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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.05.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-05-18
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030518028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903051802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903051802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-05
- Tag1903-05-18
- Monat1903-05
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In allen Ecken und an allen Enden behaupteten sie, verraten worben zu sein, während ihre Niederlagen nicht auf Verrat, sondern darauf zurückzu- führen waren, daß die deutschen Volksstämme ihre Kraft, Ausdauer und Vaterlandsliebe vereint betätigten und die Hoffnung der Franzosen, über die alte deutsche Un einigkeit und Habersucht triumphieren zu können, zu Nichte machten. Den Vorwurf des Verrats, wo keiner vorliegt, in die politische Dasetnsbetätigung der Völker zu schleudern, ist aber keineswegs ein Reservatrecht unserer westlichen Nachbarn. Zur Zeit, da in Frankfurt die Nationalversammlung tagte und den Ver fassungsentwurf von 1849 so ausgestaltet wissen wollte, daß er auch für die Fürsten, und insbesondere für den zukünftigen Kaiser, annehmbar wäre, schrien die unentwegten großdeutschen Demokraten über Verrat, weil die Erbkaiserlichen Einspruch dagegen erhoben, daß in die Versüssung Bestimmungen ausgenommen würden, welche sie unannehmbar machten. Und als die deutsche Verfassung im norddeutschen Reichstag« zur Verfügung stand, erinnerten sich die un entwegten Fortschrittsleute nicht, daß ihre demokratischen Vorgänger die 1849er Verfassung als ein reaktionäres Machwerk verunglimpft hatten und daß sie die Erb kaiserlichen für Verräter gehalten. Sie lehnten die nord deutsche Verfassung mit der Begründung ab, diese sei weit reaktionärer als die 1849er Verfassung. Sie wollten die 1849er Verfassung haben. Dabei war die Verfassung, die dem norddeutschen Reichstage vorlag, der von 1849 durchaus nachgebildet, ja, es waren noch demokratischere Bestimmungen in sie ausgenommen, als in jener ent halten gewesen. Aehnlich wie es bei der Verfassungs- beratung im norddeutschen Reichstage war, so sollte es auch im deutschen Reichstage sein. Bet jeder Ge legenheit schrien die demokratischen Elemente, die den allein echten Ring des Liberalismus zu besitzen glaubten, über Verrat der Nationalliberalcn, welche die Verpflich tung höher stellten, einen wirklichen Fortschritt im Inter esse des gesamten Vaterlandes zu machen, als die pein liche Prüfung der Frage, ob dieser Fortschritt in jedem einzelnen Punkte dem Parteischema entspreche. Am deut- lichsten trat dieser Widerstreit der Meinungen bet dem Zustanbebringen der Justizgesetze zu Tage. Da mals kannte die fortschrittliche Neigung, die National liberalen als Verräter zu denunzieren, kaum eine Grenze. Auch bet dem Zustanbebringen des Zoll tarifs von 1879 wurde die Zustimmung zu demselben von den Radikal-Freisinnigen als Verrat bezeichnet. Bei der Beratung des neuen deutschen Zolltarifs im vorigen Jahre konnte man es dann erleben, daß auch der Abgeordnete Richter als Verräter gebrandmarkt wurde, und zwar von sozialdemokratischer Sette, weil er der Obstruktion nicht zu ihrem Ziele verhelfen wollte. Tag für Tag muß der Abgeordnete Richter, besonders auch in der kleinsozialdemokratischen Presse, jetzt den Vorwurf über sich ergehen lassen, er habe durch sein Ver halten, d. h. durch seine Mitwirkung an der Nieder- Montag den 18. Mai 1903. 97. Jahrgang. zwingung der Obstruktion, Verrat an der Sache des Volkes geübt, s«lbsrverständlich an der, wie die Sozial demokratie sie versteht oder zu verstehen vorgibt. Man braucht nicht zu glauben, baß der Zeitpunkt nahe bevor stehe, in welchem auch in den Reihen der Sozial demokratie der Ruf Verrat vernehmbar werden und sich gegen die eigenen Genossen richten wird. Aber daß dieser Zeitpunkt früher oder später herankommt, kann man mit derselben apodiktischen Gewißheit voraussagen, mit der es vorauszusehen war, daß eines Tages der Abgeordnete Richter von dem linken Radikalismus die selbe Behandlung erfahren würde, die seine Gesinnungs genoffen den Nationalliberalen zu Teil werden ließen, so lange sie selbst den äußersten linken Flügel bildeten. Und so wird auch die Freisinnige Bereinigung, die sich an der Obstruktion beteiligte, deren Führer vr. Barth aber nun auch seinerseits in der Sozial demokratie den zu bekämpfenden Feind erblickt, dem Vorwurfe des Verrats von feiten der „Genoffen" nicht entgehen. Dann mögen Herr vr. Barth und seine Freunde diesen Vorwurf ruhig auf sich nehmen und sich daran erinnern, wie oft sie den gleichen gegen die Nationalliberalen erhoben haben. Das wird sie viel leicht davon abhalten, da, wo sie und die Nationallibe- ralen einander gegnerisch bei den Hauptwahlen gegen überstehen, mit dem Schlagworte der Verräterei zu operieren und dadurch den Wahlkampf zu vergiften. Wo sie zwischen nationalltberalen und sozialdemokrati schen Kandidaten in der Stichwahl zu entscheiden haben, werden sie ja doch für die ersteren eintreten müssen, um nicht die von Richter sowohl wie von Barth als „Feind" bezeichneten „Genoffen" zu stärken. Täten sie das letztere dturch Erneuerung ihrer Verratsbcschuldigungen gegen die Nationalliberalen, so würben sie sich der Gefahr auS- setzen, von allem, was nicht Sozialdemokrat ist, ihrerseits zu Verrätern gestempelt zu werden. Gegen die lange« Parlamentstagungen. Ein Landtagsabgevrdneter, der eine hervorragende Stellung im Handclsleben einnimmt, sprach kürzlich in der „National-Zeitung" seine Genugtuung darüber aus, daß Handelsminister Möller den Handels st and wiederholt auffordcrte, sich mehr als bisher im öffent lichen und parlamentarischen Leben zu be tätigen, fügte aber hinzu, daß den Handelsstand vom Parlamentarismus noch eine tiefe Kluft trenne, nämlich die Wertschätzung der Zeit. In den Kreisen von In dustrie und Handel sei man der Meinung, daß die par lamentarischen Körperschaften ihre Aufgaben gemächlich in ebenso vielen Wochen erledigen könnten, wie sie jetzt Monate gebrauchen, wenn alles Partei« und persönliche Gezänk, sowie alle Reden zum Fenster hinaus unter blieben. Diese Meinung ist nicht neu und schon vor Jahrzehnten von keinem Geringeren als Bismarck geäußert worden. Am 19. April 1871 sagte BiSmarck im Reichstage: „Nur kurze Parlamente machen es möglich, daß alle Berufskreise, und gerade die tüchtigsten und treuesten, in ihrem bürgerlichen Berufe sich die Zeit ab müßigen können, daß sie dem Vaterlands auch hier an dieser Stelle ihre Dienste weihen." Wenn man durch die Uevertreibung der parlamentarischen Sitzungen und ihrer Dauer denen, die auch noch andere Geschäfte haben, die Beteiligung im Reichstage erschwert, dann befürchtete Bismarck das Aufkommen einer parlamentarischen Bureaukratie. Wiederholt beklagte er schon damals die unendliche Dauer der Sessionen. „Das Land", sagte er am 21. November 1884 im Reichstage, „leidet darunter und fährt am besten dann, wenn die Sitzungen kurz sind und das Parlament aus sachkundigen Mitgliedern besteht." Es wäre daher sehr zu empfehlen, daß die Wähler von den aufgestellten Kandidaten das Versprechen nicht nur des fleißigen Besuchs der Sitzungen — der jedenfalls nicht unwesentlich zur Belehrung der Abgeordneten bei- trägt —, sondern auch der Enthaltsamkeit von über flüssigen Reden verlangtem Magyarische Stimmungen. Der radikal-magyarische „Magyar Szü " sicht vol ler Schmer-, daß die Gastsviele Berliner Büh ne n i n P e st immer zahlreicher und immer erfolgreicher werden. Ein erlesenes Publikum füllt trotz verdoppelter Eintrittspreise den Zuschauerraum, und die Vorstellungen finden eine begeisterte Aufnahme. Das ist dem „Magyar Sz6" „entsetzlich" und sein Blut gerät in „Wallung". Aber noch viel schrecklicher erscheint dem „Magyar Szo", daß die magyarische Presse keine Entrüstungsartikel über Ger- manisicrung bringt, daß die öffentliche Meinung auch außerhalb der Presse ruhig bleibt — selbst die aufgeregten Studenten mit eingeschlossen. Woher kommt das? fragt der „Magyar Szo". Die Bühnendichtungen können seiner Ansicht nach solche Wirkungen ebenso wenig äußern, wie die Darstellung der Berliner Schauspieler: nur der Ein fluß des Deutschtums als solchen sei eS, der an ziehe, bezaubere, erobere. Hat der „Magyar Szo" hierin recht, dann darf das „Deutsche Tageblatt für Ungarn" mit Fug es betonen, daß außer dein „Magyar Sz6" die öffent liche Meinung der Magyaren gegenüber den deutschen Theatervorstellungen ruhig bleibt, und daß man jetzt in weiteren magyarischen Kreisen wieder erkenne, wie wenig Gefahren dem Magyarentum von der so argwöhnisch be trachteten deutschen Kultur drohen. Es ist sehr zu wün schen, daß diese Erkenntnis immer tiefere Wurzeln schlage und für die Behandlung des Deutschtums in Ungarn gute Früchte zeitige. Die Vorgänge in der Türkei. Die maßgebenden Kreise in Konstantinopel sind aus der großenBeunruhigung,in welche sie durch dieEreigniffc in den drei makedonischen VilajetS versetztwurden, bedauerlicher weise in das entgegengesetzte Ertrcm geraten. Man beginnt nämlich den Ernst der inneren Lage zu unterschätzen und gibt sich Selbsttäuschungen hin. Die auf die Sicherung des Status guo auf dem Balkan gerichtete Aktion der Entente mächte, die sich gegenüber den erwähnten Ereignissen neuerdings bewährte, sowie die mit dieser Aktion überein stimmenden friedlichen Intentionen der anderen Mächte bieten -er Pforte unzweifelhaft einen Rückhalt von über aus hohem Werte. Anderseits ist es aber klar, daß diese günstige politische Konstellation allein über die außer- ordentlich großen Schwierigkeiten nicht hinwcghelfen kann, daß sie vielmehr von der Pforte gut ausgenützt werden muß, wenn das angestrebte Ziel erreicht werden soll. Man muß sich in Konstantinopel von der vollen Erkenntnis der Lage durchdringen lassen, deren Beherrschung große Energie und Konsequenz, sowie ein sehr bedeutendes Maß von Klugheit und politischem Takt erheischt. Gedanken, wie der, daß es vielleicht am besten wäre, die makedonische Bewegung durch ein ähnliches Vorgehen, wie cs gegen die Armenier im Jahre 1890/96 angewendet wurde, auSzu- mcrzen, dürfen gar nicht aufkommen. Die makedonische Frage hat einen ganz anderen Charakter als die arme nische und ist ungleich gefährlicher als letztere. Für die, allerdings nur vereinzelt vorgekommenen Ausschreitungen der türkischen Bevölkerung und der Truppen dürfen, wenn auch diese Vorgänge provoziert wurden und die durch das anarchistisch-revolutionäre Treiben der Comites hervor gerufene Erbitterung begreiflich ist, von der türkischen Ne gierung keine Entschuldigungen vorgebracht werden. Denn es besteht doch ein großer Unterschied zwischen der Aktion revolutionärer Elemente und den ungesetzlichen Hand lungen der bürgerlichen Bevölkerung und der staat.ichen Sicherheits-Organe. Hoffentlich wird Uildiz, wie so oft, auch diesmal einen Damm gegen bedenkliche Stimmungen und Ansichten bilden und Sultan AbdulHamid sich, wie bis her, als ein außerordentlich kluger und sehr vorsichtiger Politiker bewähren, der es verstehen wird, mit der ihm dargebotenen politischen Unterstützung der Mächte sein sehr heimgesuchteS Reich aus den gegenwärtigen großen Schwierigkeiten herauszusteuern. Dieser Hoffnung neigen sich auch die diplomatischen Kreise in Europa zu, welche die Lage mit Nüchternheit und Objektivität beurteilen und durchgehends in der Meinung übereinstimmen, daß die makedonischen Wirren zu keinen ernsten Verwickelungen führen werden. —— Schlaglichter auf die amerikanische Marinepolitik. Der Chef der Jnstruktionsabteilung, Kontreadmtral Bocoles, hat einen Bericht über die Gründe der bis herigen großen Bauverzögerungen in der amerikanischen Marine veröffentlicht, welcher interessante Streiflichter auf die Marinepolittk der Ber einigten Staaten wirft. Die Verzögerungen seien ent standen: 1) durch überhastete Jnbaugabe der Schiffe nach unvollkommenen Plänen: 2) durch Aenderungenin derArmierung und Panzerung, nachdem der Bau bereits begonnen: 8) durch Verzögerung in der Lieferung von Panzern und Geschützen, welche in Bezug auf Panzer zum Teil durch Erfindung n«uer Konstrukttonsmethoden, zum Teil durch Herabsetzung des Preises für die Lieferungen im Kongreß hervorgerufcn wurde: 4) durch diescharfeKontrolle und die hohen Anforderungen der Regierung bei Ab- nähme des Materials: V) durch Verzögerungen in der An lieferung des Rohmaterials. — Einzelne dieser Punkte sind in der Tat sehr bemerkenswert und geeignet auch die Frage zu prüfen, ob auf den fertigen amerikani schen Schiffen alles in Ordnung ist. Uns sind darüber Meldungen zugegangen, die besagen, daß in der Tat manches nicht so ist, wie es sein sollte. Man darf die so leichte Niederwerfung der vollständig verlotterten spani schen Flotte nicht so hoch anschlagen. Es sei noch berichtet, daß in Amerika lebhafte Bestrebungen auf Schaffung eines Admiral st abes (6sneral 8takk kor tste nnvz-) im Gange sind. Der Staatssekretär Mosdy, dessen Befug nisse durch den Admtralstab etwas beschnitten werden, soll gerade nicht von diesen Bestrebungen erbaut sein: jeden falls werden sie erst nach sehr schweren Kämpfen realisiert werden. Deutsches Reich. /S. Berlin, 17. Mai. (Das Protektorat über die deutschen Katholiken im Auslands.) Als gelegentlich des Besuches unseres Kaisers beim Papste nicht nur fremdländische, sondern törichterweise auch deutsche Feuilleton. i6i Freiheit. Roman von Walter Schmidt-Häßler. Nachdruck verboten. Daß er ihn erhalten haben mußte, daran war nicht zu zweifeln, denn Erna hatte ihn durch einen Dicnstmann direkt in seine Wohnung bringen lassen, wo man ihn nachweislich in Empfang genommen hatte. Und dann hatte die Freundin wochenlang auf dem Postamte nach der verabredeten Chiffre gefragt, und es war keine Ant- wort gekommen. Da lag es, wofür eS keine Erklärung gab, denn wenn wirklich ein Brief von ihm verloren gegangen war, so hätte er doch einen zweiten schreiben müssen. Aber keine Zeile war gekommen! Hätte nun aber sie nicht dem ersten Briefe einen zweiten folgen lassen können?' Nein! — Und wenn sie an ihrer Liebe hätte sterben müssen, dazu war sie zu stolz. Der erste lange Brief hatte ihm ja alles gesagt, was ein Weib dem Manne nur sagen kann, den sie liebt, und wenn er diesen unbeantwortet gelassen hatte, so wäre ein zweiter Brief nur eine unwürdige Erniedrigung ge wesen ohne jeden Zweck. Sie konnte nichts tun, als dem Schicksal seinen Laus lassen und warten, was die Zukunft, was der Zufall brachte. Denn daß sie ihm eines Tages wieder gegen- überstehen würde, daß das Leben sie beide noch einmal zusammenführen müßte, davon war sie felsenfest über zeugt. WaS half cs, sich über zwecklose Dinge den Kopf zu zerbrechen, sich das Herz schwer zu machen mit so traurigen Gedanken? Sie hatte Ernsteres zu tun, als sentimentalen An- Wandlungen nachzugebcn. Bor ihr lag bas Leben mit all seinen Pflichten, die Zukunft mit all ihren energischen Anforderungen. Als sie aus den Bäumen des Englischen Garten» herauStrat in baö Leben der Straßen und mit ihrem ge wohnten energischen Gang der Ltadt wieder znschritt, war sie ruhig geworben. Ein langer, einsamer Spazier gang war für sie von jeher da» beste Mittel gewesen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. All das bittere, auf gewühlte Weh in ihrer Brust war stiller geworden, und der ruhige Ernst, der ganze abgeklärte Gleichmut ihres Wesens war ihr wicdcrgegeben, als sie ihr lauschiges Hotelzimmer betrat, um für den Besuch bet der Baronin Winterberg Toilette zu machen. Als Ella den Saal in der Kunstausstellung verlassen hatte, war zu der gegenüberliegenden Tür ein junger, elegant gekleideter Mann eingetreten. Hätte Ella noch einmal nach dem Bilde sich um gewendet, so hätte sie ihn sehen müssen, und hätte er nicht in demselben Augenblicke mit dem unter der Tür stehenden Aufseher zwei Worte gesprochen, so hätte er unfehlbar das junge Mädchen fortgehen sehen. Aber der tückische Zufall hatte es anders gewollt. Reinhardt Berning sah Ella nicht, ahnte nicht, daß nur eine dünne Wand von Leinen ihn in diesem Augenblicke trennte von dem Mädchen, das er jahrelang gesucht, bis er zu der schmerzlichen Ueberzeugung gekommen war, daß sie sich nicht finden lassen wollte. Vor seinem Bilde blieb der junge Künstler eiuc» Moment stehen, sah dann auf die Uhr und setzte sich auf dasselbe Samtsofa, auf dem Ella vor einigen Augenblicken gesessen hatte. Offenbar erwartete er jemand. Seine Augen glitten über sein Werk, und ein feines, kaum merk liches Lächeln des Glückes spielte um seinen Mund. Er konnte aber auch mit sich und seinem Werke, sowie mit dem Erfolge zufrieden sein. WaS hatte er gearbeitet, wie ehrlich hatte er aufwärts gestrebt mit nimmer müdem Fleiß! Jetzt stand er am Ziele, das fühlte er mit tiefer, innerster Genugtuung, jetzt konnte ihn nichts auf seinem Wege mehr aufbalten oder beirren. Wenn in seiner Seele sich ein Gefühl dcS Stolze- und mutiger Selbstschätzung regte, so hatte Rein hardt Berning gewiß ein Recht dazu, ohne den Bor wurf der Unbescheidenheit zu verdienen. Er war heute morgen von Paris gekommen, wollte hier Punkt 11 Uhr vor seinem Bilde mit Baron Remmingen zusammcntrcsfen, der seit drei Wochen in München war, und mit dem Freunde dann mit dem Abenbzuge wieder nach Rom abreisen, wo beide den Herbst und Winter verbringen wollten. Er hatte sich für heute gerade hier mit Franz das Rendezvous gegeben, weil er gemeinsam mit ihm, unter dessen Augen daS grobe Werk entstanden war, gleich sam davon Abschied nehme» wollte, bevor er heimkehrte aus der alten Heimat, die ihm fremd geworden war, in die neue, die ihn zum großen Künstler gereift hatte. Lange Zeit saß er ganz still und in sich versunken auf dem Rundsofa, seine Blicke tauchten tief und mit voller Liebe in sein Bild und tausend Erinnerungen, ernste und sonnige, zogen an ihm vorbei. Plötzlich berührte seine Hand einen Gegenstand, der neben ihm auf dem Polster lag. Ein Taschentuch war's, das jedenfalls einer der vielen Besucher hier hatte liegen lassen. Mechanisch griff er danach und faltete das dünne Battisttuch auseinander. Sein Auge fiel auf das einfach gestickte Mono gramm D. R. Unwillkürlich mußte er lächeln über die Launen des Zufalles, dieses wunderlichen Gesellen, der ost so un beschreiblich schnurrige Einfälle hat, um arme Menschen kinder boshaft zu necken. L. D. — Ella Römingerl - Was doch solch ein bißchen Phantasie alles zusammendichten kann. Vielleicht hieß cs: Elias Rosenthal! Und doch mußten gerade für ihn diese zwei Buchstaben eine ganze Welt von Glück und Sonnenschein heraufbeschwören. Er sah nicht mehr sein Bild, an dem soeben noch seine Augen mit schöpferischem Stolze gehangen hatten, er sah nur da- Monogramm, die beiden verschlungenen Buchstaben, die ihm den Namen der Geliebten und die süße Gestalt, den reizenden Blondkopf vor die Seele zauberten. Wie sonderbar, daß das unscheinbare, kleine Tuch auch gerade hier liegen mußte, gerade in dieser Stunde, wo er Abschied zu nehmen gekommen war. Eine unbeschreibliche Wehmut breitete sich über sein Denken, all das verlorene Glück seines Lebens stieg wie eine Fata Morgana vor ihm auf und ließ das ganze alte Leid mächtig in seiner Seele erwachen. Endlich knüllte er daß kleine Tuch zusammen und schob es in die Brusttasche. Nicht um eine Welt hätte er cs wieder hergegeben, so kindisch er eS selber auch fand, ihm war, als habe die Vergangenheit ihn mild und schmerzlich gegrüßt. In diesem Augenblicke riß das Erscheinen deS Freundes ihn jäh aus seiner Träumerei. Remmingen hatte sich in der Zeit seiner Abwesenheit von deutschem Boden fast gar nicht verändert. Tic paar grauen Haare, die ein Gegenstand seiner steten Selbst verspottung waren, schienen sich nicht um ein einziges vermehrt zu haben. Im Gegenteil, er sah jugendlicher, frischer aus, als je. Die südliche Sonne hatte ihn etwas gebräunt, was ihm außerordentlich gut stand. Vor allen Dingen hatte er noch ganz die alten, lieben Augen, die sein Gesicht so unendlich liebenswürdig un jugendlich machten. Daß er tadellos angezogen war, von dem eleganten grauen Cylinder bis zur Spitze des glänzenden Lack stiefels — war selbstverständlich. „Den venuto nmieo!" rief er Reinhardt zu, der mit ausgestreckten Händen auf ihn zukam. „Der Abstecher gut bekommen? — Gute Reise gehabt? Wann fahren wir los? — Ich hab's nun satt hier und sehne mich nach der heiligen Noma!" ,Leute abend 7 Uhr 88 fahren wir, wenn eS dir Recht ist!" „Mir ist alles recht! — Weißt du, München ist ja reizend, aber nun hab' ich genug Hofbräu und Franzis kaner! Jetzt möcht' ich doch 'mal wieder in der Osteria mit dem roten Weinlaub ungetauften Chianti trinken. Du nicht auch?" „Bor allen Dingen möcht' ich wieder die Alpen hinter mir haben, Franz. Mir ist, als gehörte ich nicht mehr hierher. Lach' mich nicht aus: aber mir ist auf deutschem Boden immer zu Mute, als ginge ich über einen großen, weiten Kirchhof im Abendnebel und müßte immer nur vor dem einen Grabe Halt machen und darauf warten, daß der große Galiläer kommt und des JairuS Töchterlein wieder zum Leben erweckt!" „Na ja! Da haben wir wieder die ganze deutsche Sentimentalität! — Aber weißt du, diese Idee solltest du festhalten und 'mal malen. Kirchhof, Abendnebel, ein paar stimmungsvolle Kreuze und der melancholische Jüngling am GrabeSrande. Und ganz hinten, weißt du, so in einer Art mystischen Lichtschimmers, der erscheinende Messias!" Reinhardt sah Franz mit verblüfften Augen an. „Das mal' ich auch! Ich danke dir, ewiger Skeptiker. Du hast mir da einen ganz wundervollen Vorwurf ge geben!" „Um GotteS willen nicht, Reinhardt", lachte Remmingen, „das wär' ja entsetzlich. Willst du dich am Ende gar auch unter die Mystiker und Hypermodernen verirren, die aus ihrem eigenen Labyrinth keinen Aus gang mehr finden?" „Beruhige dich!" lächelte Reinhardt, „wenn ich'S male.
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