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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 13.08.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-08-13
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030813023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903081302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903081302
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-08
- Tag1903-08-13
- Monat1903-08
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B. hat die Schreiner-Innung mit Unterstützung eines Gutachtens der Handwerkskammer eine Entschei dung der höheren Berwaltungsinstanz herbeigeführt, daß eine Anzahl von Großbetrieben, die bis zu 90 Arbeitern beschäftigen und selbstverständlich alle Motoren besitzen, sich -er Schreiner-Innung anzuschließen hätten. Die Entscheidung stützt sich hauptsächlich darauf, daß die Ar beiter in der Regel Handwerker mit Lehrzeit seien und daß es darum billig sei, daß die Großbetriebe der Innung zugehörten, deren Hauptaufgabe die Ausbildung der junAen Arbeiter fei. Die Handelskammer zu Freiburg hat sich an das Ministerium gewandt und die Erwartung ausgesprochen, daß in der Frage der Beiziehung von Be trieben, die nach seitheriger Anschauung als Fabrik betriebe gelten, zu den Zwangsinnungen und Hand- werkSkammern nicht eher eine Entscheidung getroffen werbe, als bis eine gesetzliche Regelung dieser Frage statt- gefunden habe. Bis jetzt liegt eine solche Regelung nicht vor, sondern nur eine von dem zweiten deutschen Hand werks- und Gewerbekammertage zu Darmstadt im Jahre 1901 aufgestellte Definition, die allerdings völlig auf dem selben Boden steht, wie die Entscheidung des Bezirks, amtes Freiburg. Es ist aber natürlich nicht weiter ver- wunderlich, daß der Handwerkskammertag eine im Interesse der Handwerkskammern und Zwangsinnungen liegende Auffassung vertreten hat, denn je mehr Groß betriebe Beiträge zu den Innungen zu leisten haben, desto besser kommen die eigentlich handwerksmäßigen Kleinbetriebe fort. Der Handwerkskammertag war also Partei, während der Reichstag über den Parteien steht oder wenigstens stehen soll. Auch eiue Vorbereitung vou „Handelsverträge«". Während die Aufmerksamkeit auf die Handelsverträge zwischen Deutschland und Rußland gerichtet ist, wird schon jetzt kurz nach den Rcichstagswahlen ein Fühler ausgestreckt zur Vorbereitung von „Handelsverträgen" zwischen dem Zentrum und den Polen bei den nächsten Wahlen. Die Polen sind sehr unglücklich dar über, daß der Wahlkreis Lissa-Fraustadt diesmal an ein Mitglied der Deutschen Reichspartei übergegangen ist. Ein in Dortmund erscheinendes Polenblatt empfiehlt für künftige Wahlen den Grundsatz, „daß auf polnischer Erde ein polnischer Kandidat zu wählen ist". Könne der Pole ohne Hülfe der deutschen Katholiken nicht siegen, so müsse man sich deren Stimmen sichern. Tauschweise sollten in Zukunft die westfälischen Polen unter Verzicht auf eigene Kandidaten sofort Hand in Hand mit den deutschen Katholiken gehen. Auf diese Weife ließe sich Fraustadt-Lissa den Polen er halten, die betreffenden rheinisch-westfälischen Kreise aber dem Zentrum. Die „Kölnische Volkszeitung" gibt diesen Vorschlag ohne ein Wort der Kritik wieder, der Plan scheint ihr also einzuleuchten. Der Kreis Lissa- Fraustadt ist zwar zu 60 Prozent katholisch, aber doch in nationaler Beziehung unzweifelhaft überwiegend deutsch, was sich schon daraus ergibt, daß er von 1871—1881, von 1884—1893 deutsch vertreten gewesen ist und auch jetzt wieder an einen deutsch gesinnten Kandidaten über gegangen ist. Aber auch in den Fällen, in denen die Polen gesiegt haben, haben sie niemals die Hälfte der Stimmen in der Hauptmahl erlangt, sondern nur mit Hülfe deutscher Parteien in der Stichwahl gesiegt. Dank der anerkennenswerten Haltung der Deutschen, auch deS größten Teiles der -eutschen Katholiken, ist diesmal end lich wieder die Scharte ausgewetzt worden. Das natio nale Empfinden der Deutschen in der Ostmark ist nun endlich doch so rege geworden, daß wir es uns nicht denken können, daß die deutschen Katholiken des Wahlkreises Fraustadt-Lissa oder anderer Wahlkreise der Provinzen Posen und Westprcußen Mandate an die Polen ausliefern werden, damit die Polen zum Danke dafür dem Zentrum in Westfalen zu Hülfe kommen. Die Krise i« Ungarn. Eine schmierigere Ministerkrise, als cS die heutige ist, hat es in Ungarn selten gegeben. Durch den Fall des Ka binetts Khuen hat die Opposition auf der ganzen Linie einen Sieg erfochten und die Gewährung nationaler Zu geständnisse in den Hceressragen ist zu einer unabwend baren Notwendigkeit geworden. Diese nationalen Zu geständnisse sind aber nicht lediglich eine innere An gelegenheit Ungarns, sic berühren auch die Einheit der Armee und daher haben die Heeresleitung und die öster- rcichischeRegierung ein gewichtiges Wort dabei mitzureden, in welcher Weise die Krise gelöst werden soll. Der wenig beneidenswerte Politiker, dem die Aufgabe der Kabinetts bildung erteilt wird, hat daher, bevor er an seine Aufgabe geht, mit der ungarischen Opposition, mit der Heeres leitung und mit der österreichischen Regierung Verhand lungen anzuknüpfen, und wie das militärische Programm aussehen soll, welches alle drei genannten Faktoren für annehmbar halten, davon kann man sich heute noch nicht einmal annähernd ein Bild machen. Ebenso schwierig ist aber auch die Personenfrage. Die frühere Nationalpartei — so führt die „Köln. Ztg." aus — arbeitet aus Leibes kräften für den Grafen Apponyi, dessen Kandidatur jedoch die sogenannten Altliberalen damit zu vereiteln suchen, daß sie mit dem Austritt aus der liberalen Partei drohen, weil Apponyis Ministerium eine Abschwenkung vom Ausgleich von 1867 und vom liberalen Programm be deuten würde. Die Altliberalen, deren eigentlicher Führer, Graf Stephan Tisza, nach einem letzten miß glückten Kabinettsbildungsversuche für eine Zeit unmög lich ist und dem auch die Opposition die Einstellung der Obstruktion kaum zugestehen würde, scharen sich in Er mangelung eines bessern um den einstigen Ministerpräsi denten Alexander Wekerle, dessen nationales Pro gramm in den Hceressragen ungefähr dasselbe ist, wie das des Grafen Apponyi, der aber wenigstens dafür bürgen würde, daß das neue Kabinett kein Abgleiten vom Libera lismus bedeute. Gegen Wekerle äußert sich jedoch in der klerikalen Bolkspartei eine scharfe Opposition, ja, ihr Blatt erklärt rund heraus, daß einem Kabinett Wekerle gegenüber die Volkspartei den Faden der Obstruktion auf nehmen würde. Auch Koloman Szell hat viele An hänger, die für seine Rückberufung eintreten, es ist aber kaum glaublich, daß die Krone ihre Zuflucht zu dem Manne nehmen wird, der durch seine fortwährende unzeitgemäße Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen der Opposition die Obstruktion eigentlich hcrvvrgerufen hat. Graf Albin Csaky und Graf Julius Szapary wollen von einer Rückkehr ins politische Leben nichts wissen, Graf Julius Andrassy ist zu schwach für -ie gegenwärtige Lage, dem derzeitigen Kinanzminister Luka cs droht die frühere Nativnalpartci mit dem Austritt. Unter solchen Um ständen treten zwei Möglichkeiten in den Vorder grund. Die eine ist die Bildung eines aus den Führern aller Gruppen der liberalen Partei zusammengesetzten Kabinetts, in dem Apponyi, Tisza, Andrassy, Wekerle ufw. gleichzeitig Platz nehmen würden. Dies ist der Wunsch derjenigen, die ein „starkes Kabinett" wollen, es ist jedoch zu befürchten, daß ein Ministerium, welches so verschieden gefärbte Elemente vereinigen würde, erst recht schwach wäre, da auf Schritt und Tritt Meinungsverschiedenheiten im Kabinett auftauchen müßten. Die zweite Möglichkeit ist die Bildung eines möglichst farblosen Uebergangs- ministeriums, das nach Vollendung seiner Aufgabe, das Budget, den Ausgleich und das Wehrgesetz tnrrchzubringen, entweder einem streng liberalen Kabinett Tisza oder einem konservativ-agrarischen Kabinett Apponyi Platz machen würde. Ein solches Kabinett könnte dann unbekümmert darum, ob ein Teil der liberalen Abgeordneten aus der Regierungspartei austritt oder nicht, Neuwahlen vor nehmen und den Versuch machen, sich eine Mehrheit im Lande zu schaffen. Ohne eine reinliche Scheidung zwischen den liberalen un- den konservativen Elementen in der Regierungspartei wird es kaum eine endgültige Lösung geben. — Eine andere Lösung glaubt Kossuthzu haben. Er schreibt im oppositionellen „Egyetertcs", daß der Sturz des Kabinetts Khuen wenigstens den ersten Schritt zur Lösung der Krise bilde, und er begrüßt es mit Genugtuung, daß Graf Khuen, dieser „allgemein unbekannte und un verstandene Mann", nicht vom Könige, sondern von der Nation gestürzt worden sei. Es werde schließlich sehr bald dahin kommen, daß der Wille der „Mehrheit der Nation" (gemeint ist damit jedenfalls die Opposition) über den Willen der parlamentarischen Mehrheit triumphiere. In diesem in vieler Beziehung sehr interessanten Aufsatze läßt Kofsuth dann noch durchblicken, und zwar auf sehr feine und geistreiche Art und Weise, daß heute das ein zige Mittel zur dauernden Sanierung der Lage die gänzliche Lostrennung von Oesterreich und Ein führung der Personalunion nach dem Muster von Schweden-Norwegen bilde. Deutsches Reich. e. Dresden, 13. August. Ein recht wenig erfreuliches und zur Kritik an der R e i ch s fi n a n zv e r w a l t u n g herausforderndes Bild wird in dem in der Bearbeitung befindlichen zweiten Etat der Zuschüsse des ordentlichen Staatshaushalt sc tats für die Finanz periode 1904/1908 das Kavitel 104 bieten, betreffend das finanzielle Verhältnis Sachsens zum Reich e. Während im Jahre 1898 der Anteil Sachsens am Ertrage der den Bundesregierungen zu überweisenden Reichseinnahmen die Matrikularbeiträge von 32 510 597 noch um 1209 837 überstieg und der Ueberschuß den hierfür bestehenden Reservefonds überwiesen werden konnte, ist nunmehr jener Reservefonds von ca. 0Z/2 Mill. Mark wieder von den Beiträgen zu Reichslasten aufgezehrt jetzt den Baron, das heißt, was die Interna angeht; da ist man keinen Augenblick sein eigener Herr. Scheußlich! — Bitte, Herr Buschkorn, wollen Sie Fräulein von Grieben mitnehmen? — Ergebenster Diener, gnädiges Fräulein." Buschkorn sieht dem Davonschreitenden verwundert nach. „Herr Killmann wurde auf einen Augenblick ab berufen", erklärt sie. „Meinetwegen auf zwei", antwortet der Mediziner, reicht ihr den linken Arm — an seinem rechten bekichert Sophiechen Schwenker einen eben von ihm losgelassenen Witz — und tritt mit komischer Grandezza an des Müllers Tisch, wo mittlerweile zwei Weinflaschen mit hochtönenden Etiketts aufgcfahren sind. Es währt doch mehr als zwei Augenblicke, bis Herr Killmann sich wieder einfindet. Erst als Renate, die ihrem Nachbar den Tanz unmöglich abschlagen konnte, mit diesem von einer Polka zurückkehrt, findet sie ihn wieder am Tische, doch vom Mosel ist man zu Schaumwein frag würdiger Güte übergegangen. Killmann hatte die erste Flasche bestellt, doch Schwenkers Brudersohn und so gut wie zukünftiger Eidam wollte sich von dem fremden Herrn nicht traktieren lassen und forderte, ungeachtet der Seiten püffe Linchens, feiner Liebsten, eine zweite, um dann mit mißtrauischer Teilnahme der Schilderung einer Antilopen jagd im Kaplaud zu lauschen, die Killmann zum Besten gibt. Schwenker senior zwinkert von dem Schwarzbärtigrn nach seinem Neffen hinüber. „Der kann's auch — das Schießen, meine ich. Vor gestern abend noch einem Rchbock eins aufgebrannt — mitten durch." „Auf s Blatt heißt das. Ohm Gerd", verbessert der Neffe, in dem Bestreben, vor Killmann als waidgerechtcr Jäger zu gelten. „Na, 's war just kein Kunststück, auf dem Ansitz und mit nreiner Büchse", fügt er dann mit be scheidenem Stolze hinzu. „Schießen Sie noch immer so firm Pistole, Gottlieb?" fragte Erich Buschkorn über den Tisch hinüber. Gottlieb Schwenker leert sein Glas mit einem Zuge. „Nicht schlechter, Herr Doktor. Teufel, die Kapital waffe von meinem Rittmeister!" ,Was?" „Die mein Rittmeister mir vorigen Herbst — ich war ja wieder auf fünf Wochen in Düsseldorf eingezogcn, als Unteroffizier — zum Andenken geschenkt hat. Die müßte ich Ihnen eigentlich zeigen." worden, ja, es ist sogar so wett, -aß bereits jetzt erhebliche Summen aus den laufenden Staatseinnahmen gedeckt werden müssen. Diese große Belastung durch das Reich, die nicht nur von unserm Lande, sondern auch von andern kleineren Bundesstaaten schwer empfunden wird und eine Reichsfinanzreform unbedingt herausfordert, wird sich aller Voraussicht nach für die Zukunft noch steigern. Den Beweis hierfür liefern folgende Zahlen: 1899 über steigen die von Sachsen zu leistenden Matrikularbeiträge inHöhe von 34 874 425^. dieReichissteuerertragsanteile erst malig um 1209 837 die dem sogenannten Ueberweisungs- steuerfonds, der aus dem Ueberschuß der Reichssteuer- ertragsantetle über die Matrikularbeiträge gebildet worden mar, entnommen wurden. Dadurch sank dieser Fonds auf 4 307 937 1900 mußte an das Reich ein Zuschuß von 2 230 000 geleistet werden. 1901 betrug er 3122 000 und für 1902 ist er auf 1500 000 geschätzt. Dazu kam noch für 1901 eine Nachsorderuna von 3 600115 zur Deckung des Reichsdefizits. Rechnet man die für die Jahre 1902 und 1903 nötige Zuschußzahlung auf Grund des Etats für diese Zeit auf 3 000 000 und nimmt man hierzu noch die obengenannten Zuschüsse für 1900 und 1901, so ergibt sich in vier Jahren eine Zuschutzleistung zum Reiche von 11952 115 Zieht man hieraus Schlüffe, so ergibt sich für die Zukunft eine Mehrbelastung des sächsischen Etats von jährlich mehreren Millionen Mark. Berlin, 12. August. Zur Reichstagswahl in Dessau schreibt die „Natlib. Korresp.": Wir haben bereits unserem Zweifel Ausdruck verliehen, ob der Kan didat der Freisinnigen Vereinigung, Herr Schrader, eine ähnliche hohe Stimmenzahl auf sich vereinigen kann, wie dies am 16. Juni Herrn Roesicke gelungen war. Ge schieht dies nicht, so geht aller Wahrscheinlichkeit nach der Wahlkreis an die Sozialdemokraten verloren. Eine Kandidatur Büsing, die zu Anfang der Erörterungen über die Kandidatenfrage in Vorschlag gebracht war, hätte diesen wahrscheinlichen Ausgang mit Sicherheit ver mieden. Um jeder Verdunkelung der wirklichen Tat sachen vorzubeugen, müssen wir feststellen, daß die Kon servativen und der Bund der Landwirte in richtiger poli tischer Erkenntnis der Wichtigkeit dieser Reichstagswahl erklärt hatten, für Büsing zu stimmen, falls die Frei sinnige Bereinigung ebenfalls sich dazu entschlösse, für Büsing einzutreten. Es war also die Gelegenheit ge geben, auf eine durchaus einwandsfreie liberale Persön lichkeit das gesamte bürgerliche Lager und die Ordnungs parteien mit ihren Stimmen zu vereinigen und diesem Kandidaten aller Parteien gleich in der Haupt wahl gegenüber der Sozialdemokratie -um Siege zu verhelfen. Dieser Vorschlag ist von der Freisinnigen Bereinigung bedauerlicher Weise schroff zurückgewiesen worden. Wenn der Wahlfeldzug der bürgerlichen Par teien jetzt verloren gehen sollte, so trifft einzig und allein die Schuld und Verantwortlichkeit die Freisinnige Ber einigung, die in ihrer kurzsichtigen Polittk Anstoß daran nahm, einen Mann wie Büsing als liberalen Kandidaten anzuerkennen und auf einem Kandidaten ihrer spezifisch freisinnigen Färbung beharrt, obwohl sie damit rechnen muß, daß Herr Schrader in der Stichwahl schwerlich die Stimmen -es Bundes und der Konservativen erhält, und somit der Kreis an die Sozialdemokratie verloren geht. Auch die selbstverständliche Hülfe der Na- tionalliberalen, falls Schrader wirklich zur Stich wahl gelangt, wird dieses Schicksal kaum abzuwenden vermögen. „Sie sind auch Pistolenschütze?" fragte Killmann ver wundert. „So etwas gehört doch sonst nicht zmn ländlichen Sport." Der alte Schwenker lackt. „Und was für einer! — Prost, Gottlieb! — Zeig's dem Herrn doch 'mal, was du kannst." „Das ewige Geknalle!" seufzt Lincken. „Na, tu' nur nicht, als ob du dich nicht über die zwei silbernen Löffel freutest, die ich gestern damit gewann", ruft Gottlieb ihr so bedeutsam zu, daß sie puterrot im Ge sicht, mit dem Tischtuchzipfcl spielt. „Heda, Job Kuhle!" Job Kuhle, ein kretinartiges Geschöpf mit Glotzaugen und ewig nassen, wulstigen Lippen, der gerade in der Nähe stand, watschelt herbei. „Geh' 'mal nach unserm Hause, Job, und laß dir von Linchen den Kasten mit der Pistole geben." „Ach, Gottlieb! Denk' doch d'ran, was du heute schon zusammengetrunken hast", ruft Linchen besorgt, worauf ihr Vater und Erich Buschkorn in schallendes Lachen aus brechen, Gottlieb aber mit dröhnender Stimme dem daherrennenden Kellner zuruft: „Jahnke, noch eine Flasche von derselben Sorte! Aber fix!" Jahnke nickt eilsertia. „Nu gerade!" knurrt Gottlieb Schwenker. Bauernstarrsinn! Als Job Kuhle mit dem Kasten kommt, hat er schon das zweite Glas aus der neuen Flasche getrunken. „Nu los, nach dem Sckeibenstande!" Die Männer stehen auf. „Wollen wir nicht auch?" fragt Mutter Schwenker. „Ach, Linchen, hab' dich nur nickt so — Schützenfest ist nur einmal im Jahre, da will der Mensch mal lustig sein, und deinen Vater hab' ick da zeitlebens auch nicht anders ge kannt, als zuletzt ein bißchen angeduselt, tn allen Ehren,' versteht sich." Der Wein hat Frau Sckwenkers^Befangen- heit gänzlich gelöst, zugleich mit der Sprache. „Die kommen doch auch mit, Fräulein, wie? und du, Sophie? Wenn Linchen partout maulen will, so laß man sie^a; die Männer soll man nehmen, wie sie sind, ivas meinen Sie, Fräulein?" Renate ist es augenblicklich ziemlich gleich, was mit ihr geschieht. So läßt sie sich die beleibte MüllerSfrau a«i Arme gefallen. Am Strande bereitet Gottlieb Schwenker sein Bravourstück vor. Mt seinem Taschenmesser hat er eine Aßkartc an den ersten besten Anlegepsahl geheftet und zählt nun die Schritte eins, zivci, drei bis zwanzig. Dann legt er an und schießt los. Fruilletvir. 61 Renate von Grieben. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck verboten. Der Student findet das weltmännisch Gewandte des Ankömmlings mindestens beachtenswert, und der ihm im Korps anerzogene Respekt vor dem Aelteren leitet von selbst zu einem ungezwungenen höflichen Ton. Dennoch schweift sein Blick ab und zu mit verständnisloser Be sorgnis Uber Renatens starre Züge. Sie ist fast auf fallend still geworden, das empfindet sie selbst, und die in den Dialog -er Herren einfallende Tanzmusik ist ihr wie eine Erlösung. Sie deckt die Unterhaltung und — ihr Schweigen. „Würden gnädiges Fräulein einen Walzer auf den Brettern des Zeltes riskieren?" Hat er das gefragt? Sie fühlt den Blick, der sie aus seinen halbgeschlossenen Libern trifft, auf ihren Wangen brennen, aber sie hebt den ihren nicht zu ihm auf, sondern zu dem neugierig lächelnden Antlitz des ehrlichen Buschkorn, als sie in gleichgültigem Tone erwidert: „Ich weiß nicht, welche Anforderungen man hier stellt. Ich habe vor zwei Jahren zum letzten Mal getanzt." Doch steht sie auf und nimmt seinen Arm. Erich Buschkorn ruft ihr nach: „Ich subskribiere auf den nächsten Tanz, Fräulein Renate!" Dann sieht er mit einem langen Blick hinter ihr her, legt die Cigarre fort und sucht Schwenker* Sofie, die er ei» paar Minuten später über die losen Bretter dreht, daß ihr die Zöpfe fliegen. Renate hat sich nie viel aus dem Tanzen gemacht, aber sie hat eS mitgenommen, wenn eS so sein mußte. Heute zum ersten Mal ist eS ihr eine Lust. Ich weiß ein Herz, für das ich bete, Und dieses Herz, es ist mir gut — Di« Melodie war ein Jahr vorher gerade als Tanz musik in Mode gekommen, mithin jetzt auch auf dem Lande daheim. ^Kennen Sic den Tert?" fragt er. Als sie den Kopf schüttelt, summt er ihr ins Ohr. — »Und dieses Herz, eS ist mir gut. — Sind Sie es, Renate O, wie sie dahinfliegen, schweben, sie mit wogender Brust, die Augen weit geöffnet. Und dennoch sieht sie nichts ringsum. Das wirbelt, gleitet, wogt alles um sie her auflösend in ein zerfließendes Chaos. . . . Nur an jenem Zeltviosten in der Ecke ein paar brennende Punkte — Augen? Ihr ist, als liege ihr ganzes Leben in diesem Tanz — nur diese Augen — wo — wo hat sie die schon gesehen? — Im Traume einmal, oder in ferner, ferner Zeit? — Jetzt wieder mutz sie den verzückten Blick nach dem unverwandt auf sic gerichteten wenden, und jetzt unterscheidet sie ein verwittertes Gesicht mit ver bissenen, vergrämten Zügen — das ist das einzig Erkenn bare. „Lassen Sie! Ich kann nicht mehr —", stöhnt sie. Fester zieht er sie an fick. „Herr Killmann Walter ich bitte!" Da läßt er sie los. Kür einen knappen Moment muß sie sich wieder an ihn lehnen, wie jüngst nach der Nachenfahrt im englischen Garten, so schwindelt ibr. ,Mein Lieb!" flüstert es in ihr Ohr. Dann treffen sich ihre Blicke. Sie zittert, aber sie weiß, daß sie ihm zuhören muß. Und nun erst kommt sie zu sich und wird sich bewußt, daß sie an demselben Pfosten Halt gemacht l-aben, von wo jene glühenden Punkte sic verfolgten — wie Wolfsaugcn. Aber das furchendurchzogene Gesicht ist verschwunden und hinter ihr ruft Erich Buschkorn, mit seiner Tänzerin herbeikommend: ,-Den Kuckuck auch, gnädiges Fräulein, wie die Ahn- dorfer Sie anglotzten! Aber, bei meinem Schnurrbart, so lange in einer Tour dürfen Sie nicht wieder tanzen. Bedenken Sie, daß mich so etwas wie 'ne Verantwortung für Sie trifft — " Sie fühlt die Notwendigkeit einer unbefangenen Ant wort, wird aber, da sic ihm in die bewundernden Augen sieht, rot wie ein PensionSbackfisch. Als Killmann sie wieder an den Offizierstisch führen will, tritt ihm sein Reitknecht entgegen. „Was ist los?" Mit zusammengezogcnen Brauen überfliegt «r das Blatt, das jener ihm gereicht hat. „Es ist gut, Franz; ick komme. Verzeih', wenn ich dich ein paar Minuten allein lassen muß", flüstert er Renate zu. „Doch keine unangenehme Nachricht?" Er lächelte. „Nichts von Belang. Aber ich vertrete ja auf Sölde
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