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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.10.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-10-04
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19011004029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901100402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901100402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-10
- Tag1901-10-04
- Monat1901-10
- Jahr1901
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K Türket, Egypten. Für all« übrigen Staate» 7 ' " »»g nur unter Kreuzband durch die Vez«s-,Prel- H» der Hauptexpedttiou oder den t» Stndt» »irk «ad den Vororte« errichteten LuS- bestellen abgeholt: vierteljährlich >« « bO, t uvetmaliger täglicher Zustellung lns «s LÜO. Durch die Post bezog»« für nrtfchland u. Oesterreich: vierteljährl. S. Maa abouuirt ferner mit entsprechendem Postaasschlag bet den Postanstaltea in der Schweif Italien, Belgien, Holland, Luxem« barg, Dänemark, Schweden uud Norwegen, Rußland, den Donaustaaten, der Europäischen . L- — -- - — ist der'vej Di« Moraeu-ilalaabe erscheint um '/,? Uh«^ di« LbeavLa-gabe Wochentag« um 5 Uhr. Uedactiou und LrvrdMou: Johaunisgaffe 8. Filialen: Alftrd Hahn vorm. O. Klemm'» Sortft». Uawersttätsstraß« 8 (Poultaam), Louis Asche, Lathartaeastr. Ich psrr. »ad KlMigbplaK 7. Abend-Ausgabe. Mpngcr TaMM Anzeiger. Amtsblatt des Königliche« Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeige« «Peets die 6 gespaltene Petitzeile SS H. Necla men unter dem RedactioaSstrtch («gespalten) 7b H, vor den Familiennach» richten (S gespalten) SO L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannohme LS H (rxcl. Porto). Grtra-Beilagen (gefalzt), nnr mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderuug 60.—, mit Postbesörderuug ^l 70.—> Ännahmeschluß für Älyeigeu: Ab end »TuSgabe: vormittag« 10 Uhr. Morgen-AuSgab«: Nachmittag« 4 Uhr. Bet den Filialen und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet« an die Expedition zu richten. Di« Expedition ist Wochentag« unuaterbrocha» geöffnet von früh 8 bis Abend« 7 Uhr. Druck uud Verlag von E. Polz « Leipzig, Nr. 507. Freitag den 4. October 1901. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. 2u wenigen Tagen, am 11. October» treten wir in daS kritte KriegSjahr ein und schon heute ergeht sich die englische Presse in schmerzlichen Betrachtungen über diese« beschämende und schier unerträgliche Factum. Nur mit größtem Wider streben und offenbarem Ekel erinnert man sich hier in London jener Zeit der protzenhaften und thörichten Ueberhebung und der tollsten Siegesgewißheit, als man zu Beginn des Monats October 1899 in bornirtem Uebermuth der Ansicht war, es würde genügen, von Capstadt aus 3 Regimenter Infanterie, 1 Regiment Cavallerie und ein paar Kanonen nach dem Norden zu senden, um die wider spenstigen Boeren zu Paaren zu treiben und die beiden Republiken für alle Zukunft unter das britische Joch zu beugen, — eine Ansicht, die wiederholt nicht nur in den wüsten Iingoblättern, sondern auch in Regierungsorganen, wie „Standard" und „Daily Telegraph" mit großem Behagen breit getreten wurde. Heule hat man sich eines Anderen überzeugt, und man fängt selbst im Jingo-Lager an, das dritte Kriegsjahr als ein selbstverständliches trauriges Kismet in trüber Resignation hinzunehmen. ll?ompora wutantur, und John Bull weiß jetzt, daß sich noch vieles ändern muß uud wird, bevor der Boerenkrieg so oder so beendigt werden kann. * London, 3. October. „Daily Chronicle" will aus bester Quelle erfahren haben, man rechne aus einen plötzlichen und vollständigen Zusammenbruch des Widerstandes der Boeren (?) und dementsprechend auf eine rasche Beendigung deS Krieges (?) Man beabsichtige daher nicht, weitere Ver stärkungen nach Südafrika zu schicken (weil keine mehr auf» zntreibe» sind. D. Red.), abgesehen von den Mannschaften, welche zum Ersätze der Verluste nöthig sind, die das Heer vor dem Feinde oder durch Krankheiten erleidet. * Loudon, 3. October. In der heute veröffentlichten amtlichen Verlustliste wird gemeldet, Oberst Kekevich sei schwer ver wundet, sei» Zustand bessere sich aber. 8«r Berbannungs- und Confiscattonspolitik. Di« englische Negierung scheint immer noch an dem Glauben festzuhcrlten, haß sie die Boeren durch Einschüchterungsmittel zum Aufgeber, des Kampfes bewegen könne. Daß aber 'die Ver- bännungs- und Confiscationspolitik die Boeren erst recht zum Kampfe stählen wird, kann, wie „Daily News" sehr richtig be merken, jeder Mensch einsrhen, der nicht britischer Minister ist. Aber ganz abgesehen davon, daß es gegen allen Kriegsbrauch ist, Männer zu bestrafen, well sie ihr Land vertheidigen, hat sich die Regierung auch eines Treubruchs dem Parlament gegenüber schuldig gemacht. Aus den vor der Vertagung des Parlaments von Balfour und Chamberlain abgegebenen Er klärungen wurde geschloffen, daß Verbannungen nicht einfach auf administrativem Wege verfügt werden sollen. Asquith legt« be sonderen Nachdruck auf diesen Punct und deutete die Pro klamation Kitchener's dahin, daß sie ankündige, daß ein besonderes Gesetz geschaffen werden würde, wonach über die Boerenführer, die sich nach einem gewissen Datum nicht ergeben hätten, Ver bannung verhängt werden könne. „Es ist durchaus ein Fehler, anzun«hmen, daß die Proklamation", so erklärte Asquith, „Gesetzeskraft hat; kein Minister hat in diesem Lande die Macht, das Verbannungsurtheil, einfach indem er cs auf ein Stück Papier schreibt, gegen irgend einen Theil der Unter- thanen Sr. Majestät wirksam zu machen. Die Proklamation be deutet etwas ganz Anderes, und zwar entspricht sie in diesem Puncte, wie ich glaube, zum großen Theil dem, was nach Be endigung des deutsch-französischen Krieges mit den Einwohnern von Elsaß geschah. Die Proklamation sagt zu diesen Leuten: Ihr müßt Eure Wahl treffen — wenn Ihr Euch bis zu dem festgesetzten Datum ergebt, so ist Alles in Ordnung; wenn Ihr es aber nicht thut, so warnen wir Euch hiermit, daß besondere Gesetzcsmaßnahmen geschaffen werden sollen, um so gegen Euch zu verfahren, wie es mit den Bewohnern von Elsaß geschah, die den Bedingungen der Proklamation nicht nachkamen, d. h. Ihr werdet dann von diesem Gebiet verbannt werden. Ich lege auf diesen Punct Nachdruck, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil ich nicht allein als Liberaler, sondern als Einer, der für die Aufrechterhaltung unserer konstitutionellen Formen eintvitt, den allerentschiedensten Einspruch erheben würde, wenn die Executiv- regierung sich irgendwie das Recht anmaßen wollte, durch eine Papierproclama'tton irgend welche Zahl von Sr. Majestät Unter- thanen aus irgend einem Theil von Sr. Majestät Gebieten zu verbannen. Die Negierung besitzt keine derartige Gewalt. Und zweitens sage ich es, weil — eh« die in seiner Proklamation aus gesprochene Androhung in Wirksamkeit gesetzt werden kann — erst örtliche Gesetzesmaßnahmen beschloßen werden müssen, Ge setzesmaßnahmen, die in allen Einzelheiten erörtert werden und die, selbst wenn sie in Kraft getreten sind, abgeändert oder wieder umgestoßen werden können." Zu dieser Deutung der Prokla mation erklärte Balfour seine Zustimmung. Indem jetzt die Regierung zugegeben hat, daß die Verbannung von Boerenführern einfach auf administrativem Wege verfügt worden ist, hat sie ihr Wort gebrochen. Aber da das Parlament nicht tagt, kann Niemand sic zur Rede stellen. England ist angeblich das Land der Freiheit. Seit dem Beginn der südafrikanischen Verwickelungen und namentlich seit Ausbruch des Krieges haben wir inoeß gesehen, Ivie die britische Regierung Schritt für Schritt alle freiheitlichen Grundsätze und selbst die Gebote der Menschlich keit mit Füßen getreten hat. Di: russische Methode, sich miß liebiger Untcrtbanen durch die von der Verwaltung verfügte Ver bannung zu entledigen, wird fortan auch eine Waffe der Exekutiv gewalt des „freien" England sein. Deutlicher kann sich Englands Ohnmacht nicht erweisen, als sie in diesen Verzweiflunasmaß- nahmen hervortritt. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. October. Zu den „großen" höfisch-communalen Streitig keiten in der Reicböhauptstabt, die sich, wie der an anderer Stelle mitgetheilte Bericht über die gestrige Stadtverordneten- Sitzung lehrt, immer mehr zuspitzt, bat sich ein kleines Berliner Ereigniß gesellt, daS eigentlich für die Oeffentlichkeit gar kein Ereigniß ist, aber weil eS einmal sehr unnötbiger Weise in ter Presse hervorgehoben wurde, jetzt sehr viel besprochen wird. Es handelt sich um die — Hochzeitsfeier zweier durchaus privater Menschenkinder, der Tochter des Commerzienraths Arn hold, deS Chefs der vielgenannten Firma Caesar Wollheim, und des Fabrik besitzers vr. Kun heim. Der „Confectionair" hatte von der Feier eine Schilderung geben zu müssen geglaubt, und I man findet daS Erzählte vielfach „social bedeutsam". Es hieß I in dem Bericht: I Zwei Extrazüge erwarteten die 3M Festgäste am Potsdamer Bahnhose und brachten dieselben nach Wannsee, wo sie am Bahnhose von Mailcoaches, Automobilen, Zwei« und Ein spännern ausgenommen und nach der Villa Arnhold befördert wurden. Im Vestibüle empfing die Ankommenden die in rosa Crepe-Chiffon mit gleichem Hut gekleidete Braut mit ihrem Bräutigam. Durch einen gedeckten Gang wurden die Gäste dann in den Garten geführt, wo an 50 Tischen zu je sechs Personen Thee und Kaffee servirt wurde. Hier war auch ein großes Zelt errichtet, das für den Fall eintretender Kälte mit Ofen, sowie mit elektrischem Licht versehen war und Lessen Herstellung allein 12000 kostete. Abends wurde in dem mit elektrischen Licht- guirlanden feenhaft erleuchteten Garten an 30 Tischen zu je 10 Personen Las splendide Souper eingenommen. Zwischen Kaffee uud Souper sanden die Feststaufsührungen statt, an denen sich die Freunde und Freundinnen des jungen Paares, aber auch allererste Künstler und Künstlerinnen betheiligten. Besonderen Beifall sand ein Serpentintanz von 12 Brautjungfern. Die männliche Dienerschaft erschien bei diesem glänzenden Feste in Eskarpins mit Schnallenschuhe», die weibliche Dienerschaft in schwarzen Alpacakleidern mit weißen Batistschürzen. Am Tage vorher war die ganze Jugend von Wannjee, sowie die Dienerschaft der befreundete» Familien zur General probe in der Villa Arnhold versammelt und wurde daselbst be- wirthet. Die Trauung findet heute in der neuen Kirche statt, woran sich ein HochzeitSmahl von 70 Personen im Arnhold'schen Hause in Berlin, in der Negentenslraße. anfchließt. Das junge Paar wird sich darauf über Dresden nach Abbazia begeben. Herr Arnhold soll seiner Tochter, die übrigens eine Adoptivtochter ist, an der aber die Eltern stets mit innigster Zärtlichkeit gehangen haben, wie man sich erzählt, eine Mitgift von vier Millionen Mark in die Ehe gegeben haben. Orientalisch üppig ist eS nach dieser Schilderung bei den Familienfesten nicht hergegangen, und was da erzählt wird, unterscheidet sich höchstens — in Bezug auf die Zahl der Gäste — quantitativ von hochzeitlichen Veranstaltungen, wie man sie im heutigen Deutschland häufig beobachten kann. Herr Arnhold ist nun einmal reich. Trotzdem hat die „Kreuzztg." bissige Bemerkungen an den Bericht geknüpft, und im Geiste der „Köln. Vol(Sztg." vergegenwärtigt der Bericht sogar den „Kampf zweier Welten" — deS Grund- adelS und deS reichen BürgerthumS: „Sieht man an diesem Beispiele nicht deutlich den „Kamps zweier Wellen", den Gegensatz zwischen der neuen und der alten Aristokratie ausblitzen? Solche Hochzeiten wie dieser Kohlenhändler kann ein preußischer Landjunker, selbst ein Graf oder Herzog, bei der Berheirathung seiner Tochter nicht geben, er ist auch — von ganz einzelnen Fällen abgesehen — nicht in der Lage, eine vorläufige Mitgift von vier Millionen zu opfern... Wie feindliche Heere stehe» sich die beiden Lager gegenüber. Man muß diese Tinge persönlich beobachtet haben, um sie ganz zu verstehen. Es ist ein Wettbewerb und ein „Kampf ums Dasein" zugleich, und gerade dieser Gegensatz macht den Streit um den Zoll- tarif so hitzig." Die „Köln. VolkSztg." ist nicht antiagrarisch, dennoch beleirigt sic mit diesen Sätzen den wirthsckaftspolitisch kämpfenden Großgrundbesitz aufs Schwerste. Der deutsche Grundbesitz, der große, wie der kleine, versichert, um seine Existenz zu ringen, und er macht für die Nothwendigkeil seiner Erhaltung ethische Gesichtspunkte geltend, die körperliche Gesundheit des Volkes, die Wehrfähigkeit, die Einfachheit der Sitten. Die „Köln. Volkszlg." aber führt diesen Kamps ums Dasein, wenigstens soweit der grundbesitzende Adel in Betracht kommt, auf puren Neid zurück, auf Neid um Geld und Neid um Wohlleben. Die „alte Aristokratie" kann sich bedanken. Das ultramontane Blatt enthält sich bei seiner Gegen überstellung wenigstens jeder antisemitischen Anspielung. Das hat die „Kreuzztg." nicht gethan und deswegen sehr unchristlich gehandelt. Die jungverheirathete Dame ist, wie auch aus dem Berichte des „Conf." hervorgeht, eine Adoptivtochter „dieses (jüdischen) Kohlenhändlers". Wer sich nach diesen Privat personen nur oberflächlich erkundigt — und wer sie in den Zeitungen herumschleift, sollte sich sogar genau er kundigen —, der erfährt, daß die Dame als Christin ge boren und eine ununterbrochen christliche Erziehung genossen hat. Wenn wegen des Namens deS Bräutigams, dessen Vater notorisch Christ war, die antisemitischen Pi- quanterien beliebt worden sind, so war dies ein Ausfluß deS Rassenantisemitismus, der den Herren Ahlwart und Zimmer mann ganz wohl auslände, nicht aber der orthodoxen, sonst mit Stelle» aus dem Alten Testamente hantirenden „Kreuz zeitung", die im Geiste des getauften Jüdin Stahl webt und die in der Liste ihrer früheren leitenden Redacteure den (allerdings mit einem „von" geziertenHNamen eines Mannes fübrt, dessen Vorsabren Nathan hießen. Die „Kreuzztg." hätte übrigens diese Hochzeitsfeier an sich nicht charakteristisch finden sollen. Der jetzt genannte Brautvater ist, wie gesagt, ein reicher Mann. Der Frhr. v. Wangenheim, Mitglied der conservativen ReichstagSfraction und Präsident des Bundes der Landwirthe, will das nicht sein, wenigstens hat er einmal eine Weile — eS ist gar nicht lange her — keine Einkommensteuer bezahlt, weil er kein Einkommen gehabt habe. Derselbe Herr v. Wangenheim hat aber der Behauptung nicht widersprechen können, daß er eigens für die Vermählung einer Tochter auf dem Lande einen Festsaal erbauen ließ, der über 4000 Mark kostete. Da Herr Arnhold sehr viel Einkommensteuer be zahlt, so wird das Gewicht des Vorwurfs der Ueppigkeit eher in die Waagschale der Landwirthe fallen, als in oie des Kaufmanns. Im Groflhcrzogthume Baden fällt heute für die national liberale Partei die Vorentscheidung der Landtagswahlen durch die Wablmänn erwählen. Welcher Mittel die CentrumS- hetzer ü la Pfarrer Wacker sich bedienen, um ihre geistlichen College» zum Kampfe gegen die Nationalliberalen anzusporueu, zeigt ein Pröbchen in einem meist von einem Pfarrer in- spirirten Organe des Seekreises, der „Freien Stimme". ES heißt dort: Da giebt es Geistliche, die aus Rücksicht auf ihren liberalen Bürgermeister sich nicht getrauen, sich als Gegenkandidaten aus zustellen, um angeblich den Frieden nicht zu stören oder, wenn sie durchsallcn, ihre Autorität nicht zu verlieren und sich zu blamiren. Haben es die Apostel auch so gemacht? . . . Warum nimmt der Plärrer Rücksicht aus den Bürgermeister und nicht umgekehrt der Bürgermeister auf den Pfarrer? Ist es nicht feig, sich vor dem Bürgermeister zu verkriegen? Der Bürger- meister soll wissen, daß er gegen jein katholisches Gewissen handelt, wenn er liberal wählt. Wie soll er es aber praktisch anders erfahren, als daß der Pfarrer sich als Gegenkandidat aufstellt? Und wenn er durchfällt, was liegt daran? Sille Ausreden, Rücksichten rc. sind Beweise der Feigheit ... Der Bürgermeister wird im schlimmsten Fall an seinem eigenen Brod wieder gut. — Die Socialdemokraten haben in 9 Wahlkreisen eigene Candidaten ausgestellt. Feirillrtsn. Olof Thoroldsen. Roman von Anna Maul (M. Gerhardt). Nachdruck verboten. Erschreckt legt« Frau Thoroldsen dem Jüngling, der bei diesem stürmischen Ausbruch die Stimme erhob, die Hand auf den Mund. „Um Gotteswillen, Kind! Willst Du Dich und mich un glücklich machen? 'S«i verständig, mein lieber guter Sohn. Du weißt ja, ich bin arm, ganz arm. Ich 'wollte mich gern todt arbeiten, wenn ich Dir damit Idie Mittel schaffen könnte, zu stu- diron, oder Künstler, oder Officier zu werden —" „Sprich nicht so, Mutter", fiel der Jüngling heftig mit heiserer Stimm« ein. „ES würbe ja doch nichts helfen, mein armer Junge. Soll ich nun noch schwerer an all' dem Schweren tragen?" „Nein, nein!" „Und sei nicht undankbar, Olof! Steht nicht tder Onkel als hochgeachteter, wohlhabender Mann da? Und kannst Du nicht dasselbe, mehr erreichen? Durch seine Hilf«, vergiß das nicht." OlofiS Haupt war auf sein« Brust gesunken. „Er soll mich nur gehen lassen. Ich brauche sein« Wohl- thaten nicht, will sie nicht. Ich brauche keinen Menschen. Ich schlage mich allein durch die Welt." „Onkel Anion ist Dein Vormund, Olof. Es liefe sogar gegen seine Pflicht, den thörichten Einfällen eines un«rsahren«n Knaben zu willfahren, gegen sein besseres Wissen und seine Ueber- zeugung." Olof biß sich aus die Lippe und warf den Kopf zurück. Die Mutter fuhr mit der Hand zärtlich über dies sich stolz auf- bäumende Haupt — und entfernte sich schnell. Es dauerte fast eine Stund«, bis sie wieder erschien. Es war dumpf und heiß in dem Stübchen, die Vorhänge waren noch Herabgelaffen, und da die Sonn« nicht mehr in den engen Hof schien, herrschte drinnen halbe« Zwielicht. Olof hatte die Stirn in beide Hände gestützt und di« Ellen bogen auf das Nähtischchen über den aufgeschlvgtnen Skizzen büchern. „Armer Junge", sagte Frau Anna und sank, erschöpft vom vielen Reden und Freundkichthun mit ihrem alten Herrn, auf »einen Stuhl. „Wie furchtbar hungrig Du sein mußt." Er schüttelte den Kopf. „Mutter", bat er in ernstem Tone, „versprich mir Eines. Gieb die Skizzenbücher nicht fort. Auch wenn Dir ein gut Stück GM dafür geboten wird. Sie sind jedenfalls von hohem künstlerischen Werth. Aber ich will nicht, daß sie in fremde Hände kommen. Hörst Du, Mutter?" „Jo, mein Sohn. Die Skizzenbücher gehören Dir, ebenso wie Vaters Uhr und Kette, Beides ist Dein Erbtheil; ob ich Dir jemals mehr zu vermachen haben werde, ist sehr zweifelhaft. Ich verwahre Dir die Bücher, Olof, kein Mensch soll sie haben. Und was das Ande-re betrifft —" Frau Thoroldsen stand auf und kramt« in ihrer Kommode, kam dann mit einem schwarzen Lederetui wieder zum Fenster. „Weil Du den großen Wunsch hast, mein Kind — und iveil ich Dir so Vieles versagen muß" — sie nahm die Uhr mit schwerer Goldkette aus dem Kästchen, steckte sie in di« Westen tasche des Jünglings und hakte die Kett« in einem Knopfloch fest. „Trage sic, Olof, und vergiß nie, daß sie das letzte Geschenk Deines theuren Vaters ist." „Dtuttcr!" — er legte beide Arme um die Schultern der Wittwe und drückte sie stürmisch an sich. Keiner sprach ein Wort. Beide hatten Thronen in den Augen. Viertel Capitel. Die „gute Stube" — auch „kalte Pracht" von dem witzigen Anton Bcrgau, von Frau Llärchen stolz: „mein Salon" genannt, strahlte im Glanze festlicher Beleuchtung. Die Vorhänge waren niedergelassen, ein dichter Kreis von Damen und Herren in cle- gc-nten Sommercostümcn, nähere Freunde und oberflächliche Be kannte des Bergau'schen Hauses, umringte in feierlichem Schweigen den Flügel, der in die Mitt« des Zimmers gerückt war, wie es sich bei musikalischen Leuten so gehört. Am Flügel saß Anton Bergau, hübsch und stattlich mit seinem goldbraunen Barte und seinen treuherzigen Augen, die ganz ver klärt dreinschauten, und spielte sehr brav die mitunter etwas haklichen Begleitungen zu Löwe's „Hochzeitslied", Schumann's „Lorelei" und anderen Perlen aus dem unerschöpflichen deutschen Lied«rhort. — Neben dem Flügel stand Frau Elvira und sang. Ihre schöne, wohlgeschulte Stimme erfüllte den Raum und die Herzen der Hörer mit einem vollen Strom von Wohllaut. Sie trug ein weißes Kleid und einige blaßroth« Rosen — Bergau's Geschenk — im Gürtel. Ihre prachtvoll« Gestalt, das blonde, hochfriflrte Haar, der Reiz ihrer Farben, die lächelnden, berücken den Blicke, die ihre Augen rechts und links sandten — war cs ein Wunder, wenn sämmtliche Herren — ohne Ausnahme Musik enthusiasten — aus dem Häuschen geriethcn vor Begeisterung, und auch die Damen sich hinreiben ließen? Ja, sie thatcn es den Herren zuvor, Eine und die Andere sprang auf, der Sängerin die Hände zu drücken, ihr für den Hochgenuß zu danken — und daß sie gerade dies Lied — gerade so gesungen — so ganz und gar aus diesem einen Herzen heraus! „Was soll ich Ihnen singen? Welches ist Ihr Lieblingslicd?" So fragte sie die bescheiden Zurückhaltenden. Sie wurde nicht müde. Je mehr sie sang, um so frischer und reicher quollen ihre Töne, wie aus unoersieglichem Born. Endlich eine Pause. Ganz ermattet ruht die schöne Frau im Sessel, fächelt sich und erlaubt ihren Verehrern, sic zu umringen und ihr Weihrauch zu streuen. Vom Banne des Schweigens erlöst, schwärmt Alles durch einander. Ueberall bilden sich lebhaft plaudernde Gruppen. Je mand sitzt am Flügel und spielt eine Phantasie. Niemand achtet seiner. „Singen kann sie, Donnerwetter!" ließ sich Eonsul Römpke's stets heisere Stimme vernehmen. „Die hohen Töne! — So was kitzelt Einem die Ohren!" „Und — was mir die Hauptsache ist — das Singen entstellt sie nicht", versetzte Regierunqsrath Weber. „So'n aufgesperrter Mund kann mir die ganze Persönlichkeit verleiden. Die Wien hold wäre so was für die Bühne." „Sie spricht ja auch davon, zur Oper zu gehen", sagte der kleine Musikdirektor Schwan. „Schade, daß sie nicht früher an gefangen hat. Ueber die erste Jugend ist sic doch hinaus." „Na, hören Sie, die zweite ist auch nicht zu verachten", meinte der Eonsul mit einem stillinnerlichen Lachen. „Was ist denn aus Paulchen Wienhold geworden? Läuft er noch irgendwo un gehangen herum?" „Was, der Gatte lebt? Sie kennen ihn?" fragte der Re gierungsrath sehr interessirt. „Werd' ich nicht haben gekannt Paulchen Wienhold!" gab der Eonsul Bescheid. „Zusammen die Schulbank gedrückt, zu sammen durch's Abiturium geplumpst, alle dummen Streiche zu sammen vollführt. Er ist ja ein Stadtkind aus guter Familie, aber ein heilloser Strick von Kindesbeinen an. Wie die hübscht Elvira Grube hier ihre ersten Bälle mitmachte und allem Mannes volk die Köpfe verdrehte, war Paulchen natürlich gleich hinterher. Sie hätt' leicht was Klügeres thun können, als den Windbeutel heirathen." „Was war er? Kaufmann?" „Bankbeamter. Ging ihm sehr gut, anfangs in Berlin und Leipzig, so viel man hörte. Ein paar Jahre mit der hübschen Frau in Saus und Braus gelebt, dann wars aus mit der Herr lichkeit. Eines schönen Tages stand Paulchen Wienhold's Lonterfei in der Zeitung. Steckbrief — Caffendefect. Fangen hat der gerissene Bursche sich natürlich nicht lasten." „O weh. Und das Frauchen?" „Blieb nackt und bloß zurück, soll sich aber tapfer durchge schlagen haben, mit Stundengeben und dergleichen, bis der alte Gestütsinspector sie nach Hause holte. Und jetzt sehen Sie sie an. Sieht sie danach aus, als hätte das Schicksal sie durch den Dreck geschleift? — Schön und forsch, als hätte sie nie etwas anders zu thun gehabt, als Singen und sich den Hof machen lassen. Sehen Sie, das gefällt mir." „Sie ist schon ein paar Mal auf Provinzialbühnen aufge treten", sagte der Musikdirektor. „Nicht ohne Beifall, wie die Musikzeitungen berichten." „Hören Sie, Schwan, könnten wir sie nicht hier festhalten?" Eonsul Römpke schlug den kleinen Musikdirektor überredend auf die Schulter, seine wasserblauen Aeuglein schimmerten feucht in seinem rothen feisten Gourmandgesicht. „Unsere Oper ist gar nicht so übel, und mit einer solchen Primadonna —" „Ja, Teufel noch eins, das würde ein Magnet sein", stimmte der Regierungsrath zu. „Dabei hab' ich leider gar nicht mitzureden", versetzte Schwan trocken. „Ob die Oper diesen Winter zu Stande kommt, ist übrigens sehr zweifelhaft." „Schade!" „Ja — thut mir auch leid. Die Menhold war bei mir, wünschte Rath und Beistand — sie will hier bleiben, Concerte geben, unterrichten. — Ich konnte da nicht zureden. Hier kom men schon zwei Lehrer auf einen Schüler." „Ei ei! Brodneid? Schämen Sie sich, Schwänchen! Für solch' verlassenes hübsches Frauchen thut doch ein Jeder gern ein klebriges, und noch dazu ein College." Aber der Musikdirector hörte nicht, hatte sich von einer sein» Schülerinnen in ein Gespräch ziehen lassen. „Uebrigens brauchen wir den Neidhammel gar nicht", meinte Römpke entrüstet. „Wir thun uns zusammen, veranstalten etwa» Gemeinschaftliches." — Die guten Absichten des Eonsuls blieben im Unklaren. Drüben die Sängerin hatte sich erhoben und kam über die ganze Breite des Zimmers auf die beiden Herren zu. Strahlenden Angesichts begann der Eonsul «ine schwung volle Anred«, aber Frau Wienhold schwebte mit freundlichem Nicken an ihm vorüber, auf eine schmächtige Jünglingsgestalt zu, die halb versteckt hinter dem breiten Rücken der SangeSbrüder am Thürgerüst lehnte. „Ah, mein junger Ritter Olof! Endlich «ntdecke ich Sie! Wo waren Sie denn hingekommen?" „Hier stand ich — den ganzen Abend, gnädige Frau", er widerte Olof, erröthend wie ein Mädchen. ' „Hier standen Sie — hier an der Thür, stumm und steif wie
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