02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.01.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-01-21
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020121027
- PURL
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- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902012102
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
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Eine Pa trouille von 50 Mann der Bürgergarde von Tarkasstad wurde heute Vormittag von dem Commando W e s s e l' s in der Nähe von Mariasburg überrascht. Ein Verwundeter und einige unverwundete Mannschaften kamen in die Stadt zurück. Ueber das Schicksal der klebrigen Weißmann ichts. Die angeblichen FrtcdenSvcrhandlungen. Aus Brüssel wird uns gemeldet: Alle Nachrichten, daß einzelne der in den Niederlanden weilenden Boerenvcrtreter, in Folge der freundschaftlichen Rakhschläge der holländischen Negierung, in Friedensverhandlungen einzutreten bereit sein sollten, sind unwahr. Nachdem sämmtliche britischen Cabi- netsmitglreder, von Salisbury und Chamberlain bis Brodrick, in allen neuen Kundgebungen auf das Bestimmtest« erklärt haben, daß die staatliche Selbstständigkeit beider Boerenrepubliken von jeder Erörterung über die Friedensbodingrrngen ausgeschlossen sei, und nachdem nicht nur Lord Rosebery, sondern auch Cambpell Bannermann in ihren letzten Reden ebenfalls die vollständige Ein verleibung de: Boerenstaaten gefordert haben, ist es ganz un denkbar, daß irgend ein noch im Felde stehender Boerengeneral auch nur in Verhandlungen über einen Friedensschluß aus dieser Grundlage cinwilligen würde. Es ist deshalb ganz überflüssig, von Friedensverhandlungen zu sprechen, so lange nicht eine eng lische Negierung von dem vorbezeichneten Standpuncte abgeht. Der Krieg vor dem cnglischcn Parlament. * London, 20. Januar. (Unterhaus.) Im weiteren Verlaufe der Adreßdebatte stellt Cawley (liberal) fol genden Antrag: „Die Kammer unterstützt alle Maßnahmen, die geeignet sind zu einer wirksamen Fortführung des Krieges. Sie ist der Ansicht, daß die Politik der Re gierung und ihre Haltung gegenüber einer Beilegung des Streites nicht zu einer nahen Beendigung des Krieges und zur Herstellung eines dauernden Friedens geführt haben." Cawley fragt sodann, ob das Gerücht, daß Gesandte der Boeren Friedensunter handlungen eröffnet hätten, wahr sei. Chamberlain unterbricht und bemerkt, das Gerücht sei u n b e g r U n de t. (Beifall auf den Bänken der Ministeriellen.) Mac Renna unterstützt den Antrag Cawley. Dilke erklärt, Alle seien über die unheilvolle Wirkung der Verlängerung des Krieges in Südafrika und in Europa einig. Weshalb sei denn jetzt Chamberlain's Traum von dem Bündniß mit einer Militär macht gänzlich verstummt? Weshalb sei jetzt Eng lands langes Einvernehmen mit Italien durch dessen Einver- ständniß mit einer anderen Macht ersetzt und weshalb steht Eng land in der Welt isolirt? Daran sei die Verlängerung des Krieges schuld und für diese Verlängerung sei die Regierung verantwortlich in Folge der Verschleppung ihrer Vorbereitungen während des ganzen Felvzuges. Durch ihre eigenen Erklärungen habe die Regierung sich in die Stellung gebracht, keinen Frieden schließen zu können, ohne das Land zu demllthigen, während sie gleichzeitig Mangel an Energie bei der Kriegführung gezeigt habe. Howard Vincent be kämpft den Antrag Cawley, erklärt jedoch, daß nach dem Ende des Krieges, welches vielleicht im Juni möglich sei, eine Garnison von mindestens 100 000 Mann 4—5 Jahre in Afrika werde bleiben müssen. — Chamberlain erklärt, es stehe in der Geschichte des Par laments ohne Beispiel da, daß bei einer Debatte über ein Tadelsvotum nicht ein einziger früherer Minister bisher dasselbe vertheidigt habe. Man sagt, der Zweck des Unterantrages sei der, von der Regierung zu erfahren, wie der Krieg enden werde. In zweiter Linie beabsichtige der Antrag jedoch, Diejenigen, welche die Gerechtigkeit des Krieges bestreiten, von barbarischer Art und abscheulicher Grausamkeit der Krieg führung reden und glauben, England solle um Frieden nach suchen und Milner abrufen oder ihn beleidigen, indem es die Unterhandlungen anderen Händen anvertraute, zu veranlassen, bei der Abstimmung Diejenigen zu sich herüberzuziehen, die, wie Asquith, Rosebery, Grey, anerkannt hätten, daß der Krieg ein gerechter und die den Gedanken, den Boeren Friedensvor schläge zu machen und Milner hintanzusetzen, zurückwiesen. Der Antrag sei unehrlich (Beifall auf den Bänken der Ministeriellen). Er wolle die genaue Stellung der Negie rung hinsichtlich der Lösung des Streites darlegen. Er sei außer Stande, einen wesentlichen Unterschied zwischen der An sicht der Regierung und der der imperialistischen Liberalen zu erkennen. (Ironischer Beifall bei den Iren). Diejenigen, welche sich zu der sogenannten Chesterfield-Politik bekennten, würden sich und dem Lande einen schlechten Dienst erweisen, wenn sie nicht die Gesellschaft in Betracht zögen, in der sie sich befänden, falls sie für den Unterantrag stimmten. — Die Concen- trationslager seien in Folge des Vorgehens Botha's geschaffen, der die Frauen nicht in den Meiereien habe belassen wollen. Die Regierung habe mit einer in der Kriegsgeschichte beispiel losen Menschlichkeit sür di« ihr so aufgedrängten Frauen und Kinoer gesorgt. Für das bcklagcnswcrthe Elend und die Sterblichkeit in jenen Lagern seien die Befehls haber der Boeren verantwortlich. (Beifall.) Wenn die Boeren geglaubt hätten, daß sie jederzeit die von Lord Kitchener angebotenrn Bedingungen er halten könnten, so seien sie im Jrrthum. (Lauter Beifall.) Augenscheinlich fei der Grund, weshalb sie Kitchener's Vorschläge abgelehnt haben, der, daß sie sie für das Minimum hielten, das sie jederzeit erhalten könnten. Es wäre sehr gefährlich, sie in dieser Ansicht zu bestärken. Falls die Boeren die Verhand lungen eröffneten, müßten die Engländer zunächst wissen, ob Di«, welche die Verhandlungen führen wollten, auch berechtigt seien, das zu thun. Krüger und feine mit nach Holland ge flüchtete Umgebung schienen das Vertrauen der Trans- vaaler verloren zu haben; ebenso wenig käme die ambu lante Negierung Steijn's und Schalk Burgher's in Betracht, da sie nicht mit allen Kommandos in Verbindung sei. Auch die Boerengenerale könnten für die Anderen nicht verhandeln. Wenn aber wirklich eine entsprechenve Vertretung der Boeren gefunden sei, müsse man sehen, ob ihre Bedingungen vernünftig seien und Aussicht auf einen soliden Frieden böten. — Chamberlain weist Bannermann's Vorwurf betreffs der Ausrottungspolitik zurück und betont, Niemand sei wegen Hochverrat Hs erschossen worden, sondern wegen Mordes. (Beifall.) Die Regierung wolle den Besiegten baldmöglichst vollepolitischeRechte und allen Weißen gleiches Recht geben. Eine allgemeine Con- fiscation sei nicht beabsichtigt. Zwecks eines dauernden Friedens müßten die Boeren ihre Niederlage zugeben, was angesichts ihrer Tapferkeit keine Demüthigung für sie sei. England sei nicht taub gegen Friedensanerbietungen, die von einer verantwortlichen Behörde kommen. Lord Kitchener's Proklamation vom 7. Juli bleibe unaufgehoben, da durch die Exilirung der Boerenfiihrer die Bestrebungen zur Wiederaufrichtung des Boerenstcvates erschwert werden. Nach dem Friedensschlüsse solle, soweit Englands Sicherheit es erlaube, größtmögliche Amnestie gewährt werden. Hinter der Regierung stehe die Mehrheit der Engländer. (Bei fall.) Dillön beantragt zu dem Tadelsantrage Cawley eine abgeänderte Einleitung, in der ausgesprochen wird, daß die englische Kriegführung in Südafrika (systema tische Verwüstung des Landes und Masseneinsperrung von Frauen und Kindern in den Concentrationslagern) bar barisch sei und den Unwillen der civilisirten Welterregt habe. Der Antrag Dillon wir» mit 283 gegen 64 Stimmen abgelehnt. * London, 20. Januar. (Oberhaus.) Wemhß kündigt an, daß er am Montag folgende Resolution ein bringen werde: „Es ist nur durch eine kräftige Weiter führung des Kriegs und durch eine Uebergabe der noch im Felde stehenden Guerilla-Boerentruppen möglich, daß ein befriedigender dauernder Friede gesichert werden kann. Das Haus billigt dies und unterstützt kräftig das Vorgehen der Regierung." — Das Haus vertagt sich alsdann bis zum nächsten Montag. -London, 21. Januar. (Telegramm.) Der Zu- tz r a n g zu den für die Ablösung der in Südafrika befind lichen Aeomanry bestimmten Abtheilungen übertrifft alle Er wartungen. In Folge dessen sind die Recrutirungslisten für dieses Corps geschlossen. Es waren nur 2000 Mann verlangt, über 3000 ließen sich jedoch in die Listen aufnehmen und gehen Ende dieses Monats nach dem Cap ab. * London, 21. Januar. (Telegramm.) Depeschen aus Melbourne und Wellington melden, Chamberlain habe telegraphisch mitgetheilt, die englische Regierung werde sehr erfreut sein, falls neue Contingente, je 1000 Mann stark, von Australien und Neuseeland entsandt würden. politische Tagesschau. - Leipzig, 21. Januar. Wenn der Reichstag gestern nicht den Antrag Arendt, der die verbündeten Regierungen um Vorlegung eines Nach trags« tat s behufs Auszahlung aller bewilligten Beihilfen an Kriegsteilnehmer ersucht, ohne Debatte einstimmig angenommen hätte, so hätte er wieder einen verlorenen Tag zu verzeichnen gehabt. Denn was gestern in der weiteren Besprechung der socialdemokratischen Interpellation wegen der Arbeitslosigkeit sowohl auS dem Hause wie vom Tische des BundeSrathS gesprochen wurde, bestand fast lediglich aus Wiederholungen oder hatte mit dem Thema so gut wie nichts zu thun. Hervorgehoben zu werden verdient allenfalls die Klage des Socialdemokraten Hoch über die Beschäftigung ausländischer Arbeiter. Sonst hört man bekanntlich von der Socialdcmokratie Vie Phrase von der Solidarität der Arbeiter auf dem ganzen Ertenrunde und den Ruf: „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!" unermüdlich wiederholen; aber wenn eS sich für sic darum bandelt, sich den deutschen Arbeitern als die alleinigen Verfechter ihrer Interessen anzupreise», bann ist von internationaler Solidarität nicht mehr die Rede, dann wird ter ausländische Arbeiter dem ausbeuterischen „Bourgeois" gleichgestellt und eine Sprache geführt, als ob die deutsche Socialdemokratie von jeher die Verfechterin einer gesunden HcimaihSpolitik gewesen wäre. Seltsamer Weise fiel es gestern Niemand ein, Herrn Hoch hieraus aufmerksam zu machen. Uebrigens wurde dir Debatte noch nicht einmal zu Ende geführt. — Ungleich interessanter war die gestrige Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses, die fast gänzlich ausgefüllt wurde von der Interpellation v. Knapp über den Fall „Kulenkampff" oder, wie cs nach Feststellung des richtigen Namens heißen muß: Kulen kamp ff. Wir haben seiner Zeit den Vorfall nach den Berichten Elberfelder Blätter mitgetheilt und können uns daher heute auf das Nötbigste beschränken. Herr Kulen- kampff, der seit über einem Jahre in Elberfeld als ein mit den besten Familien der Stadt befreundeter, angesehener Mann lebt, ist daS Opfer einer höchst bedauernswerthen Verwechslung mit einem Schwindler NamenS Kuhlenkampf geworden, der im März des Jahres 1900 in Neu-Ruppin betrügerische Schwindeleien verübte. Der erlassene Steckbrief hatte bis Ende deS Jahres 1901 keinen Erfolg; da glaubte die Elberfelder Polizei die Identität des Herrn Kulenkampff mit dem Schwindler Kuhlenkampf festgrstcllt zu haben. Auf Ersuchen des Neu-Ruppiner Gerichts wurde der gänzlich unschuldige Herr Kulenkampff verhaftet und nach Verhör durch den stellvertretenden Amtsrichter ins Untersucbungsgefängniß abgeführt, bis wenige Stnndcn dar auf durch eine nach Mannheim gerichtete dringliche Depesche der Alibi-Beweis für Herrn Kulenkampff erbracht und der unschuldig Verhaftete wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Aber in der kurzen Untersuchungshaft erfuhr Herr Kulen kampff eine durchaus unwürdige Behandlung. Letztere mag in der Presse zum Tbeil aufgebauscht worden sein, aber auch nach den gestrigen actenmäßigen Darstellungen des Justizministers Schönstedt und des Minister« des Innern v. Hammerstein bleiben noch immer so mannigfache Jrrthümer und Uebersckreitungen der amtlichen Befugnisse übrig, daß in der That die Rechts sicherheit durch diesen merkwürdigen Fall stark erschüttert erscheinen muß. Es liegen allerdings nur Jrrthümer und Verfehlungen der unteren Organe der Justizbehörden und der Gefänznißvrrwaltung vor, auch muß man aiierkennen, daß beide Minister diese Jrrthümer in keiner Weise beschönigten und dem Opfer derselben, Herrn Kulenkampff, von der Tribüne des Abgeordneten hauses und von ihrer verantwortlichen Stellung aus die größte Genugthuung für die erlittene Unbill zu Theil werden ließen. Aber zweifellos lehrt dieser Fall, welch unausgesetzter Wachsamkeit die Befolgung des geschriebenen Gesetzes bedarf, damit eö Gesetz und kein todter Buchstabe bleibe. Selbst die conservativen Redner, so große Complimente sie auch den beiden Ministern zu machen geneigt waren, mußten zugestehcn, daß daS Amtsgericht in Neu-Ruppin nicht befugt war, den Haftbefehl gegen den gesuchten „Kublenkampf" zu erlassen. Andererseits wird man sich erstaunt fragen müssen, ob denn der Elberfelder Polizei nicht von selbst Zweifel aus stoßen mußten, ob der gesuchte „Kuhlenkampf" wirklich mit Herrn Kulenkampff, der, wie gesagt, als geachteter Mann im Ver kehr mit den besten Familien Elberfelds lebte, identisch sei. Sehr befremdend war überdies die Aeußerung de« Justiz- Ministers: Herr Kulenkampff hätte sich insofern indolent ge- i zeigt, als er nach der ersten polizeilichen Anfrage bei ihm für I einen Alibibeweis hätte Sorge tragen müssen. DaS kommt I auf das Verlangen hinaus, daß jeder preußische Staats- Feuilleton. Rittmeister Eckhoff. Roman von A. von Trystedt. Nachdruck derbsten. Bernhard gewahrte mit wachsendem Staunen, daß der In genieur so wenig etwas, das an Unwohlsein gemahnte, verrieth, als Eile, von hier fortzukommen. Eckhoff war empört. „Sie vergessen, Herr Döring, daß Ihres Unwohlseins wegen drei jungen Damen das schöne Ballvergnügen gestört wird", sagte er mit hörbarer Verstimmung, „da wäre es doch kaum zu ver antworten, wollte man den Damen auch noch zumuthen, daß sie den Nachhauseweg ohne Begleitung zurücklegen." „Es hat wirklich nichts zu sagen, Herr Eckhoff, aber wir können auch gehen, bitt«, geben Sie mir wieder Ihren Arm, Herr Eckhoff, damit ich mich stütze." Langsam, sehr langsam durchquerte Döring mit seinem Be gleit«! den Saal. Hier uns dort wurden sie noch von einem Be kannten zurückgehalten, es schien Eckhoff, als seien bereits Stunden vergangen, seitdem Stephanie den Saal verlassen hatte. Der Bodrn brannte ihm gewissermaßen unter den Füßen Was mochte Stephanie von ihm denken Sic mußte ihn für tactlos und rücksichtslos halten! Aber so oft er allein vorwärts eilen wollte, klammerte Döring sich, auf sein Unwohlsein hin weisend, an Bernhard fest. Schließlich ergab dieser sich mit einer Art Galgenhumor in die Situation. Als sie endlich die Garderobe erreichten, war von den Damen nichts mehr zu sehen. Sie mochten längst zu Hause angelanat sein. In einer kleinen Stadt find die Entfernungen nicht gar so groß. Döring schien so wenig die Verstimmung des jungen Mannes zu bemerken, wie es ihn verdroß, daß die Damen allein gegangen waren. Jetzt schlüpfte er eilig in seinen Pelz und verließ schon nach wenigen Minuten mit Eckhoff zusammen das Hotel. Dieser überlegte, ob er es wohl wagen dürfe, zu dieser un gewöhnlichen Stunde dem Vater des geliebten Mikdchens seinen Herzenswunsch zu verrathen, und um Stephanie zu werben. Aber ehe er zu einem Entschlüsse gelangte, stand Döring plötzlich abschiednehmend still. „Ich darf Sie nun nicht weiter bemühen, mein lieber Ver ehrter, die kurze Strecke kann mir nicht» geschehen — schönsten. besten Dank für Ihre freundliche Begleitung — gute Nacht, auf Wiedersehen!" Julius sprach so hastig, preßte so flüchtig die Hand des jungen Mannes und wandt« sich so schnell und gewissermaßen brüsk ab, daß dem Letzteren nichts Anderes übrig blieb, als auch jetzt gute Miene zum bösen Spiel zu machen und sich verab schieden zu lassen. Zweites Capitel. Döring eilte, als er allein Ivar, mit beschleunigten Schritten vorwärts. Langsam erschlaffte oer verbindliche Ausdruck in seinen Zügen und machte einem mürrischen, verdrossenen Aus sehen Platz. Als er nach weiteren zehn Minuten seine Wohnung erreicht hatte, blickten sein« Augen unstät, eine tief« Falte stand zwischen den dunklen Brauen, seine Bewegungen waren lässig und müde In dem Hochparterre eines hübschen, zweistöckigen Hauses, dessen weißverhüllte Fenster auf einen geräumigen, tiefverschneiten Vorgarten schauten, befand sich das Heim der Familie Döring Zahllos«, mit Strohmatten umwickelt« Rosenstämme verriethcn, daß dieses Fleckchen Erde im blühenden Sommer den an- muthigsten Rahmen für zwei schön«, bezaubernde Mädchen gestalten bilden mußte. Ein wohliges Behagen durchströmte den Mann, als er den kurzen Weg bis zur Hausthür zurücklegte. Aber als er dort angelangt Ivar, und die Klingel zog, überkam ihn schon wieder eine nörgelnde, aufrührerische Stimmung. Er behielt jedoch kein« Muß«, sich derselben hier draußen hinzugeben, denn schon wurde ihm geöffnet. Döring betrat einen hübschen, hell austapezierten Dorraum, der erleuchtet und mit Garderoben- uns Schirmständern aus gestattet war. Eva, die jüngste Tochter des Hauses, empfing den Vater. Sie war ein tannenschlankes, kaum dem Backfischalter ent wachsenes Gcschöpfchen und versprach dereinst an Schönheit und Grazie ihr« Schwester noch zu überstrahlen, w«nn dies überhaupt möglich war. Schweigend nahm sie dem Vater den Pelz ab, half ihm beim Ausziehen der Stiefel, und dirigirte seine Füße in die bereit stehenden, warmgefütterten Hausschuh«, Alles mit einer ge wandten und fürsorglichen Geschäftigkeit. Döring strich mit der Handfläche liebkosend über die sammet weiche Mädchenwang«, dann begab er sich in das Wohnzimmer. Es war nach einfach bürgerlicher Weise ausgesiattet, doch lag ein Hauch von Poesie über den zierlich geordneten Möbeln. Von einem Fenster zmn anderen zog sich eine Estrade, auf der zwei Nähtische standen. Blüthenweiße Mullgardinen umwallten die Plätze, zwei Wände von frischem, wohlgepfleglem Epheu ver vollständigten das Bild stiller Traulichkeit. Sehr schöne Maha gonimöbel mit geschmackvollen Beschlägen, ein purpurfarbenes Tuchsopha mit Sesseln und Kissen von gleicher Farbe, davor ein prächtiger Teppich, erhöhten den Eindruck schlichter Wohlhaben heit. Unter der Hängelampe stand der Thcetisch. In ruhiger Behaglichkeit saß Frau Döring an demselben mit ihrer ältesten Tochter Stephanie. Beide Damen hatten die Balltoilette bereits mit einem schlichten Hausgewande vertauscht, aber auf den Gesichtern glühte noch der Widerschein der Ballstimmung, die selbst Frau Martha's Zügen noch einen Schimmer von Jugendlichkeit verlieh. Di« Töchter waren der Mutter Ebenbild, das ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Auch jetzt noch konnte man Fran Döring als eine anmuthige, gewinnende Erscheinung bezeichnen. Die Farben ihres Antlitzes hatten allerdings den Schmelz ein gebüßt, die Formen ihre zarten Linien, "dafür aber erschien sic so echt frauenhaft, und besonders, wenn ihr blaues Auge mit mütterlichem Stolze auf den beiden schönen Kindern ruhte, mußte man sich unwillkürlich auch für di« Mutter erwärmen. Döring ließ sich schweigend in dem bequemen, für ihn bereit stehenden Korbsessel nieder. Alle drei Augenpaare richteten sich auf ibn. Als er stumm vor sich hinstarrte, ohne auch nur ein Wort an die Familie zu richten, unterbrach Stephanie endlich die Stille. „Du kamst gerade zur rechten Zeit, Papa", sagte sie lachend", Eckhoff »var im besten Zuge, mir Herz und Hand anzutragen, es wäre mir peinlich gewesen, ihm einen Korb geben zu müssen." Ein verstohlener Blick des Staunens flog aus den Augen der Mutter zu der Sprechenden hinüber. Schon oft hatte Frau Döring Gelegenheit gefunden, Stcphanie's Kälte den Männern gegenüber zu beobachten. Daß auch Eckhoff eS dem Anschein nach noch nicht vermocht hatte, ein wärmeres Gefühl in dem schönen Mädchen zu wecken, erfüllt« die Mutter fast mit Besorgniß. Sie verhielt sich aber vorläufig ganz ruhig, wie immer, wenn sie fürchten mußte, mit ihren Ansichten ihres Mannes Mißfallen zu erregen. Inzwischen hatte Eva eine Stulle reichlich mit kaltem Wild- pret belegt und sie dem Vater vorgesetzt. Nun füllte sie seine Tasse mit Thee, warf Zucker hinein und setzte die Arracflasche daneben. Döring sah mißvergnügt auf seinen Teller. „Ich bringe das nicht hinunter", erklärte er endlich „Ihr wißt doch, wenn mir so mkserckbel zu Muthe ist, kann ich daS Fleisch nicht essen." „Aber Papa!" rief Eva bestürzt, „es ist Rehbroten, Dein Lieblingsbelag." „Ihr habt ihn mir aber bereit» ein« halbe Woche vorgesetzt, und ich habe ihn mir gründlich zuwider gegessen, man will doch auch einmal eine Abwechselung haben!" Frau Döring zuckte nervös zusammen. „Wenn Du keinen Appetit mehr hast, Papachen, so ist es am besten, Du trinkst Deinen Thee und gehst dann sogleich zu Bette", bemerkte sie sanft, „das Buffet im Casino war ja auch vorzüglich besetzt —" „Es verlangte mich nicht nach den Delikatessen —" „Ja, Papachen, «S ist außer dem Wildpret nichts im Hause, und jetzt zur Nachtzeit ja auch nichts herbeizuschaffen. Sage nur, was Du haben möchtest, zum Frühstück besorge ich Dir, was Dein Herz wünscht und begehrt." Julius warf sich in seinen Stuhl zurück und starrt« wieder mürrisch vor sich hin. Er hatt«, ehe er sich ins Casino begab, in der Speisekammer einige Eier entdeckt und ein Glas mit Fruchtgelee. Sogleich war das Der- ' langen nach einer Omel«tte in ihm wach gc- worden. Er eilte ins Wohnzimmer, um sich sein LieblingLger-ch« schnell zubcreiten zu lassen, aber zu seiner Enttäuschung gewahrte er, daß seine Damen schon frisirt waren und auch die Schlepp röcke bereits angelegt hatten. Nun mußte er sich einstweilen wohl oder übel seinen Appetit vergehen lassen, doch während des ganzen Abends hatte ihn der Gedanke an die Omelette gepeinigt. Er hätte sich die Speise im Casino zubereiten lassen können, aber das gab fein Eigensinn nicht zu. „Vielleicht sind noch einige Eier im Haus«?" warf er jetzt scheinbar unabsichtlich hin. Frau Döring aber kannte ihren Gatten viel zu genau. Sie erhob sich sogleich. „Ich fürchte nur, gekochte Eier werden Dir zu dieser ungewöhnlichen Stund« nicht dienlich sein", wandte sie vorsichtig ein, aber sie hatte bereits ein Tuch um die Schulter ge legt, denn in der Küche war es eisig kalt. „Ich bin ganz Deiner Meinung", stimmte Julius b«i, welcher mit seinem Verlangen nach "der Omelette und einem Anflug von Verlegenheit und Scham rang, „Du könntest mkr aber morgen zum Frühstück «in« Omelette von den Eiern backen, darauf habe ich einen wahren Heißhunger. Wenn Du mir die Omelette mit dem Obstgelse füllst und mir den Rest Marcobrunn«r, den Du tm Buffet verschlossen hast, dazu giebst, so wäre das ein Götter mahl." Frau Döring lachte belustigt auf. Sie hatte bereits ihre Scheu vor d«r kalten Küche und ihr Unbehagen darüber, das trauliche Zimmer dieses verzogenen Mannes wegen verlassen zu müssen, überwunden. Auch die beiden Mädchen sahen kichernd und sich gegenseitig verständnißvoll anstoßend, auf den Vater, welcher noch immer schmollend seine Stulle fixirte. „Warum sagst Du nicht einfach, daß Du Appetit auf die Omelette hast?" fragte die Hau-frau kopfschüttelnd, „errathen
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