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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 23.06.1900
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-23
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000623017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900062301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900062301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
- Monat1900-06
- Tag1900-06-23
- Monat1900-06
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Der Papst erschöpft sich in Aufmerksamkeiten für das Land und seine Pilger, er drückt gefällig beide Angen zu, wenn an der geheiligten Stätte der Romkirche französische Priester deutsche katholische Diener des Herrn und andächtige deutsche Frauen beschimpfen und mißhandeln, er bereitet den Bestrebungen deutscher, klerikaler deutscher Katholiken, dem Franzosenthnme im geistlichen BilvungSwesen deS deutschen Elsaß Schranken zu ziehen, diplomatische Schwierigkeiten aller Art, er hat bis zur Stunde die Ansprüche Frankreichs, die deutschen Katholiken im Orient als Protektor zu beeinflussen, begünstigt, kurz — die Beispiele ließen sich inS Unendliche vermehren — der Papst bat da» größte Wohlgefallen an Frankreich und dem fran zösischen Volke. Man sollte meinen, diese Vorliebe deS vorgeblichen Statthalters Dessen, der da sagte: „Mein Reich ist nickt von dieser Welt", könne nur einem be sonders religiösen, natürlich römisch-religiösen Volke gelten. Wie e» damit, wie eS mit der Innerlichkeit gerade deS französischen KatholicismuS in Wirklichkeit bestellt ist, weiß man unter den Evangelischen Deutschlands. Es verlohnt sich aber der Mühe, auch in katholischen Augen das Erstaunen über dies Vorzugskind deö Papstes zu lesen. Zu Pfingsten bat in Paris ein „Oongrös intornutionnl ckos oovrvg cutiioli- guos" (es sollte ein socialer Weltkongreß sein) staitgefunden. Das hätte nach den Worten socialer Selbstberühmung, in denen sich Rom gefällt, zu urtbeilen, eine großartige Ver anstaltung werden müssen. Es war nichtig, so nichtig, daß die führenden deutsch-ultramontanen Blätter, die „Kölnische Volkszeitung- und die „Germania", gar nicht ernstlich darüber zu berichten wagten. Andere klerikale Zeitungen, solche „zweiten Ranges", wie der „Reichsbote" sich ausdrückt, refenrten verlegen. Ihr Gewährsmann war aber ehrlich genug, seinem katholischen Herzen über daS religiöse Leben in Frankreich Luft zu machen und sogar zwischen Berlin und Paris einen Vergleich zu ziehen, der sehr zu Gunsten der protestantischen deutschen Ketzerstadt ausfällt. Er schreibt: „Hohe» Pfingstfest und katholischer Weltkongreß in einerDzu 90 Procent katholische» Stadt — das Herz geht Einem auf, wenn man die Worte aus der Ferne hört. Und doch, da ich mitten drin stehe, versetzte ich mich heute früh nach dem protestantischen Berlin, um wenigstens einigermaßen in Psingststimmung zu kommen. Dort in der Stadt deS protestantischen Nordens ist heute Alles mit frischem Kalmus und Birken (Maien) geschmückt; jede Gemüsefrau hat ihren Strauß, jeder Hundewagen ist mit einem grünen Zweig versehen und den Inhabern sieht man es an dem Gesichte an, wie sie beeilt sind, den Staub der Alltäglichkeit möglichst schnell loS zu werden, um auch ihr Theil von dem herrlichen Feste zu bekommen. Und hier im katholischen Paris?" Die Schilderung deS Berliner Straßenbildes am Vor abend des Pfingstfestes ist zutreffend. In Paris fand es der klerikale Berichterstatter fehr viel anders. Aber daS eigentlich Kirchliche enttäuscht ihn noch viel mehr. Er geht am Pfingst sonntag in die Hauptkirche der Stadt, in die Notre Dame, wo der Erzbischof einen feierlichen Gottesdienst abhalten wird, und der Besuch entreißt ihm folgende Klage: „Als ich die Kirche zu Gesicht bekam, sah ich verhältnißmäßig sehr viele Menschen sich vor dem Eingang drängen, ein ganz un. gewohnter Anblick hier in Paris. Ich wollte schon mit aller Eile auch vorgehen, als mir einfiel, auch die anderen Eingänge zu con- troliren. Aber siehe da: Von de» sechs mächtigen Eingangsthiiren war überhaupt nur eine einzige geöffnet, und unter den Eintretenden waren offenbar sehr viele, die weder des Gottesdienstes, noch deS Katholikcncongresses wegen da waren. DaS gewaltige Hauptschiff, welches, wie in allen hiesigen Kirchen, durch ein starke« Holzgitter eingefriedigt und mit Stufen bestellt ist, war noch fast ganz leer; ich zählte nur etwa 60—70 Anwesende, offenbar meistens Fremde. Ich ging weiter durch den Lhorumgaug zur Sakristei, wo sich eine dichte Reihe von Zuschauern gebildet hatte, welche die eintretenden Geistlichen musterten. Von einem Kirchenwächter erfuhr ich endlich, daß der Gottesdienst um 10 Uhr beginne, und ich ging für 15 Centimes in den abgesperrten Thril deS Chor- Umganges, gerade gegenüber dem bischöflichen Thron. Von den 6—7 Reihen Stühlen waren nur einig« brsetz«, und ich bekam auch einen sehr günstigen Platz. Im Ganz«» mochten hier vielleicht 30—40 Leute sein. Rund Hundert Menschen waren also am Pfingstsonntag im Hauptgotterdienst der Notre-Dame in Paris, der zuglrich den SröffnungSgottrSdienst d«S „katholischen Weltkongresses" darstellte. Davon waren aber die meisten noch Fremd«, vielleicht nicht einmal Katholiken, di« die Kirche in Augenschein nehme« oder die an diesem Tage in ihre» Prachtg«wänd«rn omtirenden Priester, in erster Linie drn Cardinal-Erzbischof, sehen wollten!" Wie die Frequenz, man liest «» zwischen den Zeilen, mißfällt dem Berichterstatter der Gottesdienst höchlich. Er sagt e» nicht grrade heran», aber er vermißt Maß, Ernst und Würde. Dann kommt er wieder auf den Nichtbesuch zurück und jammert über da» frühzeitige Ver lassen der Kirche: „Al» ich mich nach der Eommunion umwandte, sah ich, daß von den Zuhörern, welche zrit- weilia ziemlich alle Plätze um drn Chor inne hatten, etwa di, Hälfte schon wieder verschwunden war." Da» ist de- zeichnend. Wie der „Reich»bote" in EriunerunA bringt, muß jeder Katholik bei Vermeidung einer Todsünde Sonntag« eine Messe hören. Nach casuistischer Moral genügt aber die Gegen wart während der drei Haupttheile, bi» nach der Communion. Da« haben die Pariser „Frommen" sich soaar an Pfingsten zu Nutze gemacht. Der Berichterstatter schließt: „Dir« ist die Grundlage, auf welcher morgen — Pfingstmontag ist kein kirchlicher F«i«rtog in Pari» — die Arbeit deS Inter nationalen CongrrssrS beginnen soll. Man sieht, mit drn Begriffen Von unser«« dintschea Katholikentag«« kann man hier nicht r«chn«n." Und dennoch sind die Franzosen und Pariser daS Lieb- lingSvolk deS PapsteS, das er gerate auf Kosten seiner deutschen Gläubigen verhätschelt und dies sogar, obwohl — und hierin ist Rom sonst empfindlich — Frankreich neuerdings mit dem PeterSpfennig zurückhält. Wir haben nur einige Ver- gleichungSpuncte für die Behandlung des einen und des anderen Volkes herausgegriffen. Man könnte Schwer wiegenderes anführen und z. B. daran erinnern, daß der Papst au den Bemühungen Frankreichs, den zur Verwirk lichung der Revancke bestimmten Bund mit dem sckiümatischen Rußland herbeizuführen, in hervorragendem Maße betbeiligt gewesen ist, natürlich ohne daß es ihm entgangen wäre, daß unter einem unglücklichen Kriege Deutschlands auch die deutschen Katholiken leiden müßten. Rom ist eben eine rein politisch verfahrende Macht, und zu Macktzwecken — namentlich gegen daS stets verdächtige Germancnlhum — lasten sich auck die nicht religiösen und unkirchlichen Franzosen, wenn man ihnen nur Weltliches bietet, gebrauche». Die Pariser gingen am Pfingstsonntag nicht in die Kirche, aber sie wählten um jene Zeit einen politisck-ultramontanen Gemcinderath. Wir zweifeln nicht, Leo XIII. ist mit ihnen zufriedener als mit deutschen Katholiken, die mit religiöser Empfindung ibre kircklicheu Pflichten erfülle», aber einen politischen Gegner deS Herrn FuSangel wählen. Die Wirren in China. -p. ES wird nachgerade bedenklich, daß noch immer keine authentischen Nachrichten vorliegen, weder über das Schicksal der in Peking ein geschlossenen Fremden, noch über das der Colonne Seymour's, welche nach Peking vorgeschickt war, noch über das der deutschen Abtheilung, welche gleichfalls dorthin auf dem Wege ist. Es wird heute wieder nur berichtet: * Paris, 22. Jnni. (Telegramm.) Im Ministe rium deS Aentzcren sind in der vergangenen Nacht keine Nachrichten aus Ehtua eiugegangeu. Ebenso wie die Vorgänge in Peking, flößen je länger desto mehr die in Tientsin große Besorgniß ein. Man übermittelt unS folgende kurze, aber inhaltschwere Meldung: * Shanghai, 22. Juni. (Telegramm,) Kiner Meldung aus Tientsin zufolge bomba rdireu reguläre chinesische Truppe» Sie StaSt. Tie dortige Lage ist sehr kritisch. Kommandant Laus ist Weder getödtet noch ernstlich verwundet. DaS stebt nun fest. Die „Weseler Zeitung" meldet: Weseler Verwandte deS Eommandanten des „Iltis", Lans, erhielten heute folgende Depesche aus Tschifu vom 3l. d. M. 7 Uhr lO Miu. Nachmittags: „Befinden gut. Wilhelm." Die Action Japans wird immer umfangreicher und eingreifender; aber wie man vorläufig annchmcn muß, mit Wissen und Willen der andern Mächte. Es wird uns berichtet: * London, 22. Juni. (Telegramm.) „Daily Mail" meldet auS Uokohama vom 21. d. M.: Es sind 15 Transport schiffe gechartert worden. Vier Kriegsschiffe gehen nach China ab, 12 andere stehen in Bereitschaft. Diese sollen wahr scheinlich mit Rücksicht auf ihre Lage gegenüber Folien nach Formosa gesandt werden. Im Ganzen werden 18 Kriegs schiffe mobilisirt. * Yokohama, 22. Juni. (Telegramm.) 22 Schiffe deS stehenden Geschwaders sind in Sajcho versammelt. Wahr scheinlich werden noch mehr Kriegsschiffe nach China gesandt. („Reuter's Bureau".) Tic Bereinigten Staaten. Gerüchtweise verlautet in Washington, die Regierung sei unzufrieden damit, daß Admiral Kempf sich an dem Angriffe auf die TakufortS nicht betbeiligt hat. Admiral Kemps war ursprünglich angewiesen worden, mit den übrigen Mächten gemeinsam zu handeln, so weit der Schutz der amerikanischen Interessen eS verlange, aber ein politisches Bündniß zu vermeiden. Später ersuchte Kempf um besondere Anweisungen in Betreff TakuS, erhielt aber nur eine allgemeine Antwort, in der er angewiesen wurde, mit den übrigen Mäckten zu handeln, wenn eS so für alle amerikanischen Interessen nöthig schiene. Die Ein nahme von Taku war unzweifelhaft nöthig für den Entsatz von Peking und deshalb im amerikanischen Interesse. Es wird indeß geltend gemacht, daß Kempf die zweite Anweisung erst nach der Einnahme derTakufortS erhalten habe. Wenn das richtig ist, würde Kempf gerechtfertigt sein. Die Marineosficiere be dauern lebhaft, daß Kempf nicht an dem Kampf theilge- nommen hat, und die Regierung bedauert ihre ursprünglichen Anweisunaen, weil die Dinge einen Verlauf genommen haben, der die Mitwirkung Amerika« unvermeidlich macht, so lange die Gefahr eines politischen Bündnisses nicht besteht und die Regierung Leben und Eigenthum amerikanischer Bürger zu schützen wünscht; gegen eine Theilung Chinas aber würde Amerika Einspruch erheben. Der Eisenbahnbau. * vrüffel, 21. Juni. Die hiesige Direktion der Eisenbahn Peking-Hankow erhielt auS Haukow «ine Depesche, wonach am südlichen Theil der Strecke ungestört fortgearbeitet wird. * Petersburg, 21. Juni. Bei dem blutigen Zusammen stoß zwischen einer russischen Ejsenbabnschutztruppe und chinesischem Militär an der Mandschurischen Bahn wurden, wie jetzt auS Wladiwostok berichtet wird, zwei Kosaken und ein russischer Officier getödtet. Die Chinesen verloren einen Officier und neun Soldaten. Der General gouverneur in Wladiwostok verlangte von den chinesischen Behörden di« sofortige Vollstreckung der Todesstrafe an den Schuldigen. (Frkf. Ztg.) Die Unruhen und das Geschäft. - I"" * Bremen, 22. Juni. (Telegramm.) Die „Weserztg." veröffentlicht eine Drahtung der Melchers Compagnie aus Shanghai folgenden Inhalts: Das Geschäft ist voll ständig zum Stillstand gekommen. Die Lage in Peking und Tientsin wird für ernst gehalten, jedoch ist in Shanghai und im Iangtsegebiet kein Grund zur Be unruhigung. Die Hongkong-Shanhai-Banking-Corporation und die Deutschasiatiscke Bank, die die chinesische Anleihe emittirten, erklärten, es sei kein Grund zu Besorgnissen wegen dieser Anleihe. (Voss. Ztg.) Mobil. Die „Straßb. Post" schreibt: Wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel fährt der Mobilmachungsbefehl in das fried liche Leben einer Garnison; aber nicht mit der verwirrenden Wirkung eines solchen sehr selten vorkommcnden Naturereignisses, scndern gewissermaßen von belebender Wirkung auf einen bis dahin scheinbar in vollkommener Ruhe daliegenden Organismus. Der Befehl „Mobil" kann bei uns im weiten deutschen Reich nur aus dem Mund des Kaisers kommen, denn er bedeutet Kriegszustand, und die Verfassung des deutschen Reiches vom 16. April 1871 besagt in Artikel 11 kurz und bündig: . . . Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reichs Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Bündnisse und andere Verträge mit fremden Staaten cinzugehen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Zur Erklärung des Kriegs im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundes raths erforderlich, es sei denn, daß ein Angriff auf das Bundes gebiet oder dessen Küsten erfolgt. Niemand wird wohl Zweifel haben, daß hiernach die Mobil machung der kaiserlichen Marineinfanterie lediglich vom Kaiser erfolgen mußte. Es ist ein Angriff von einer fremden Macht erfolgt, allerdings weder unmittelbar auf Bundesgebiet, noch auf dessen Küsten, sondern auf die deutsche Kronconcession in Tientsin und auf die deutsche Gesandtschaft in Peking, sowie auf die zum Schutz der Deutschen in China befindlichen deut schen Streitkräfte; hat doch selbst in der Schlacht von Taku das deutsche Kanonenboot „Iltis" nicht die ersten Schüsse ab gegeben, sondern diese erfolgten von den chinesischen Forts vor Beantwortung des von allen vereinigten Mächten überreichten Ultimatums. Der „Angriff auf das Bundesgebiet" — letzteres in erweitertem Sinn« aufgefaßt — ist also tatsächlich erfolgt, und der Kaiser als oberster Kriegsherr hat die dem Umfang der Kriegsgefahr entsprechende Mobilmachung der Marine infanterie angeordnet. Es ist ein eigenes Zusammentreffen, daß die Theilmobilmachung vom 19. Juni 1900 mit dem Unter schied eines Monats zeitlich fast zusammentrifft mit der letzten großen Mobilmachung vom 15. Juli 1870. Seitdem, genauer gesagt, seit dem Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871, ist im deutschen Reiche keine Mobilmachung mehr erfolgt, denn die kleinen Theilentsendungen in die Schutzgebiete, die mitunter nöthig waren, zählen hier nicht mit. Es ist jetzt thatsächlich das erste Mal, daß ein deutscher Kaiser im neuen Reich eine Mobil machung befohlen hat. Es mag eine gute Vorbedeutung sein, daß diese erste Mobilmachung nicht zum Angriff, sondern zur Vertheidigung des „Bundesgebietes" geschieht. Das deutsche Reich bleibt also auch hier seiner Ucberlieferung treu, daß es Niemand angreift, ohne angegriffen oder bedroht zu sein. Ein Berliner Blatt batte behauptet, die Sendung von Soldaten der Armee nack einem fernen Erdtbeil begegne grundsätzlicken Bedenken. ES verlangt daber die Bildung von Freiwilligencorps. Darauf erwidern die „Ber liner Neuesten Nachr.": „Diese Bcmerkunq ist absolut sinnlos. Weder Verfassung noch Reicksmilitärgesetz, noch Wehrordnung oder Heerordnung kennen derartige „grundsätzliche Einwendungen", die nirgend auch nur den geringsten Anhalt finden. Der deutsche Soldat geht, feinem Fahneneide gemäß, „zu Wasser und zu Lande", wohin der Kaiser ihn schickt. Wenn 'es z. B. im Jahre 1870 erforderlich und aus« führbar gewesen wäre, ein deutsches Armeecorps nach Algier zu senden, würde kein Mensch in dieser Hinsicht das allergeringste Bedenken gehabt habe». Nach dem Gefecht des Prinzen Adalbert am Cap tres forcas im Jahre 1856 gegen die Nifspiraten wurde die Entsendung des Garde- und 8. Jägerbataillons, die damals ausschließlich aus gelernten Jägern bestanden, ins Auge gefaßt. Die Nachricht der Marschbereitschaft der beiden Bataillone wurde selbst in den Organen der Linken mit Beifall bezeichnet. DaS da malige Volksbewußtsein lechzte nach einer Tbat und Niemandem im kleinen Preußen jener Zeit fiel eS ein, daß Marokko in Afrika liege, wohin preußische Truppen nickt gehen dürsten I Wünschens werth wäre es ja allerdings, daß die Marine-Jnfanterie aus wenigstens eine Brigade verstärkt würde. Aber bet größeren Ent sendungen bleibt die Commondirung geschlossener Truppentheile der Armee anstandslos Vorbehalten." Kassandra. Zs Ein englisches Blatt bat mitgetbeilt, daß sckon vor einiger Zeit der deutsche Gesandte in Peking, Herr v. Ketteler, den diplomatischen Vertretern der anderen Mächte die Be- soxgniß vor schweren Gefahren nachdrücklichst vor Augen ge- fübrt bätte. Wenn nun gerade Hc^r v. Ketteler die Ver- säumniß, deren sich die Mächte unzweifelhaft schuldig gemacht haben, mit dem Tode gebüßt haben sollte, so würde sein Schicksal an das einer der ergreifendsten Figuren der antiken Sage, der Kassandra, erinnern. Die Gefährlichkeit der Situation war nicht gar zu ver borgen. Tie „Welt - Corresponvenz" brachte am 22. Mai einen Bericht ihres Mitarbeiters in Peking von Anfang April, also etwa sech« Wochen vor dem Beginne deS Boxer- aufstandeS, in dem e» unter Anderem hieß: „Bis nach Tientsin haben sich die Boxer gewagt und noch vor Kurzem ganz nahe bei der Stadt unter drn Augen der Fremden ihre Hebungen abgebalten. Nach neuesten ckinesi- sehen Zeitungsnachrichten sollen soaar in den Reihen der Pekinger Feldtruppen sich Mitglieder diese» geheimen Bunde» befinden." ES wurden dann weiter die Sckritte erwähnt, dir die chinesische Regierung gegen die Boxer ergriffen habe, und e» wurde zugleich dargethan, daß diese Sckritte mangel« guten Willen« der auSfübrenden Bc- Hörden so gut wie werthlo« seien. E« bieß u. A. in dem Berichte: „Ein wirklicher nachbaltigerErkolg läßt sich nicht ohne Weitere« versprechen. Der Werth chinesischer Proklamationen kann überhaupt nickt skeptisch genug betrachtet werden, denn es bleibt fraglich, ob die erlassene Proklamation in richtiger Weise verbreitet wird und nickt etwa durch die ausführendeu Organe, sei eS auS Eigenmacht, sei es in Folge geheimer Instructionen, nur pro forma erfolgt oder gar mit anderem Conimentar begleitet wird. Die Regierung und die Beamten haben kein großes Interesse daran, eine hauptsächlich und ausdrückich gegen die Fremden gerichtete Bewegung voll ständig lahmzulegen Die Mandarine und Literaten begünstigen nicht nur vielfach die fremdenfeindlichen Be wegungen, in zahlreichen Fällen sind sie eS selbst, welche das Volk gegen die Fremden aufrcizen." In einem, wenige Wochen später von der „Welt - Correspondenz" ver öffentlichten Berichte, der ebenfalls vor dem Beginne des Boxeraufstandes abgefaßt war, wurde dargethan, daß der Frcmdenhaß systematisch vom Hofe großgezogen würde. Es hieß da unter Anderem: „ES finden fortgesetzt Beamte, die wegen ihrer Fremdenfeind- lichkcit berüchtigt sind, Anerkennung und daS besondere Ver trauen der Kaiserin-Wittwe. So hat Uühsien, der eben erst auf Len Druck der interessirten fremven Vertreter Wege» seiner notorisch christen- und ausländerfeindlichen Haltung von seinem Posten als Gouverneur von Shantung abgerufen worden war, nunmehr gleichsam zum Lohne den Gouverneurs posten von Shansi erhalten, einer Provinz, wo gleichfalls zahlreiche christliche Missionen sich befinden und auch sonst fremde Interessen engagirt sind." So gut nun auch der Mitarbeiter der „Welt-Correspon- denz" informirt sein mag, so sind eS doch die fremten Ge sandten, besonders die von Rußland, England und Japan, sicherlich nicht minder. Warum haben sie ihr Ohr der Mah nung deS deutschen Gesandten verschlossen? Es ist eben jene Vogel Strauß-Politik getrieben worden, die den Kopf in den Sand steckt, um das herannahende Unheil nicht zu sehen. Vielleicht hat man auch gefürchtet, daß eine Action rn China die Rivialität der Mächte von Neuem wachrufen könnte. Diese Zauderpolitik hat weiter nichts erreicht, al« daß jetzt nicht nur die in China befindlichen Nicht-Chinesen auf daS Schwerste bedroht sind oder vielleicht schon gar der Wuth deS Gesindels zum Opfer gefallen sind, sondern daß auch doppelte und dreifache töpfer an Menschen und Geld nöthig sein werden und daß auch möglicher Weise die Liqui dation Chinas wird erfolgen müssen, die man hätte ver meiden können, wenn nian rechtzeitig der chinesischen Negie rung hätte vor Augen führen können, daß sie bei dem leicht fertigen Spiele ihre Existenz einsetzt. Ist nun aber einmal durch die Verzögerung schwerer Schaden gestiftet worden, so soll man wenigstens jetzt noch diesen Schaden nicht dadurch vergrößern, daß man halbe Maßregeln ergreift. Es will uns scheinen, daß die von Len Mächten nach China beorderten Truppen bei Weitem nicht ausreichen, um den Pacificirungszweck durchzuführen. Man kämpft hier nicht nur gegen Menschen, sondern auch gegen einen ungeheuren Raum. DaS feige chinesische Gesindel mag mit verhältnißmäßig geringer Truppenmacht niedergeworfen werden, aber die ungeheuren Gebiete, in die man voraussichtlich Truppen wird entsenden müssen, ver langen auch ein bedeutendes Machtaufgebot. Insbesondere sollte auch Deutschland eine stattlichere Truppenzahl, als vor gesehen zu sein scheint, aufbieten, denn sollte eS zur Liqui dation kommen, so dürfte sich die Vertheilung danach richten, inwieweit jede Macht zur Pacificirung des Landes bei getragen hat. Es ist erfreulich, daß Einer nicht die Nolle der Kassandra hat zu fpielen brauchen: Graf Bülow. Mit weitschauendem Blick hat der Staatssekretär am 11. December vorigen Jahre« erklärt, daß die Dinge in der Welt in Fluß gerathen seien, und daß jeder Tag neue politische Reibungsflächen bieten könne, die ein starkes Heer und eine starke Flotte erforderten. Die überwältigenve Mehrheit des Reichstags hat diese Mah nung, die sich so überraschend schnell bewahrheitet hat, be herzigt. DaS läßt uns hoffen, daß die Männer, die die Geschicke des Reiches leiten, auch fernerhin vor dem grau samsten Schicksale, dem Geschick« deS richtigen Verstehens und deS Nichtverstandenwerdens verschont bleiben werden. Tie staatliche Organisation China». Die Regierung in China ist eine monarchische. Die Gewalt des Kaisers ist zwar unumschränkt, aber keineswegs absolut: denn einmal ist der Kaiser der Ucberlieferung gemäß verpflichtet, nach den heiligen Gesetzen des Landes zu regieren, andererseits muß er in allen wichtigen, das Staatslwohl betreffenden Fragen, die höchsten Reichsbehörden zu Rathe ziehen. Die Person des Kaisers sekbst ist heilig, unverletzlich und im Gegensatz zu den Ministern unverantwortlich. Er allein hat das Vorrecht, Kleider von gelber Farbe zu tragen, er allein bedient sich beim Schreiben der Zinnobersvube, und mit dem fogenannton Zinnoderoinsrl pflegt der Kaiser seinen Namen unter alle Erlasse zu setzen. Dem Kaiser bleibt auch der Gottesdienst im-Himmelstempel, Tien-tan, Vorbehalten, wie er auch im himmelblauen Gewände mit priesterlichem Schmucke das große Jahresopfer darbringt. Die allem Leden in China zu Grunde liegende Idee einer Fa milie ist im Kaiser gewissermaßen zur Person geworden, und bildet die Grundlage des ganzen Regierungssystems. Der Kaiser wird der Vater des Reiches genannt. Der Unterkönig ist der Vater der Provinz, und der Mandarin der Vater der Stadt, in der er Befehlshaber ist. In diesem Sinne kann man di« Regierung eine patriarchalische nennen. Zwei höchste Reichs behörden, das 'Großsekretariat und da» GtaatSsekretariat, di« ihren Sitz in Peking haben, stehen dem Kaiser zur Seite. Das Großsekretariat. Nei-ko, hat die Aufgabe, die kaiserlichen Edicte zu veröffentlichen und die StaatSgesetze zu regeln, dagegen übt es auf die Leitung der Regierung keinen Einfluß mehr aus, sondern hat diesen an da» sogenannte Staatssekretariat abge treten. Seine Mitglieder werden vom Kaiser in Fragen der hohen Politik zu Rach« gezogen und bilden da» sogenannte Cabinet de» Kaisers. Al» höchste Centraldrhörde de» eigent lichen Chinas, jenen beiden ersten Reichsbehörden aber unter geordnet, functioniren im chinesischen Staat»organi»mu» sech» Ministerien. Da» erste dieser Ministerien ist mit Ernennung und Uederwachung der Ervilverwaltungsbeamken des Reiches beaustragt. Da» zweit« Ministerium führt die Aufsicht über
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