02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-02-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000207024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-02
- Tag1900-02-07
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Die Morgru-AuSgabe erscheint nm '/,? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ledarüon un- Expedition: IohanniSgaffe 8. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Filialen: Akfre» Hahn vorm. v. Klemm'- Sortim. Universitätsstraße 3 (Paulinum,, LouiS Lösche, Katharinens». 14, Part, und Königsplatz 7. Bezug-.Prei- d» der Hauptexpedition oder de» im Stadt bezirk u»d dar Vororten errichteten Aus- aobeslellea abgeholt: vierteljährlich >44.50, vei zweimaliger täglicher Zustellung inS HanS >l 5.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland und Oesterreich: vierteliährlich 6.—. Direkte tägliche Kreuzbandsendung i»S Ausland: monatlich .6 7.50. Abend-Ausgabe. UchMerTagMM Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aatljes und Nolizei-ÄMtes der Stadt Leipzig. 69. Mittwoch den 7. Februar 1900. Auzeigerr-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 2V Psg. Reklame» unter demRedactionsstrich (4ge- spalte») 50-H, vor den Familiennachrichte» (6 gespalten) 40-H. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen. Ausgabe, ohne Postbefördernng 60.—, mit Postbesörderung X 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 9t. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. Februar. Wen» der Reichstag nicht bei der dritten Lesung der so genannten Isx Heinze den gestern in zweiter Lesung mit geringer Mehrheit gefaßten Beschluß auf Einfügung eines H 182a in das Strafgesetzbuch, der mit Gefängnißstrafe solche Arbeiter bedroht, die unter Mißbrauch des Arbeitsverhält- nifses ihre Arbeiterinnen zu unsittlichen Handlungen nöthigen, wieder umstößt, so wird nach der mit größter Bestimmtheit abgegebenen Erklärung des Staatssekretärs Oi. Nieberving die ganze Novelle für die verbündeten Regierungen unannehm bar. Man brauchte daher im jetzigen Stadium der Berathung kein Wort über den gestrigen Beschluß zu verlieren, wenn nicht eine Aeußerung deS socialdemokratischen Abg. Heine, der sich mit seinen FractionSgenossen besonders um daS Zustandekommen dieses Beschlusses bemühte» zu charak teristisch für die Sinnesart der Socialdemokratie wäre, um unerwähnt bleiben zu dürfen. Er erklärte, die Gefahr der Verführung durch den Arbeitgeber sei für die jungen Arbei terinnen sehr groß, die Gefahr der Denunciation aber sei nicht größer, als bei jedem anderen vom Strafgesetz be drohten Vergeben. Als cs sich aber um die Heraufsetzung der Altersgrenze für die Strafbarkeit der Verführung han delte, erklärte derselbe Abg. Heine nach dem Berichte deS „Vorwärts" u. A.: „Das Mädchen aus dem Proletariat hat, wie die Verhältnisse nun einmal liegen, viel mehr Ahnung vom Leben, als die höhere Tochter, und kann sich gegen einen Verführer besser schützen. Die Folge dieser Gesetzesänderung würde nur eine er- höhte Gelegenheit zu gegenseitiger Schikanirung zwischen ouseinandergegangenen Brautleuten der Arbeiterklasse sein." Wenn sich daS Arbeitermädchen sogar schon in dem jugendlichen Alter zwischen 16 und 18 Jahren gegen einen Verführer gut zu schützen weiß, so ist der Arbeitgeberparagraph gewiß nicht erforderlich. Und wenn die Erhöbung der Alters grenze die Gefahr von Schikanirungen in sich birgt, so ver steht eS sich von selbst, daß der Arbeitgeberparagraph erst recht eine derartige Gefahr enthält, denn der Reiz, einen Höherstehenden und Vorgesetzten in Verlegenheit zu bringen, ist größer, als die Neigung, einen Gleichstchenden zu schika- niren. Herr Heine will eben verhüten, daß Arbeiter einander schikanireu, ob aber Ehre und Freiheit eines Arbeit gebers gefährdet wird, ist ihm herzlich gleichgiltig. — Im preutzischen Abgcordnetenhause giebt eS keinen Social- demokraten, aber den Herrn DaSbach vom Eentrum, einen Geistes- und Gesinnungsverwandten der Umsturzpartei. Der Caplan DaSbach ist mehr als einmal bei Wahlen als Partei gegner der Socialdemokratie aufgetreten, in der MontagS- sitzung deS Abgeordnetenhauses hat er sich vollständig mit einem socialdemokratischen Redacteur identificirt, der wegen gewisser Beschuldigungen gegen eine Bergwerköverwaltung zu 500 .«L Geldstrafe verurtheilt wurde, nachdem sich berauSgestellt hatte, daß die Behauptung des Redacteurs falsch und daß daS Grubenunglück, das dieser der Grubenverwaltung zur Last gelegt, durch pflichtwidrige Handlungen von Arbeitern herbelgeführt worden war. Alle die durch ein Ge richt — dessen Vorsitzender noch dazu ein Anhänger des CentrumS gewesen — widerlegten Beschuldigungen hat der Caplan DaSbach dem Abgeordnetenhause vor gestern als Tbatsache erzählt, offenbar um den Eindruck deS gegen den socialdemokratischen Redacteur erbrachten UnwabryeitübeweiseS abzuschwächen; dem Abg. Dasbach kann man ja nicht an den Leib, er verleumdet unter dem Schutze der Immunität. Das Parlament ein Wiederbelebungs institut für gerichtlich abgethane Unwahrheiten — in der Tbat eine Bereicherung der Eigenschaften der Volksvertretung, die die im Schwinden begriffene Achtung vor dem Parlamen tarismus wieder restauriren muß! Die Hofsuung, daß die Leitung des Bundes der Landwirthe von der Fortsetzung der Antrigue» gegen das Zustandekommen eines Flottengcsctzes abstehen werde, hat sich bald als eitel erwiesen. Man erfährt jetzt, daß die Herren, ganz conform der Unwahrhaftigkeit und Zweideutigkeit, mit der sie ihren Preßfeldzug führen, außerhalb ihres Kreises Gegner der Flottenvorlagc zu werben suchen. Die „Germania" giebt darüber Aufschluß. Bevor wir die Enthüllung deS klerikalen Blattes wiedcrgcben, sei daran erinnert, daß auch der freisinnige Reichötagsabgeordneet Schmidt-Elberfeld auf das Centrum in der Marinevorlage einzuwirken versucht hat. Nur daß der Radicale oder, wie die Bundespresse sich auSdrücken würde, „der Mann vom Juden freisinn", der Flottenvorlage Anhänger zu gewinnen sucht. Den Muth, selbst für die Marine einzutrelen, besitzt er nicht, und Liese seine thatsächlich Positive und öffentlich negative Haltung ist gewiß nicht schön. Aber der freisinnige Ab geordnete führt doch wenigstens, indem er im Stillen für die Flottenvorlage wirkt, nicht Kaiser, König und Vaterland nur im Munde, wie die Agrarier thun, was sie nickt abhält, um gekehrt zu verfahren und Minen gegen die deutsche Seewehr zu legen. Die „Germania" schreibt, nachdem sie sich über eine agrarische Berufung auf eine staatsmännische Autorität mit Recht lustig gemacht, das Folgende: „Inzwischen aber bekunden die Herren conjervativen Reichstags abgeordneten, welche der „DeutschenTageszeitung" mehr oder weniger nahe stehen, selbst eine eigenartige „staatsmännische" oder vielmehr zweideutige Haltung zur Flottennovelle. Es sind nämlich Mitglieder der konservativen Partei, insbesondere solche, welche im Bunde der Landwirthe eine große Rolle spielen, in den letzten Tagen an Mitglieder des Centrums heran getreten mit der Empfehlung, gegenüber der Flottenvorlage fest zu bleibe» und das Gesetz unter allen Umständen ab- zulchncn. Das Zustandekommen des Gesetzes soll, nach Ansicht dieser Herren, eine schwere Schädigung der Landwirthschaft, eine Förderung Les Industriestaates, Vermehrung des Arbritermangels bedeuten, und schließlich werde die Landwirthschaft auch noch die Kosten tragen muffen. Sonderbar ist nur,daß die betreffenden Herren nichtdie guten Ermahnungen für sich selbst anwenden, sondern gerade das Centrum bestimmen wollen, die Vorlage ohne Weiteres abzulehnen, während sie selbst Alles bewilligen und als Flotten-Patrioten in glänzen- dem Lichte strahlen wollen. Das Centrum soll den Herren die Kastanien aus dem Feuer holen, damit sie nachher bei den eventuellen Neuwahlen zum Reichstag mit der Unterstützung des ganzen Regierungsapparates als Flottenfreunde gute Geschäfte machen können. Wenn es Len Herren vom Bund der Landwirthe ernstlich darum zu thun wäre, die Landwirthschaft vor dem Gesetz zu bewahren, so hätten sie die Möglichkeit dazu ohne Weiteres in der Hand, da sie mit Len Freisinnigen, Social demokraten, Elsässern und Polen im Reichstage über eine große Mehrheit verfügen. Die Politik der Conservativen scheint jedoch jetzt dahin zu gehen, die Regelung der Deckungsfrage zu verhindern, um entweder auf diese Weise die Heranziehung der leistungsfähigen Schultern und der Interessenten zu vereiteln und die ganze Steuerlast auch ferner durch Erhöhung von Bier- und Tabaksteuern auf die breite Masse, auf die Arbeiter, Bauern und Handwerker zu wälzen oder das Gesetz ganz unmöglich zu machen, ohne Laß sie selbst offen als Gegner hcrvorzutreten brauchen. Dieses Vorgehen erinnert an einen ähnlichen Fall, welcher sich im Frühjahr 1899 anläßlich der Militärnovelle ereignete. Auch damals trat eine hochgestellte Person, Mitglied der conservativen Partei, welche sich des Vertrauens der Allerhöchsten Kreise erfreut, an Mitglieder deS Centrums heran, um solche zum Festhalten an dem Ab- strich von 7000 Mann zu ermuthigen, während die konservative Partei geschlossen für volle Bewilligung eintrat. Solche Zweideutigkeiten verdienen entschiedene Verurteilung. Wer gegen eine Sache hetzt, sollte auch Len Muth haben, selbst dagegen auszutreten und nicht vor der Öffentlichkeit und nach oben seine nationale Gesinnung zur Schau tragen, während er im Geheimen gegen die Vorlage arbeitet, sonst könnte es sür die Folge doch vorkommen, daß ihm die heuchlerische Maske des Patrioten vom Gesicht ge rissen und er in seiner nackten Wirklichkeit vorgestellt würde." Wir geben sonst nicht allzuviel auf Behauptungen deS ultramontanen Blattes; in diesem Falle aber darf man über zeugt sein, daß eS, ohne im Besitze vollgültiger Beweise zu sein, so schwere Beschuldigungen nicht erheben würde. Also die Bundesleitung „hetzt" geben die Flottenvorlaze. Die Verantwortung aber trägt, wie wir schon bervorgehoben, die conservative Fraction. Denn die „Hetze" bleibt nicht etwa nur den Affiliirten überlassen, es sind „Mitglieder" dieser Fraction, die die Hetze in den Reiben einer anderen Partei betreiben, mit der die preußischen Conservaliven zwar gern gegen die geistige Freiheit sich verbinden, die ihre Organe aber geradeso wie die nationalliberalen als vom Standpuncte der KönigStreueverdächtig binzustellen gewohnt sind. Für die sächsi schen Conservativen muß eS ein angenehmes Gefübl sein, ihre Parteigenossen, denen sie eben noch bei der Hohcnlvhehetze durch Dick und Dünn gefolgt sind, als Agenten kennen zu lernen, die sich im Centrumslagcr umhertreiben, um das dort sporadisch aufkeimende nationale Bewußtsein und parlamen tarische Verantwortungsgefühl zu zertreten. Die Conser vativen — nalabene die Conservativen ohne Hammerstein und Stöcker —, denen „die heuchlerische MaSke des Patrio tismus" durch ein ultramontanes Blatt vom Gesicht gerissen wird: was ein Wedell-Malchow, ein Minnigerode, ein Klemm zu diesem Bilde sagen würden! Die „Deutsche Tagesztg." wird natürlich erklären, ihre Auftraggeber hätten dem Centrum nur „Stimmungsbilder aus den Kreisen der Landwirthschaft" vermitteln wollen. Wie wir eS von vornherein als selbstverständlich bezeichneten, bat die englische Adreßdebatte im englischen Unter hause mit einem vollen TicgcChambcrlain'S und der Regierung geendet, deren 8piritn8 rcwtor er unbestritten ist. Das Amende ment Fitzmaurice's zur Adresse, welches daS Bedauern des Hauses über den Mangel an Sachkenntniß, Voraussicht und Urtbeilskraft auSdrücken sollte, den daS Cabinel an den Tag gelegt habe, sowohl bei der Führung der südafrikanischen Angelegenheiten seit dem Jahre 1895, als in den Vorbereitungen zu dem jetzigen Kriege, ist gestern mit einer Mehrheit von 213 Stimmen (359 gegen 139) verworfen worden. Es fehlte blos noch, daß der Negierung und dem 8piritu8 reetor, dem Macher deS südafrikanischen Krieges, Chamberlain, in aller Form das Vertrauen votirt wurde. Wer die Volksstimmung in England auch nur flüchtig beobachtet hat, konnte einen anderen Gang der Debatte gar nicht voraussehen, denn darin, daß der Krieg bis zum Ende durchgesübrt werde, sind alle, die Ministeriellen wie die Opposition vollständig, und darin, daß England siezen müsse, die Meisten einig. Chamber lain brauchte also nur den Mund recht voll zu nehmen und an den britischen Chauvinismus mit einigen kräftigen Phrasen zu appelliren und er durfte seiner Sache sicher sein. Seine vorgestrige Rede wird denn auch von Blättern aller Parteischattirungen von der ultra - conservativen „Morning Post" bis hinüber zum radicalen „Daily Chro- nicle" als Inbegriff staatsmännischer Weisheit und Energie gepriesen. Die Opposition streicht vor seiner Beredtsamkeit völlig die Segel und das Cabinet kann, ohne im Geringsten für seinen Fortbestand fürchten zu müssen, seine bisherige Politik der großen Worte und der kleinen Thaten fortsetzen. Wenigstens, bis auch daS englische Volk einmal eingeseheu baden wird, daß die großen Fragen der Geschichte nicht durch Rede» und Mebrheitsbefchlüsse entschieden werden, sondern durch Blut und Eisen, und daß die schneidigsten Minister reden belanglos sind für die Größe England-, so lange seine Generale daS Schwert nicht besser zu führen wissen. Es war interessant zu beobachten, wie die Opposition, nachdem sie mit einem wahren 1'uror g6rwamcu8 begonnen hatte, immer kleiner und kleiner wurde. Anfangs wurde der Schein, daß man die Regierung stürzen wolle, während mau den tapferen, aber unglücklichen Heerführern Schonung zu sagte, noch so ziemlich gewahrt, dann aber, nachdem der Sekretär des KriegSamteS Wyndham gesprochen und seine 180 000 Mann englischen Truppen inS Feld geführt hatte, kam die versöhnliche Versicherung, daß man auch die Männer der Regierung weiter unterstützen wolle, und endlich nach Chamberlain's Philippika sprach der Liberale ASquitt das elastische Wort aus: „Wenn die Opposition nicht diese Debatte hervorgerufen hätte, so würde sie sich eines Verzichtes auf die Functionen einer Opposition schuldig gemacht haben", d. h. „Entschuldigen Sie, Herr Chamberlain, daß wir einige Kritik an Ihrem Verhalten und an dem Ihrer Herren College» geübt haben, wir meinen es ja gar nicht so schlimm, im Grunde genommen ziehen wir mit Ihnen an demselben Strang, aber da wir nun ein mal die Opposition sind, mußten wir doch auch opponiren! Sie verstehen uns doch nun?" Wie weit bei dem Zusammcaknicken der Opposition die Absicht mitgesprocken hat, die gegenwärtigen Minister die Verantwortung für die prekäre Situation bis zu Ende tragen zu lassen, läßt sich nicht sagen, jedenfalls war sie für einen Theil der Liberaicn der leitende Gedanke, während der andere vor dem Dogma: „Der endliche Erfolg gehört doch Englanddie Segel strich. Der Krieg in Südafrika. l» Vor dem Tugela hat sich wiedereinmal ein undurch dringlicher Schleier zusammengezogen. Man ist in England diesen Zustand der gänzlichen Nachrichtenstockung bereits ge wöhnt und hat ihm auch schon einen Namen beigelegt, man nennt ihn Ido Luller Uv?ter^. WaS ist nun das neue Geheimniß deS Generals Buller? Die Meldungen, daß er in der Nacht zum vorigen Freitag den Tugela mit seinem ganzen Train wieder überschritten habe, mit den Boeren im Kampfe liege und sich den Weg nach Ladysmith gesichert habe, hat daS osficiöse „Bureau Reuters" alsbald als eitel Reporterphantasien erklärt. Trau, schau, wem? fragen wir mit der „Köln. Ztg." und antworten mit ihr: Sicherlich nicht den osficiösen britischen Kriegsberichten. DaS gilt auch in England bereits als Erfahrungssatz, und deshalb hält man trotz aller Ab leugnungen vorläufig an der Ansicht fest, daß am Tugela wieder etwas im Werke sei. Nachdem sich aber Buller s Versprechen, seine Leute am Montag in Ladysmith einziehen zu lasten, nicht bestätigt hat, ist es bei dem Mangel jeglicher zuverlässigen Nachricht unmöglich, auch nur mit annähernder Wahrscheinlichkeit zu sagen, ob General Buller abermals eine weitauSholende Bewegung von Westen her plant, ob er nördlich von PotgieterS Drift anzugreifen gedenkt, oder endlich, ob er, gestützt auf die Zuversicht, daß die Besatzung von Lady smith sich noch weiter halten kann, damit rechnet, daß der Vormarsch der Briten im Norden der Cap- FerrrHeton. zu Die ganze Hand. Roman von Hans Hopfen. , Nachdruck verbeltli. Ihr Lieblingsplatz, wo sie alle Tage verweilen mochte, war am Achterbord. Von da sah man weit zurück, wie das Schiff eine breite, glänzende, strudelnde Bahn hinter sich legte, gleich einer bewegten Furche von Silber und Diamanten. Sie ward nicht müde, darauf hinzublicken und die Augen anzustrengen, wie wenn da ganz weit unten am Horizont etwas auftauchen müßte, ctwaK, das aus der Heimath sie verfolgte, um sie einzuholen mit Enterhaken und Hurrahgeschrei. Hier war sie zu finden, wenn der Wind so lau und doch so rauh über's Verdeck blies, wie wenn kein Lüftchen und kaum eine Welle auf der ungeheuren Fläche sich regte und sie dahin dampften wie unter einer riesigen Glasglocke, die alle Sonnen strahlen auf sich sammelte und olle Hitze zusammenhielt, als ob sie schmoren sollte. Aber Abends war es hier schön und des Nachts noch schöner, wenn ein Sternbild nach dem anderen auf dem dunklen Firma ment erblinkte, Sternbilder, wie sie sie nie gesehen zu haben glaubte. Manchmal kam der glückliche Gatte und strich der sinnenden Frau mit sanften Fingern über's Haar: „Woran denkst Du, mein Liebling?" ,-An meines Vaters Grab", sagte sie, „an die liebe Heimath und an Alles, was ich dort gelassen habe." Und unter seinem merkwürdigen Schnurrbart, der die schmalen Lippen ganz frei ließ, zuckte es mitleidig und gütig, wenn er zu antworten pflegte: „Dein armer Vater ruht in Frieden, und das Beste, was die Heimath besaß, nimmst Du ja mit Dir fort, Dich selbst. Und dort" — er wies in die Richtung des Dampfers — „winkt Dir eine neue, eine herrliche Heimath. Glaulb's." -Lick glaub' es", sagte sie und drückte dem Gütigen und Ge duldigen dankbar und doch so kalt die Hand. Manchmal, in den Stunden, wo sie wußte, daß sie Niemand stören würde, zog sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier ans dem Kleide, strich es glatt und las es und wiederholte halblau! I vor sich hin: „Ich kann nicht anders. Lebe wohl!" Und wieder spähte sie zurück über den tanzenden Demant schaum des Kielwassers, ob kein Schiff in Sicht käme, das mit des fliegenden Holländers Geschwindigkeit sie zu fangen auf tauchte. Und, wie wenn's ein Lied wäre, tönte cs dann von ihren Lippen: „Liebster, warum kommst Du denn nicht? Warum rufst Du denn nicht? Es ist gar kein Grund zum Meiden. Gewiß nicht . . . und ich sehne mich sehr nach Dir." Eines Abends, da sie auch so saß — man hatte am Nach mittag im eifrigen Gespräch mit dem Capitän die wenigen Tage berechnet, die die Fahrt noch dauern würde und wie sich die Landung gestalten möchte —, da spielte sie auch mit dem Briefe, der sonst an ihrem Busen sein Plätzchen hatte. Und es geschah mit halbem Willen, daß es aus ihren Fingern glitt, der mäßige Wind es mit sich nahm und auf den silbernen Fahrstreifen fallen ließ. Da lag's und schaukelte sich und sog Wasser ein und die Wellchen schlugen darüber hin. Nanda war aufgestanden und reckte sich hoch, mit der Hand die Augen vor der Sonne deckend. Da sah sic's nicht mehr. Sie lächelte sanft dazu und wiederholte nur leise: „Lebe wohl, ich kann nicht anders." An einem der nächsten Abende hatten die Herren wieder sehr eifrig ihre Meinungen über die Dauer der Fahrt, über die See, wo sie fuhren, und die Chancen des Wetters ausgetauscht. Man sprach nun schon von nichts Anderem mehr, als vom Auftauchen der amerikanischen Küste und dem Glück der Landung. Eine sehnsüchtige Ungeduld loderte in allen Herzen und Augen, auch in denen der sonst so gelassenen Seeleute von Beruf, auch in den Augen der schönen Königin des Schiffes, aber sie waren nicht dahin gewandt, wohin die Anderen blickten, nein, dorthin, wohin das Funkelband im verlassenen Wasser wies, rückwärts. Der Minister machte mit seinem Adjutanten und einem Officier des Schiffes einen Spaziergang, so lang das Verdeck war, immer auf der einen Seite hinauf und auf der anderen hinunter und so wieder zurück. Man hörte ihr Geplauder näher und näher kommen und sich wieder entfernen und sich wieder nahen und sich wieder abdämpfen, immerzu. Nanda war hinabgestiegen ins untere Verdeck. Sie sah sich um, als ob sie zum ersten Male hier wäre, klopfte an die Schiffs glocke mit dem Finger, dem ein Glied fehlte, als wollte sie am Metall abfühlen, wie's klänge, das doch auf so leise Forderung eine Antwort gab, betastete die Taue, die zusammengerollt in dicken Kränzen lagen, und erkundigte sich bei einem Matrosen, der sich zwischen allerhand Gerätschaften hier zu schaffen machte, um die gleichgiltigsten Dinge von der Fahrt und doch mit ernster, wißbegieriger Miene. „Was machst Du da, mein Kind?" fragte plötzlich von oben her auf Deutsch der General nicht ohne Besorgniß, während er sich über's Geländer des höher» Verdecks beugte, um nach dem unteren zu schauen. „Ich sehe mir Alles noch einmal an zum Abschied. Die lange Fahrt ist doch bald zu Ende", versetzte sie, von unten nach oben blickend und lächelnd. Der General nickte ihr zu und fragte: „Geht Dir's auch wohl?" „Leicht und frei!" antwortete sie hinauf. „Und Dir?" „Wunderbar!" rief der General, und sein Angesicht leuchtete wie verklärt auf die schöne Frau herab. „Gott mit Dir und Gott mit uns!" sagte sie und dachte oabei wohl an den Namen, dessen Uebersehung diesen Sinn gab. Er warf ihr auf den Fingerspitzen einen Kuß zu und sagte auf Französisch: „Du bist ein Engel." „Noch nicht!" antwortete sie in derselben Sprache. Nun setzte er wieder seinen Marsch an Bord mit den beiden Herren fort und rauchte dazu eine Cigarette nach der anderen in angeregtem Gespräch. Nanda stieg über die Taugewinde weg bis an den Rand des Verdeckes, setzte sich darauf und blickte, den Oberkörper seitwärts wendend, auf den geliebten Silberstreif, der in der Abendsonne Funken sprühte. Scharf und dunkel hob sich die schlanke Gestalt vom blauen Himmel ab. „Geben Sie Acht, Excellenz", rief der braune Bursche, der, zu Boden gebückt, mit beiden halbnackten, blautätowirten Armen sein Handwerkszeug zusammenpackte und sich darüber nach der waghalsigen Schönheit umsah, die wie im Abendgold zu schweben schien. „Sorgen Sie sich nicht um mich", klang's zurück, und der Matrose bat wegen seiner Kühnheit um Entschuldigung, bei sich aber dachte er nur: „Wie schön die Frau ist." Bals darauf aber, als er, ohne noch einmal umzusehen mit seinen Geräthschaften auf der Schulter, sich nach dem Zwischendeck begeben wollte, war's ihm, als hörte er ein unbekanntes Wort laut ausrufen. Er hätte später darauf schwören mögen, daß es ein Name, so etwas wie: Inununuele! gewesen wäre. Und gleich darauf klatschte es von der See herauf, nicht anders, als wenn man einen Gegenstand von Centnerschwere hätte hinein fallen lassen. Er blickte sich jäh um. Wo war die schöne Excellenzfrau hin gekommen? Er warf sein Werkzeug weg. Er hastete ans Bord geländer vor. Er sah nichts. Die Angst kroch ihm inS Genick, daß seine Haare sich sträubten. Und nun schrie er aus Leibes kräften, daß alle Mann zusammenliefen. Der General kam in Hast herbei. Er hörte schaudernd, was der Matrose meldete. Da habe er die holde Frau vor Minuten noch sitzen und sich hin- und herwiegen sehen, neugierig und ver gnügt, und mit einem Male war sie weg. Der General krallte seine Finger in das rauhe Hemd de» Burschen, aus dem das Entsetzen sprach, während Andere da» Schiff in allen Kajüten und Winkeln nach der Vermißten durch suchten und der Capitän stoppte und zwei Boote aussetzen ließ, freilich mH geringer Hoffnung, doch mit allem Eifer nach der Versunkenen zu suchen. Don Pedro wollte Alles noch einmal wissen, aufs Genaueste wissen. Was half's! Mit dem Namen Immanuele, den der Matrose gehört zu haben versicherte, konnte er nichts anfangen. Kein Mensch in der Verwandtschaft, Freund- und Bekanntschaft seiner Frau — und er hatte sie doch Alle kennen gelernt oder von ihnen sagen hören — führte diesen Namen. Es war ihm sonnenklar, daß sie irgend ein anderes deutsches Wort gerufen, was der arme Teufel natürlich nicht ver standen habe. Wahrscheinlich „Ich falle — helft!" Der Schiffs mann, dem dies fremd war, hatte nur die Vocale deutlich gehört und das Andere naiv ergänzt, im guten Glauben, es auch gehört zu haben. Natürlich suchten sie stundenlang mit allem Bemühen. Der General versprach ein Vermögen, wenn man die geliebte Frau fände, lebendig oder todt. Sie fanden nichts. Ein undurch dringliches, silberglänzendes Bahrtuch zog das Kielwasser unab sehbar weithin über die Versunkene. Dann kam die Nacht und deckte Alles zu, und Niemand weiß, wohin sie schwamm, die schöne Leiche. * » * Mehrere Tage später — denn erst in Amerika gelandet, konnte man dem Kabel Depeschen übergeben — ward in Berlin der jähe Tod der schönen Generalin bekannt, die einer so glänzenden Zu-
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