01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.03.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-05
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020305015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902030501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902030501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-05
- Monat1902-03
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Nnzeigen-Prei- die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Rrelamen unter dem Redactton-strich (4 gespalten) 75 vor den Famtliennach- richteu (8 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 H (excl. Porto). Srtra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung X 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morge«-Au-gabe: Nachmittag- 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 115 Mittwoch den 5. März 1902. S6. Jahrgang. Prinz Heinrich in Amerika. A. Chicago, 3. März. (Privattelegramm.) Der Empfang in Chicago übertraf bei Weitem alle seitherigen Empfänge auf der Reise des Prinzen. Die Straßen der Riesenstadt waren mit einer ungeheuren Menschenmenge dicht besetzt und eine doppelte Linie von deutschen Bereinen zog sich vom Bahnhof bis zum Auditorium-Hotel hin. So fort nach der Ankunft im Hotel fand ein Diner in dem herrlich geschmückten Saale desselben statt. Bei dem Diner sprach der Mayor nach dem üblichen Trinkspruch auf den Präsidenten den Toast auf den deutschen Kaiser. Zn der Ansprache an den Prinzen führte er aus, daß deS Prinzen freundliches Wesen Aller Herzen in den Vereinigten Staaten erobert habe. Prinz Heinrich antwortete in herzlichster Weise unter Verwen dung von ganz amerikanischen Ausdrücken, was lang an dauernden Beifall erweckte. DaS Concert in dem Zeughause verlief aufs Glänzendste. Die Festansprache von LaffanS bei dieser Festlichkeit ragte weit binaus über die bei solchen Gelegenheiten üblichen Redensarten, so daß sie einen tiefen Eindruck auf die 10 000 Personen zählende Zuhörerschaft machte. Der Prinz dankte aufs Wärmste, empfahl den Deutschen, ihre deutsche Art auch dem neuen Vaterlande gegenüber zu bethätigen, und schloß unter rauschendem Bei fall mit einem Hoch auf Kaiser Wilhelm. Bei dem Concert gelangten die Chöre in höchster Vollendung zum Vortrag. Dieser Feier folgte ein äußerst glänzender Ball im Auln- torium-Hotel. L. Chicago, 3. März. (Privattelegramm.) Der Aufenthalt des Prinzen in St. Louis war eine einzige, ununterbrochene Ovation für ihn. Der Prinz und St. Louis sind entzückt von einander. — An dem Bahnhof in Spring field waren an 10 000 Menschen versammelt, als der Prinzenzug ihn passirte. Dieser wurde mit einem gewaltigen Hurrah empfangen. Der Prinz, welcher gerade beim Früh stück war, erschien auf der Plattform seines Wagens. AlS der Zug nach einem Aufenthalte von drei Minuten weiterfuhr, begleitete ihn der Präsident der Ehicago-Alton-Eisenbahn Felton. Derselbe ertheilte dem Prinzen Auskunft über die durchfahrenen Gebiete, unterhielt sich mit ihm über commercielle und industrielle Probleme und beantwortete zahlreiche Fragen des Prinzen, an besten Frühstück er theilnahm. Zn Bloomington fand ein Aufenthalt von acht Minuten statt, um ein vor zeitiges Eintreffen in Chicago zu vermeiden. Chicago leuchtete dem Zuge schon meilenweit entgegen durch den Glanz von Myriaden elektrischer Lichter und zahlloser Fackeln. DaS Hurrah von Tausenden und Abertausenden gab bei der Ankunft einen Vorgeschmack von Chicagos Gastfreundschaft. Der Prinr, in dessen Kutsche Bürger meister Harrison und Contreadmiral Evans eben falls Platz genommen hatten, verneigte sich beständig nach rechts und link». Die Millionen Chicagos konnten Niemand einen schmeichelhafteren Empfang be reiten. Zedes Gebäude war herrlich mit amerikanischen und deutschen Fahnen geschmückt. Unter den Enblemen herrschte der preußische Adler vor. Eine große Menge elektrischer „Willkommen" stammle überall auf, und in den Händen von Veteranen loderten unzählige Fackeln. Die Spalier bildenden Fackelträger marschirten hinter dem Wagen her, sobald derselbe vorüber war. Das Diner begann mit einer Verspätung von einer Viertelstunde. Die Mitglieder des BankelcomiteS Wallis, Rice Wil li) ar s und Adams empfingen den Prinzen am Eingänge des Hotels und geleiteten ihn in seine Wohnung im zweiten Stocke und bald darauf zu dem Banketsaal in dem 6. Stock. Als der Prinz dort erschien, spielte die Musikcapelle, welche von Farren und Palmen verdeckt war, die National hymne. Der Prinz war von der Wärme deS ihm bereiteten Empfanges entzückt und verneigte sich nach reckt- und links. Zm Saale waren 9 Tafeln, an denen 157 Personen Platz nahmen. Es wurden Toaste auf den Präsidenten Roosevelt und den Kaiser Wilhelm auSgebracht; nach letzterem Toaste intonirte die Musik daS Lied: couutry 'tis kor tbee". * Chicago, 4. März. (Telegramm.) Als Prinz Heinrich gestern in daS Auditorium-Hotel eintrat, herrschte eine ungeheure Aufregung. Es waren Gerüchte von einem Attentat verbreitet, die sich jedoch als unbegründet herauSstellten. Ein entlassener amerikanischer Soldat, der Znfanterieuniform trug, Georg Howe mit Namen, der auf den Philippinen und in China gedient hatte, wandte Gewalt an, um die Menschenmassen zu durchbrechen und dem Prinzen einen Brief zu überreichen, in welchem er bittet, auf dem Dampfer „Deutschland" nach England mit genommen zu werden. Howe ließ alle Fragen unbeantwortet, worauf er von dem Chef deS Geheimdienstes Welkin der Polizei übergeben wurde. Auf der Polizeistation schrieb Howe nieder, daß er in China und auf den Philippinen wiederholt ver wundet worden sei und daS Gehör und die Sprache verloren habe. Bei der Durchsuchung Howe'S wurde keine Waffe gefunden. Wie nunmehr gemeldet wird, lauten die Worte des Prinzen Heinrich, die er mit Bezug auf die alten deutschen Seeleute zu Contreadmiral Evans sagte, wie folgt; DaS sind deutsche Veteranen, Manche dienten in der deutschen Armee oder Marine, während ich mein Geschäft lernte. Evans nickte und sagte: „Das sind prächtig auSsehende Leute!" * Chicago, 4. März. (Telegramm.) Auf der Fahrt nach der eine Meile entfernten Waffenhalle deS ersten Regiments, wo die Gesangvereine ein Mnsikfest veranstal teten, wurde Prinz Heinrich von ungeheurem Zubel begrüßt. Zn der Michigan-Avenue standen die Menschen dickt gedrängt wie die Mauern. Beim Eintreffen in der Waffenhalle spielte die Musik und wurde ein Begrüßungschor ge- sungen. Musik und Gesang wurden jedoch übertönt durch die Hurrahrufe aus mehr als 6000 Kehlen. DaS Stimmengetose dauert« fünf Minuten. Tausende außerhalb deS Gebäudes stimmten ein. Sobald der Prinz die Waffenhalle erreicht hatte, wurden die Tbüren geschlossen, um die Anstürmenden zurückzuhalten. Ein Comitö, be stehend auS den Herren Owen, Holle, Plamondon, Amberg, Wenter, Bocke, Oertsiefen und Döderstein, empfing den Prinzen und geleitete ibn zu dem herrlich ge schmückten Balcon. Der Anblick der Festballe, das Meer von Gesichtern und wehenden Taschentüchern und die brausenden Hurrahruse machten einen überwältigenden Eindruck. Consul Weber war der rechte Logennachbar des Prinzen, links saßen deutsche Lehrer. Der gemischte Chor unter Gustav Ehrhorn und daS Orchester unter Karl Bunge waren brillant. Nach dem Vortrage des LiedeS: „Ich kenn' ein' Hellen Edelstein" hielt ThieS-Lefond eine Ansprache, in der er auSführte: Dank dem freundlichen Entgegenkommen der Behörden und der Einwohner von Chicago ist es den Bürgern deutschen Stammes vergönnt, den Gast der Nation in ihrer Muttersprache zu begrüßen, ihren Dank darzubringen dem deutschen Kaiser für die Abordnung eines ihm so nahe stehenden Vertreters und Euerer Königlichen Hoheit sür die Ucberbringung der hohen Botschaft der deutschen an die amerikanische Nation. Die Botschaft, die in dem Besuche zum Ausdrucke gebracht wird, steht im Einklang mit den seit Friedrich dem Großen und George Washington bestehenden freundschaftlichen Beziehungen. Redner betonte alsdann, eS wäre undankbar, daS deutsche Vaterland zu ver gessen und schloß mit einem Hoch auf Prinz Heinrich. Dieser erwiderte: „Ich danke Ihnen herzlich sür die freundlichen Worte, die Sie soeben gesprochen baden; aber die schönsten sind diejenigen über unser Vater land und unser Volk. Sie sollten hier die besten Bürger sein, aber niemals vergessen, daß Sie Alle Deutsche oder deutscher Abstammung sind. Sie sollten gute und loyale amerikanische Bürger sein, wie Sie im alten Vaterlande gute Bürger gewesen sind. Sie haben daS alte Vater ¬ land verlassen, aber wenn Sie noch Liebe sür dasselbe hegen, dann fordere ich Sie auf, ein dreifaches Hoch auszubringen auf Den, der mich hierher gesandt hat, um Zhnen Grüße zu überbringen, aus den deutschen Kaiser und König von Preußen". — Die Versammelten stimmten begeistert in das Hoch ein. Kurz nach 10 Uhr erhob sich der Prinz, um zu dem Ball im Auditorium-Hotel zu fahren. Auf der Rückfahrt wie auf der Herfahrt stanken in der Nähe der Waffenhalle viele Tausend Menschen, um dem Prinzen ihre Huldigung darzubringen. Der Ball im Auditorium-Hotel war daS Hauptereigniß und die glänzendste gesellschaftliche Veranstaltung, die Chicago je geseheii hat. Zu der feenhaften Ausschmückung des BallsaaleS waren die deutschen und amerckanischen Farben, der preußische Adler und nautische Motive verwandt; an der Decke war eine gelb-weiße Draperie angebracht, die durch amerikanische und deutsche Adler ge halten wurde. Am westlichen Ende des Ballsaaleö befand sich die Loge deS Prinzen. Darüber war ein Baldachin auS- gespannt, während über dem Sessel deS Prinzen dessen Dacht flagge angebracht war. Um */zN Uhr traf der Prinz im Hotel ein. Er nahm schnell eine kleine Aenderung an seinem Anzuge vor, während daS Gefolge sich inzwischen in den Salons versammelte. Es wurde von dem Ballcomit«, an dessen Spitze Honorv Palmer stand, abgeholt. Der Prinz betrat sodann mit dem Bürgermeister den Ballsaal, wo bereits 2000 Personen seiner Ankunft harrten, und ibn mit enthusiastischen Zurufen begrüßten. Au der Spitze des Damen-ComiteS standen die Ge mahlinnen des Bürgermeisters und deS Gouverneurs. Sobald die Vorstellung vorüber war, bot der Prinz der Gemahlin des Bürgermeisters den Arm und eröffnete die Promenade. Er geleitete die Dame zu ihrem Ehrcnsitz in der Loge und nahm selbst Platz, unterhielt sich und schaute den Hunderten von walzenden Paaren zu. Um Mitternacht verließ der Prinz den Ballsaal, um m dem anstoßenden Gebäude der schönen Künste das Souper einzunehmen. Präsident Roosevelt und Gemahlin hatten dem Bürgermeister telegraphisch ihr Bedauern ausgesprochen, an dem Balle nicht theilneymen zu können. * Ottawa (Canada), 4. März. (Telegramm.) Tie kanadische Regierung wurde benachrichtigt, daß Prinz Heinrich beim Besuche der Niagarafälle den kanadischen Boden als Privatmann betreten werde. Zu seiner Begrüßung entsendet jedoch der Gouverneur von Ontario einen Vertreter. * New Aork, 4. März. (Telegramm.) DieMnsik- capelle der „Hohenzollern" spielte gestern in einem WoblthätigkeitS-Concert in Carnegie-Hall. Die Ein nahme belief sich auf 2500 Dollars. Vas üischen Socialreform. Es tlt bekannt, daß die socialdemokrattsche Fraktion des Reichstages allen Entwürfen von Versicherungs gesetzen für die deutschen Arbeiter ein „Nein" entgegen gehalten hat. An Gründen hat cs dabei nicht gefehlt; vor allen Dingen lehnte man ab, weil statt des un zweifelhaft guten weit besseres geboten werden müßte. Aber hinter dieser Haltung verbargen sich parteitactischc Gründe: man wollte auch nicht den Anfang einer „ver fluchten Zufriedenheit" bet den Arbeitern begünstigen. Jndeß bot schon das im Jahre 1883 fertig gestellte Kranken- eassengesetz den Arbeitern so viele handgreifliche Borthcilc für seine Lebenshaltung, daß die Führer der Arbeiter partei nun den weiteren Widerstand gegen die Fort entwickelung dieser Arbeiterversicherung hätten aufgebcn müssen. Aber das geschah nicht! Obschon das Unfallgesey (1884) die ganze Last der Entschädigung den Unternehmern auferlcgte, war die Socialdemokratie der Ansicht, man müsse den Entwurf ablehnen, weil er noch immer nicht das leiste, was der Arbeiter verlangen könne. Ganz be sonders aber haben die socialdemokratischen Führer sich angestrengt, den Arbeitern die Alters- und Invaliditäts versicherung (1889) zu verekeln, obgleich gerade dieses Gesetz geeignet ist, in jeder wünschenswerthen Weite ausgebildet zn werden. Daß bei einem Gegenstand, der noch nie mals von einer Gesetzgebung in Angriff genommen war, nicht Alles sofort zur allgemeinen Zufriedenheit ausficl, braucht nicht besonders hcrvorgehobcn zu werden. Betrachten mir nun die Erfolge, wie sie thatsächlich von den seit 1883, 1884, 1889 bestehenden Gesetzen ausgeübt werden, so haben alle Parteien, die zu einer glücklichen Verabschiedung der Entwürfe bcigetragen haben, allen Grund, sehr zufrieden zu sein mit dem, was sie an wirk licher Arbeit für unser Volk geleistet haben. Die Krankenversicherung schloß 1899, in runden Zahlen gerechnet, 9 740 000 Versicherte ein. Mit anderen Worten: der fünfte Theil deS deutschen Volkes war der schweren Sorge für die Tage der Krankheit enthoben! Und das will etwas sagen, denn cs erkrankten in jenem Jahre 3 480 000 Versicherte rnit 60 400 000 Krankheits tagen. Das „Bischen Socialreform" hatte also mit dem Zwange zur Krankenversicherung schon eine große und segensreiche Arbeit geleistet, denn wer will leugnen, daß ohne dieses Gesetz viele Millionen Krankhcitstagc un mittelbar an den Ersparungen der Arbeiter gezehrt Feuilleton. Schiller und der 5. Mar; 1802. Literarische Reminiscenz von I)r. Ernst Wilms. Schiller und Goethe sind uns zu idealen Geistern ge worden, die wir uns kaum noch in ihrer Menschlichkeit vorzustcllen vermögen. Aber es waren Menschen wie wir, und daß sic trotzdem das waren oder wurden, als was wir sie bewundern, das ist gerade das Große au ihnen! Denken wir aber ja nicht, sic seien als halbe Götter, unangefochten von den Stürmen der Welt, über die Bühne des Lebens gegangen. Schiller kämpfte mit der Unsicherheit einer dürftigen Existenz, und jeder Schriftsteller, der nicht zn den wenigen Glücklichen ge hört, denen die Laune deS Publikums und der Geschäfts instinkt -er Verleger zu pekuniären Erfolgen verhilft, weiß, was das zu bedeuten har. Goethe war zwar durch sein Amt und Vermögen gegen die Sorge unmittelbar geschützt, dafür hatte er mit Neid und Mißgunst und Jntriguen aller Art sich hcrumzuschlagen. Auch um ihre einflußreiche Stellung im deutschen Parnaß sahen sich die Dioskurcn beneidet, denn damals standen sie noch nicht auf dem hohen Picdestal einer für alle Zeiten bestehenden Verehrung, sic galten -en lebenden Mitriugcrn um den olympischen Lorbeer »nr als ihresgleichen, ja manche von diesen fühlten sich ihnen ebenbürtig, wenn nicht über legen. Das „tolle Wagestück der Leuten", so heilsam reinigend cs auch auf die zeitgenössische Literatur wirkte, erregte doch bei den Angegriffenen außerordentliche Er bitterung, und die „Sudelköchc von Weimar", wurden in allen Tonarten verlästert. In Weimar selbst standen sie nicht etwa unangefochten da. Die beiden großen Dichter waren um so nretzr der Gegenstand gehässiger Angriffe und Jntriguen, weil sie eben nicht mit Jedem auf Du und Du stimmen wollten, die adelige Hofgesellschaft wieder neidete Goethe um seine bevorzugte Position am Hofe, das Bürgerthum nahm je nach Umständen für oder gegen ihn Partei. Es bildeten sich Svndcrcliqnen und Eoalttionen, ja am Anfang des neuen Jahrhunderts gegen Goethe eine regelrechte Ver schwörung, deren Zweck kein geringerer war, als die berühmte Freundschaft der beiden Großen, die so lange zn ihrer Entwickelung gebraucht hatte, zn zerstören nnd das geistige Band, das sie verknüpfte, z» zerreißen. Die Seele dieser Eonspiration war Kotzebue, der Ver fasser des „Banard" und der hundert Lustspiele und Possen, die seinen Namen bis auf den heutigen Tag ans -er Buhne erhalten haben. Ich gehe nicht so weit, wie viele Anhänger und Bewunderer unserer beiden großen Heroen, Kotzebue zum vcrdicnstloscn Pfuscher herab- zudrücken. Goethe selbst erklärte, er könne seine Stücke für das Theater nicht entbehren, und in der That müssen dramatische Werke vorhanden sein, welche das weniger gebildete Publicum ins Theater ziehen und den geistigen Ucbcrgang zu erhabcuer Speise vermitteln. Kotzebue be saß unstreitig großes Talent, eine enorme Erfindungs gabe, reifen Witz nud eine beispiellose Schöpferkraft. Beweis dafür ist, daß der größte Theil unserer Lnstspiel- und Schwankdtchtcr sich noch heute von den Früchten, die von seinem Baume gefallen sind, schlecht und recht oder vielmehr „nicht schlecht" ernährt. Allein das Schaffen wurde ihm eben zn leicht und verführte ihn zur leichtfertigen Production auf Kosten des geistigen und sittlichen Gehalts seiner Stücke. Die Mitwelt erhob ihn freilich weit über Gebühr auf den Schild, wenn sie ihn als „deutschen Shakespeare" feierte und mit Ruhm, Titeln, Orden und Gütern überhäufte, während ein Schiller mühsam um sein Leben rang; eine Behandlung jedoch, wie die Nachwelt ihm zu Theil werden läßt, hat er nicht verdient, und als geborener Weimaraner wäre cs ihm die Stadt Weimar, die so manche neue Straße mit den Namen von Bauunternehmern und Eintagsfliegen aus gezeichnet, wohl schuldig gewesen, wenn sie wenigstens eine Straße nach ihm getauft und eine Gedenktafel für ihn übrig gehabt hätte. Doch genug davon. Kotzebue kam Ende 1799 uach Weimar, seiner (Yeburtsstadt, nachdem er vorher Thcatcr- director in Wien gewesen, und erfreute sich einer glanzen den Aufnahme. Alle Kreise, auch der Hof, thaten sich ihm auf, der Herzogin-Mutter las er seinen „Gustav Wasa" vor, selbst Herder und Wieland posaunten sein Lob, nur Goethe und Schiller — wenn Letzterer auch im persönlichen Verkehr seine Liebenswürdigkeit nicht ver leugnete — verhielten sich reservirt, da sic die literarische Richtung, welcher er diente, nicht billigten und seinen Ein fluß für einen verderblichen hielten. Darüber war der berühmte Ankömmling natürlich entrüstet. Er hatte es sich so schön gedacht, in Weimar den „Dritten im Bnndc" zn spielen, er betrachtete sich den beiden als volltvinmen ebenbürtig, und vor allen Dingen schmerzte ihn Gocthe's Unnahbarkeit so bitter, daß er bald genug zu versteckten Angriffen überging. Obgleich Schiller schon im Mai 1800 Goethe anfgefordert hatte, „den jämmerlichen Menschen seine entsetzliche Sottise fühlen zn kaffen", ging der drohende Sturm noch einmal vorüber. Kotzebue reiste nach Rußland, wurde an der Grenze verhaftet, nach Sibi rien verbannt, begnadigt und in Petersburg durch Ehren und Gnaden entschädigt. Sein Aufcnthaft hatte aber doch znr Folge gehabt, daß sich in Weimar eiffe regelrechte Oppositionspartei unter Führung des intriguantcn Gymnasialdircctvrs Bvttiger gebildet hatte, welche nur auf die Rückkehr ihres Helden wartete, nm ihre hinter listigen Pläne auszuführcn. Diese Rückkehr erfolgte im Herbst 180l. Kotzebne war durch seine schuldlose Verbannung noch zu höherem Ruhme gelangt, als er schon genoß, er war eine inter essante Persönlichkeit geworden. Noch einmal wieder holte er seinen Versuch, sich in den Kreis der Goethe und Schiller hincinzndrängen, und zwar dadurch, daß er Auf nahme in ein Kränzchen begehrte, welches die beiden Heroen gegründet hatten und das aller UTageinGocthe's Hause sich versammelte. Dem Kränzchen gehörten nnr zwölf Personen an, und Goethe veranlaßte, um Kotzebue fcruzuhaltcn, einen Zusatz zu den Statuten, wonach Niemand einen Einheimischen noch einen Fremden in diesen geschlossenen Eirkel mitbringcn sollte, wenigstens nicht ohne vorhcrgcgangcnc allgemeine Zustimmung der übrigen Mitglieder. Alle Jntriguen, sowie auch die Bitten einiger dem Kränzchen angehöriger Damen blieben fruchtlos, Goethe wollte lieber die ganze Gesellschaft auf geben, als den einmal als giltig anerkannten Gesetzen un treu werden. Kotzebue beschloß, sich zu rächen. Während Goethe, um doch gegen ihn Bundesgenossen zu gewinnen, die Brüder Schlegel begünstigte, da sie Kotzebue s erbittertste Gegner waren — obgleich er ihre romantischen Verirrungen vcr- nrtheilte —, gründete Kotzebue als Gegenstück zu dem Mtttwvchskränzchcn einen „Montagsclub", in welchem die Feinde Goethe s sich zusammcnfandcn. Ihre Absicht war, die großen Freunde zu trennen. Daher stellte sich Kotzebue, als hege er für Schiller die übertriebenste Bewunderung. Wenn Schiller so überschwänglich gefeiert wird, dachte er, so wird dies die Eifersucht Gocthe's entzünden, denn er beurthetlte diesen natürlich nach sich selbst. Um die Kränkung recht empfindlich zn machen, beschloß er die Jn- scenesetzung einer öffentlichen, großartigen Huldigung für Schiller. Am 5. März 1802 sollte im Stadthaussaalc eine öffentliche Schillerfcicr unter Zurschantragnng großartigen Gepränges stattsindcn. Man wollte Scencn ans Schiller s Dramen anfführen, -nm Schluß sollte Sophie Mcrean au- Jena die „Glocke" declamircn. Kotzebue wollte dann als Glockengießer die papierene Glockcnform zerschlagen, ans dieser sollte Schillcr's Büste zum Vorschein kommen und von einer jungen Dame feierlich mit dem Lorbeer ge krönt werden. In Weimar herrschte große Erregung. Schiller selbst war nicht wohl bet der Sache, Goethe hielt sich ui Jena auf und bekümmerte sich allem Anscheine nach nickt im Mindesten nm die Vorgänge. Selbst Wieland und die Prinzessin Karoltne hatten ihr Erscheinen zugesagt. Schiller war, wenn er auch die Höflichkeit gegen seine „Verherrliche!" nicht direkt ans den Augen setzen durfte, doch offenbar bemüht, den Skandal zu verhindern, auch der Herzog selbst dürste, wie man aus dem Folgenden klar ersieht, hinter den Eoulisscn eine rege Thätigkcit ent faltet haben. Wenigstens verweigerte der Bürgermeister von Weimar gegen die bereits gegebene Zusage plötzlich die Hergabe des StadthaussaaleS unter allerlei Vorwänden, worunter anch derjenige, devcrst ncn hergcstcllte Fußboden könne durch die Feier beschädigt werden. Man sicherte für diesen Fall Schadenersatz zu, aber der Stadtregent blieb bei seiner Weigerung. Denselben negativen Erfolg zei tigten die Bemühungen, für die Feier die Büste Schiller s von der Bibliothek zu erlangen. Der Bibliothekar weigerte sich, „ein Kunstwerk von solchem Wcrthc der Gefahr einer Beschädigung anszusctzcn. Zudem entstehe, was den guten Geschmack anlangc, noch die Frage, ob sich Schiller durch die Darstellung seiner Idee von der Glocke in Pappe anch wirklich so geehrt fühlen werde, wie man zu erwarten scheine." Kotzebue s Plan mußte also nothgedrungen aufgcgeben werden. Wie man das Fiasco und die Umstände, welche dazu geführt hatten, bei Hofe ansah, zeigte die bereits am Morgen des tt .März erfolgende Ernennung des Bürger meisters z»m Rath, sic erfolgte „für seine großen Ver dienste". Einige Tage später aber spielte man im Theater Kvtzcbnc's „Ucble Laune", und ein dramatischer Scherz pcrsiflirtc die verunglückte Haupt- nnd Staatsaktion unter dem Titel: Der verunglückte 5. März, ein Schwank. 1802. Personen: Herr Firlefanz (Kotzebue). (Gesellschaft von Herren und Damen. Firlefanzcn's Mutter. Träger. Die Scene ist in einem Zimmer neben einem großen verschlossenen Saal im Ltadthausc.. Kotzebue that darauf das Beste, was er thnn konnte: er schüttelte den Staub Weimars von den Füßen! Niemand war froher, als Schiller, daß sein Verhältnis? zn Goethe den 5. März ungetrübt überdauerte. «Der 5. März", schrieb er am 10. desselben Monats, „ist mir glücklicher vorüber gegangen, al- dem Eäsar der 15., nnd ick höre von dieser großen Angelegenheit gar nichts mehr. Hoffentlich werden Sie bei Ihrer Znrückknnft die Ge- müther besänftigt finden." So endete der Versuch, den Bund unserer Dioskurcn zu zerstören, mit der kläglichen Niederlage der Intriguantcn. Die deutsche Literatur hat daher allen Anlaß, des 5. März 1802 zu gedenken.
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