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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 01.07.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-01
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010701029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901070102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901070102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-01
- Monat1901-07
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ArnLsMtt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Aathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Montag den 1. Juli 1901. Anzeigen-Prei- die b gespaltene Petitzeile L5 Reklamen unter dem Redactionöstrich (-gespalten) 7b H, vor den Familiennach richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer uud Zifferusatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahmr L5 (rxcl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, oha« Postbefürderung 60 —, mit Postbesördrrung ^li 70.—. Ännahmeschluß fir Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Au»gab«: Nachmittag» 4 Uhr. Lei den Filialen uud Auuahmestelleu je eine halbe Gtuude früher. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richten. Die Expeditiou ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr. Druck uud Verlag vou E. Polz irr Leipzig. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Englische Greuel. I. Die „Westminster Gazette" veröffentlicht einen langen Bericht einer eben aus Pretoria eingetroffcnen englischen Dame über die ConcentrationSlager bei Irene und Pretoria. Sie bestätigt im vollsten Umfange Alles, was Miß Hobhouse über die kärgliche Ernährung und das Fehlen jeden Schutzes gegen Witterung und über die schreckliche Sterblichkeit sagt. Als die Dame am 23. Mai abrciste, waren von 5000 Bewohnern des Lagers 1000 krank. Die Sterblichkeit der Kinder sei so schrecklich, daß, wenn der Winter vorbei, keine Kinder mehr übrig sein werden, wenn eS nicht gelinge, die Sterblichkeitsrate zu vermindern. Sie bestätigt, daß^ entgegen den ministeriellen Versicherungen, das Verwüsten des Landes und das Nieder brennen der Farmhäuser keinen Augenblick eingestellt oder ge mildert wurde. Neues Material zu dem traurigen Capitel der englischen Kriegführung liefert ein Brief des früheren Staatsprocurators der südafrikanischen Republik und jetzigen Stellvertreters des Generalcommandanten Botha, I. C. Smuts, an den Präsi denten Steijn, den der „Nieuwe Rotterdamsche Courant" ver öffentlicht hat. Smuts wurde nach dem Fall von Pretoria das südwestliche Transvaal, wo Dclarey den Oberbefehl führt, als Operationsfeld zugewiesen, und er hat hier reiche Gelegen heit gehabt, das Wirken der englischen Soldaten zu beobachten. Bekanntlich sind die Boeren in diesem Theil von Transvaal, und namentlch in dem Bezirk Rustenburg, wo die Magaliesberge ihnen starke natürlich; Stützpunkte bieten und die nordwärts sich erstreckende fruchtbare Gegend für des Leibes Nothdurft und Nahrung sorgt, unter Delarey's, Smuts' und Beyer's Führung bis auf diesen Tag ganz besonders hartnäckig und auch mit Erfolg thätig. Es versteht sich also von selbst, daß die Geißel des Krieges vor allen anderen diese Gegenden schwer getroffen hat. „Ich müßte eigentlich", sagt General Smuts, „den Griffel eines Jesais oder Jeremias haben, um alle Greuel der Ver wüstung treffend zu schildern, aber ich bin überzeugt, daß seit dem 30jährigen Krieg und den durch die Heere von Wollenstem und Tilly angerichteten Verwüstungen solche Scenen allgemeiner Vernichtung und Zerstörung nicht meyr gesehen worden sind. Wie oft saß ich früher an einem der Abhänge der Magalies- berge und habe tue herrliche, lachende Gegend mit den Boeren- plätzen, Gärten, Bäumen und Gebäuden bewundert, und jetzt ist Alles verwüstet, man sieht kein lebendes Wesen mehr, selbst die Thiere haben sich aus der Gegend zurückgezogen." Die Befehle des Oberkommandos gehen bekanntlich dahin, jede Farm niederzubrennen, die kämpfenden Boeren als Stützpunkt gedient hat oder deren Besitzer die Boeren verpflegt oder mit Nachrichten versehen haben, oder in deren Nähe bis zu zehn Meilen Entfernung die Bahn zerstört worden ist. Diese Taktik muß nothwendig häufig Unschuldige treffen. Smuts führt Beispiele an: Eine alte Frau von über 70 Jahren, die mit ihrer Tochter und Enkelin allein in Tierpoot wohnte, klagte Smuts ihr trauriges Schicksal: Weil ihre Wohnung der Mittel punkt eines Scharmützels war und sie einigen Boeren Brod ge geben hatte, erschien ein britischer Officier mit einer Patrouille und kündigte den Frauen an, daß ihr Haus niedergebrannt werde; sie flehte vergebens um Gnade, da sie zu alt sei, um den weiten Weg nach dem nächsten Bocrenlager zu Fuß zurück- zulegcn, und als ihre 12jährige Enkelin dem Offrcier, einem Australier, seine Unmenschlichkeit vorwarf, gab er ihr einen Schlag inS Gesicht. Ein anderer Fall von Rohheit eines Offi- ciers ergab sich aus einem Briefe, den man in der Tasche eines bei Bosckfontein gefallenen Officiers fand. In einem Hause hatte er die Frauen und Kinder vor sich beschicken, sie mußten zuhören, wie er auf dem Clavier das von seiner Mannschaft gesungene „6o<I savs tire Hueerr" begleitete, und dann wurde das Haus mit seinem ganzen Inhalt eingeäschert. Ein anderes Mal ließ derselbe Offrcier den Frauen und Kindern ansagen, sie könnten Alles, was sie wollten, aus dem Hause wegtragen, da dieses verbrannt werden müsse; sie brachten das Norh- wendigste, was sie mitnehmen wollten, auf einen Haufen zu sammen, aber unter einem höhnischen Lachen befahl der Officier, auch diesen Haufen in Brand zu stecken. Aus einem Erkundungs ritt kam Smuts am Doornrivrer (einem Nebenflüsse des Elands- riviers) an die Stelle, wo zwei Tage vorher General Douglas mit seiner Abteilung gelagert hatte. Natürlich fand er auch hier Alles zerstört: die Frauen und Kinder waren auf die Kopjes und Höhenzüge geflohen, von denen sie am Morgen herab kamen, einige Frauen mit frischen Spuren körperlicher Miß handlung. Weiterhin am Costerrivier traf er sieben Familien an, die unter Bäumen lagerten: die englischen Soldaten unter den Generalen Paget und Plumer hatten ihre Zelte verbrannt, obwohl es grimmig kalt war und in Strömen regnete. Einer durch einen Gewehrschuß tödtlich verwundeten Frau hatten die englischen Soldaten das Kiffen unter dem Kopf weggeriffen; die Lebensmittel, die sie nicht mitnehmen konnten, hatten sie verbrannt oder sonstwie vernichtet. Einer alten 80jährigen Frau, welche noch den großen Trck aus der Capcolonie mit gemacht hatte, riß man die Kleider vom Leibe, um ihr das Geld, das sie verborgen hatte, abzunehmen, man ließ sie für todt liegen. Die Einzelheiten über die von Kaffcrn in englischem Solde verübten Greuelthaten spotten nach Smuts sowohl hin sichtlich der Anzahl der Schlachtopfer, als der dabei entfalteten Bestialität jeder Beschreibung. * Kapstadt, 30. Ium. („Reuter's Bureau") Während der letzten 48 Stunden sind vier Pest fälle in Capstadt und einer in Port Elizabeth vorgekommen. Bis jetzt sind im Ganzen hier 749 Pestsälle vorgekommea, von denen 357 tödtlich verliefen. * London, 1. Juli. (Telegramm.) „Reuter's Bureau" berichtet unter dem 29.Juni au» Maseru. Die Regierung hat ia Ladybrand mit der Impfung des BieheS gegen die Rinder- pest begonnen; die Ergebnisse sind gut. — Dasselbe Bureau be- richtet aus Bloemfontein: Der frühere Controleur des Rechnungs- hofeS de» Oranje-Freistaates, Bisse ux, ist provisorisch .um Steuer- erheber uyd Civilcommissar für die Stadt und den Distrikt Bloemfontein ernannt worden. Politische Tagesschau. * Leipzig, 1. Juli. Die Wahlbewegung zu der durch die Ernennung deS früheren Abgeordneten Möller zum preußischen Handels minister nothwendig gewordenen ReichstagSersatzwahi in Duisburg-Mülheim bringt dem Centrnm eine peinliche Ueberraschnng nach der anderen. Jetzt regen sich auch die Polen, um Herrn vr. Lieber zu zeigen, daß sie in dem Wahlkreise ein Wort mitzusprechen haben und keineswegs gesonnen sind, dieses Wort zu Gunsten deS CentrumScandi- danten Rintelen zn sprechen, wenn ihnen dieser nicht in bündigster Weise das Eintreten für ihre „nationalen" Forde rungen zusichert. Die Anregung zu einem solchen Auftreten der Polen deS Wahlkreises geht von der in Beuthen er scheinenden „Praca" aus, die sich folgendermaßen an ihre Landsleute im Wahlkreise wendet: „Die für den früheren Vertreter diese» Kreises, den jetzigen Handelsminister, nothwendig gewordene Ersatzwahl ist für die Polen von einer gewissen Bedeutung, da sie dort das Zünglein an der Waage bilden können. Die polnische Bevölkerung ist seit den letzten Wahlen dort sehr gewachsen und wächst weiter. Unter den mindestens 45 000 Wählern des Wahlkreises befinden sich 5—6000 Polen. Bei den letzten Wahlen siegte in der Stichwahl der nationalliberale Candidat mit etwa 23 000 Stimmen gegen den EentrumScandidaten, der über 21000 Stimmen erhielt. Polnische Vereine bestehen nun zwar in Duisburg, Hochfeld, Oderhausen, Mül heim, Myrum, Altstadt«, Baar (Beek), Ruhrort u. s. w., aber die Vereine stehen in keinem entsprechenden Zusammenhang, und einige, wie der Duisburger, schlafen vollständig. Da die Wahl spätestens im Herbste stattfindet, muß so schnell als möglich der Versuch ge- macht werden, die fehlende polnische Organisation zu schaffen. Werden die Polen organisirt, so haben sie mit ihren 5—6000 Stimmen die Entscheidung in der Hand. Auf keinen Fall dürfen aber die Polen im ersten Wahlgange sür den Centrumscandidaten oder den deutschen Misch-Mafch-Candidaten stimmen. Die Polen müssen infolge ihrer beträchtlichen Anzahl durch Aufstellung eines eigenen Candidaten bethätigen, daß sie leben und daß sie gewisse unerfüllte Forderungen und Rechte haben. Setzen wir dem Centrum das Messer an die Kehle! Verhilft uns dasselbe nicht zu den noth- wendigen polnischen Predigten in Rheinland-West falen, so dürfen die Polen bei der Stichwahl nicht für den Centrumscandidaten stimmen, sondern müssen sich der Abstimmung enthalten. Bis zu den Reichstagswahlen 1903 muß aber das polnische WahlcomitS für Duisburg-Mülheim vollständig organisirt sein." DaS Centrum kommt durch diese Aufforderung, die sicher lich nicht ungehört verhallt, in peinliche Verlegenheit. E» kann sich nicht darüber täuschen, vaß das Wohlwollen, das ihm in Preußen nicht nur» sondern auch im Reiche sehr ein flußreiche Persönlichkeiten schenken, ganz wesentlich gedämpft wird durch die Protection, die eS den Polen angedeihen läßt. Speciell Graf Bülow hat in neuester Zeit bewiesen, daß er iu der Förderung der Polen eine Gefahr erblickt, die ebenso abgewebrt werden muß, wie ihre Förderer. Läßt sich nun Herr Rintelen, um den Abfall der Polen in DuiSburg-Mül- beim zu verhüten, zu Versprechungen an die polnischen Wähler herbei, so zwingt er nicht nur die Regierung, seine Candidatur zu bekämpfen, sondern er heftet auch bei seiner Stellung innerhalb der CentrumSpartei dieser einen Makel an, der ihr überhaupt in den oberen Regionen nachtheilig ist und selbst ihren Begünstigern die Begünstigung erschwert. Andererseits ist die Besorgniß, den Einfluß aus die Polen ganz und gar zu verlieren, eine viel zu ernste, als daß Herr vr. Lieber Herrn Rintelen leichten Herzens dahin instruiren könnte, durch Ablehnung der polnischen Forderungen nicht die polnischen Wählermassen nicht nur im früheren Wahl kreis deS Ministers Möller vor den Kopf zu stoßen. Man darf gespannt darauf sein, wie daS Centrum sich diesem Dilemma zu entwinden sucht. Sollte eS ihm aber auch wirklich glücken, in Duisburg-Mülheim die Polen zu befriedigen, ohne bei der preußischen Regierung und dem Reichskanzler heftig anzustoßen: auf die Dauer kommt es doch nicht um die Wahl zwischen RegierungS- und Polen gunst herum. In der neuesten Nummer der „Deutschen Juristen zeitung" bespricht ReichSgerichtsralb a. D. vi. Stenglein das Militärstrafverfahr en in seiner jüngsten Anwendung und besonders den Gumbinner Mordprocetz. Der Verfasser führt aus, man könne sich der Zuversicht hingeben, daß die Eindrücke, die der Mörchinger und der Gumbinner Fall bewirkt, in der Hauptsache gute seien und daß daS in Gumbinnen gefällte Unheil dem allgemeinen RechtSgefühl entspreche. Entschieden aber verurtheilt er die Beschränkung der Oeffenk- lichkeit, die Auslastungen, welche die beiden Gerichtsherren erster Instanz über das Urtheil getban haben sollen, die Zu rückbehaltung deS UnterofficierS Hickel in der Hast, und kommt zu dem Schluffe, daß die kaum in- Leben getretene Militärstrafproceßordnungeiner Revision unterzogen werden müsse. Das Institut der Gerichtsherren bezeichnet er als rin „äußerst gefährliche»" und begründet dies folgendermaßen: „Die Art und Weise, wie die Motive zum Gesetzentwurf dieses Institut mit der Commandogewalt verquickteu uud die Rechtspflege im Heere zu einem Mittel der DiSciplin hrrabwürdigteu, war «in« äußerst unglückliche. Der Hinweis auf die Commandogewalt konnte den Jdeengang jener Generale beeinflussen, als ob die Verweisung zur Hauptverhandlung und Berufung des Gerichts durch den Ce- richtsherrn ein Befehl an die ihm untergebenen Richter wäre, de« Ueberzeugung des Gerichtsherrn den officiellen Stempel de» Urtheils auszudrücken. Dem deutschen Rechtsgefühle aber widerspricht e», die Strafgewalt des Staates, die Uebung der Gerechtigkeit, zu einem Tisciplinarmittel gemacht zu sehe». Die Aburtheilung strafbarer Handlungen ist eine Frag« de» Rechts. Der DiSciplin im deutschen Heere hat es nie an Mitteln gefehlt, und unser Herr hat e» auch gottlob nicht nöthig, zu solchen Mitteln zur Aufrechterhaltung der DiSciplin zu greifen. Die Mo- tive zum Entwurf der Mil.-Str.-G.-O. waren aber «in Fingerzeig, wie man iu den leitenden Kreisen über die Handhabung der Justiz dachte, und man darf sich nicht wundern, wenn auf Grund jene» JdeengangeS hochgestellte Generale sich über dos Besetz wegsetzen zu dürfen glaubten. SS ist nicht gut, einem Menschen zu viel Gewalt einzuräumen .... Die BesehlSgewalt hat also di« Gertchttherrrn zu dem Glauben veranlaßt, sie könnten sich über da» Geseh einfach wegsetzen; sie könnten eine von ihnen gewünschte Correctur de» Ge setze» selbst ohne Weitere» in» Werk fetzen. Maa kann zugrbea, daß di« Bestimmung de» K 179, welch« nur wenig v«rändert au» der Str.-P.^v. in die Mil.-Stt^G.-O. auf- genommen wurde, in diese nicht paßt. Die Stt.-P.-O. kant keine Berufung io den schweren Straffällrn, konnte also eine Bestimmung treffen, welch« vorau-setzt, daß jed«S Urtheil in thatsächlicher Be- ziehung unanfrchtbar ist, währrnd die Berufung da» angefochtene Urtheil im That- und RechtSponct« unwirksam macht. Aber da» Gesetz hat, wenn «» ein Fehler ist, diesen Fehler gemacht, und den Generalen fehlte eS an der zur Ausübung der Recht»pflege nöthigen Achtung vor dem Gesetze. Sie waren nicht berufen, daS Gesetz zu corrigiren." - Nicht minder entschieden verurtheilt aber vr. Stenglein daS Verhalten solcher Blätter, die den Gumbinner Proceß wegen der Geheimtbuerei rc. mit dem Fall Dreyfu» in Parallele zogen: „Die Rechtswidrigkeiten, welche sich an da» freisprechende Urtheil anschloffen, waren eine Folge deS Jrr- thumS des Gesetzgeber», welcher glaubte, im Interesse der HeereSeinrichtungen den Befehlshabern auch die Strafverfol gung in die Hand geben zu müssen. Daß die Gewohnheit deS Befehlens diese dazu brachte, die eigene Ueberzeugung höher anzuschlagen als da» gesetzliche Gebot, ist ein mensch licher Jrrlhum, dem vorgebeugt werden muß; nicht» weiter. Die Ehre unseres HeereS gebietet «S aber, eine Erinnerung an den Fall DreyfuS energisch zurückzuweisen." Zur Fernfahrt Pari»-Berlin veröffentlicht der „Gaulois" eine Unterredung eines seiner Mitarbeiter mit dem seit einer FruLHetsn. Rechtsanwalt Lohmann. 7j Roman von Rudolf Jura. «tachtruck »«rtolkn. „Mein HauS ist eigentlich keine Speiseanstalt für Spitzbuben und Untersuchungsgefangrne", erwiderte lachend der Staatsan walt. „Aber Ihr menschenfreundliches Eintreten für die Ver brecherin da oben macht Ihnen alle Ehre, und da wir uns jetzt noch nicht in unserer gewohnten gerichtlichen Gegnerschaft be finden, so setze ich dem Antrag der Vertheidigung keinen Wider stand entgegen und empfehle Ihren Schützling der Gnade meiner Küchenverwaltung." Die Frau Staatsanwalt klingelte dem Dienstmädchen und beauftragte sie, die oben Eingeschloffen« zu versorgen. Als dar Mädchen da» Zimmer wieder verlassen hatte, scherzte der Staatsanwalt: „Ich fürcht« nur, wir werden mit unserem Speisungsanerbieten schnöde zurückgewiesen werden. Denn vorhin äußerte das ver rückte Frauenzimmer, daß sie nie zu Mittag speise und über haupt keine andere Mahlzeit, als das Frühstück, einzunehmen ge wohnt sei." „Sie wissen noch nicht, von wem Sie sprechen", erwiderte Loh mann. „Die vermeintliche Diebin, das vermeintliche Dienst mädchen, ist Niemand anders, als Ihre scheinbar verschwundene Schwägerin, Frau Doctor Römer. Es ist also wohl nur eine Forderung deS Recht» und der Billigkeit, wenn Sie dieser daS gewohnte Mittagessen nicht vorenthalten." DaS verständnißlose Staunen, welches daS staatSanwaltlich« Paar dieser plötzlichen Behauptung entgegendrachte, wich bei de» RechtSanwalte» ausführlicher Darlegung seiner aus dem Manuskript geschöpften Wissenschaft natürlich einer ruhigeren Betrachtung diese» abentrucrlichen Falle«. Aber zu einem vollen Glauben an die Möglichkeit eine» hier vorliegenden Doppelleben» vermochte sich weder der Staatianlpalt, noch seine Frau zu be kehren. „Mein bester Herr Lohmann", sagte er, „hin lassen Sie sich wieder einmal von Ihrem gutgläubigen Herzen einen Stretch spielen. Dl« schlaue Diebin Hot'Ihnen da eine Komödie vor gegaukelt, auf die Sie in Ihrer Gutmüthigkeit hineingefallen sind. In mein« Schwägerin aber wird sie sich bei all' ihrem Geschick doch nicht zu verwandeln im Stande sein. Ihres Diebstahls ist sie geständig; ich werde sie also heute Nachmittag in das Unter- suchungsgefängniß abführen lassen. Denn wenn sie schon auf solche sonderbare Ausflüchte sinnt- wie es eine angebliche hypno tische Verwandlung ist, so ist es auch nicht ausgeschlossen, daß sie auf Flucht sinnt und es anstatt mit ihrer jetzigen Geistesabwesen heit mit der noch praktischeren körperlichen Abwesenheit versucht." „Ich kann Sie natürlich nicht von dem abhalten, was Sie für Ihre Pflicht halten. Aber ihre Pflicht erheischt nicht allein, den Schuldigen zu ermitteln, sondern auch den Unschuldigen zu schützen." „Ich kenne meine Pflicht, Herr Rechtsanwalt, und weiß sie auszuüben!" „Dann bitte ich Sie vor Allem um Ihre Unterstützung zur Wiedererlangung des verlorenen Briefes, nach welchem Ihre Frau Schwägerin, oder wenn Sie so wollen, die schlaue Ver brecherin, so leidenschaftlich verlangt. Sie gab vorhin an, ihn meinem Kanzleivorsteher gegeben zu haben. Dieser Mensch ist, wie Sie selbst zugeben werden, der Hehlerei bei den hier vor liegenden Diebstählen, vielleicht sogar der Anstiftung nicht ganz unverdächtig, wenngleich die Aussagen der Diebin ihn entlasten, und wenngleich ich selbst geneigt bin, ihn für schuldlos zu halten. Aber sein« zweifelhafte Lage setzt uns zum Mindesten in den Stand, mit sehr nachdrücklichen Mitteln gegen ihn vorzugehkn und ihn zu verhindern, das für Ihre Schwägerin so wichtig« Stück Papier zufällig oder böswillig zu vernichten oder wegzu geben." „Selbstverständlich flecken wir den Burschen ebenfalls ins Loch. Wir müssen di« beiden Leutchen doch einander gegenüber stellen. Ich bin überzeugt, dir Beiden wiffcn um den Aufenthalt meiner verschwundenen Schwägerin, und bei einem geschickten Verhör läßt sich noch viel au» ihnen heraukholen." „Um Gotte» willen, Herr Staatsanwalt! Tie glauben also durchaus nicht, daß die Frau Doctor selbst e» ist, die in ihrem Zimmer sitzt, und bestehen darauf, sie in ihrem kranken Zustand in» Gcfängniß schleppen zu lassen?" „Selbstverständlich!" „Dann kann ich e» nicht länger verantworten, mit au»fichts- losen versuchen, Si« zu bekehren, noch ferner die kostbare Zeit zu versäumen, di« uns zur Errettung Ihrer Schwägerin bleibt. Ich eile, um meinem leichtsinnigen Herrn Born da» Papier ab zujagen, da» ja alle Zweifel auch bei Ihnen sofort beseitigen I wird. Ihnen aber, Herr Staatianwalt, stelle ich anheim, wenigstens erst «inen Arzt herbeizuholen, ehe sie den aufgeregten Nerven der unglücklichen Frau noch den verderblichen Schrecken einer gerichtlich-n Festnahme zufüzen! Leben Sie wohl! Hier ist der Schlüssel zur Wohnung der Frau Doctor." Hastigen Schrittes verlieh der Rechtsanwalt das Haus und warf sich in die nächste vorbeifahrenve Droschke, um so rasch als möglich in seine Kanzlei zu gelangen. Er machte sich Vorwürfe, daß er sich d«m Staatsanwalt gegenüber zu so unnützen und langen Auseinandersetzungen über den hypnotischen Zustand der Frau Doctor hatte verführen lassen, anstatt kurz entschlossen und in größter Eile einfach auf Zurückgewinnung de» Zettels bedacht zu sein, sobald er aus dem Manuskript seine Bedeutung und Wichtigkeit erkannt hatte. Er brannte vor Ungeduld, Herrn Born wieder vor sich zu sehen, den er nun leichtsinnig«!: Weise schon mehrere Stunden ohne Aufsicht gelassen hatte. Er mußte jetzt bereits wieder in der Kanzlei anwesend sein. In wenigen Minuten also konnte er das wichtig« Papier empfangen und mit diesem Talisman das ge liebte Weib aus seiner unwürdigen Lage befreien. Oder konnte er es nicht? Wie, wenn der Mann den Besitz deS Papiers leug nete oder sein« Herausgabe verweigert-? DaS war freilich nicht wohl anzunehmen. Emil Born hatte bereits eingesehen, wie sehr er von dem Wohlwollen, ja geradezu von der Gnade des Rechtsanwalts abhing. Er hatte sich freiwillig bis heute Mittag in Haft und Aufsicht nehmen lassen. Er würde nicht so thöricht sein, die Herausgabe des gestohlenen und für ihn werthlosen Zettels zu verweigern. Hatte er doch auS eigenem Antriebe sogar den werthoollen Brillantring auSgcliefert. Aber e» lag immer hin die Gefahr vor, daß er den unbedeutenden Fetzen Papier acht los weggeworfen hatte. Der Gedanke, daß er vann unwider bringlich verloren sein könnte, war entsetzlich, und die Vor stellung, die unglückliche Frau Doctor Römer dann für immer ihre» eigentlichen Leben» und ihrer eigentlichen Persönlich!. !t beraubt zu sehen, folterte ihn mit unendlicher Seelenangst. Die Fa>brt mit der Droschke dauerte im Ganzen nur et ia zehn Minuten. Ab«r ihm erschien diese kurze Zeit wie ein« Ewigkeit, auSgesüllt mit wahren Höllenqualen der Ungewißheit. Fieberhaft arbeitete sein Gehirn, um sich alle Möglichkeiten im Voraus klar zu stellen und im Vorau» die in jedem einzelnen Falle zu treffenden Maßnahmen zu überlegen. Er entsann sich genau, daß Born den Nina am gestrigen Tage mit dem Papier eingesteckt, ihn aber ohne Papier wiever zum Vorschein gebracht hatte. Also mußte der verhängnißvolle Zettel wenigsten» zunäckst in seiner Tasche zurückgeblieben sein. Auch hatte er jede seiner Bewegungen den ganzen Abend über genau im Auge behalten. 2» hätte ihm auffallen müssen, wenn Born etwas weggeworfen hätte. Erst nachdem die Thür des Fremdenzimmers sich hinter rhm geschloffen hatte, war ihm hierzu unbemerkt Gelegenheit geboten gewekn, und eS war auch nicht unwahrscheinlich, daß er sich beim ÄuSkleiden des überflüssigen Inhalts seiner Tasche entledigt haben mochte. In diesem Fall war der Zettel nicht verloren, sondern mußte sich in dem Fremdenzimmer noch vorfinden. Der Rechtsanwalt war eben im Begriff, sich in seiner rastlos arbeitenden Phantasie die weiteren noch möglichen Fälle vorzu stellen, da hielt die Droschke, und nun eilte er die Treppe hinauf, nahm den an seinem gewohnten Platz sitzenden Born sogleich mit in sein besonderes Zimmer und fragte ihn mit mühfam ver haltener Erregung: „Als Sie gestern Abend den Brillaniring empfingen, war er in ein Stück beschriebenes Briefpapier gewickelt. Befindet sich das noch in Ihrem Besitz?" „Nein!^ „So haben Sie es verloren oder weggeworfen? Unglücks mensch! Sie müssen mir unbedingt angeben, wo es zu finden ist. Das Papier ist von ungeheurer Wichtigkeit!" Als Born seinen Rechtsanwalt in solch heftiger Erregung sah, fing ihm das Gewissen, da» sich schon bet der Weggabe de» Papier etwas geregt hatte, mächtig an zu schlagen. Schon in der ver gangenen Nacht, als er das erste Mal mit Bewußtsein unrechte» Gut in seinen Händen gehalten hatte, war ein« Veränderung in dem leichtsinnigen jungen Mann vorgegangen, und er hatte es als wünschenSwerth empfunden, ein anderer besserer Mensch zu werden. In der Hingabe des Zettels an Fräulein Kurz müller hatte er keine besonders schwerwiegende Handlung gesehen. Er hatte sich verpflichtet gefühlt, dem tbörichten Fräulem Kurz müller für ehre Hochherzig gespendeten fünfzig Mark wenigsten» einen Schein von Gegenleistung zu bieten, und so hotte er ihr gegenüber dem Stück Papier eine Wichtigkeit zu geben versucht, an die er selbst nicht im Mindesten glaubte. Jetzt aber hörte er zu seinem Schrecken, daß der Zettel mit den paar Zeilen wahr scheinlich von noch weit größerer Bedeutung war, al» die er ihm großsprecherisch beigemessen hatte, und mit schmerzlicher Le- troffenheit gestand er den Gebrauch ein, den er von dem Papier gemacht hatte. Er bat um Verzeihung für seine Unvorsichtigkeit und vor Allem um Gelegenheit, sie, wenn möglich, wieder gut zu machen. Dem Rechtranwalt entgina al» gutem Menschenkenner dl« Ehrlichkeit de» Gefühl» in semen Äorten nicht, und er ant wortete: .E» scheint,' Ihre Unbedachtsamkeit, mit der Sie da einen Brief weggegeben haben, dessen sonderbarer Inhalt Ihnen zum
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