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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-25
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030325024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903032502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903032502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-25
- Monat1903-03
- Jahr1903
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Tabellarischer und Ziffrrnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgea-AuSgab«: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend» 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Pol» in Leipzig. Nr. 153. M1,I" Polttische Tagesschau. * Leipzig, 25. Marz. NetchStagSfertkn. Er ist erreicht! Der R eichstaghat es gestern fertig gebracht, seine Arbeiten so weit zu erledigen, daß er sich die ersehnten Ferien geben konnte. Seine letzte Etats plauderei bot wieder ein kunterbuntes ,/Kraut und Rüben"- Bilid. Zum Justizetat wurde noch ein ganzer Kranz von Wünschen und Beschwerden vorgetragen. Im allgemeinen war eS nicht böse gemeint: aber zwei Herren wurden doch recht mißgestimmt. Herr Stadthagen versetzte den preußischen Minister des Innern in den Anklagezustand, well er gelegentlich der dunklen Spitzelgeschichte des „Vorwärts" nicht eingeschritten ist. und ließ seinen flam menden Zorn gegen die beiden Ordnungsrufe, die ihn er eilten, mit starker Männersaust am Rednerpulte aus. Sanfteren Ausdruck verlieh Herr v. Dzrembomski seinem Kummer darüber, daß die Standesbeamten sich gegen die Polonisierung von Eigennamen wehren und bei der Eintragung weiblicher Namen mit polnisch flektierter Endung in zweifelhaften Fällen den Nachweis fordern, daß es sich auch tatsächlich um polnische Namen handelt. Die von Len Polen erneut beantragte Resolution, die da hin ging, daß die Standesbeamten angewiesen werden sollten, die polnischen Namen auf i in der weiblichen Form auf a in di« Standesregister eintragen zu lassen, erklärte der Staatssekretär für gegenstandslos, da keiner lei Verordnung im andern Sinne bestände: aber die Polen hatten die Freude, für ihre i-u-Resolution doch eine Mehrheit zu finden. lieber den Rest der Etats ent spannen sich nur noch kürzere Debatten. Die einzige vom Hause beschlossene Aendcrung war die Wiederherstellung einer Position für die Erweiterung des Bahnhofes in Luxemburg. Der Etat und eine Anzahl dazu be antragter Resolutionen überwiegend sozialpolitischen Inhalts wurde angenommen, und sodann die nächste Sitzung auf den 21. April anberaumt. Ein Rückblick auf de» nun beendete» Taguugsabschnitt ist nicht ganz so kläglich, wie »ran aus dem kläglichen Gesuch« der meiste» Sitzungen wohl schließen möchte. Als das Haus am 18. Januar nach den Wcihnachtsferien seine Beratungen wieder aufnahm, hatte es ans der stürmischen Zeit der Zolltariferörterungen noch einige Reste in den zum Tarif gestellten Resolutionen und Petitionen zu erledigen. Es wurde mit der Arbeit in wenigen Tagen fertig und konnte am 19. Januar an die Lösung der wichtigsten der ihm in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern gestellten Aufgaben, an die Fertigstellung des Etats, Herangehen. Schon zu Anfang 1902 war es dem Reichs tage gelungen, in verhältnismäßig kurzer Zeit das Budget des nächsten Rechnungsjahres festzusetzen; er brauchte damals hierzu die Zeit vom 8. Januar bis zum 18. März, also eine Spanne von 65 Tagen. Genau die gleiche Zeit hat er auch diesmal auf die Etatserledi gung verwandt. Allerdings ist ebenso wie im Vorjahre viel Zeit zur Fertigstellung anderer Gesetzentwürfe nicht übrig gewesen. Es ist zunächst noch der aus dem Mittwoch den Tagungsabschnitt von 1901—1902 übernommene Ent wurf über die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben verabschiedet und sodann sind einige weniger wesentliche Vorlagen, wie die Novelle zur See mannsordnung, der Vertrag zwischen dem Reiche und Luxemburg über den Betrieb der Wilhelm-Luxem burger Eisenbahn durch die Reichseisenbahnverwaltung und die Novelle zu dem mit Italien und der Schweiz ge schloffenen Uebereinkommen betreffs des Schutzes des ge werblichen Eigentums, unter Dach und Fach gebracht. Außerdem wurden die verschiedensten Kommissions berichte erledigt, sowie Interpellationen, darunter die wegen der Veteranenbeihülfe, der Polenfrage und der Gcrstenverzollung, beantwortet und erörtert. Zwei weitere sozialpolitische Gesetzentwürfe, die Novelle zum K ranke nversicherungsgesctz und der P h o s p h o r z ü n d w a r e n - Entwurf, sind für die weitere Beratung im Plenum vorbereitet: sie werden das Reichstagsplenum nach den Osterferien wieder be schäftigen. Außerdem wird der Reichstag sich dann mit der soeben eingegangenen, das Wahlverfahren be treffenden Vorlage zu beschäftigen haben. Der Ent wurf über die Kaufmannsgerichte, den man früher auch noch für die laufende Tagung des Reichs tages erwartet hatte, wird nicht mehr vorgelegt werden: er dürfte den nächsten Reichstag in seiner ersten Tagung zu beschäftigen haben. Ein Schicksalsmoment. Unter dieser Ueberschrift weist der „Schwäb. Merk." darauf hin, daß das Anschwcllen der Bewegung gegen das Zentrum, besonders in Baden, zu den schönsten Hoffnungen berechtigen würde, wenn man sich nicht sagen müßte, daß der überwiegende Vorteil der national gleich gültigen oder gefährlichen Sozialdemokratie zu fallen werde. Das genannte Blatt fährt dann fort: „Wie anders wäre es, wenn die Sozialdemokratie den vielleicht nicht so bald wiederkehrenden geschichtlichen Wende punkt zu benutzen wüßte! Wenn sie sich dazu aufschwingen könnte, ihren schlechthin verneinenden Standpunkt in den Fragen der Machtentwickelung aufzugeben I Wenn die bürger lichen Parteien «ich: mehr nach zwei Seite» kämpfen müßten s Wenn alles einig sein könnte und dürfte gegen Reaktion und Ultramontanismus! Von der Sozialdemokratie hinge es ab, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, und Deutschland wäre nach außen das mächtigste, nach innen das freieste und blühendste Landl Dann könnte jeder Deutsche sich mit Stolz und Würde in der ganzen Welt seines Namens rühmen. Mit welcher Freude würden alle Parteien an der Verbesserung der Arbeiterverhältnisse mitwirken I Wie »würde bei kraftvoller Vertretung in der weiten Welt unsere Ausfuhr aufblühen und die Mittel zur Bestreitung aller Ausgaben für Sozialrcform und allgemeine Kulturzwecke herbeischaffen! Aber ein großer Schicksalsmoment findet ein kleines Geschlecht. Das Los ziehen über Militarismus und Flottenparade ist der Sozial demokratie wichtiger als alles andere. Sie macht nicht mit und nötigt dadurch alle liberalen und freisinnigen Männer, das für die Existenz des Reiches Notwendige vom Zentrum zu 25. März 1903. erhoffen! Sie treibt die Leute geradezu der Reaktion und der Klerisei in die Arme, ohne selbst etwas dabei zu gewinnen. Man täte den Führern unrecht, wenn man glaubte, sie sähen das nicht ebenfalls ein. Unter den Führern gibt es nicht wenige, die so denken, wie vorstehend geschildert. Aber an ihnen rächt sich die wilde Agitation der vergangenen Zeit. Sie haben ihre Leute derart mit Schlagwörtern gefüttert und sie an diese Kost gewöhnt, daß sie nun selbst nichts anderes mehr auftischen dürfen. Schade, schade! Was für eine Macht was für ein Land könnte Deutschland sein, und was ist es in Wirklichkeit! Was aber wird es, wenn die Entwickelung der fremden Mächte so weiter geht, in 50 Jahren sein?" Wenn man sich nicht absichtlich selbst täuscht, so kann die Antwort auf die in dem letzten Satze ausgeworfene Frage nur sehr wenig ermutigend lauten. Und fragt man weiter, was geschehen müßte, um die Sozial demokratie zum Aufgeber, ihres schlechthin ver- neinendcn Standpunktes in den Fragen der Machtent wickelung zu bewegen, so gibt es auch hierauf keine be friedigende Antwort. Selbst Herr Naumann, der doch sonst der Sozialdemokratie hohes Vertrauen ent gegenbringt, ist in dieser Hinsicht nicht Optimist. Und wenn man bedenkt, was gerade Deutschland auf sozial politischem Gebiete geleistet hat, so muß man die Hoff nung aufgeben, in absehbarer Zeit durch weitere sozial politische Zugeständnisse den internationalen Eharatter unserer Sozialistenführer in einen nationalen umzu wandeln. Immerhin würden die Aussichten nicht so trübe sein, wenn es dem Zentrum nicht gelänge, die führende deutsche Macht durch die Furcht vor dem roten Gespenste zum immer weiterem Paktieren mit den Schwarzen zu bewegen. Und so verzweifelt ist die Lage dieser Macht denn doch noch nicht, um dieses Paktieren nötig zu machen. So hätte das Zentrum schon aus Rück sicht auf seine eigenen Wähler in der Zolltarif- fr a g e nachgeben müssen, auch wenn ihm keine Aussicht auf Abbröckelung des Jesuitengesetzes gemacht worden wäre. Aber auf dem Wege des Paktierens und Handelns mit dem Zentrum ist die preußische Regierung schon seit Jahren so weit gekommen, daß das Zentrum eine Macht geworden ist, die sich kaum mehr brechen läßt. Und nun « cd fortgewurftelt, vielleicht in der stillen Hoffnung auf einen Glücksfall, der eigne Anstrengung erspart. Aber wie die ersehnten Lotteriegewinne zumeist gerade bei denen ausbleiben, die sie am nötigsten brauchten, so wird auch Preußen vergebens einen Glücksfall herber sehnen, wenn es ihn nicht durch eigene Entschließung herbeiführt. Die preußische Regierung steht vor einem Schicksalsmomente, der ein solcher für das ganze Reich zu werden droht, wenn sie sich nicht dazu aufrafft, das Zentrum zu nationaler Haltung auch ohne Konzessionen zu zwingen. Kulturkampf in Frankreich. In der gestrigen Sitzung der französischen Depu- tiertcnkammer führte Rabier (Soz.) aus, verschiedene Missionen, welche den Predigerorden angehörten, leisteten keinerlei Dienst und verfolgten als alleiniges Ziel die Unterwerfung der Laien und die Z e r st ö r u n g 87. Jahrgang. der Republik. Auf die Verteidigung der Prediger orden durch den Abb« Gayraud antwortete der Mi nisterpräsident Combes: Das Predigeramt sei durch das Konkordat einer be stimmten Geistlichkeit Vorbehalten. Von den Mitgliedern der Prediger-Kongregationen, welche die Gesetze und Sitten ver achteten, werde ein Kreuzzug gegen die Republik geführt. Die Kammer solle den Mönchen, die republikfeind lichen Ligen angehören, zeigen, daß sie nicht beabsichtige, sie zu dulden. Redner weist dann auf die Uebelstände hin, zu denen es führen würde, einen zweiten Klerus neben dem recht lich bestehenden einzusetzen. Alle anderen Regierungen hätten die Prediger-Orden nicht zugelassen. Welcher republikanische Minister werde es da wagen! Das von der Regierung unter nommene Werk sei das dornenvollste, welches seit einem Jahr hundert unternommen worden sei; es erfordere vollkommene Uebereinstimmung mit der Kammer. Eine Schwäche werde das Werk um 20 Jahre zurückwerfen; die Regierung werde sich ihrer nicht schuldig machen. Die Kammer müsse erklären, ob sie diese Schwäche zeigen wollte. (Beifall links.) Hierauf wurde ein Antrag auf Vertagung auf morgen eingebracht und zu namentlicher Abstimmung gestellt, jedoch mit 297 gegen 253 Stimmen abgelehnt und der Schluß der Debatte beschlossen. Mehrere Abgeordnete erhielten noch kur- das Wort zur Begründung ihrer Abstimmung. Georg Leygues erklärte, er würde für die von der Regierung bekämpfte Einzelberatung der verschiedenen Artikel stimmen. Sodann schritt das Haus zur Abstimmung und lehnte, wie schon telegraphisch gemeldet, die Einzelberatung mit 304 gegen 246 Stimmen ab. Darauf wurde die Sitzung geschloffen. Die Regelung der schwedischen Konsulatsfrage. Der schwedische Minister des Aeußern veröffentlichte gestern eine Mitteilung über die Verhandlungen der Kvn- sulatsfrage, aus der hervorgeht, daß die schwedischen und norwegischen Unterhändler sich auf folgender Grundlage über die Regelung geeinigt haben: Es wird ein beson - deresKonsulatswesen fürSchweden und ein besonderes für Norwegen eingerichtet. Die Konsuln jedes Reiches unterstehen den Behörden ihrer Heimat, welche jedes Land für sich bestimmt. Ferner einigen beide Länder sich darüber, daß das Verhältnis zwischen dem Minister des Aeußern und dem diplomati schen Korps einerseits und den Konsuln der Einzelreichc anderseits durch gleichlautende Gesetze geregelt wird, die nicht einseitig geändert werden können und beiden Bürgschaften dafür geben, daß die Konsuln die Rechte und Grenzen ihrer Wirksamkeit nicht überschreiten, sowie gleichzeitig das notwendige Zusammenarbeiten des Mi nisters des Aeußern und der Konsuln beider Reiche sichern. Gleichzeitig erklären die schwedischen Unterhändler sich be reit, dem König zu raten, dem schwedischen Reichstage und dem norwegischen Storthing eine Vorlage zu unterbreiten, die den König in Stand setzt, einen Schweden oder auch einen Norweger zum Minister des Aeußern zu er nennen und die die konstitutionelle Verantwortlichkeit des Ministers des Aeußern gegenüber den gesetzgebenden Feirilleton. Miß Rachel Laltouu. Roman von Florence Marryat. dlacddrva verboten. Obgleich dieser Gedankengang in feiner Anwendung auf die selbstherrliche, eigenmächtige Erbin beinahe etwas Lächerliches hatte, entsprach er doch völlig der Wahrheit. Rachel fühlte sich so schüchtern wie ein kleines Kind, als sie abends ihr Zimmer aufsuchte und in der Dunkelheit wach saß und sich danach sehnte, zur Einsicht darüber zu kommen, was am besten für sie und ihr Glück sein würde. Nach einem Weilchen stand sie auf, zündete ihre Lampe an und schrieb den folgenden Brief an ihren Liebhaber: „Lieber Lord Biviani Ich hoffe, Sie werden nicht allzu enttäuscht sein, wenn Die hören, daß ich Scarborough verlassen habe. Ich hatte die Absicht, heute fortzugchen, und Ihre Aussprache macht e» nun doppelt notwendig. Sie werden mir gewiß zu stimmen, daß wir, wenn ich ruhig und leidenschaftslos das, wovon wir sprachen, erwägen soll, nicht eher Zu sammentreffen, als bis ich mich entschieden habe. Jn-wischen bitte ich Sie, sich nicht allzu großen Hoffnungen hinzu- geben. Ich gestehe ehrlich, daß ich mir über meine Em pfindungen für Sie nicht klar bin. Ich glaube nicht, daß ich etwas Anderes als Freundschaft für Sie hege, und nur dieses freundschaftliche Gefühl ließ mich Ihrer Bitte nach geben. Wenn ich bet näherer Ueberlegung einsehe, daß ich mehr für Sie fühle, als ich glaubte, dann will ich es Ihnen ehrlich sagen. Wenn ich aber start dessen finde, daß eS mir nicht möglich ist, meine augenblickliche Ansicht zu ändern, bann w«rde ich St« bitten, mich doch immer als Ihre aufrichtige Freundin zu betrachten. Rachel Saltonn." » * * Es ging ein Zug schon um acht Uhr früh von Scar borough nach London. Wenn Rachel diesen benutzte, würde sie schon auf und davon sein, ehe Lord Vivian die Augen aufschlug. Sv weckte sie denn Mears, di« nebenan schlief, und hieß sie sofort die Koffer packen und alle Vorberei tungen für die Abreise treffen. Als Sir Henry und seine Frau noch kaum anfgestanden waren, trat Rachel in vollem Reiseanzug« bei ihnen ein, um ihnen Lebewohl zu sagen und ihrem Onkel den Brief für Lord Vivian zu über geben. „WaS fällt dir denn ein, Kind, mitten in der Nacht auf und davon zu gehen?" sagte Str Henry. „Aber wozu, frage ich dich erst, tust du doch nie etwas wie andere Leute!" „Ich breche lieber früh auf, Onkel, dann bin ich zu Tisch in der Stadt. Gib Lord Vivian meinen Brief: aber, bitte, nichts weiter. Keine selbsterfundenen Hoffnungen etwa!" „Du wirst hoffentlich verständig sein, liebes Kind . . . Doch, wenn du wirklich gehen willst, dann beeile dich; du hast nur noch fünfzehn Minuten Zeit bis zum Abgänge des Zuges." So endete Miß Saltonns Besuch in Scarborough, und der große Vorsatz, sich Gevffry Salter aus dem Sinn zu schlagen, war zu einer großen Verwirrung geworden. Aber indem sie sich während der Fahrt nach London dem Orte näherte, wo sie Gevffry zuerst getroffen, wo sie die niederschmetternde Kunde erhalten, die sic von ihm trennte, empfand sie, daß, wenn er auch nie seinen Thron besteigen würde, dieser Mann doch durch göttliche Bestimmung ihr Herr und König war, und daß sie für immer ihm untertan sein würde. Während der Zug sie nach Süden entführte, lehnte sie in den Kissen des Abteils mit geschlossenen Augen und dachte an jeden Blick zurück, den er ihr gewidmet, an jedes Wort, das er gesprochen, jeden Vorwurf, den er ihr gemacht, und sie sehnte sich — o, wie glühend! — danach, den Mut zu haben, ihr Geschick in ihre eigene Hand zu nehmen und Gott für die Wonne und Fülle desselben zu danken. Solche schmerzlichen Gedanken trugen nicht dazu bei, die Anstrengungen der langen Fahrt zu vermindern, und als Rachel London erreicht hatte, sah sie zum Erschrecken blaß und angegriffen aus. Eine bequeme Flucht von Zimmern war im Viktoria. Hotel für sie bestellt, und als sie eintrat, begrüßte sie sofort die wohlvcrtraute Erscheinung Miß Montries. Die Ge fühle der armen alten Dame waren geteilt zwischen Dank barkeit für die Zurückberufung in ihre Stellung, Auf regung und Freude über das Wiedersehen und nervöser Unruhe bei dem Gedanken, daß sie durch Wort oder Tat wieder verletzen könnte. Sie kam langsam und schüchtern näher, um ihre junge Herrin zu begrüßen, und streckte ihr mit einer so tiefen Verbeugung, wie ihr Rheuma tismus nur gestattete, die Hand entgegen. „Meine liebe Miß Saltonn", begann sie, „wie blaß und mü-e sehen Sie aus! Ich hoffe, das Kaminfeucr wird Ihnen behaglich sein nach der anstrengenden Reise." Früher hatte Rachel diese Ansprachen unausstehlich gefunden, aber jetzt hatte sie ganz vergessen, unter welchen Umständen sie sich vvn ihrer alten Gefährtin getrennt hatte. Sie schien überhaupt alles vergessen zu haben, außer daß sie müde und in Unruhe und Geoffry Salter für sie verloren war. Und nun sah sie hier ein bekanntes Gesicht, das sie von klein auf kannte und das nie anders als freundlich sie angeblickt hatte. Zu Miß Montries äußerstem Erstaunen nahm sie gar nicht ihre ausgcstrcckle Hand, sondern fiel ihr um den Hals und sagte, indem sie sie herzlich küßte: „Nennen Sie mich nicht mehr Miß Saltonn! Sagen Sie Rachel zu mir, Miß Montrie; denn mir ist zu Mute, als hätte ich außer Ihnen keinen Freund mehr auf der Welt." „Liebes Kind! Liebes Kind!" brachte die alte Dame in ihrer Ueberraschung und Verwirrung mühsam hervor. Solche Worte kamen ihr von Miß Saltonns Lippen ge radezu lächerlich vor. „Ja, ich meine es wirklich. Ich bin müde und der ganzen Welt überdrüssig, und Ihr Gesicht erinnert ge rade soviel an die alte Heimat, wie meiner Seele not tut. Wir wollen nach Aachen gehen", sagte Rachel mit auf geregtem Lachen, „und wenn Sie wieder ganz hergestellt und munter sind, dann wollen wir zusammen umher reisen und neue Länder kennen lernen und ganz ver gessen, daß es überhaupt noch ein England gibt." Rachels sonderbare Stimmung beunruhigte Miß Montrie. Sie begriff nicht, was die hochmütige und zu rückhaltende Miß Saltonn plötzlich hatte vertraulich und liebevoll machen können. Aber es gibt weibliche Wesen, die, wenn sie auch vielleicht nie Kinder haben, mit einem mütterlichen Herzen geboren sind, und Miß Montrie ge hörte zu diesen. Ihre ganze Schüchternheit verschwand, als sie sah, daß Rachel ihrer bedurfte, und sie beruhigte das aufgeregte Mädchen, als ob sie ein krankes Kind vor sich gehabt hätte. „Kommen Sie, liebes Kind", sagte sie, „und lassen Sie sich erst in Ihr Zimmer bringen. Die lange Fahrt hat Sie ermüdet und hungrig gemacht. Nach dem Mittag essen werden Sie sich gleich wohler fühlen." Sie begleitete Rachel in ihr Schlafzimmer, schickte Mears fort und half ihr beim Ausklciden, brachte ihr Waschwasser und bürstete eigenhändig ihr schönes braunes Haar. „Sie sehen", sagte sie mit einem schwachen scherz haften Versuch, ihre Gefährtin aufzuheitern, „daß ich doch noch nicht ganz unbrauchbar bin, wenn auch meine armen alten Hände noch von der Gicht krumm sind." „Das wird in Aachen bald besser werden, Miß Montrie." „O, Liebste, wie soll ich Ihnen danken, daß Sie mich dorthin bringen wollen? Nach all der Gitte, die Sic mir schon während meiner Krankheit bewiesen haben! Das verdiene ich gar nicht, solche Kosten und solche Mühen, noch dazu, wo ich Sie in Catherstone so geärgert hatte." „Still, still! Reden Sie nicht davon! Es beschämt mich so sehr. Sie haben mich gar nicht geärgert. ES kam alles von meinem Stolz und meiner schlechten Laune. Und was ist schließlich das Geld wert, wenn man es nur für sich verwendet? Es legt eine große Verantwortung auf, Miß Montrie, an die ich bisher wenig gedacht habe. Wenn Ihnen eine Wohltat damit geschehen kann, freue ich mich von Herzen. Und nun wollen wir zu Tisch gehen." Rachel war sich gar nicht bewußt, daß sie mit solchen Reden nur die Ansichten wicdergab, die Geoffry Salter ihr gegenüber ausgesprochen hatte, und die ihr tiefer ins Herz gedrungen waren, als sie dachte. Die kleine Miß Montrie strahlte während des ganzen Essens, während Rachel nur wenig sprach und sich nach Tisch in einem Stuhl vor dem Kamin niederließ und nach denklich den Kopf in die Hand stützte. „Wollen Sie nicht ein paar Wallnüsse haben, Miß Saltonn?" „Rachel! Miß Montrie, bitte." „O, liebes Kind, es kommt mir vor, als ob ich mir damit eine zu große Freiheit herausnähme, und doch macht es mich sehr glücklich, daß Sie darauf bestehen." „Es ist etwas recht Kleines, jemand glücklich zu machen, und ich wundere mich, daß wir so lange zu sammen leben konnten und doch in so förmlichen Be ziehungen blieben", erwiderte Rachel. „Es war meine Schuld, da ich so selbstsüchtig und hochfahrend war." „Ich kann es nicht mit anhören, wenn Sie sich so tadeln, liebes Kind. Sie waren immer die Güte und Rücksicht selbst für mich, daher vergaß ick ja meine Stel lung und überschritt meine Befugnisse." „Wofür ich Tie Ihres Heimes beraubte . . . Unter brechen Sie mich nicht, ich seüe es jetzt ganz klar ein. Meine Augen sind geöffnet worden. Jemand .. . jemand hatte den Mut, mir zu sagen, was niemand sonst gewagt hätte." „O Liebe! Wer konnte so dreist sein, hierüber mit Ihnen zu sprechen? Es war gewiß kein Freund." „Ja, ja! ES war ein Freund", sagte Rachel, und dann überwältigte sie die Erinnerung und sie rief aus: „O, Miß Montrie, ich habe viel Kummer durchgemacht, seit ich Sie zuletzt gesehen, großen Kummer! Und des halb sehe ich mein Leben jetzt in ganz anderem Lichte an." „Kummer? Ach, mein Liebling! Sie und Kummer! Wie konnte das nur kommen? Was war es, Rachel? Es gibt gewiß ein Mittel dafür." „Nein, nein! Fragen Sie mich nicht. Ich möchte cs lieber nicht sagen. Niemand außer Ihnen habe ich je eine Andeutung darüber gemacht. Und eS ist kein Mittel dafür vorhanden, Miß Montrie, keins! Es beweist wieder, wie wertlos Reichtum, Jugend und alles ist ohne daS Eine, wonach man sich sehnt und das man nicht haben kann." Miß Montrie war still. Ihr weibliches Gefühl sagte ihr, was das Eine war, das für Geld nicht zu kaufen war,
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