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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 03.08.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-03
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030803016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903080301
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903080301
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-03
- Monat1903-08
- Jahr1903
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Morgen-Ausgabe eiWM.TagMM Druck und Verlag voa E. Bolz tu Leipzig. 87. Jahrgang Nr. 389 Montag den 3. August 1903. Haupt-Filiale Dresden: Marien straße 84. Fernsprecher Amt I Nr. 17)». Anzeigen-Preis die Sgespalteue Petüzeile -S Reklameu unter dem RedaktiouSstrich (Sgespallei,) 75 vor deu Famtlieuaach» richte» (6 gespülte») SO Dabellarischer uud Ziffernsatz entsprechend hSher. — Erbübren für Nachweisungen und Offertenaunahme LS (rxcl. Porto). Srtra-Beilagen (gesalzt), nur mit oer Morgen-AuSaabe, ohne PostbesSrderun, SO.—, mit Postdesürderuug 70-—^ Ledaktion und Lrpediliou: Johannt-gaffe 8. Fernsprecher ISS uud SSL FUiatruprditionen r Alfred Hahn, Bnchhandtg„ UuiversitätSstr.S» 8. Lösche, Kathariueustr. 14, u. KöutgSpl. 7. Haupt-Filiale Serlin: Earl Duucker, Herzgl. Bayr. Hvsbuchhandlg« Lützowstraße 10. Fernsprecher Ai^ VI Nr. 4603. Anzeiger. Ämtsölatk -es Königlichen Land- und des Königlichen Amtsgerichtes Leipzig, -es Rates und -es Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Runahmeschluß fiir Anzeigen: Abend-Ausgab«: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgab«: Nachmittag» L Uhr. Anzeigen sind stet» au die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet vou früh 8 bi» abend» 7 Uhr. Bezugs-Preis i» der Hauptexpedition oder deren Ausgabe- stelle» obgebolt: vierteljährlich ^l 8.-—. bei zweimaliger täglicher Zustellung in» Hau» ^ll 8.75. Durch die Post bezogen für Deutsch- laud n. Oesterreich vierteljährlich ^tl s.50, für die übrige» Länder laut Zeitung-preislist«. Amtlicher Teil. Bekanntmachung. Wegen Reinigung der Evarkassenrciume bleiben die Expe ditionen der Sparkasse Leipzig II in Leipzig-Reudnitz, Grenz- stratze 3, und in Leipzia-Plaawitz, im Rathaus Alte Srr. Nr. 22 Sonnabend, den 8. August 1903, für den Geschäftsverkehr geschlossen. Leipzig, den 1. August ISOF. TeS Rat» Tparkassrndeputation. Die Lieferung deS während der diesjährigen Kaisermanöver in den Manöver-Proviantämtern des XIX. (2. K. S.) Armee korps erforderlichen Koch-, Wärme- und BäckereiholzcS soll, unter Umständen in mehrere Lose geteilt, vergeben werden. Angeboten sieht die unterzeichnete Stelle bis 10. August früh 10 Uhr, gehörig verschlossen und mit der Aufschrift „Holz lieferung für die Kaisermanöver" versehen, entgegen. Lieferungsbedingungen werden gegen Einsendung von 40 Pfa. Schreibgebühren portofrei zugestellt bezw. sind an Geschäftsstelle der Intendantur XIX, Leipzig, Rabenstein platz 1, in Empfang zu nehmen. Intendantur des XIX. (2. K. S.) Armeekorps, Leipzig. Versteigerung. Den 5. August d. I., vorm. 10 Uhr, sollen im Versteigerungslokale des König!. Amtsgerichts hier 15 Schulranzen, 600 Schreibcbücher, 100 Flaschen Tinte, 1 Partie Federkasten und Papierkragen, 28 Schulmappen, 67 Flaschen Wein, 1 Weinpumpe mit Schlauch, 1 Spül-, 1 Stöpsel- und Kapselmaschinr, ein eiserne» Flaschrnlager, 1 Partie Weinflaschen «. v. a. G. gegen Barzahlung versteigert werden. Leipzig, den 1. August 1S08. Der Gerichtsvollzieher de» Königl. Amtsgerichts. JaMeiwffkiOaft Mklmn - ftntzlH. Die Mitglieder der Jagdgenossenschaft Lindenau-Leutzsch werden hierdurch für Donnerstag, den 8. August, nachmittag 6 Uhr, nach dem Gasthofe zu den drei Linden in Lindenau zu einer Versammlung eingeladen. Leipzig, den 1ü. Juli 1903. Stadtrat Ludwig-Wolf, stellv. Jagdvorstand. Tagesordnung: 1) Wahl eines JagdvorstandeS. 2) Beratung über die Anfrage wegen Cession des Jagd- pachte». Luchhandel und Wissenschaft. </^> In der Zeit einer so schnellen wirtschaftlichen Ent wickelung, wie es die unsrige ist, ist e« kein Wunder, wenn neue Geschäfts- und Handelsformen entstehen, und das auf die äußerste Höhe gebrachte Verkehrswesen in allen feinen Teilen ausgenutzt wird. Die gegenwärtige Konkurrenz kennt nur da» Gebot des strengen EgvlSmu« und sucht mit Schlau heit und Findigkeit ihre Gegner zu Boden zu strecken. Dieser Zustand, der seit Jahren den seßhaften Handel be unruhigt, hat zu vielerlei Klagen geführt, und eine große Anzahl von Gesetzen ist geschaffen worden, um ihn wenigsten» einigermaßen erträglich zu machen, um die schwachen Elemente zu stützen, die anständigen und reellen Geschäfte zu schützen und den mittleren HandelSstand über haupt zu erhalten. Diese Erhaltung ist das wohlerwogene Eingeständnis, daß die Selbständigkeit, wenn sie auch schwer aufrecht zu erhalten ist, das Rückgrat des Mittelstandes bildet, und daß dieser Mittelstand immer noch, nicht nur traditio nell, sondern auch tatsächlich als eine Stütze des heutigen Staates anzusehen ist. Alle Beweise über die Zunahme de« Mittelstandes überhaupt hinken insofern, als man diesen Mittelstand nur nach dem Einkommen berechnet, als man nach der Steuerskala beliebig zum Mittelstand hinzu- oder abrechnet, das wesentliche Merkmal deS Mittelstände» dagegen, den eigenen H"d, da» eigene Geschäft, die eigene Initiative zu leicht bewertet. ES sind im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Bücher erschienen, die sich mit einzelnen Zweigen diese» Mittelstände» beschäftigen, e» sind viele Unteriuchungen über die Lage einzelner Berufe angestellt worden, alle zu dem Zwecke, Helle» Licht über die Existenzbedingungen seiner Glieder zu verbreiten und dem Gesetzgeber darüber Unterlagen für ein Eingreifen zu ihrer Erhaltung zu geben. Vor allem bat der Verein für Sozial politik eine größere Anzahl solcher Monographien herauS- gegeben, aber auch die Berufe selbst haben durch mehr oder minder dickleibige Bücher und in ihren Fachschriften Licht über ihre Lage verbreitet. Nicht zum wenigsten haben die Buchhändler io ihrer Presse über ihre Lage geschrieben und wie e» dem Bildungsstande der Glieder dieses Stande» angemessen ist, haben sich recht viele an dieser Besprechung beteiligt und in jahrelangen Diskussionen ihr Wohl und Wehe besprochen. AuS dieser Besprechung heraus und mit Hilse ihrer Vereine haben sie Aenderungen in ihren geschäftlichen Beziehungen getroffen, haben sie ihre gegenseitigen Verpflich tungen in Satzungen niedergelegt, Strafbestimmungen festgesetzt, kurz,alles gethan,wa» dem Wunscheder Mehrheit ent sprach. Sie haben selbstverständlich auf ihrer alten Orga nisation weitergebaut und diese zu einer Institution gemacht, die allerdings zu einer Macht herangewachsen ist, so baß sich auch schließlich diejenigen Glieder de» Stande», die sich rn der Minderheit befand««, den wirtschaftlichen Bedingungen de» Stande» freiwillig oder unfreiwillig unteiwarfen. So ist die Buchhändlerorganisation zu einer beruflichen Festung geworden, über deren Berechtigung sich ebenso streiten läßt, wie über ihren Nutzen für alle ihre Soldaten, allein sie ist durchaus gesetzlich und läßt innerhalb ihrer Mauern noch Spielraum zu freiem Handeln. Sie ist noch lange kein Syndikat, kein Trust, wirtschaftliche Formen, die bekanntlich sich ungemein de» Beifalls deS preußischen Handelsministers erfreuen und von deren weiterer AuS- und Fortbildung er die Größe de» deutsche» Handels abhängig zu machen glaubt. Diese Buchhändlerorganisation gestattet beispielsweise immer noch, sich da» Feld seiner Tätigkeit beliebig zu suchen, be liebig Artikel zu kaufen oder zu führen, die Kundschaft nach eigener Methode zu bearbeiten usw. Nur in Bezug auf die Preise setzt sie Schranken und will damit den Schwachen und Exponierten gegenüber den Starken zu Hülfe kommen. Zm übrigen entspricht die Art der geschäftlichen Beziehungen genau der in andern Handelszweigen üblichen. Der Detailbuchhändler, oder Sortimenter, kauft vermittels der Grossisten (den Barsortimrntern) oder der Agenten und Kommissionäre von den Verlegern (Fabrikanten) und weil bei der geringen Größe der Objekte die Versendungs kosten im einzelnen zu hoch würden, läßt der Sortimenter bei seinem Kommissionär die wöchentlichen Eingänge sammeln und zusammen verschicken. Der Vorgang ist also mit Be rücksichtigung der fachlichen Sonderheiten genau so, al» wenn ein Modewarengeschäft in Meerane sich auS Leipzig von einem Grossisten die Waren schicken läßt, obgleich vielleicht die Ware oder ein Teil derselben in Meerane selbst fabriziert war. Der Grossist bat Waren au» allen Fabriksorten und eS ist für den Detailisten viel leichter und einfacher, von wenigen Häuser» zu beziehen, die ihm ein finanzielle» und sonst ge schäftliches Interesse entgegenbringen, als ron vielen Firmen und damit eine größere Anzahl Gläubiger zu haben. Das Beispiel ist vielleicht noch nicht ganz treffend gewählt, denn Modewaren laufen in» Geld und in ibnen lohnt sich auch manchmal der direkte Bezug vom Grossisten feiten» der Privat konsumenten, bester dürste der Vergleich mit anderen billigen Stückwaren, wie Mestern, Tellern, Kiügen, Kämmen rc. fein. Bei der Mannigfaltigkeit der Artikel wird fick die Sammel stelle deS Grossisten nickt umgeben lasten und wenn man be denkt, daß etwa im Iabr 20 000 marktfähige Bücker er scheinen, so erscheint der Kommissionär als Sammelstelle als wichtiges und volkswirtschaftlich nützliches distribuiives Glied. Selbst die Konsumvereine, die einen festen Abnehmerkreis baden und wirtschaftlich günstiger organisiert sind als die Kaufleute, haben sich in ihrer Einkaufsgenossenschaft eine Sammelstelle geschaffen und diese wieder hat, den örtlichen Ver- bältnisten nachgebend, Läger einrichten wüsten. Also auch hier nicht Ausschaltung, sondern Einführung des Zwischen glieds, deS Zwischenhandels in moderner Form. Daß dieses Zwischenglied unter Umständen die Ware etwas verteuert, mag zugegeben sein, oft genug verbilligt eS sie durch größere Einkäuse und schlanke Zahlungsweise. Dagegen unterscheidet sich der Buchhandel von dem Warengeschäft, daß er feste Monopolpreise hat und daß den Sortimentern die Ver kaufspreise vorgeschrieben sind, sowie daß Bücher nicht wir Seide, Band, Hüte und Tasten gelaust werden. Gegen diese festen Preise deS Buchhandels, gegen den zulässigen geringen Rabatt richtet sich nun eine Schrift*) de» Prof. vr. Bücher in erster Linie, und zweiten« richtet sie sich gegen die jetzige Organisation des Buchhandels überhaupt. In seiner Einleitung spricht er von der Groß artigkeit der VerlagSunternehmungen und von dem Stolz, den die Leipziger dabei empfinden. Daan fährt er fort: Auch die Leipziger Universität, die so lange die Buchhändler börse in ihren Mauern beherbergt hat, teilt diese Empfindungen. Wenn trotzdem von ihr vor kurzem eine Bewegung auSgegangen ist, welche dir Dozenten sämilicher deutschen Hochschulen, einschließlich Deutich-Oesirrrrich» unv der deutschen Schweiz, zu einem festge» schlossen«» Schutzverbande gegen die AuSlchrritungen des Buch- handel» zu oereinigeu sucht, so müssen sehr ernste Gründe Vorge legen haben, welche di« einem solchen Schritte entgegeoslrhenden Bedenken überwinden ließen. In der Tat sind solche vorhanden. Nicht bloß die schwerwiegenden Interessen, welche die Vertreter der deutschen Wissenschaft als Autoren und als Bllcherkäuser natur gemäß dem Buchgewerbe gegenüber zu wahren haben, erscheinen gefährdet; es gilt auch gegen Maßregeln und Tendenzen Front zu machen, welche die gesund« Entwicklung unsere« gesamten nationalen Geisteslebens zu unterbinden drohen und namentlich die Beteiligung der minder bemittelten Bolksklasseu an den Früchten der Kultur *) Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft. Denkschrift, im Auftrage des Akademischen Schutzvereins verfaßt von vr. Karl Bücher, ord. Prof, der Nationalökonomie a. d. Universität Leipzig. Druck und Verlag von B. G. Teubner. Leipzig, 1903. erschweren, wenn nicht völlig verhindern wüsten. Wir können und dürfen nicht Maßnahmen ruhig hiunehmen, welche zu Gunsten weniger unserem Volke die geistige Nahrung verteuern. Wenn man diesen Kampfruf hört, dann fragt man sich unwillkürlich, was denn vorgefallen sei, daß der demnächstige Rector magnificuS so gegen einen ehrenwerten Stand loS- wettert und mit so gewaltigem Rüstzeug, wie der Anrufung der «gesunden Entwickelung unsere« gesamten nationalen Geisteslebens", der «Erschwerung der Beteiligung der minder bemittelten Volksklasteu an den Früchten der Kultur" in den Kampf zieht. Eigentlich ist nicht» weiter passiert, al» daß der Kunden rabatt abgeschafft oder beschnitten worden ist und daß die wenigen Buckhändler und die Warenhäuser, die abseits standen, sich dem Gebot der Mehrheit gefügt haben. Eine sehr demo- lralische Geschickte! Und nun bespricht Herr Prof. Bücher in eingehender Weise die buchkändlerische Organisation, ver keilt Licht und Schatten gleichmäßig und rührt an mancher Wunde, die sich am Körper des Buchhändlerleibe» befindet. Er geißelt mit Recht die Geheimniskrämerei des Börsen blattes und die Angeberei innerhalb der Sortimenter wegen Pieisschleuderei, er rechnet den Kommissionären ihren Ver dienst nach unv den Sortimentern ihre Spesen. Sie jsind ikm nicht sympathisch, die Sortimenter, sie verteuern ihm die Bücher und am liebsten würde er sie misten. .Ueberall", sagt er, «hat sich unter dem Einfluß der großen Erleichte rungen, welche dafür unsere Reichspost bietet, der direkte Be zug vom Produzenten eingebürgert, sind unnötige kommer zielle Mittelglieder auSgestoßen worden, und Pro duzenten wie Konsumenten stehen sich besser dabei; nur im Buchhandel glaubt man noch au einer veralteten Betriebs weise festhalten zu wüsten." Einen Teil der Sortimenter trifft ohne Zweifel mit Recht der Vorwurf, daß er sich zu wenig um die Verbreitung eine» BucheS kümmert, e- ist dies eine alte Klage, die eine ständige Rubrik im Börsenblatt bildet, allein ihm die Existenz berechtigung abzusprechen, ihm den Bruttoverdienst von 25 bis 40 Proz., von dem die Spesen abgeheu, vorzuwerfeu, das geht zu weit. Er vergißt, daß eia gebildeter Sortimenter für die kleine Stadt geradezu unentbehrlich ist, vorausgesetzt daß er sich rührt, daß bei ihm die beste Auskunft Über Bücher zu holen ist und daß durch die Ansichtssendungen (auch der Ver leger ä couäition) der Käufer nicht wie beim Versaodgeschäft gezwungen «st, etwa» zu nehmen, waS er vorher nicht ge prüft hat. Wenn Herr Prof. Bücher au» der Vermehrung der Sortimenter und der geringen Zahl der Konkurse etwa ein glänzende» Geschäft herleitet, so ist er im Irrtum. Er darf nicht vergessen, daß gerade die Untätigkeit so mancher Sortimenter tüchtige, energische Gehülfen zur Selbstäodig- machung und damit zur Konkurrenz geführt hat. Freilich Cigarren und Bier, Sonnenschirme und Stiefeln sind heute noch nötiger al» Bücher und so ist der Umsatz von Büchern nur gering und daher bestehen noch viele kleine Betriebe, die von untüchtigen Leuten geleitet werden. Daher haben sie den Reisebuchhändler, der nur für gewisse Bücher in Betracht kommt, groß werden lasten, aber deshalb ist e» noch nicht richtig wenn Bücher sagt: «so geht das Sortiment nicht bloß durch das Ueberwuchern leistungöunfähiger Zwergbetriebe, sondern durch seine eigne, kaum mehr zu verbergende Unzu länglichkeit, seine völlig veraltete Betriebstechnik zurück". Wir können un» nicht helfen — Herrn Professor Bücher Aus den Körbchen Bergen. Eine Reisebetrachtung von Felix v. Rembach. Nachdruck vervoien. Wer in diesen sonnendurchglühten Tagen die mit allen Reizen einer wildromantischen Natur reich gesegnete Napoleonsinsel kreuz und quer durchstreift, wird sicher den Wunsch hegen, dort bleiben, oder doch lange, recht lange die wunderbaren Schönheiten eines eigenartigen Landes genießen zu können. Hält ihn aber, wie den Ver fasser dieser Zeilen, ein Zufall wirklich länger zurück, als ursprünglich beabsichtigt war, und gewinnt er in stetem Umgänge mit den Bewohnern der Insel einen tieferen, Intimen Einblick in das dort herrschende Leben der gesetz- losen Unordnung, der Willkür und des Haffes, so ändert er sehr bald seine Meinung, und immer lebhafter wie der Wunsch: zu fliehen, zurückzukehren unter den Schutz der Gesetze. Was tut der Korse, der durch Geburt, Erziehung und Familienbande an sein Land gekettet ist, wenn er Grund zu haben glaubt, unzufrieden zu sein? Er tröstet sich durch einen Flintenschuß und flieht in den Busch, in die Berge ... Die Ungesetzlichkeiten und die Ungerechtigkeiten, die die eine Hälfte der Bevölkerung gegen die andere begeht, sind der Hauptgrund der Verbrechen gegen das Leben der Mitbürger, und die geringste Veranlassung führt einen Mord hervei. Ein in einem Weinberge getöteter Hund ruft die Rochtni und di« Tafani auf den Plan und ist der Anfang einer Feindschaft, die elf Menschenopfer er- fordert. Jahrelang wütet ein solcher mit der furcht barsten Erbitterung und Grausamkeit geführter Kampf fort; zumal auf dem Lande sind die Leute bereit, alles, Freiheit, Gut und Blut und Ehre, zu opfern, um der Rache eines Augenblickes sich hinzugeben. Die unauf hörliche Verfolgung ihrer Gegner hat diese Menschen, die zum Teil von blühender Schönheit vorher waren, der- artig entstellt, daß schon ihr bloßer Anblick Entsetzen erregt. Ein Mann, der, um sich sein vermeintliche» Recht zu schassen, einen Mord begeht, ist auf Korsika ein „Mensch im Unglück", den man beklagt, den man bisweilen wegen seine» Mute» bewundert, den man aber niemal» tadelt. Die Zuneigung der Seinen und seine» Elan» bleibt ihm stet» erhalten. Jedermann ist bemüht, ihn der Gerechtig keit zu entziehen. Dir- er Pandit, so. ernährt man un schützt ihn gegen die Verfolgung der Gendarmen. Wird er vor Gericht gestellt, so setzt man alle Hebel in Be wegung, ihn aus der Klemme zu ziehen. Verschiedene Prozesse vor den Gerichtshöfen sind Wunder der Intrige. Schon in der Voruntersuchung eröffnet die Familie deS Angeklagten den Feldzug. Sie beginnt damit, durch Drohungen jeden -um Schweigen zu bringen, der etwa eine Aussage abgeben könnte. Nach der Auffassung deS Clan» ist ein Zeuge, der gegen den Angeklagten aussagt, von da ab sein erklärter Feind. Bor einigen Jahren waren gelegentlich einer Wahl zum Generalrate 60 Personen auf dem Palnecaplatze ver sammelt; ein Wähler bestieg die Treppe, die zum Saale für die Abstimmung führte; ein anderer mit einer Flinte bewaffneter Wähler befand sich auf der entgegengesetzten Sette. Alle 60 Personen sahen diese beiden Leute. Der Mann mit der Flinte schoß auf den anderen und zer schmetterte ihm mit der Kugel ein Knie. Aber der Richter konnte nicht eine einzige Aussage erhalten. Die 60 Zeugen versicherten, nichts von der Sache zu wissen. Der Verletzte selbst erklärte, baß er nicht wisse, wer auf ihn geschossen habe. Er wollte sich keiner zweiten Kugel auSsetzen, die Untersuchung mußte niedergeschlagen werden. Ein Angeklagter wählt stet» einen Rechtsanwalt des dem feinigen feindlichen Clan». Auf diese Weise ist er sicher, die ganze Jury für sich zu haben. Seine Familie beeinflußt die Geschworenen seiner Partei, und der Ad vokat bearbeitet au» gewerbsmäßiger Eigenliebe die anderen. Man läßt e» an Drohungen gegen jene nicht fehlen. Nach der Anschauung de» Elan» ist ein Ge schworener, der zu einem verurteilenden Ergebnisse kommt, ein Feind, und man droht, ihn al» solchen zu be handeln. Biele kommen so in Konflikt mit ihrem Ge- wissen und bedrohen ihrerseits den Angeklagten. Sie sagen zu ihm: „Lehne mich ab, oder ich verurteile dich -um Tobe." Da» führt dann oft zu merkwürdigen Zwischen- fällen vor Gericht. Zahlreich sind die Fälle, in denen Zeugen wegen ihrer Aussage getötet wurden. Da» furchtbarste Beispiel eines solchen Morde» ist folgende»: Bor etlichen Jahren be gaben sich drei junge Leute von Bignale zur Kirche. Mariottt wettet mit Orsini um eine Flasche Wein, daß er ihn im Ringkampse zu Boden werfen werde. Olanda wird mit der Bewachung de» Kampfe» beauftragt. Da die erste Probe ungewiß war, weil beide Ringkämpfer zu gleich gestürzt waren, so erklärt Olanba, daß man von neuem beginnen müsse. Orsini weigert sich dessen; der Streit ruft vorübergehende herbei. Orsini bemächtigt sich -e» Dolche» eine» gexyifsen Nicolai, Mtzi ihn Olanda in die Brust und tötet ihn. Man verhaftet ihn. Da die Untersuchung nichts Belastendes gegen Nicolai ergab, so läßt man ihn frei und Orsini wird zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt. Man beachte nun, welche Schlüsse der Vater des Opfers, Jerome Olanda, zog: Orsini ist verurteilt worden; nun wohl, er hat seine Schuld bezahlt; aber wenn Nicolai freigesprochcn ist, so geschah dies in folge Bestechung; es wäre ungerecht, wenn nicht auch er seine Schuld bezahlte. Es kam ihm gar nicht einmal die Idee, daß Nicolai freigesprochen sein könnte, weil er nicht schuldig war. Er verletzte jenem Unglücklichen neun Dolchstiche, um ihn zu lehren, seinen Dolch besser zu hüten. Die beiden Familien erklärten sich nun in Ven detta": die Nicolais gegen die Olandas. Ein Nicolai verwundet einen zweiten Sohn Jeromes namens Denys. Die beiden OlandaS ihrerseits greifen drei Nicolais an und töten einen mit dem Beinamen il Moro. Denys wurde verhaftet und vor das Gericht gestellt. Sein Vater teilte allen Interessenten" mit, daß er keinen von den Unbesonnenen leben lassen würde, der sich unterstehen würde, gegen ihn auszusagen. Er hatte der Frau Moros bet Todesstrafe untersagt, irgend etwas zu berühren, was ihr Mann hinterlassen hatte. Später befahl er ihr, Bignale zu verlassen, und sie ging wirklich mit ihren beiden Kindern nach Bastta. Aber vor Gericht hielt sie den Geschworenen ihre Kinder entgegen, weinte uud flehte, gab ihre Aussage ab und bat um die Bestrafung der Mörder. „Meine Herren, in meinem Namen, im Namen meiner Kinder, Gerechtigkeit! Die haben meinen Mann, einen Unschuldigen, ermordet!" Al» sie zwei Tage darauf nach Bignale zurückkehrte, tötete Jerome Olanda, der ihr aufgelauert hatte, sie durch einen Flintenschuß. Er versuchte auch, ihre Tochter zu töten, die sie begleitete. Aber da» Kind rettete sich durch die Flucht. Da» Dorf war derartig erschreckt, daß der Toten gräber nicht wagte, das Grab für die Witwe Moros zu graben. Zwei Freunde taten die» in der Nacht, in aller Heimlichkeit, und niemand folgte dem Sarge. Olanda selbst wurde einige Monate später ,^on den Gendarmen acht Stunden nach seinem Tode getütet". DaS ist der Ausdruck, dessen sich die korsische Ironie bei den Banditen bedient, die von Gendarmen infolge BerrateS eines Feinde» getötet wurden. In mehr al» einem Hause bewahrt man die blutigen Kleider getöteter Familienmitglieder auf und zeigt sie von Zeit zu Zeit den jungen Leuten, um sie an ihre Pflicht zu erinnern. Tas Kreuz ist eine Todesdrohung: Der Mann, der am Morgen früh ein solche» an seiner Tür findet oder auf weißem Papier durch die Post erhält, erfährt hier durch, daß fei« Leben tn Gefahr ttz> Der Zustand de; Feindschaft ist ein anerkannter Zustand, der seine Tra ditionen und seine Regeln hat. Bürgermeister fassen oft Beschlüsse, wie den folgenden Artikel 1: Es ist ausdrück lich untersagt, Waffen auf dem Gebiete unserer Gemeinde zu tragen. Artikel 2: Eine Ausnahme wird gemacht für diejenigen Personen, die notorisch in dem Zustande der Feindschaft leben. In Ajaccio besteht der Gebrauch, seine Flinte auf dem Zollamte abzugeben. Aber die „Leute in Feindschaft" erhalten die Erlaubnis, die ihrige zu be halten, weil sie in den Straßen der Stadt nicht sicherer sind als auf dem Lande. Sic tragen sie nach Art -er Jäger und halten Ohr und Auge gespannt offen; sie führen das Leben eines gehetzten Wildes. . . . Die Vendettas beschränken sich niemals auf zwei Per sonen. Nicht nur die direkten, sondern auch die ent- fernteren Verwandten sind ihr unterworfen. Wenn auch die Opfer gewöhnlich unter den männlichen Mitgliedern der Familie, und besonders, um die Rache vollständiger zu machen, unter den hübschesten und intelligentesten aus gewählt werden, so entgehen ihr doch, wie der Fall Olanda zeigt, auch Frauen nicht. Monate-, ja jahrelang verlassen die Leute, die in der Vendetta leben, ihr Hau» nicht. Gehen sie bet Tage einen Augenblick heraus, um auf der Schwelle ihrer Tür Luft zu schöpfen, so geschieht das nur, nachdem sie jemand vor her ausgeschickt haben, der sorgfältig die Umgebungen ab suchte. Sind sie zu irgend einer Reise gezwungen, so machen sie sich nur unter dem Geleit von Freunden auf den Weg, und die Truppe marschiert nach Art einer Armee mit der -Avantgarde, die das Terrain durchsucht, und einer Arrtöregarde, die den Rückzug -eckt. So kann man nicht selten auf den Wegen Banden von 15 bi» 20 Mann, die mit Klinten bewaffnet sind, antreffen. Wie die Streitigkeiten -wischen den Staaten, so endigen auch oft diese Kriege mit feierlich zwischen de» beiden Parteien abgeschlossenen Verträgen. Man leistet Eide, das erlittene Unrecht vergessen zu wollen. Al» Unterpfand der Treue verpflichten sich die Banditen, die auf beiden Seiten sind, sich als Gefangen« zu stellen. Man trifft gemeinsame Vorkehrungen, deren Lage vor den Ge- rtchtShöfen günstig zu gestalten, und die Jury spricht auch tatsächlich angesichts einer solchen Versöhnung die An geklagten fast immer frei. Aber e» geht mit diesen Verträgen wie mit den Ver trägen des Staate»; sie dauern nur so lange, al» eine der Parteien daran Interesse hat. Dann beginnt -er Tanz von neuem, und der König der korsischen Berge „hält wieder die Campagne", wie der korsische Ausdruck lautet. Nickt weniger al» 600 solche? solle« aus KAKka tu -en Bergen mn-srirren.
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