werden. Außerdem kann der Buudesrath Frauenarbeit ebenso wie Kinderarbeit in besonders lebens-, gesundheits oder sitten gefährlichen Betrieben ganz verbieten oder beschränken. Dies ist z. B. in Gummi-, Cichorien-, Bleifarben-, Accumula- toren- und anderen Fabriken ganz oder theilweise durch geführt. In anderen Ländern sind die Bestimmungen im Allgemeinen ähnlich, doch ist der Frauenschutz vielfach etwas geringer. So erstreckt sich in England daS volle Verbot der Kinderarbeit nur auf Kinoer unter 11 Jahren; für Frauen und Personen unter 18 Jahren ist in Textil fabriken ein zehnstündiger Normalarbeitstaz durchgeführt, wobei Sonntags- und Nachtarbeit ausgeschlossen ist. In anderen Fabriken sind die Beschränkungen geringer. Im Bergbau ist für Frauen und Kinder die Arbeit unter Tage verboten, die Arbeitswoche auf 54 Stunden festgesetzt. Wöch nerinnen sind vier Wochen lang zu schon-,». Auch in Oesterreich, der Schweiz, Frankreich, Rußland und den Vereinigten Staaten ist im Allgemeinen überein stimmend Nacht- und Sonntags-, sowie Wöchnerinnenarbeit und die Arbeit unter Tage verboten, auch die Arbeitszeit beschränkt. Dagegen hat Italien noch ganz unbeschränkte Frauenarbeit, Schweden und Norwegen haben nur einen Schutz für Frauen unter 18 Jahren und auch in Belgien ist der Frauenschutz recht gering. Im Ver gleich zu den übrigen Staaten muß man demnach an erkennen, daß Deutschland auch in diesem wichtigen Zweige deS Arbeiterschutzes rüstig vorangeschrittcn ist. Doch darf uns gerade auf dem Gebiete des Arbeiterinnenschutzes die geringere Fürsorge anderer Länder nicht veranlassen, auch unsererseits stehen zu bleiben und den arbeitenden Frauen nicht jeden nöthigen Schutz zu gewähren. Gegenüber Be schränkungen der Männerarbeit ist der Einwand berech tigt, daß wir unsere Industrie nicht durch zu starke Belastung auf dem Weltmarkt concurrenzunfähig machen und dadurch den Arbeitern die Quelle ihres Wohlstandes verstopfen dürfen. Bei dem Schutz der Arbeiterinnen, insbesondere der verhei rateten Frauen, ist eine andere Rücksicht in die erste Reihe zu stellen. Hierbei handelt cs sich nicht nur um persönlichen Schutz, sondern auch um den Schutz des Familienlebens, die Gesund heit des gewerbthätigen Nachwuchses, womit die Lebens-, Arbeitö- und Wehrfähigkeit deS künftigen Geschlechts ausS Engste verbunden ist. Die anderen Interessen müssen daher hier zurücktreten vor der Verpflichtung, den verheirateten Frauen, die in Fabriken, Werkstätten und im Bergbau arbeiten, jeden Schutz zu gewähren, der im Interesse der Familie notwen dig ist und zugleich ermöglicht, die Frau, die zur Bestreitung des Haushaltes je nach den Umständen in Fabriken arbeiten muß, in ihrer Erwerbsfähigkeit zu erhalten und stark zu machen. Von dem Umfange der fabrikmäßigen Frauenarbeit im deutschen Reiche giebt die letzte Berufszählung ein Bild, die über 166 000 in Bergbau und Hüttenwesen, Industrie und Bauwesen beschäftigte verheirathete Arbeiterinnen, unter einer Million weiblicher Industrie-Arbeiterinnen über haupt, verzeichnete. Die Meldungen, daß in Samoa neue Wirren ausgebrochen seien und daß unser Eolvnia lamt sich mit dem Gedanken befreunde, die deutschen Ansprüche auf die politische Herrschaft von Samoa gegen Coinpensationen überhaupt aufzugeben, lassen, wie schon berichtet, die „Freisinnige Zeitung" in den begeisterten Ruf auSbrechen: „Los von Samoa!" Die Art, wie dieser Standpunct in dem Organ des Herrn Richter begründet wird, ist die unverfälscht „dcutschfrei- sinnnige": sie hat das deutsche Interesse gar nicht, das englische Interesse in einem Umfange im Auge, der daS Entzücken jedes Briten erregen muß. Die „Freisinnige Ztg." schätzt demgemäß den materiellen Werth SamoaS für Deutschland als ganz belanglos ein und zieht den ideellen Werth, den Samoa wegen des dort vergossenen deutschen Blutes und in Rücksicht auf die internationale Machtstellung des Reiches wegen der letzten Vorkommnisse für Deutschland hat, gar nicht in Betracht. Auf diesem Wege gelangt die „Freisinnige Ztg." dahin, die Walfisch-Bai als ein ge nügendes Cvmpensationöobject für den Verzicht Deutsch lands auf Samoa zu bezeichnen. Die „Berl. N. N." haben diese Schätzung nur eines Scherzes gewürdigt, da aber die „Freis. Ztg." ganz offen sagt: „Für Eng land hat das Besitzverhältniß (der Walfisch-Bai) kaum noch eine praktische Bedeutung", so fordert diese Aus lassung eine ernstere Zurückweisung. DaS Organ deS Herrn Engen Richter muthct also England das Opfer eines wirk lichen CompensationSobjcctes gar nicht zu, sondern begnügt sich mit einer Gabe, die für England schlechterdings keinen praktischen Werth hat, und dies, nachdem wir in Swakop- mund eine Hafenanlage auSzuführen begonnen haben, die immerhin nennenSwerthe Geldopfer erfordert, dafür aber den Besitz der Walfisch-Bai für Deutschland vollkommen entbehrlich macht! Stellte sick die „Freisinnige Ztg." bei der Behandlung der Samoa-Frage auf den deutschen und nicht auf den englischen Sland- punct, so dürfte sie ferner nicht des Laugen und Breiten vorrechnen, weshalb England Zanzibar oder Neu- Guinea für Samoa nickt hergeben könnte. „England", so schreibt daö Organ Nichter's wörtlich, „muß Werth legen auf den Besitz von Zanzibar schon wegen des Rück halts für Uganda und auf Englisch-Neu-Guinea, um eine weitere Annäherung Deutschlands an das Festland von Australien zu verhindern." — Wir fragen: wie kommt ein deutsches Blatt dazu, auf solche Manier den Engländern die Weigerung, wirkliche Compcnsationsobjecte für Samoa herzugeben, zu erleichtern? Selbst vom rein kaufmännischen Standpunkte auS, vom nationalen Standpunkte einmal ganz abgesehen, muß man von einem deutschen Blatt verlangen, daß es der deutschen Negierung den Abschluß eines Geschäftes nicht durch Verkleinerung deS deutschen WerthobjecteS und gleichzeitige Vergrößerung englischer CompensationSobjecte verdirbt. Consequenz und Logik hätte die Methode der „Freisinnigen Ztg." allerdings dann, wenn sie den Eintausch werthlosen Colonialbesitzes in der Absicht befürwortete, späterhin den Verzicht auf letzteren zu em pfehlen, weil er werthloS sei. Wir bezweifeln daher auch nicht im Geringsten, daß der „Vorschlag zur Güte", den das „deutschfrcisinnige" Blatt im Interesse Englands macht, bei uns an maßgebender Stelle nur dem Achselzucken tiefer Geringschätzung begegnet. Als Unter st ützun g der an dieser Stelle gehegten Ansichten wird dagegen gewürdigt werden, was die „Älld. Bl." für den Fall, daß es zu einem Tausch geschäfte mit England kommen sollte, als Preis bezeichnet, unter den von deutscher Seite nicht herabgegangen werden dürfte: „Es würde für England kein zu großes Opfer sein, wenn es für die Ausgabe der deutschen Hoheitsrechte auf samoa an Deutschland die Inseln Zanzibar und Pemba, die Walfischbncht und das linke User des Volta in seinem Unterlauf (als Grenze von Togo) abtrelen und in eine Th ei lang des vorbehalleuen neutrale» Salagagebietes im Hinterlande von Togo derart willigen würde, daß dec rot he Volta die Grenze zwischen den beiderseitigen Be sitzungen bildet. Endlich müßte England an Deutschland daS linke Ufer Les Schire (AuSslnß des Nhassasees in den Zambesi) und das linke Ufer der Zain besimündung überlassen oder den englischen Theil der Insel Neuguinea. Die Abfindung der durch den Tausch oder durch frühere Ereignisse geschädigten Landsleute hätte jeder der beiden Vertragschließenden für seine Landsleute zu übernehmen, wobei für Deutschland unr Samoa, für England nur Zanzibar und das Schiregebiet in Frage kommt. Tie privatrechtlichen Ansprüche bleiben natürlich beiderseits für die beiderseitigen Unterthaneu Vor behalten. England hätte weiter gegenüber Deutschland auf jeden Einspruch zu verzichten gegen Abmachungen, die Deutschland mit dem Congostaat, mit Portugal und Spanien oder mit anderen in Afrika interessirteu Mächten in Bezug auf Grenz- berichtigungen oder Neuerwerbungen vornehmen wird." Zu dem Capitel: bonfesfioiicllc Mcichbrrcchtigung in Oesterreich schreibt die „Kirchl. Korrespondenz" des Evangelischen Bundes: Vor dem Erkenntnißsenate des Kreisgerichts Bozen in Tirol stand vor einigen Tagen der evangelische Pfarrer von Bozen Gries, Paul Lumnitzer, unter der Anklage der V e r - drei tung verbotener Druckschriften und der Uebertretung der Beleidigung einer gesetzlich an erkannten Kirche. Pastor Lumnitzer hatte gelegentlich eines in: Curhause in Gries Heuer aügehaltencn Gottesdienstes die Flugschriften „Deutsches Glaubensthum", „Die Wahrheit wird Euch frei machen!" und „Luther's Rcversionsbriefe vom Jahre 1520" vertheilen lasten. Der Inhalt der letzterwähnten, nun bald 400 Jahre alten lutherischen Schrift veranlaßte den Staatsanwalt, auf Grund einer Denunciakion, zur Erhebung der Anklage, und Pastor Lumnitzer wurde zu 115 Gulden Geldstrafe verurtheilt! — Bester erging es dagegen dem crzultra- montanen, verbissen fanatischen Blatt „Burggräfler". Dasselbe hatte vor einigen Monaten folgende Mittheilung gebracht: „Vor kurzer Zeit wurden einem hiesigen Müllermeister zwei werthvolle Taschenuhren entwendet. Der Bestohlene avisirle sofort die k. k. Gendarmerie, deren eifrigen Nachforschungen es auch gelang, in kurzer Zeit den Dieb einzufangen. Leider konnte ich" — so schreibt der Berichterstatter des „Burggräfler" weiter — „nicht in Erfahrung bringen, welchem Bekenntnisse der Mann an gehört, ich würde ihn als zum „Uebertritte" reif dem Berliner Generalsuperintendenten Faber und anderen protestantischen Propagandisten warm und für ihre Zwecke taug lich empfohlen haben." Diese unerhörte Beschimpfung der evangelischen Kirche durch ein ultramontanes Blatt passirte ohne Beschlagnahme die Censur derselben k. k. Behörde, welche bei einem weit geringfügigeren Anlaß mit einer schlechterdings nicht zu erklärenden Schärfe gegen einen evange lischen Geistlichen vorgeht — und doch ist die evangelische Kirche auf Grund der von der Krone beschworenen Verfassung in Oester reich also auch im heiligen „Lande der Glaubenseinheit", Tirol — sozusagen gleichberechtigt! Wie diese „Gleich berechtigung" allerdings in der Praxis österreichischer Behörden aussieht, davon geben dieser und andere Fälle ähnlicher Art (z. B. die Beschimpfungen Luther's und der evangelischen Kirche durch den römischen Priester Deckert) beredtes Zeugniß; ja es scheint, daß gegenüber der Neugründung einer evangelischen Gemeinde in diesem schwärzesten Winkel Tirols, Bozen- Gries, ebenso wie auch gegenüber dem mit Unterstützung der evangelischen Hilfsvereine geplanten Kirchenbau, die Ultra montanen jener Gegend in der k. k. Staatsanwaltschaft eine um so eifrigere Bundesgenossin besitzen. Man ist heute wieder auf unsichere Nachrichten und Ver- muthungen vom Kriegsschauplatz in Südafrika angewiesen. Der „Bert. Loc.-Anz." erhält folgende Meldung: * London, 27. October. Die Boeren beherrschen die Bahnstrecke Colenso-Ladysmith und wollen versuchen, die in und um Ladhsmith vereinigten, aber augenblicklich jeder größeren Anstrengung nicht gewachsenen Tnrppen der Generale Jule und White auch vom Meere abzuschneiden. So wird die Situation in den LeydS nahestehenden Kreisen dargestellt. Für die Nichtigkeit dieser Mittheilung scheint daS Aus bleiben aller Meldungen von Ladysmith über Durban zu sprechen. Der gleichen Quelle entnehmen wir folgende Nachricht: * Parts, 27. Oktober. Rach Len neuesten hier ringet» offenen telegraphischen Privatmelöunge«, die augenblicklich nicht zu cantroltren sind, aber aus ab solut zuverlässiger Quelle stammen, haben die Boeren Mafektng genommen. Ein solcher Schlag auf dem westlichen Kriegsschauplätze würde für die britischen Truppen nicht nur strategisch, sondern auch moralisch schwer ins Gewicht fallen. Die Londoner „St. IameS-Gazette" bespricht die Lage in Natal in sehr pessimistischem Sinne. Sie sagt, die Erfolge, wie die bei Glencoe und Elandslaagte (?), könnten nicht einer wesent lichen Schwäche der Lage daS Gleichgewicht halten. Die „Gazette" fürchtet, daß der Rückzug von Ladysmith seewärts nothwendig werden dürfte, da verschiedene Anzeichen vorhanden seien, daß Joubert eine Wiederholung des kreisförmigen Flankenmarsches als Nachahmung deS Ver suchs der deutschen Armee gegen die Franzosen bei Sedan vornehme. Zum Rückzug dürfte eS jetzt, nachdem Ladysmith vollständig cernirt ist, zu spät sein. Auch sonst herrscht in London eine sorgenvolle Stimmung, wie auS folgender Meldung hervorgeht: * Loudon» 27. October. Aus amtlichen Kreisen verlautet: Auf dem Kriegsministerium herrscht tiefe Niedergeschlagenheit. Auf freien Lahnen. 24s Roman von Rudolf von Gottschalk. NaStrnck verbvUn. Das Ende war traurig — ein Doppelselbstmord unter Trauerweiden, deren Geäst in das feuchte Grab des vorbei rauschenden Flusses herunterhing. „Warum lassen Sie die Menschen nicht glücklich werden?" sagte Valeska; sie war aufgestanden und an seine Seite getreten. Auch er erhob sich. „Es liegt zuviel zwischen ihnen und dem Glück!" „Zuviel? Nichts als die armselige Mutlosigkeit eines be schränkten Kopfes, der dem Herzen gebietet. Pflanzen, die am Spalier gezogen sind, bringen es nie zu freiem Wuchs und üppiger Fülle. Nicht blos dem wagenden Muth gehört das Glück, auch dom eisernen Trotz, der sich gegen das Hergebrachte auflehnt und vor Allem gehört es dem Augenblick, der, wie die Dichter so schön singen, niemals wiedertehrt." Sie stand neben ihm — ihre Nähe hatte etwas Berauschendes — «in würzhaftes Parfüm raubte ihm den Athem — doch rasch fand er sich wieder, noch ehe ihn der Rausch und Zauber der Leidenschaft gany zu ihrem Sclaven gemacht hatte. Sie sah ihn erstaunt an — er riß sich los, küßte ihre Hand und eilte hinaus, nachdem sie zögernd der mit den Garten schlüsseln ausgerüsteten Dienerin geklingelt. Draußen geleitete Mit« mit einer Laterne den Gast zum Gartenpförtchen. Da war's ihm, als ob der Schein derselben auf eine dunkle Gestatt falle, die sich in den welken raschelnden Blättern der Laube reg«, an welcher der Pfad vorbeiführte; ja er glaubte einen Fluch zu hören, der ihm selbst mit auf den Weg gegeben wurde. Doch die schlau« Mite legte den Finger auf den Mund und Timotheus zeigt« rasches Verständmß. Das war ein Liebes handel der Zofe, für den er Verschwiegenheit geloben sollte, und er beruhigte sic mit freundlichem Kopfnicken. Sechstes Capitel. Wiever ein Grogkränzchen bei Fräulein Doctor Mergenthin. Die Bowle stand auf dem Tische; einige Mädchen hatten sich ringefunden, doch die Gastgeberin fehlte. Was Ivar vorgefallcn? Man schenkte sich inzwischen die Gläser voll. Eulalia kam mit der Baronin, welch« in einer großen Aufregung war; sie erwartete hier Herrn Vagenow, der ihr eine wichtige Mittheilung machen wollte. Auch di« junge Lehrerin war aufgeregt; ihr langes Gesicht war geröthet wie ein von der Abendsonne beschienenes Kirchen fenster; man war das so wenig gewöhnt bei dieser zwerghaften Anstandsdame, daß sich bald ein kleiner, neugieriger Kreis um sie versammelte. „Ich stand mich immer aufs Beste mit meinen Collcgen", sagte sie, „mochte es Heuchelei sein — ich begnügte mich mit dem Aeußeren, nur Gott sieht ja das Innere. Ich weiß wohl, daß sie im Lchrerverein geharnischte Kriegserklärungen gegen uns er lassen und uns jeden Beruf für die Erziehung der Jugend ab sprechen; sie betrachten uns eben auch als minderwcrthige Menschen. Wir sind zwar auch für diese Herren der Schöpfung nicht ganz werthlos; doch was sie von uns wollen, hat mit dem Lehrerberuf nichts zu thun." „Ganz wie auf unseren Bureaus," sagte die Telegraphistin, „man würde vielleicht für uns schlvärmen, wenn wir nicht so unausstehliche Concurrentinnen wären. Gleichwohl find' ich bis' weilen eine Rose auf meinem Platze, doch ich rühre sie nicht an. Sie könnte ja vergiftet sein, wie dies bei den Medicis und Borgias Sitte war — «llaeum L son ^out." „Ich konnte", fuhr Eulalia fort, „bisher über die Galanterie meiner College» nicht klagen; ich bildete mir ein, daß meine über legene Bildung, da ich ja nicht wie sie blos die Seminarprüfung, sondern auch das Abiturientenexamen gemacht hatte, Ihnen ein wenig imponire." Bei divsen Worten wuchs Eulalia; man sah ihr an, daß sie sich in geistiger Hinsicht auf die Zehen gestellt hatte. „Doch heute bei der Confereuz — da war ein funkelnazel- nou«r Lehrer zugegen — ein Knirps, ich sag' Euch, man könnte ihn auf den Nipptisch stellen, doch er galt für ein Genie! Er hatte im Lehrerverein den Hauptvortrag gegen uns gehalten; er ist rin Terrorist wie der kleine St. Just aus der französischen Revolution, der so lange mit der Guillotine schäkerte, bis sie ihm selbst den Kopf abschlug; er hat so etwas Vorlautes, Naseweises, Siegesgewisscs, und diedser -<oup<.oir von einem Menschen beginnt in der Konferenz aus uns Mädchen anzuspielen; immer deutlicher: Ringel-Ringel-Rosenkranz können wir vielleicht den Kindern bei bringen, weiter nichts; wenn wir mehr sein wollten als Kinder gärtnerinnen, so wäre das eine Uoberhebung; auf Spielerei be ruhe unser ganzes Wesen, also auch unsere ganze Lehrmethode. Die anderen Herren vergaßen auf einmal zu heucheln — sie lächelten verstiindniß- innig. Da erhob ich mich und hielt eine fulminante oratio pro cloino; sie hätte mir im Frauenverein stürmischen Beifall ein getragen, hier begann der Knirps zu lachen. Einige stimmten mit ein; die Anderen sahen auf mich wie verblüffte Engländer auf die Jungfrau von Orleans. Der Vorsitzende Director aber mahnte, bei der Sache zu bleiben! Ich bin bei der Sache, rief ich entrüstet, packte meine Hefte und Bücher zusammen und verließ, obschon mich die Handarbeitslehrerin am Kleide zurückhalten wollte, das Conferenzzimmer. Das wird mir natürlich eine böse Note eintragen; doch ich werde dann an das Kultusministerium appel- liren; wir brauchen uns nicht beleidigen zu lassen." „Bravo!" rief die anatomische Zeichnerin, welche die Gläser vollgoß und in AblvsseNheit des Fräulein Doctor die Wirthin machte. „Das spielt wohl bei den Liliputanern", sagte Paulowna, die zwar als Gesellschafterin engagirt war, deren Abreise sich aber noch hinausgeschoben hatte, „da werden auch die Knirpse handgemein", und dabei streckte sie die Hand aus in einer Linie mit der Trschkante, um das Größenmaß für Eulalia damit zu be zeichnen. „Doch wo bleibt Fräulein Doctor?" sagte Hertha, „un pünktlich ist sie niemals, da muß ihr etwas zugestoßen sein." Man sprach darüber hin und her. „Irgend ein schwer erkrankter Patient", meinte die Baronin, „da darf der Arzt nicht desertiren!" Noch verging einig« Zeit, bis Fräulein Doctor Mergenthin erschien; sie hatte etwas Siegsgowistes in ihrem Wesen, grüßte wie vom Triumphwagen herab, schwang den großen Punschlöffel wie ein Schwert in ihrer Rechten, ehe sie sich das Glas damit vollschöpfte. „Prosit, meine Damen — ein herzhafter Schluck — den hab' ich mir wohlverdient." Mit fragenden Blicken umstanden Alle das Fräulein Doctor. welch« den Eindruck einer heldenhaften Walküre machte. „Entschuldigt, wenn ich zu spät komme! Ich hatte einen Conflict!" „Auch Du?" rief Herlha. „Wer denn sonst noch? Conflict« — das ist gerade meine Sache. Ihr kennt doch Alle den Doctor Strahmer, einen Ignoranten, der den Himmel mit seinen Patienten bevölkert. Eine arme Frau, die er übel zugerichtet hatte, war zu mir ge kommen und es hatte mir Mühe genug gemacht, sie wieder her- zustellrn. Ich gehe zum Instrumentenmacher, mir «in neues Stethoskop zu holen, da das meinige beschädigt ist. Wen treffe ich dort? Den guten Doctor Strahmer! Er kaufte, glaub' ich cineKlysticispritze.denn weiter erstrecken sich seine operativen Ein griffe nicht. Kaum hat er mich erblickt, so fährt er auf mich los, wie ein kläffender Köter, und bellt mich an, weil ich ihm seine Kunden abspenstig mache; ich stelle dies sehr höflich in Abrede. Ihr kennt ja mein« Höflichkeit, wenn es in mir kocht. Er war dadurch noch mehr gereizt; der rohe Froschscalpirer und Hunde marterer, der er zu lange Zeit als Famulus des physiologischen Professors war, kommt bei ihm zum Durchbruch: Er ergeht sich in Schmähungen, spricht von Kurpfuschereien — da sah ich ihn mir näher an. Ihr kennt ihn ja, der ganze Kopf eine Glatze vorn und hinten, nur vorn ist eine Nase hineingestülpt wie ein kleiner Prellstein. Da sagt« in mir eine orakelhafte Stimme mit visionärer Deutlichkeit: „das reine Ohrfeigengesicht", und ehe ich mir's versah, hakt« ich ihm eine Ohrfeige gegeben, daß der Instrumentenmacher, übrigens ein sehr unbequemer Zeuge, ver zweifelt die Hände rang. „Das sollen Sie mir büßen", sagte der Doctor wuthschna übend und rannte zur Thüre hinaus und ich konnte noch durch das Glasfenster scheu, wie er drüben aus dem Trottoir sich bei einer Vorstandsdame unseres Frauenvereins be schwerte, die gerade des Weges kam. Fräulein Sieler ist sehr resolut und wird sich gewiß bald hier cinfinden, um mich zur Rede zu stellen." „Du hast recht gethan", sagte Paulowna, welche für Gewalt acte sehr eingenommen war und diese Art der Frauenbewegung, bei welcher besonders die Arme in Thätigkeit sind, sehr be vorzugte. Hertha konnte einige Bedenken nicht unterdrücken; dagegen empfand Eulalia fast Reue darüber, daß sie dem beleidigenden Knirps nicht ebenso en«rgisch auf den Leib gerückt war. So ging das Gespräch hin und her, die Gläser wurden vollgeschenkt und geleert — und die Tabakswolken verdichteten sich um den runden Haupttisch. Da klopfte es. Fräulein Mergenthin hatte sich nicht geirrt; die Vorstandsdamc trat ein — es war dieselbe schöne und elegante Dame, deren feurige Beredtsamkcit in der letzten Frauen- vereinssthung selvst dem ketzerischen Baron ein Beifallszeichen abgezwungtn hatte. Bei ihrem Eintreten verstummte der Lärm; sie wurde sehr höflich begrüßt; man räumte ihr sogleich den Platz aus dem Sopha neben der Baronin ein; die Russin, für welch« diese Dame und der ganze Frauenverein Caviar war, erhob sich mißvergnügt und setzte sich, mit den Beinen schlenkernd, auf ihren Lieblingsplatz, auf den Tischrand. „Es hat mich sehr schmerzlich berührt", sagte Fräulein Sieler mit ihrer sonoren Stimme, „daß Sie, Fräulein Doctor, sich zu
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