02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.02.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-02-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020228027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902022802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902022802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-02
- Tag1902-02-28
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Famikennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zissrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung 60.—, mit Postbesürderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: BormtttagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr- Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 107. Freitag den 28. Februar 1902. 96. Jahrgang. Prinz Heinrich in Amerika. N. New Hark, 27. Februar. (Privat telegramm.) Nach der Abreise des Prinzen Heinrich ist dem Publicum der Be such der «Hohenzollern" mit Karten, die vom deutschen Generalconsul ausgestellt werden, gestattet. Der Andrang ist gewaltig, bereits 5000 Karten sind ausgegeben, mehr als 1000 Besucher werden aber täglich nicht zugelafsen. Auch für die Osficiere und Mannschaften der „Hohenzollern" beginnen jetzt die Festlichkeiten. Für die Officiere findet beute Abend ein Festmahl und Concert im Athlctic-Club statt, morgen Abend im Union League-Club, Sonnabend im Gcr- manie-Club in Brooklyn, Montag Galavorstellung im Deutschen Theater, Dienstag CommerS im Arion-Club und im „Lieder kranz", Mittwoch im Deutschen Verein, Donnerstag im Metropolitantbeater Opernvorstellung, veranstaltet vom Presse- Club. Die Mannschaft ist jeden Abend von verschiedenen Vereinen eingelade». Heute Abend findet in Brooklyn ein vom amerikanischen Veteranenverein veranstalteter Ball statt, zu dem auch 100 Matrosen vom Kriegsschiff „Columbia" geladen sind. Die gesammte Besatzung der „Hohenzollern" hat für die ganze Zeit des hiesigen Aufenthalts freie Fahrt auf der Straßenbahn New Jork-Brooklyn. Zur Erinnerung an das gestrige Frühstück der CaptainS of Industry lassen die Veranstalter eine goldene Medaille prägen, welche auf einer Seite das Bild des Prinzen, auf der andern einen Merkur zeigt. X. New Nark, 27. Februar. (Privattelegramm.) Der Mayor veröffentlichte einen Erlaß, in welchem der Polizei Anerkennung und Dank für ihren vorzüglichen Dienst während der Anwesenheit des Prinzen Heinrich ausgesprochen wird. — Die Blätter heben einstimmig die wachsende Popularität des Prinzen hervor, die sich bei den gestrigen Kundgebungen der dichtgedrängten Volksmenge auf dem Wege von der „Hohenzollern" zum Sherry-Club, sowie später beim Fackelzuge vor dem Vereinsgebäude des Arion-ClubS gezeigt; die Be geisterung der Theilnehmer sei unbeschreiblich gewesen, der Prinz habe sich immerfort dankend verneigt und sei vorn an die Brüstung des Balcons getreten, damit Jedermann ibn sehen konnte. Sogar der „New Jork Herald" giebt die Herzlichkeit und Wärme der Kundgebungen zu. Der Prinz, höchst erfreut, gab der Umgebung gegenüber seiner Freude lebhaften Ausdruck. Auch bei dem Banket der Presse im Waldorf-Astoria-Hotel war der dem Prinzen bereitete Em pfang geradezu enthusiastisch. Nach der Rede des Prinzen konnte man von verschiedenen Gästen, welche Zeugen des historischen Moments gewesen waren, hören, daß derselbe eines der bedeutsamsten Ereignisse der ganzen Reise sei. VV. Washington, 28. Februar. (Privattelegramm.) Prinz Heinrich empfing gestern Vormittag einige Ameri kaner m privater Audienz, so Chaffield Taylor, der ihm sein Buch über Kaiser Friedrich überreichte. Als per Prinz im Begriff war, sich nach dem Capitol zu begeben, drängte sich ein junger Deutscher durch die ganze Umgebung bis zur Treppe der Botschaft, um sich dem Prinzen als ehemaligen Matrosen auf der „Irene" vorzustellen. Der Prinz erkannte den Mann sofort und freute sich sehr. W. Washington, 27. Februar. (Privattelegramm.) Die Gedächlnitzfeier für Mac Kinley auf dem Capitol verlief sehr eindrucksvoll. Die Ankunft deS Prinzen Heinrich wurde vom Clerc des Repräsentantenhauses an gekündigt, worauf der Sprecher und die Mitglieder des Hauses sich von den Sitzen erhoben. Prinz Heinrich betrat den Saal, während die Musik „Heil dir im Siegerkranz" anstimmte. Er war von dem Mitglied des Repräsentanten hauses, GroSvenor, und dem Senator Foraker begleitet. Bald darauf erschien Roosevelt mit den Mitgliedern des Cabinets. Die Feier begann mit Gebet des Geistlichen deS Repräsentantenhauses. Der Rede Hay'S, die N/» Stunden dauerte, folgte der Prinz mit größter Aufmerksamkeit. Die Feier schloß mit einem Gebet des Geistlichen des Senats. Die sür die Fahrt deS Prinzen nach Mount Vernon ge troffenen Vorkehrungen erlitten durch die gleichzeitig mit der Ankunft deS Prinzen eingetretene lleberschwemmung des Potomac eine kleine Störung, doch wurde dies vom Prinzen und dessen Gefolge nicht bemerkt. Auf der Fahrt durch die Straßen wurde der Prinz Heinrich überall von der Menge auf das Herzlichste begrüßt. Der Prinz dankte für die Hurrahrufe der Menge mit Verbeugungen und militärischem Gruß. Die Frauen schwenkten die Taschentücher, die Männer nahmen den Hut ab. Der ganze Nachmittag war durch den Ausflug nach Mount Vernon in Anspruch genommen; daS Haus, sowie das Grab Wasbington's wurden besucht und auf dem Grabe Washington's zwei Kränze niedergelegt. >V. Washington, 27. Februar. (Privat telegramm.) Eine große Anzahl Photographen hatte sich am Grabe Washington's in Mount Vernon aufgestellt, um Aufnahmen von dem Besuche des Prinzen Heinrich zu machen. Als der Prinz sich dem Grabe näherte, trat er plötzlich auf die Photographen zu und ersuchte sie, das Pbotographiren zu unterlassen. Hierauf trat der Prinz mit ent blößtem Haupte näher an das Grab heran und pflanzte als Erinnerung an den Besuch auf dem umgebenden Rasen platze eine Linde. Hierauf begab er sich in das Wohnhaus Washington's, wo er eine Abordnung des Frauenvereins von Mount Vernon empfing. Die Rückkehr des Prinzen erfolgte durch daS historische Alexandria, daS 1814 von den Eng ländern unter Gordon auf dem Zuge gegen Washington ge plündert und Zerstört wurde. Die Bewohner des Städtchens bereiteten dem Prinzen einen überaus warmen, herzlichen Empfang. Als der Prinz bemerkte, daß der Adjutant Schmidt von Schwind vielfach mit ihm verwechselt wurde, obwohl der Adjutant die dargebrachten Hurrahrufe völlig unbeachtet ließ, rief der Prinz den Ches des Geheimdienstes heran und befahl ihm scherzend: „Mr. Wilkin, bitte, sagen Sie Schmidt, er möge sehr vorsichtig sein in dem. Was er jetzt thut. Er muß bedenken, daß ich die Reputation aufrecht zu erhalten habe." * Washington, 28. Februar. An dem gestrigen Familien diner im Weißen Hause zu Ehren des Prinzen Heinrich nahmen außer dem Präsidenten Roosevelt, seiner Ge mahlin und Tochter der deutsche Botschafter v. Holleben und Gcneraladjutant v. Plessen Theil, ferner Fräulein Carew, Senator Lodge und Gemahlin. Der Tag galt wegen der Ge- dächtnißfeier für Mac Kinley als Trauertag. Es wurden deshalb auf dem Diner keine Trinksprüche ausgebracht. Das Diner sollte Gelegenheit zu einem intimeren Verkehr und Gedanken austausch zwischen dem Prinzen Heinrich und dem Präsidenten bieten, als dies bei der ofsiciellen Begegnung am Montag möglich war. * Washington, 27. Februar. Präsident Roosevelt em pfing heute im Weißen Hause den Vertreter der „Köln. Ztg.". Der Präsident äußerte seine große Befriedigung über die ausgezeichneten Beziehungen beider Völker, über die dem Prinzen Heinrich entgegcngebrachte Begeisterung, sowie den schönen Verlauf der Festlichkeiten. Der Krieg in Südafrika. Das Recht der Eroberung. Die „Deutsche Revue" lenkt in ihrem Märzheft die Auf merksamkeit auf die englische Schrift „Tiie var in 8outk ^krlca" von Conan Doyle, die von Verfasser und Verleger unter Verzicht auf Gewinn in Massen verkauft und auf dem Coutiurnt au Parlamentarier, Journalisten rc. gratis ver- theilt wird. Doyle wirft die Frage auf, auf Grund welches RechtStitels die Handvoll Boeren ein ungeheueres, von ihnen occupirteS Gebiet gegen höher gebildete Ein wanderer in bekannten Beziehungen abschließen wolle. Die Antwort hierauf lautet nach Doyle: auf Grund des Rechts der Eroberung; und daraus zieht Doyle den Schluß, daß dasselbe Recht gegen die Boeren angerufen werden könne, um eine unerträgliche Lage zu beseitigen. Ob es ebenso natürlich und moralisch ist, wenn Engländer daS Er- oberungsrechl gegenüber Holländern anwenden, wie wenn Holländer gegenüber den Kaffern von dem Eroberungsrecht Gebrauch machen — diese Frage wird von Doyle nicht erst aufgeworfen. Im Gegensätze hierzu untersucht die „Deutsche Revue", inwieweit auch heute noch das Erobe rungsrecht sittlich begründet ist. Allen Völkern und Raffen die gleichen Gerechtsame einzuräumen, verhindert die Un gleichheit der Rassen und die Gefährlichkeit niederer Raffen für die vollkommeneren. Sehr Wenige nur werden bezweifeln, daß die modernen Europäer moralisch befugt waren, den australischen, afrikanischen und amerikanischen Kannibalen ihr Land, und wenn dies ohne Tödtung unmöglich war, ihr Leben zu nehmen. Wo eine ungleich vorgeschrittene Rasse Raum zu ihrer Entfaltung bedarf, hat sie den animalisch vegetirendcn Menschen niemals ein ewiges Besitzrecht an dem in grauer Vorzeit eingenommenen und seitdem unbenutzten Lande zu gestanden, kann eö im Interesse ihrerSelbsterhaltung auch heute nicht zugestehen. Indem wir dieses Princip proclamiren und nach ihm handeln, wiederholen wir europäischen Nordländer nur,was uns von den früher humanisirten Südländern Europas seiner zeit mit geringerem Recht geschehen ist. Wenn also daS Recht des Westeuropäers dem Neger gegenüber außer Zweifel steht, so wird da, wo der Weiße mit dem Weißen in Wettbewerb tritt, die Frage der Meisterschaft um so delicater, je ähnlicher sich die Concurrenten in Anlagen und Errungenschaften sind. Eine solche Aebnlichkeit aber besteht für die beiden Con currenten in Südafrika. Sich hierüber hinwegzusetzen und gegen die Boeren dasselbe Recht der Eroberung auSzuspielen, das Letztere gegen die Kaffern anwandten, bringt nur der übertriebene nationale Egoismus zu Wege. * London, 27. Februar. Die englischen Verluste bei der Weg nahme eines Convois in der Nähe von Klerksdorp durch die Boeren, von der Kitchener gestern berichtet hat, beziffern sich auf 18 Ver wundete. * London, 27. Februar. Chamberlain theilte im Unterhause mit, Lord Kitchener, der dabei auf eigene Autorität handelte, habe bereits die Uebergabe einzelner geringerer Boeren- sührer angenommen unter der Maßgabe, daß sie nicht, wie sie es verwirkt hätten, in die Verbannung geschickt werden sollten. Die englische Regierung habe hiergegen keinen Widerspruch erhoben. H Politische Tagesschau. * Leipzig, 28. Februar. Die Bänke deS Reichstags waren gestern außergewöhnlich stark besetzt und trotzdem war das Haus beschlußunfähig, in der zweiten Sitzung ebensowohl wie in der ersten, die abgebrochen werden mußte, weil die Beschlußunfähigkeit fest gestellt wurde. Das spricht Bände und eröffnet die bedenk lichsten Aussichten auf die Zeit nach Ostern. Gestern hatte ja der trotz seiner ungewöhnlichen Stärke noch mangelhafte Besuch nicht viel zu sagen, da das Haus sich hauptsächlich mitPetitionen beschäftigte, die selbst dann, wenn sie dem Bundesrathe als Material oder zur Berücksichtigung überwiesen werden, einem sehr ungewissen Schicksale entgegen gehen. Zwei von ihnen verdiene» aber wenigstens etwas eingehendere Erwähnung, als sie in unserem Reichstagsberichte gefunden haben. Wie alljährlich hatte die obligatorische Pockenimpfung einen leidenschaftlichen Angriff auszuhalten, der diesmal aus schließlich von den Socialdemokraten ausging. Vom Standpuncte der ärztlichen Wissenschaft trat der national liberale Abgeordnete Endemann diesem Angriffe ent gegen. Der Vertreter des ReichSamtS des Innern wies gegenüber der Behauptung eines socialdemokratischen Redners, es sei von der Reichsregierung nichts zur Abstellung der Jmpfbeschwerden geschehen, daraus hin, daß auf Grund der Berathungen einer Sachverstäudigen-Commission, an der auch Jmpfgegner theilnahmen, die Ausführungsvorschristen neuerdings revidirt worden sind. Die maßgebenden Kreise der ärztlichen Wissenschaft seien auch heute von der Nothwendigkeit der Zwangsimpfung überzeugt. Der Commifsar gab eine beweiskräftige Statistik der Pockenerkrankungen in Deutschland und in Ländern ohne Zwangsimpfung und bemerkte, gerade der gegenwärtige Augenblick, in dem Pockenpidemien in verschiedenen Ländern auftreten, so daß man beispielsweise in London sich zur Impfung dränge, wäre höchst ungeeignet, um in das Jmpfgesctz eine Bresche zu schlagen. DaS Haus ging denn auch über die betreffende Petition zur Tagesordnung über. Es kamen sodann mehrere auf den südafrikanischen Krieg bezügliche Petitionen zur Verhandlung. Die erste wünschte eine FriedenSvermittelung und wurde, entgegen dem auf Uebergang zur Tagesordnung lautenden Anträge der Commission, dem Reichskanzler „als Material" überwiesen. Der Abg. Arendt, der dies beantragte, erläuterte diese un verbindliche Formel dahin, daß man den Anschein einer Mißbilligung des PetitumS vermeiden wolle, wie ihn der Uebergang zur Tagesordnung erwecken könnte. Auch der Abg. Ör. Hasse, der die Weigerung der englischen Regierung, ärztliche Hilfe zuzulasien, scharf angriff, erkannte an, daß an der Nicht-Intervention festgebalten werden müsse. Derselbe Abgeordnete erkannte anläßlich einer die Ansprüche dcr aus Transvaal ausgewiesenen Reichsdeutschen betreffenden Petition den wirksamen Nachdruck an, mit dem diese An sprüche von der Reichsregierung vertreten worden seien. Er knüpfte daran den Wunsch, daß die Kosten der bezüglichen Unterhandlungen nicht den Interessenten aufgelegt, sondern von der Reichscafse übernommen werden möchten. Da das Auswärtige Amt in der Sitzung nicht vertreten war, will er die Sache beim Etat nochmals zur Sprache bringen, wofür er den Dank nicht nur der Interessenten verdient. Der „Nat.-Lib. Corr." zufolge ist in parlamentarischen Kreisen die Ansicht vorherrschend, daß die Mehrheit, Vie vor gestern in der Zolltarifcommission die Annahme deS sog. EompromitzantragS Herold herbeiführte, sich in der Rolle als Siegerin nickt allzuwohl fühle. DaS genannte Organ findet daS begreiflich, denn: „In Wirklichkeit handelt es sich ja auch gar nicht nm daS Ob siegen einer geschlossenen Phalanx, sondern um eine Verlegen- heitsaction der mehr oder weniger durch die Agitation des Bundes der Landwirthe in ihren Forderungen über das billige Maß hinausgedrängten Elemente, die theils nördliche, thrils südliche, jedenfalls ganz verschiedene agrarische Interessen vertreten. Auf ein dauerndes Zusammenhalten dieser Mehrheit darf ebenso wenig gerechnet werden, wie es gar keinem Zweifel unterliegt, daß eine Uebereiastimmuug der Ansichten in ihr in einem belang reichen Maße nicht besteht. Wenigstens nicht im positiven Sinne. Wir halten es aber sür ausgeschlossen, daß dies« Mehrheit, wenn sie sich endgiltig von der Festigkeit der Regierung überzeugt haben wird, dazu übergehen sollte, die Zolltarisvorlage zu Fall zu bringen. Dann würde eben gar nicht- zu Stande kommen und als noth- wendige Folge davon dürste sich ergeben, daß die ländlichen Wähler, Feuilleton. Rittmeister Eckhoff. Roma» von A. von Trystedt. Nachdruck verboten. Elftes Capttel. Die Zeit der Rosen war eigentlich schon vorüber, als Stephanie zum ersten Male wieder zu klarem Bewußtsein erwachte. Es war gegen Ende August. Eva saß am Bette, aber sie schlief. Sie sah blaß und angegriffen aus von dem Nacht wachen, aber ihr Gesichtchen erschien nicht mehr so trostlos ernst, wie vor einigen Monaten. Mit großen Augen schaute Stephanie um sich und in wenigen Minuten kehrte ihr die Erinnerung an all' das schmerzvoll Durchlebte, an jenen Augenblick zurück, wo sie, die Todesgefahr verachtend, sich dem scheu ge wordenen Roß entgegengcworfen hatte. Und da errüthete sie plötzlich, und ein leises, unend liches glückliches Lächeln legte sich um ihren Mund. War das nun Traum gewesen oder Wirklichkeit, woran sie sich jetzt erinnerte, mit einem feierlichen, «änderbar beseligenden Empfinden? Hatte sie nicht Bernhard s Lippen auf den ihrigen gefühlt ?. Flüsterte er ihr nicht Gorte dcr zärtlichsten Liebe z»'? Sie wollte damals die Augen öffnen, wollte den Kuß erwidern, aber wie Starrkrampf umfing cS sie, kein Glied vermochte sie zu rühren, still duldete sie die Liebkosung in dem seligen Bewußtsein, daß sich ihr endlich, endlich wieder die Liebe des ManneS zugewandt hatte, von dem ihr Herz nicht mehr lassen konnte. Aber — war es Traum Gewesen oder Wirklichkeit, sic konnte keine rechte Klarheit darüber erlangen . . . ' TS war die Stunde, wo man Bernhard gestattete, auf einige Augenblicke am Krankenbette zu erscheinen. Lautlos hatte er soeben das dämmerige Gemach be treten, und als er sah, daß Eva schlief, wollte er sich leise wieder zurückziehen. Da wandte Stephanie den Kopf und sah ihn er- röthend, mit leuchtenden, gesunden Augen an. Ein Ausruf höchsten Glückes, und Eckhoff sank nieder vor dem Bette, preßte stumm die kleine, abgezehrte Hand an seine Lippen und schämte sich dcr Thränen nicht. „Also endlich, mein Lieb, endlich bist Du uns zurück gegeben, aber nun sage mir nur ein einziges Wort, kannst Du mir vergeben? Habe ich mein Glück verscherzt oder kann noch Alles gut werden?" „So war es doch wohl kein Traum", flüsterte Stephanie selig, und aus ihren schönen, dunklen Augen leuchtete ihre Verzeihung, Glück und eine Fülle hin gehender Liebe entgegen. Eva war schon bet den ersten Worten Beruhard's erwacht, hielt aber nach wie vor die Augen geschloffen. In verborgenem Weh zuckte cs um ihren DÜlnd; aber die Wunde, die der Tod ihr einst geschlagen, war -och nicht mehr so frisch, -aß sie fassungslos mit ihrem Schmerz rang. Eine sanfte Trauer, stille Ergebenheit, das sind die letzten Schatten, die der Tod zurückläßt, danach wenden wir uns wieder dem Leben zu, ist es ja doch unsere schönste Pflicht, es würdig zu genießen. Jetzt kam auch die Majorin herein, welche die kleinen Freiheiten, die Bernhard sich in Anbetracht der un gewöhnlichen Situation herauSnahm, gern gestattete, jedoch immer mit ihm zugleich am Krankenbette auf tauchte. Als sie die bewegte Scene gewahrte, da sagte auch sic: „Endlich!" vielleicht mehr aus einer realistischen Freude heraus, denn „kleine Kinder und Kranke stellen daS Haus auf den Kopf", pflegte sie zu behaupten. Die Genesung ging nun mit Riesenschritten vor wärts, und schon nach wenigen Tagen konnte Stephanie das Bett verlassen zu Bernhard'« stürmischer Freude. So sehr er auch in Briefen und zärtlichen BtllctS gefleht und gebettelt hatte und obgleich selbst die Majorin mitleidig seine Partei nahm, war Stephanie nicht zu be wegen, ihn hier am Krankenlager wieder -u begrüßen. „Bedenke, mein liebes Kind, daß Du in wenigen Wochen Bernhard's Gattin sein wirst", sagte die alte Dame mütterlich, „Evchen und ich sind bei Dir —" AVer daö junge Mädchen erglühte in dunklem Purpur, schüttelte energisch den Kopf und blieb mit sanften, aber entschiedenen Worten bei der Weigerung. „Ich kann eS nicht, herzliche Mama —", man war allerseits bei dem traulichen Du angelangt, „ich kann cs gewiß nicht!" Heute aber erschien sic, vollständig angckleidet, doch von der Majorin und Eva fest gestützt, in dem neben der Krankenstube gelegenen Zimmer. Sic hatte sich im Bette so kräftig gefühlt, als sie aber die Füße ansctzte, um sich zu bewegen, schien Alles um sic her zu schwanken. — Die wenigen Schritte bis in den anderen Raum wurden ihr furchtbar schwer, und sie war froh, als sic nach wenigen Minuten im weichen, bequemen Sessel Platz nehmen durfte. Die Majorin und Eva gingen hinaus und gleich darauf erschien Bernhard mit einem Strauße herrlicher, später, Rosen. Sein Ange ruhte in trunkenem Entzücken auf ihrem erglühenden Gesicht, das, von dem kurzgcstuylcn, lockigen Haar umrahmt, wunderbar verjüngt und ganz eigen reiz voll erschien. „Meine süße Braut", stammelte er, „Du mein Alles", und dann sank er vor ihr nieder, legte die Blumen auf ihren Schooß und flüsterte ihr all' jene beglückenden Worte zu, nach deren Sinn die Liebe nicht fragt: sie steigen aus dem Herzen empor und ein zweites Herz empfängt, um sie für alle Zeit fest im heiligen Schrein zu ver schließen. Wer erinnerte sich in späteren Tagen nicht gern dcr Stunden bräutlichen Glückes und bräutlicher Thorheiten, nach denen einmal im Dasein wohl jedes Herz ver langt, auch daS stolzeste und härteste! Eine selige Zeit begann für die Liebenden. Je mehr Stephanie sich kräftigte, um so weiter dehnten sie ihre Spaziergänge auS. Eng an einander geschmiegt, streiften sie durch Flur und Wald, aber auch im Wagen wurden weite Touren unternommen. Sie hatten sich so viel zu sagen! Nichts Unbestimmtes, Ungeklärtes blieb zwischen ihnen, und nur von -er Erb schaft sprachen sie nicht. Dieses Thema verursachte ihnen Beiden Unbehagen, und wie in schweigendem Ucberein- kommen mieden sie es. Kurze Zett blieb auch Eva noch hier. Sie erschien sich weniger vereinsamt, wenn Schleinitz sich ctnstcllte und sie nun Beide auf Spaziergängen das zweite Paar bildeten. Fast vorwurfsvoll empfand Eva cs, daß die Trauer mehr und mehr von ihr wich. Und einmal sprach sie sich hierüber auch gegen die Majorin aus. „Kind", sagte diese, „der Begriff der Trauer wird vielleicht ebenso oft falsch aufgcfaßt, wie dcr der Freund schaft. Gemeinhin versteht man unter der letzteren das AuSpackcn der gegenseitigen stieheimniffc, während in Wirklichkeit dcr Freund des Freundes Gcheimniß ehrt, ihm in schmerzlichen Stunden Beistand leistet, ihn tröstet und wieder aufrichtet. Die echte Trauer bedarf so wenig der schwarzen Gewänder, wie der dauernden Melancholie. Ich habe als junge Frau ein kleines Töchterchen ver loren —" ihre Stimme schwankte —, „siehst Du, cs wird mir schwer, davon zu sprechen — diese Wunde schließt sich niemals ganz — ich habe -en Verlust dieses süßen Kindes mit so heißen Thränen beweint, es wurde mlr so schwer, den Schmerz zu überwinden. Aber meine Zärtlichkeit für meinen Jungen und für meinen lieben Mann ver doppelte sich, auch fremdes Leid empfand ich tiefer in jener Zett, und suchte zu helfen, wo immer ich konnte. Ich meine, die echte Trauer besteht darin, daß wir die Freuden und Sorgen Anderer eher zu thcilen vermögen, und nicht in der entnervenden Hingabe an den Schmerz. Ich sagte mir damals so oft, „dem Kinde ist wohl, unendlich wohl geschehen, deshalb habe ich eigentlich gar keine Ursache, mich zu grämen." Ich weinte und wehklagte aber doch, und da war cS mir, als habe ich dieser im Grunde sündigen Regung wegen einen Schatten zu versöhnen. In jener Zeit war eine unendliche Weichheit in mir, was habe ich damals für die Kinder unserer Leute gethan — ich konnte kein Kind weinen hören, ich hätte sie Alle, Alle in einer unendlichen, allumfassenden Liebe an mein Herz nehmen
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