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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1903
- Erscheinungsdatum
- 1903-06-07
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-190306078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-19030607
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-19030607
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-06
- Tag1903-06-07
- Monat1903-06
- Jahr1903
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.06.1903
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Anzeigen-Pret- die 6 gespaltene Petitzeile SS >«klam«» »»ter dem NeduMansßrtch (4 gespulte») 78 vor de» Kamittnrauch' richten <6 gespult«) KO Tabellarischer «ad Ltffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen uud Offertenannahme LS H (excl. Porto). Ertru-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postdesarderung ^l SV.—» mit Postbesörheruug 70.—. AmutzMschiLt str Lyeißnn SK«»d-A»sg«K»: NornrNtags 10 Nh». Mo,g«»-A»sgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige» stütz siet- an dt, Grpatztttmt z» richt«. Die Expedition ist wochentags «mmterbuach« geüffnet von früh 8 bis ab«»tzs 7 Uhr. Druck uud Verlag von L. Pokz dl Leipzig. Nr. 28i. Sonntag den 7. Juni 1903. 97. Jahrgang. . . —-SSS-E Aus der Woche. So oft in den letzten Jahren von den Liberalen Badens, wie es der Wahrheit entsprach, darauf hingewiesrn wurde, daß bei den Wahlen da» Zentrum den Sozialdemo kraten gegea die Liberalen seine Unterstützung geliehen habe, protestierte gegea diesen Borwurs Pfarrer Wacker, der Führer der Klerikalen mit pathetischer Entrüstung. Und doch war er selbst nicht nur Erfinder dieser ehren werten Taktik, sondern er sorgte auch in jedem einzelnen Falle für ihre sinngemäße Anwendung. Erst al» die Früchte seiner Tätigkeit zu reifen versprachen, al« er die Zusage erhalten hatte, daß nun bald sein Kloster-Begehren in Ersülluug gehen würde, wendete er sich von seinen radi kalen Bundesgenossen ab, die herzlich froh wurden, seine an maßende Protektion wieder lo-zuwerden. Da« Erwachen der Liberalen au» friedseliger Lethargie hat bekanntlich die Er füllung der klerikalen Wünsche einstweilen vertagt. Alsbald ist nun auch Wacker wieder bei der Hand mit Empfehlung der alten Taktik. Im Pforzheimer Wahlkreise war auf einem Flugblatte die Frage erörtert worden: „Kann rin gläubiger Christ sozialdemokratisch wählen?" Da» „Nein", mit dem der klerikale Autor die Frage beantwortet hatte, genügte Herrn Wacker nicht. In dem von ihm dauernd inspirierten Hauptorgane des badischen Zentrum-, dem „Beobachter", wurde die „nicht recht verständliche" Antwort dahin aus gelegt, daß ein gläubiger Christ sich der Sozialdemokratie zwar als Anhänger nicht anschließen und ihr „in diesem Sinne" auch seine Stimme nicht geben könne. Ob aber „ein gläubiger Christ sozialdemokratisch wählen kann und darf, ist eine andere Frage, die unter Umstände» bejaht werden kann und schon bejaht worden ist." Hallen wir dies« Sätze fest für Beurteilung de- Stimmergebnisses, da» dieses Mal in den unterbadischrn und auch in einzelnen sächsischen Wahlkreisen vorliegen wird. Zugleich diene es aber auch als praktisches Beispiel jener reservatio mentalis, in deren Anwendung die Jesuiten Meister sind. Politisch kann uns diese Gesinnung bei einem Zentrums- sübrer durchaus nicht überraschen. Ist sie doch nur eine Abart derselben Anschauung, die am Rhein und in den Ostprovinzen dem Zentrum da« Eintreten für die Polen gestattet. Wie aber in Baden die Sozialdemokraten durch die Maßlosigkeit der klerikalen Ansprüche davon abgrschreckt worden sind, dem Zentrum noch weiterhin Vorschub zu leisten, so haben jetzt lll Schlesien nicht nur die Polen sich von ihm abgewenvel, sondern auch klerikal gesinnte Deutsche haben, durch die Polenfreundlichkeit abgefloßen, dem Zentrum ihre Anhänger schaft entzogen. In Posen stellen die Polen nicht mehr Vertreter der klerikal gesinnten Hospartei als Kandidaten auf, sondern Radikale, denen e« lediglich auf die Nationalität ankommt und die nach Kirche und Autorität wenig fragen. Auch in dieser unbehaglichen Situation wird von den Klerikalen dem Gegner nicht etwa fest und scharf in da- Auge geblickt, sondern man sucht sich zu helfen, indem man auf beiden Achseln Wasser trägt. Der radikal« Pole wird heftig bekämpft, der deutsche Kandidat der deutsch empfindenden Katholiken aber nickt etwa empfohlen,sondern statt seiner ein Pole ausgestellt, der zuerst eine lange polnische Rede hält und dann rin« in deutscher Sprache abgesaßte Er klärung verliest. Es sieht einstweilen nicht so au», als würde die Wählerschast sich dieser doppelzüngigen Taktik geneigt er- weisen, weder bei den Deutschen noch bei den Polen. Ein andere» Beispiel für die Skrupellosigkeit, mit der auf klerikaler Seite gekämpft wird, bietet die nur als schamlos zu bezeichnende Zumutung des in Speier erscheinenden „Christlichen Pilger«" an die Frauen, sie sollten das politische Gewissen de- Mannes erforsche» und die ihnen „vom Schöpfer verliehenen natür lichen Gabe» für das Wohl de« Volkes, des Staates und der Kirche praktisch anwenden. Zentrum ist Trumpf am Wahltage". Selbstvorständlich wird die publizistische Auf hetzung der Frauen ergänzt durch entsprechende Einwirkungen beS Beichtstühle-. Da« Zentrum kann die geistliche Wahl hilf« nicht entbehren. Sein« ganze Existenz beruht ja auf der politisch organisirten, inspirirten und geleitete» geistlichen Macht. So scheint e« die bayerische Zentrumsprjsse geradezu als ein Manko zu empfinden, daß die höchsten Serlenhirten nicht wahrnehmbar — wa» hinter den Kulissen gearbeitet wird, lassen w,r dahin gestellt — in den Wahl- kampf eingreifen. Man hätte aber die Jesuitenschule nicht durchgemacht, verstände man nicht die Lück« au-zusüllen. Flug« erzählte denn da- klerikale „Neue Münchner Tage blatt" seinen gläubigen Lesern von einem Hirtenbrief« veS Würzburger Bischof-, der darüber klage, daß di« Gegurr „uns de. halb ultramontan heißen, weil wir als katholische Christen dem jenseits der Berge gegründeten heiligen Stuhle in Glaube und Liebe fest anhängen". Voll Sorge frage sich der Bischof, wa« „au- unserem teuren Vaterland«", waS au« der Kirche werde» solle, „wenn die Bestrebungen uaserer Gegner, namentlich bei de» bevorstehenden Wahle«, zum Sieze ge- angen und die Oberhand behalten." Darum macke er eS «dem katholischen Manne, der zur Wahl berechtigt ist, zur Pflicht, an der Wahlurne zu erscheinen; denn NicktS „kann ihn vor seinem Gewissen entschuldigen, wenn er durch seine Nachlässigkeit oder Furcht der heiligen Sach« feiner Partei seine Stimme entzieht oder gar derGegrnparlei zu seinem eigenen Ver derben zum Siege verhilft." Wer einen Begriff von dem Seelen zustande deS ungebildeten bayerischen Katholiken hat, wird ermessen können, welche Wirkung zu Gunsten deS Zentrum« olche Worte eines Bischof- aurüben müssen. Aber sie sind gefälscht. Sie sind vor mehr als achtundzwanzig Jahren ron dem längst verstorbenen Bischof v. Reißmann in den Stürmen deS Kulturkampfes erlassen worden. DaS Blatt der frommen Partei hat alle Anspielungen aus die damalige Zeit sortgelassen, um diese« falsche Zeugnis gegen „unsere Gegner" anwenden zu können. Selbst auf die Gefahr hin, die höchsten Geistlichen dem öffentlichen Verdachte einer uner laubten Wahleinmischung auszusetzen, scheut r- vor solchem Betrüge nicht zurück. AuS Baven aber vernimmt man die Klage eine« ultramoutanen Führers darüber, daß seiner Partei Schaden drohe von der „Verhätschelung deS Katholizismus" in den allerhöchsten Kreisen. „Es ist deS Segen- zn viel", soll ein eingefleischter Ultramontaner gesagt haben, nachdem er von den Metzer Festlichkeiten gelesen batte; — „geht daS so weiter, so glaubt bald kein Mensch mehr an die Unterdrückung der Kirche, und diejenigen, die sich un- lediglich au- beleidigtem Gerechtigkeit«ge>ühl anzu schließen pflegten, bleiben weg". Solche Klagen möchten wir dem Jesuiten bewilligenden Grafen Bülow und seinen kirchenpolitischen Ratgebern zu eingehendster Beachtung empfehlen. Kann man in diesen Kreisen auch nur einen Augenblick dem Wahne sich hingeben, das Zentrum werd« jemals auf die Leute vom „beleidigten Gerechtigkeitsgefühl" verzichten, ohne die «S gar nicht existieren kann? Werden sie nicht mehr Uber da-ganze Jesuitengesetz zu klagen haben, so werden sie über den einst weilen aufrecht erhaltenen Torso desselben zetern. Fällt auch der, so kommen Schulaufsicht, Simultanschule L Irr Korum und all die anderen Gravamina daran. Selbst wer, wie Bassermann, deu 8 2 wegen seines Potlzeicharakters aufgeben will, sollte sich überlegen, daß er damit eine der Positionen räumt, an der sich beim Anstürme gegen Staat und Kultur das Zentrum einstweilen noch die Köpfe einrrunt. Die „paar Klöster", die ihnen die badische Regierung so gern bewilligt hätte, sind, so lange sie vorenthalten werden, in gleicher Weise r>n Mittel, um andere weitergehende Ansprüche der Klerikalen unerreich bar zu machen. Di« Stellung des Staates ist der Kirche gegenüber wahrlich nickt so übermäßig stark, daß freiwilliger Verzicht auf antiklerikale Schutzmittel sich selbst mit den Erwägungen der Sentimentalität oder des Kuhhandel- recht- fertigen ließen. Außer dem Freiherr» v. Podewil« und dem Grasen Bülow werden daher auch wohl nur wenige weit blickende Staatsmänner darüber klagen, daß es „leider" zur Zeit nicht möglich ist, für di« Aushebung von § 2 des Jesuiten gesetze- im Bunde-rat« eine Mehrheit zu bekommen. Eingehendster Beachtung katholischer Kreise ist ein Artikel der ultramontanen „Köln. Volksztg." zu empfehlen, der den Beweis liefert, daß selbst diese- Zentrumsblatt von der Erkenntniß angewandelt wird, wie sckädigend und vrr- gistend daS Treiben der „konfessionellen Ultras" wirkt, zu denen doch Bischof Korum, Kaplan Dasbach, vr. Schädler, Pfarrer Wacker und andere Zentrum-großen zweifellos ge hören. Di« Kämpfe auf konfessionellem Gebiete, die heule auSgesochten worden, sind, wie daS klerikale rheinische Blatt betont, „in erster Linie daraus zurückzusühren, daß man über dem Bestreben, da- eigene Recht zu wahren, die Rechte anderer außer Acht gelassen hat und damit zu einer Ueberspannung der eigenen Forderungen gelangt ist". „Jeder Schlag aber erzeugt einen Gegenschlag". „Die Ultra- auf konfessionellem Gebiete wollen vom Frieden nichts wissen, sondern nur von einem Kampfe, aus dem sie mit der politischen Niederwerfung ihre« Gegners al- Sieger hrrvorgehen". „Aus diesen Schwierigkeiten können wir nur hrrauskommrn, wenn die Wähler e- als ihre natio nale Pflicht erkennen, den konfessionell«« Ultras ihre Stimme bei den Wahlen vorzuenthalte». Diese Heißsporne müssen au- d«m politischen Leben verschwinden!" Hoffentlich nehmen alle Katholiken, denen an der Wiederkehr konfessionellen Friedens und an gemeinsamer Arbeit aller bürgerlichen Parteien zum Wohle des Reiches gelegen ist, sich diese Mahnung zu Herzen! Wir haben dem Prinzen Alexander Hohenlohe letzthin Unrecht getan mit der kurzen Bemerkung über da-, wa« er von dem Wunsche der Regierung gesagt haben sollte, liberal zu regieren. Jetzt, da ein ausführlicher Bericht über seine Rede vorliegt, sehen wir, daß er eine dem liberalen Hohenloheschen Namen alle Ehre machende Warnung vor dem UltramontaniSmuS erlassen hat. Er hat die Meinung für irrig erklärt, als dürfe, um die Sozialdemokratie zu bekämpfen, der Liberalismus mit dem UltramontaniSmuS paktieren. Bei diesem Kompromisse ge winne der Ultramontani-mu- alle-, der Liberalismus wenig oder nicht«. Wir unsererseits glauben, daß da- liberale Bürgertum tatsächlich die Kraft bätte, mit der Sozial demokratie allein fertig zu werden, wenn die Lauhheit überwunden und die Erkenntnis von deren Gefährlich keit in Taten umgesetzt würde. Der sozialdemokratiscke Turm ist keineswegs so felsenfest gebaut, wie e- die bramarbasierenden Artikel de- „Vorwärts" unS glauben machen wollen. Selbst die Disziplin der Genossen hat ihre Lücken. So hatte bekanntlich ohne alle Zweideutig keit der große Wahlaufruf der Sozialdemokratie sich gegen jegliche Handelsverträge ausgesprochen, die auf Grund deS im Dezember angenommenen Zolltarifs würden abgeschlossen werden. Herr v. Voll mar aber erklärt, e« sei unmöglich, daß, wie auS KoltbuS berichtet wurde, Singer namens der gesamten sozialdemokratischen Fraktion versichert habe, sie werde keinem Handelsvertrag zustimmen, der eine Erhöhung der LebenSmitlelzölle oder „Herabsetzung der Arbeit-fähivkeit des Volk«-", — ein recht klarer Begriff! -- bringen würde. Das ganze Bestreben der Sozialdemokratie werde und müsse, so setzt der Führer der bayerischen Sozialdemokraten hinzu, auch naturgemäß dahin gerichtet sein, gute Handelsverträge zustande zu bringen, jede Verschlechterung der bisherigen zu bekämpfen und zu sorgen, daß von den im Zolltarif ent haltenen Verschlechterungen möglichst wenig in die künftigen Handelsverträge übergehe. Eine vom „Vorwärts" ausdrücklich unterstrichene Gegenerklärung Singer» bleibt bei dem Gegen sätze gegen die opportunistisch« Auffassung Vollmal«. Wa« es aber bedeutet, schon jetzt die künftigen Handelsverträge abzulebneu, die selbstverständlich auf dem neuen Tarif aufzubauen sind, darüber können alle diejenigen, die an der Blüte der Industrie inter essiert sind, nur eine Meinung haben. Srlbst der Arbeiter sollte Bedenken tragen, einem Kandidaten seine Stimme zu geben, der die Stabilität unsrer gewerblichen Produktion in der Weise auf die leichte Achsel nimmt, wie der Wahlaufruf der Sozialdemokratie eS verlangt. An die tteichstagswähler von Alt-Leipzig. Man hat mir den Borwurf gemacht, ich habe im Ver laufe des diesmaligen Wahlkampfes mein volle- politisch es Glaubensbekenntnis nicht im Zusammenhänge dargelegt. Offen gestanden, glaubte ich nicht, dies nötig zu haben. Im Jahre 18V8 und dann wieder mit denselben Worten im Jahre 1888 habe ich jedem Wähler des IS. Wahlkreises mein politisches Glaubensbekenntnis in die Hand gegeben. Ich habe von dem damals Gesagten nichts zurückzunehmen. Wer jenes Schriftstück heute prüft, könnte sogar vielleicht glauben, es sei für die Bedürfnisse des Jahres 1903 geschrieben. Das Entscheidende aber scheint mir darin zu liegen, daß ich nach einer zehnjährigen Tätigkeit im Reichstage nicht mehr nölig habe, auf ein Schriftstück und auf Versprechungen zu verweisen, sondern daß ich auf das Bezug nehmen darf, was ich dort gesagt und ge- t a n habe. Die Tagespresse hat in dankenswerter Aus führlichkeit davon Mitteilung gemacht, und ich habe meinen Herren Wählern davon manches in vielen hier abgehaltenen Versammlungen berichten können. Immer hin gebietet es vielleicht der Ernst des Augenblicks, einige Worte zu solchen Wählern zu sagen, die selten Zeitungen lesen und niemals Wählerversammlungen aufsuchen. Besonders von freisinniger Seite hat man bedauert, daß die Handelsstadt Leipzig bei den abge schlossenen Verhandlungen über den Zolltarif nicht von einem Vertreter des Handelsstandes vertreten gewesen sei, und daß es auch bei den künftigen Beratungen der zu erwartenden Handelsverträge nicht von einem Angehörigen dieses Standes vertreten werden solle. Aber wie kommt es denn, daß auch der liberale Verein nicht einen Großhändler oder Bankhcrrn, sondern einen Neichs- gerichtsrat a. D. in Vorschlag bringt? Meines Erachtens kommt es auf die Zugehörigkeit zu einem Stande heute überhaupt nicht mehr an. Die» be kunden auch die Sozialdemokraten, indem sie kaum noch einen Arbeiter wählen. Das Entscheidende ist die Summe von Kenntnissen auf dem überaus vielgestaltigen Felde des öffentlichen Lebens, die Treue in der Erfüllung der tibernoinmenen Pflichten — und waS den 12. Wahlkreis anbelangt, die Möglichkeit, auch von den Vertretern anderer bürgerlicher Stände und Berufe gewählt zu werden. Leipzig ist keineswegs bloß eine Handelsstadt. Heute wird sie mehr und mehr Industriestadt. Davon wird viel gesprochen. Selten zieht man aber die Folge rungen daraus. Und dann wohnen doch auch in Alt- Leipzig recht viele Wähler, die an den wirtschaft lichen Kämpfen der Grgernvart unmittelbar nicht beteiligt sind, und die wünschen, daß über diesen Kämpfen die Fürsorge für die Zukunft des ganzen großen Vaterlandes nicht zu kurz komme. Menn ich mit der Zweidrittelmehrheit des Reichstage» für da» Zolltarifgesetz eingetreten bin, so geschah dies aber nicht nur um de» großen Ganzen willen, auch nicht, wie man mir sonderbarerweise von sozialdemokratischer Seit« vorwirft, aus „agrarischen" Beweggründen. Denn auch ich habe weder Ar noch Halm. Sondern ich halte die vom Fürsten Bismarck 1878 begonnene Handels politik, die, um dem heutigen Wettbewerbe der Welt mächte gewachsen zu sein, sich für künftige Handcl-verträge in dem neuen Tarif eine zeitgemäße Grundlage schaffen mußte, auch notwendig für dasBlühen des Handels und derIndustrte meines L e t p z i g in künftigen Jahrzehnten. Bei solchen Erörterungen gereicht es mir zum Tröste, -aß in den dreißiger Jahren des IS. Jahrhunderts sich der maßgebende Teil des Leipziger Handels -egen den Eintritt Sachsens in den Zollverein gewehrt hat. Erklär licherweise. Alle grundsätzlichen Umgestaltungen stören im Augenblick die Tätigkeit des Handel». Aber Inter essenten sind nicht immer Sachverständige. Und eine Wirtschaftspolitik muß mit Jahrzehnten un- mit Gene rationen rechnen- Ich darf mir schmeicheln, meine Stellung in der Han delspolitik, insbesondere in der sogenannten Weltwirt schaft, schon vor einem Jahrzehnt in einer Weis« genom men zu haben, die durch die heutige Haltung Englands und Amerikas ihre Rechtfertigung findet. Vielleicht mehr als manche meiner Freunde und Kollegen pflege ich überhaupt mein, Blicke in eine ferne Zukunft unsere» Vaterland«» und unseres deutschen Volkstums zu richten. Bestärkt werde ich hierin durch die Beobachtung, wie sehr Regierungen und Regierte au» der Hand in den Mund leben und wie sie glauben, genug zu tun, wenn fie den Bedürfnissen des Agenblicks schlecht un- recht Genüge leisten. Und diese Ausblicke in die Zukunft erfüllen wich mit schwerer Besorgnis. Da sehe ich, wie Hundert tausende unserer Mtbürger bemüht sind, Beutestücke aus dem stolzen Bau unseres Reiches davon zu trage», dessen Grundmauern, Pfeiler und Gebälke unsere Lltoorderen mühsam zusammengetragen haben und den wohnlich zu gestalten wir uns vergeblich abquälen, weil andere lieber über Trümmer herrschen. Die Tyrannei der Sozial demokratie über die Massen wird immer unerträglicher und sie gefährdet alle Errungenschaften -er bürgerlichen Freiheit. Im Bunde mit undeutschen Gewalten innerhalb -er Grenzen unseres Vaterlandes bedrängen un» mächtige Völker Europas und fremder Erdteile, die in der Ver folgung ihrer Belange rücksichtsloser gewesen sind al» wir. «>chon höhnen sie über das stolz« Wort von eh«d«m: „Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts in der Welt " Und hat dies Wort wirklich noch seinen alten Werf? Eine Erkenntnis beginnt sich ja durchzuringen, daß für unser wirtschaftliches Wohlbefinden unsere Zukunft nicht nur in den wogenden Getreidehalmen unterer Felder und am Webstuhl und auf -em Ambo» unserer Werkstätten, sondern auch auf -em Wasser liegt- Aber noch fehlt in den Massen und in -en maßgebenden Höhen das Verständnis dafür, -aß wir zur Erhaltung unserer Eigenart als Volk und zur Verteidigung unsere» Deutschen Reiches in Mitteleuropa der Unterstützung aller unserer Volksgenossen bedürfen. Doch genug dieser besorgniSerfüllten Ausblicke. Mein Trost ist die Lebenskraft der Deutschen, wenn sie rassenmäßig gesund bleibt, wenn sie immer neue Kraft aus der deutschen Mutter Erbe gewinnt, wenn wir Deutschen vielleicht weniger reich, aber wehrhafter bleiben, als andere Völker, zu Wasser und zu Lande, und wenn wir ein Verständnis dafür gewinnen, daß der alternde Staat immer neu aufgebaut werben muß au» dem ewigen Volkstum. Hieraus ergeben sich meine politischen Aufgaben von selbst. Ich werde nach wie vor bemüht sein, an allem mitzu arbeiten, was zur Ausgleichung der in unserem Volke be stehenden lähmenden Gegensätze beiträgt, was sein« Ge sundheit und sein Wohlbefinden fördert, wa» seine Zu friedenheit bedingt — soweit -ieS in menschlichen Dingen möglich. Ein kleines Beispiel: Ich bin stolz darauf, daß ich ganz besonders an dem Zustandekommen des Gesetzes zum Schutze von Hunderttausenben deutscher in der Hausindustrie beschäftigter Kinder Mitwirken durfte. Jede Erleichterung der Arbeitsbedingungen der Frauen und Jugendlichen, die gewerblich möglich, wir- von mir gefördert werden. Die Bekämpfung aller Bolkskrankheiten zählt zu den wichtigsten Aufgaben deS Reiches. Kranken-, Invalidi- täts- und Altersversicherung müssen vereinigt und verein facht werben. Die Fürsorge für daS Schulwesen, einschließlich der gewerblichen Erziehung unseres Volkes, ist ja Sache der Einzelftaaten geblieben. Und es ist gut so. Wahrscheinlich liegt hierin eine Sicherung gegen Schwankungen, in der Steuerführung des Reiches, die eine freiheitliche Weiter entwickelung unserer Bolkserziehung gefährden könnten. Der Reichsregierung sind zur Durchführung eine» Schutze» der nationalen Arbeit in bemZoll- gesetze starkeWaffen in die Hand gegeben. Möge sie sie zielbewußt und selbstbewußt benutzen! Unsere wirtschaftliche Weiterentwtckelung bedarf aber auch des Schutzes durch unsere Wehrkraft zu Lande und zur See. Ich werde stets für eine weitere Kräftigung dieser Säulen unseres Reiche» eintreten. Air brauchen zu unserer HeimatSslotte eine ebenso starke Aus, landsflotte. Und unser Landheer muh sich alle Errungenschaften der Technik zu nutze machen und in seiner Größe mit der Vermehrung unserer Einwohner zahl Schritt halten. Die auswärtige Politik des Deutschen Reiches sollte an Stelle fortwährender Schwankungen, theatrali scher Schaustellungen und nervöser und romantischer Diel geschäftigkeiten — die alte Stetigkeit, hausbackene Entschiedenheit und vornehme Zurückhaltung wieder zu gewinnen suchen, die ihr unter -em Fürsten Bismarck ihre Erfolge sicherte. Wir brauchen im Deutschen Reiche neben den sorgsam zu pflegenden und zu schonenden — auch von Reichswegen zu schonenden — Einzelstaaten eine starke ReichSaewalt. Aber wir Deutschen -es 20. Jahrhundert» machen Anspruch auf die verfassungs mäßige Mitarbeit an der lvesetzgebung und Verwal tung aller unserer öffentlichen Angelegenheiten. Tinen Absolutismus, auch wenn er sich für aufgeklärt hält, ein persönliches Regiment, auch wenn es wohlwollend ist, oder gar ein klerikales Regiment würden wir ab- lehnen müssen. Man entfessele die schlummernden Kräfte eine» für Monarchie, Vaterland und Volk-tum opferbereiter», leicht
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