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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-09
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030909011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903090901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903090901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-09
- Monat1903-09
- Jahr1903
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Reklamen unter dem Redaktiontftrich sä gespalten) 75 vor den FamUieuaach» richten («gespalten) SO Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höhe». — Gebühren für Nachweisungen und Offerteuauaahme 85 H («xct. Porto). Art«-Beilage« (gesalzt), nur mit der Marge».Ausgabe, ohne Postbesürdrrung 60.—, mit PostbesSrdrruug 70.—» Iiunahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Anzeige« sind stet« an di« Expedttia« zu richte«. Die Expedition ist wochentags ununtrrbrocheu geöffnet von srüh 8 bi» abends 7 Uhr- Druck «ad Verlag vou S. Potz tu Leipzig. Nr. W. Mittwoch den 9. September 1903. 97. Jahrgang. Siebenbürgilch-deutsches Kirchentum. *s* In einer Zeit mehr und mehr um sich greifender Kirchenfeindlichkeit richten sich die Blicke besorgt be sonders nach der Diaspora, in der das Kirchentum am meisten gefährdet ist. Ein solches Kirchentum der „Zer- streuung" ist das der Liebenburger Sachsen im südöst lichen Ungarn. In der Tat muß man sagen, daß -ieS Kirchentum in der Neuzeit doppelt gefährdet erscheint. Zunächst gefährdet es der Staat, da eine Magyarisierung der Schulen auch eine solche des deutschen Kirchen- tumS nach sich ziehen müßte. Dann aber ist auch Sieben- bürgen so sehr mitten drin im Strome des gegenwärtigen Verkehrs- und Geisteslebens, daß auch dem sieben- bürgisch-deutschen Kirchentume die Einflüsse moderner Kirchenfetndlichkeit, wie sie ja auch Deutschland zur Ge nüge kennt, nicht fern bleiben. Gerade in den kulturell am meisten fortgeschritteneren Gegenden der Sachsen, im sogenannten Burzenlande, dem Gemeindekran- um Kronstadt hernm, kann man mit Be zug auf die Kirche Beobachtungen machen, wie sie sich im sogenannten »alten Lande", den früheren deutschen Ansiedelungen Siebenbürgens, nicht darbieten. Wäh rend hier der Sonntag noch geheiligt wird, besonders auf dem Lande, und kein Bauer sich getraue» würde, an diesem Tage, die Kirche beiseite laßend, aufs Feld in die Arbeit zu fahren, so ist das heute, trotz aller Bestim mungen über die Sonntagsruhe, im Burzenlande, besonders im Hochsommer, ganz anders. Sonntag und Kirche hindern hier die Feldarbeit nicht mehr. Sine Folge davon ist eine große Leere der Kirchen im Hochsommer, in welcher Zeit sogar die in „Bruderschaften" und „Ächweslerschaften" vereinigte und zum Kirchen besuch verpflichtete konfirmierte männliche und weibliche Fugend „Ferien hat". Erst der Herbst bringt mit dem Erntedank- und dem Ncfvrmationsfeste wieder eine be friedigend« Kirchenbeteilignng, die ihren Höhepunkt zu Ostern erreicht. Dabei wirken selbstverständlich anch dir Heute aus alle» Zeitu»gsspalt«n hervorlugenden „mo dernen" Weltanjchaunttgen mit, hier und dort Lauheit, ja Feindlichkeit gegen die Kirche als Vertreterin der Religion benwrzurnfsn. Sieht man aber genauer in dies fiebeubürgisch-dentschc Kirchentum hinein, so findet man es außerordentlich ge festet. Zunächst sind hente für die Gisbenbüxger Sachsen die Kirche nud di« damit verbundene Schule, Gymnasium, Realschule, Bürgerschule, Volksschule, in enggeschlvfsc- nerem Verbände das Bollwerk nationalen Bestandes. Seit dem Verluste politischer Selbständigkeit unter magyarischem Regime haben die Sachsen in de» sieben- bürgischen Landesteilen Ungarns eins Autonomie nur noch auf dem Gebiete ihrer Kirche und Schule- Das Kirchengesetz bestimmt mit Berücksichtigung der staatlichen Forderungen den Studiengang der Professoren nnd anderen Lehrer und erhält noch einen großen Teil der Prüfungen der kirchlichen Oberbehörde; es s«tzt den Lehr plan fest. Dieselben Kirchengemeinden, welche Gottes häuser erbauen, führen gerade in der Neuzeit eine neue schöne Schule nach der anderen auf. To ergibt sich hieraus ein dauerndes lebhaftes Inter esse für die Kirche bet dem gesamten Volk«. Und was es der Schule zugesteht, bewilligt es anch gerne der Kirche. Wie immer die innere Anschauung gegenüber der Kirche sein mag, der gebildete Sachse in Siebenbürgen fetzt einen Stolz darein, baß sie sich würdig repräsentier«. Und gerade hierin geht bas Burzenland, das sonst durch schnittlich die Sonntagsruhe in der Erntezeit abgetan hat, in mustergültiger Weise voran. Wenn auch im ganzen Land« di« „Fraueuveroine" lsi« sind hier auch eine kirch liche Organisation) viel für die Ausschmückung brr Gotteshäuser getan haben, im Burzenlande leisten sic Großes. SS gibt hier keine Kirch« mehr, die splcherart nicht ein neues Gewand angelegt hätte, Die Presbyterien und kirchlichen Gemeindever- tretungen, unter allen möglichen Deckungen auch die au- denselben Gemeiudemitgliedern zusammengesetzten a-er unter der Kontrolle der staatlichen Behörden stehen den politischen Gemeindevertretungen, im Verein- mft Privaten, wetteifern in der Freigebigkeit, das deutsche Kirchentum hier mit seiner Schule zu unterstützen und zu erhalten. Din weiterer Zug. d«r für seinen Bestand in der Zu kunft und seins im ganzen gesündere Beschaffenheit in dßk Gegenwart spricht, ist der enge nationale Zusammen» Hang, der gerade von der Kirche ans als Kirchen» nnd Schulbehüude mit dem Mutterland« Deutschland aufrecht erl-alten wird. Niemand kann Gymnasiallehrer und Pfarrer werden, der nicht eine bestimmte Zeit auf brutschen Hochschulen zugebracht hat, und die innige Ver bindung mit dem Gustav Adolf-Ber«in ist den Eiu- geweihteu bekannt. Dabei verdankt diese stebenbürgisch- deutsche Diaspora dem Gustav Adols-AZerein nicht nur die schätzenswerteste Unterstützung, sondern auch idealen Einfluß. An solchen segenbringeuüen deutschen Einfluß erinnert lebhaft die erst kürzlich in der Gemeinde Neustadt bei Kronstadt stattgefundene Turm- und Glockeimveihe. Nach Zusammenbringung von 20 000 Kronen privater Frei gebigkeit hat diese Gemeinde unter Leitung 'des in Gustav Adolf-Kreisen auch in Deutschland bekannten Pfarrers und Dechanten v. Kranz Herfurth zu den vielen anderen Fort schritten mit Bezug auf die Kirche den Turm erneuert und vier neue Glocken angcschafft. Diese Glocken aber stammen aus Deutschland. Es sind die ersten Bochumer Gußstahlglocken in Siebenbürgen. Di« drei kleineren von ihnen standen vor Jahresfrist noch auf der Düssel- dorfer Ausstellung, die größte ist hinzu gegossen worden; der Kronstädtcr königlich ungarische Finauzdirektor aber hat bewirkt, daß sie zollfrei eing«führt wurden. Das sind Züge aus dem siebenbürgisch-deutschen Kirchentume. ES unterliegt keinem Zweifel, daß es, so tief gegründet, eine sichere Zukunft hat. Deutsches Reich. 6. H. Berlin, 8. Sepiember. (Bebel und Auer.) Für den Kenner der sosialdemok! alischen Verbällnisie kommi die Flucht Bebel» an die Oeffenilichkeit in dem Leipziger Partei organe nicht überraichend. Zwischen den bilden Paiteisührern Auer und Bebel bestand schon lange ein Gegensatz; Auer rückt immer mebr nach recht», Bebel nach links. Der «bemalige Sattlergesclle Auer balte sich immer mehr zum allmächtigen Diktator im „Vorwärts" aufgeschwungen, nack feiner Pfeife mußte in den vornehm auSgestatielen Redaktionsräumen in der Lindenstraße getanzt werden; selbst der un gekrönte König Paul (Singer) Waal« gegen Auer nichts zu unternehmen, der natürlich in Gerisch (Parteikassierer), Heine, Bernstein, dem jungen Liebknecht MW. kräftigt Stützen fand. Mit dem immer stärker werdenden Einflüsse der akademischen Elemente stieg auch der der Revisionisten, um Bebel scharten sich „die Männer der schwieligen Faust". I Haben die Revisionisten, die Heine, Auer uff., in der Presse mehr Einfluß, so haben Bebel und seine Freunde die Berliner Genossen säst vollzählig Himer sich. Diese sind schon längst unzufrieden mit der allgemeinen Haltung der Partei, ickon lange redet man in diesen Kreisen von einer nicht mehr zu überbrückenden Kluft. Bekanntlich sonderte sich vor einer Reihe vou Jahren ein beträchtlicher Teil der Berliner Genossen von per Partei ad und bildete die Gruppe „der Unabhängigen". Etwas AehnlicheS kann sich auch jetzt wieder ereignen. Stellt sich Bebel an die Spitze dieser unzufriedenen Elemente, dann ist der Krach fertig und für Berlin wenigsten» ist der,.Vorwärts" geliefert. Jetzt werden Per- iuche gemacht, den grollenden Bebel zu besänftigen; heute bönen wir, baß namentlich Singer nach dieser Richtung hin tätig sei. Aber wenn auch Bebel wieder versöhnt und auf hem Dresdener Paiteitage der Riß verschminkt werden sollt«, die G gensätze zwischen Revisionisten und Unentwegten, zwischen Akgpemikein und Mäuuery der ichwicligen Faust, sind so tief gebrnd, daß in Berlin dex Krach schwerlich lange aufzubalten ist. Man gehe nur in die Ardeiterkreiie hinein und hjjr«, lyie es überall gärt und kocht. Der Neid ist bekanntlich eine der stärksten Tiiebsedern in der sozialdemokratischen Partei, und dieser Re d ist mächtig gegen di- Salon,ozialdemokralen entfsckt, die mir Frack und weißer Weste in den Versammlungen des Goelbebunbes (!) aufireten; der Streit Auer-Bebel hat die Scenene genügend beleuchtet. -r- Berlin, 8. September. („I mmerht n.") In einer Polemik gegen die nationalltbcralen Jnssndvereine weist die „Kreuzzeit u n g" darauf hin, daß diese der Zahl ihrer Mitglieder nach nicht in der Lage sein könnten und würden, „einer immerhin nach Hunderttausenden zählenden Partei, wie der natianalliberalen. die Richtung vvrzuschreiben und ihre Haltung bet den Wahlen zu be stimmen.* Dieses hochmUtig-wohdwollende „immer hin" ist köstlich, denn es klingt so, als o>b die „Kreuzztg." sagen wollte, „na, groß ist di.e nationallbberale Anhängerschaft nicht, aber etliche Hundertausend sind es doch noch." Sin solcher Ausdruck lst unserer Meinung nach nur angemessen, wenn man selbst über «in» größere An hängerschaft verfügt, als die Partei, die „immerhin" so und so viel hunderttausend Stimmen hat, Nach der soeben veröffentlichten amt liechen vergleichenden Uehersicht des statistischen Amtes über die Reichstagswahlen von 1898 und 1903 hat nun die Partei der „Kreuz-tg." zwar absolut an Stimmenzahl gewonnen, nämlich ungefähr 90 000, re lativ aber mit Rücksicht auf die erheblich stärkere allge meine Wahlbeteiligung verloren, denn ihr Anteil an der Gesamtzahl der Stimmen ist von 11,1 Prozent auf 10 Pro. zent hernntergegangen. Die mit den Konservativen eng verbundene Partei des Bundes her Landwirte hat eben falls nur einen geringfügigen absoluten Stimmenzuwachs, relativ dagegen ein«» Rückgang erfahren, nämlich von 1,4 auf 1,2 Prozent. Die gestnnungSmätzig der „Kreuzztg," nahestehenden Antisemiten haben sogar absolut genommen einen Stimmenrückgang zu verzeichnen (40 000) nnd relativ sind sie von 8,7 Prozent auf 2,6 Prozent all«r abgegebenen Stimmen heruntergegangen; endlich hat der agrarische Bauernbund Z9 000 Stimmen verloren und ist von 1,8 aus 1,2 Prozent heruntergegangen. Konservative, Agrarier und Antisemiten, die 1898 noch 18 Prozent aller Stimmen auf sich vereinigten, haben diesmal nur noch 18 Prozent erhalten, was doch einen „immerhin" nicht unbeträchtlichen Rückgang darstell». Demgegenüber haben die Ratio- «»liberalen acksvlut 340 000 Stimmen gewonnen nnd haben damit nächst dem Zentrirm von den bürgerlichen Parteien den größten Stimmenzuwachs zu verzeichnen. Relativ haben sie sogar von allen bürge r. llchen Parteien die stärkste Zunahme aufzw- weisen, denn während das Zentrum von 18,8 Prozent auf 19,7 Prozent gestiegen ist, also nur um 0,9 Prozent, sind die Nationalliberalen von 12,5 Prozent der Gesamtzahl auf 13,8 Prozent gestiegen, also um 1,3 Prozent. Das ist um etwa Prozent mehr als das Zentrum. Im Jahre 1898 hatten ferner die Konservativen 859 000, der Bund der Landwirte 110 000 und die Antisemiten 284 000 Stim men, insgesamt also 1255 000 Stimmen, womit sie den Nationalliberalen mit 979 000 Stimmen um nahezu 800 000 Stimmen überlegen waren. Diesmal haben die erwähnten drei Parteien zusammen 1811000 Stimmen, also nur knapp so viel, wie die Nationalltberalen mit ihren 1813 000 Stimmen. Diese Vergleichung fällt doch nicht eben zu gunsten der konservativ-agrarlsch-antisemi- tischen Gruppierung aus uud angesichts dieser Tatsache ist es „immerhin" ein starkes Stück, wenn die „Kreuzztg." mit einem gewissen mitleidigen Hochmute von der Anhänger schaft der nationalliberalen Partei spricht. In demselben Artikel schließt die „Kreuzztg." unmittelbar an die Pole mik gegen die Nationaliberalen eine solche gegen ein Hamburger Blatt an, das sich gegen die Feier des Sedantages ausgesprochen hatte. Die „Kreuzztg." schasst sich -en Uebergang mit den Worten, daß „zu dieser fischblütig-schwammigen Denkweise fdamit sind die Nativ- nalliberalen gemeint) das Verhalten des Hamburger Blattes vortrefflich passe". Nun sind die nationallrberalen Kreise noch immer für die Aufrechterhaltung des Sedan- festes mit Entschiedenheit aufgetreten, sie stehen also mit voller Entschiedenheit im Gegensätze zu jenem Hamburger Blatte. Die von der „Kreuzztg." beliebte Zusammen schweißung mit dem Hamburger Organe beweist aufs neue die „immerhin" eigenartige Fechtweise der „Kreuzztg." * Berlin, 8. September. «Wie es die Sozial demokraten machen.) Wiederholt ist darauf hin gewiesen worden, daß die Sozialdemokraten nur solchen Kellnern Trinkgelder geben, welche sich durch Kontroll marken als „Genossen" ausweifen können. Dieses System, die Zahl der „Genossen" durch äußere Druckmittel zu ver mehren, macht immer mehr Schule in den Reihen der Partei. In der letzten Sonntaasnummer des ^Vorwärts" erläßt der Verband der Deutschen Krifeur- gehülfen einen Aufruf, in welchem er die „Genossen" auffordert, überall in den Barbiergeschäftcn, wo sie sich bedienen lieben, die Gehülfen nach den Kontrollkarten zu fragen, durch welche sie sich als Angehörige des natürlich in sozialdemokratischem Fahrwasser segelnden Verbandes ausweisen könnten. Wo solche Kontrollkarten, die von Woche zu Woche abgestempelt sein müßten, nicht vorhan den wären, da müßte darauf gedrungen werden, daß die betreffenden 'Gehülfen alsbald der Organisation beiträten. Im Weigerungsfälle soll das betreffende Geschäft boy kottiert werden. Der Aufruf dringt auf möglichst strenge Durchführung dieser Maßregel, er ermahnt auch, daß nie mand sich durch persönliche Bekanntschaft mit dem Ge schäftsinhaber oder durch dessen Zugehörigkeit zur Sozial demokratie abhalten lassen solle, nach den Kontrollkarten zu fragen. Daraus geht hervor, daß auch manchen so zialdemokratischen Geschäftsinhabern die Zugehörigkeit ihrer Gehülfen zu dem Verbände nicht sehr erwünscht zu fein scheint, sonst würden sie als „Genoffen" zweifellos darauf sehen, nur organisierte Gehülfen zu beschäftigen. Aber daß die „Genoffen" als Arbeitgeber oft ein gan- anderes Gesicht zeigen, wie als Arbeiter, ist ja keine neue Tatsache. Aus dem Ausrufe des Verbandes der Deutsch«« Friseyrgehülfen geht wieder einmal hervor, daß der So zialdemokratie jedes Mittel äußeren Zwanges recht ist, wenn sich für di? Partei Nutzen davon erwarten läßt. Nicht durch freien geistigen Kampf und durch Mittel der Ueberzeugung, sondern durch äußeren Zwang sollen die Barbieraehülken. wie bereits Kellner, kleine Wirte, Geschäftsleute usw. in die Reihen der Partei ge trieben werden. Und eine mit solchen Mitteln arbeitende Partei feiern kurzsichtige Schwärmer und Mauserungs illusionisten als eine „Bannerträgerin des Liberalismus". Wieder «in Beweis, wie sehr Dr. Barth und Genossen in der Sozialdemokratie mehr das sehen, was sie wünschen, als was die tatsächlichen Verhältnisse ergeben. Was an diesem Vorgehen des Verbandes der Friseurgehülfen neu ist, das ist der Umstand, daß hier ganz offen und un geschminkt ausgesprochen wird, was man sonst doch mehr im stillen übte und nicht an die große Glocke brachte. (Post.) * Berlin, 8. September. (Es gebt ein Licht auf.) Die unendlich scheinende Liebe nnd Geduld unserer Zentrums männer mit den Ungezogenbeilen unserer lieben polnischen Mitbürger scheint hier und da sich doch etwa« zu ermüden. Besonnenere Summen im katholischen Lager finden jetzt doch allmählich ein Haar darin, die Sacke deS Zentrums einfach mit der Sache der Polen zu identifizieren. Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist ein Artikel der Münchener „Hiffvr'sck- politischen Blätter". Der Verfasser de» heiresfendcn Aitikel» scheint ein katholischer Geistlicher zu sein. Man höre ibn: Zunächst «rklärt er angesichts der Klagen über die politische Vernichtung einer Nation durch die Teilungen Polens, daß dieses letztere niemals rin nationaler Staat gewesen ist. Den Staat machte ohne Unterschied de» Stammes stets ein einziger Stand au-, der Adel. Jede Beschäftigung mit Handel und Gewerbe verwirkte die Zugehörigkeit zu ihm. Man erkannte stütz den Miß stand und suchte zu helfen, aber vergebens. Der im 18. Jahrhundert lebend« Priester Hugo Kollataj verglich das Staatswesen einer Maschine, di« kein einzelner bewegen kann, deren Bewegung durch alle an der Streitsucht scheitert, die aber jeder einzelne zum Stocken zu bringen vermag. Diesem Geständnis fügt der Verfasser noch daS weiter« hinzu, daß die Polen mit Unrecht über die nicht ge- haltenen Zusagen des Wiener Kongresses sich be- schweren. Ebenso erkennt der Verfasser an, wie viel die Polen der preußischen Verwaltung zu danken haben: die Aufhebung der Leibeigenschasl und der Patrimonialgcrichte usw. Auch dir Oberpräsidialzeit FlottwellS (1880—41) erfahrt tzjne widerwillige Anerkennung. Dann wollte leider König Friedrich Wilhelm IV. die Polen „versöhnen" und erzielte damit nur, daß ihm der Erzbischof Leo v. Przybu-ky bet einer Audienz über die Wieder- gebürt Polen- redete und die deutfche Bevölkerung de» Großherzog- tums gar nicht der Erwähnung wert fand. Der Verfasser nennt das, „gelinde gesagt, einen politischen Taktmangel". — Die Stellung des katholischen Klerus in jener dem Hader ausgesetzten Gegend hat seit 1815 mehrere bezeichnende Wandlungen durchge macht. Mit einer Art von verdrossenem Humor berichtet der Ver fasser, daß der Bischof Pedlay von Kulm den protestantischen Pastor Thiel in Strasburg (Westprrußen) „Herr Bruder" nannte und im bischöflichen Ornat die evangelische Kirche besuchte. Geschichtlich bemerkenswert ist das Eingeständnis, daß die griechisch-katholische Union von 1596 religiös wenig ausrichtete, weil „bis auf einige Jesuiten "die römisch-katholische Geistlichkeit durchweg unfähig war. Sie trieb zu viel Politik und tut dies auch heute noch. Der Verfasser beklagt selbst, daß man „lieber polonisiere als katholisiere". Ueber die polnischen Arbeiter am Niederrhein und in Westfalen fällt er das ablehnendste Urteil, scheinbar will er nicht durch sie in den Reichstag kommen wie gewisse Zentrumskoryphäen in Köln. Ebenso räumt er eine schlechte Behandlung der deutschen Katholiken durch die polnische Geistlichkeit in der Fremd«, in Peters burg, Moskau und Odessa, und nicht weniger auf dem preußischen Staatsgebiete ein. Beachtenswert ist auch der Hinweis auf ein von dem Erzbischof Stablewski erlassenes Ründschreiben gegen das hohe Spiel des polnischen Adels. Der Verfasser hebt die finanzielle Rettung mancher dieser Herren durch die ihnen von der Ansiedelungskommission für die verschuldeten Güter gezahlten Summen und die Hebung des polnischen neuen Mittelstandes in den Städten durch die dortige Ansässigkeit jener „Pane" hervor, meint aber, daß die letzteren häufig im Nichtstun verkommen. Das wird wohl auch den Tatsachen entsprechen. DaS klingt immerhin etwas anders, als die berufsgemäßen Feind« der deutschen Ost markenpolitik vorzubringen pflegen. Statistisch ist interessant, daß die Provinz Posen bei 57 v. H. Polen nicht weniger als 67 v. H. Katholiken zählt, obgleich in den Kreisen Adelnau und Schildberg 10000 polnische Protestanten leben. Die Zahl der deutschen Ka tholiken muh also sehr beträchtlich sein. Aber die polnischen Pro testanten wählen polnisch und den deutschen Katholiken wird vo» der „Germania" der Stimmzettel für den „Glaubensgenossen pol nischer Zunge" aufgezwungen. So da« wissenschaftliche Organ für daS katholische Deutsch land. Hoffentlich liest's auch die „Köln. VolkSztg." (-) Verltn, 8. September. (Telegramm.) Die „Kreuz zeitung" erfährt: Der Minister deS Innern hab« die Landräte, bezw. Oberbürge,meister ersucht, ohne Verzug die Vorbereitungen rn den Neuwahlen der Abgeordneten an- -uordnen und dafür zu sorgen, daß die Abgrenzung der Urwahlbezirke und die Auslegung der Listen überall so zeitig erfolge, daß di« Wablmänurrwahlen in der zweiten Woche des November statlfinden können. Die Wahl termine werden erst später festgesetzt. — Anläßlich der Bebelscben Entrüstung über seine Vergewaltigung durch den „Vorwärts" frischt die „Mgdb. Ztg." die Erinnerung an folgenden Vorgang auf: Es war am Vorabend des Einigungskongreffes in Gotha, als Bracke die Bitte um Mitteilung der an Auer, Bebel, Geib und Liebknecht von Karl Marx gesandten Kritik des Einigungspro gramms stellte, das dem Gothaer Kongresse zur Genehmigung unterbreitet werden sollte. Bei der Persönlichkeit deS Verfassers der Kritik und der Art ihres Inhalts hätte man nicht daran zweifeln sollen, daß die damaligen Führer des marxistische« Flügels sich beeilt hätten, die Auslassungen ihres geistigen Ober hauptes zur Kenntnis der Gefolgschaft zu bringen. Trotzdem ist das nicht geschehen, und erst 26 Jahre später haben die Genossen aus einer Veröffentlichung von Fr. Engels er fahren müssen, daß sie damals einem Programm zugestimmt haben, das der Schöpfer ihres Glaubens ausdrücklich al- verwerflich und demoralisierend bezeichnet hatte. Herr Bebel aber,' der sich heute über die ihm zuteil gewordene Bevormundung entrüstet, hat es damals mit diplomatisierendem Schweigen geschehen lassen, daß der Protest, den kein Geringerer als Karl Marx gegen das demoralisierende neue Parteiprogramm erhoben hatte, aus Opportunitätsrücksichteu nicht zur Kenntnis der Genosse» gebracht wurde. — Der diesjährige Parteitag der deutsch sozialen Reformpartei findet vom 17. bi« 19. Oktober Hierselbst statt. — Wie die Frankfurter sozialdemokratische „VolkSstimme* auS natürlich trüber, aber angeblich zuverlässiger Quelle er- lährt, ist vom preußischen Justizminister an sämtliche Staatsanwälte eine Verfügung ergangen, in der dazu aufgefordert wird, die sozialdemokratische Partei presse genauer als da« bisher der Fall war zu studieren und mit rücksichtsloser Schärfe jeden Fall zu verfolgen, der nur einigermaßen Aussicht dielet, gegen daS betreffende Blatt einen MajestätSbe leidiguugS- Prozeß anzustrengen. Alle in den lozialdemokratiscken Tages zeitungen und Zeitschriften enthaltenen Artikel, die sich mil der Person heS Kaiser« oder den «inzelnen Landesherren befasse», sollen einer eingehenden Prüfung nach der Richiung hi» unterzogen werde«, ob au» denselben eine Bcleidigungsadstcht der Form, dem Inhalte oder den begleitenden Umstände» nach zu erkennen sei. Bejahenden Fall- soll da««, selbst wenn e« sich nur um versteckte Angriffe gegen »,e Person deS Monarchen handelt, di, Anklage wegen Majestät-, deleidiqung erhoben, insbesondere auch, ob«, auf «in« Prüsung von Fall zu Fall einzugehe«, ob Fluchtverdacht begründe» ist, die Uniersuchung-Haft gegen den Beschuldigten bei dem zuständigen Richter beantragt werden. O «"tzhaven, 8. September. (Telegramm.) Die Jacht „Victoria and Albert" mit der Königin von England an Bord passierte heule nachmittag, vom Fort Grimmerhorn mit Salut begrüßt, rlbauswärl» die hiesige Reede. * Stettin, 7. September. Der JnnungsverbaudS- tag deutscher BaugrwrrlSmeifter, welcher zur Zeit hier statlfindtt, «ahm heut» in der Frag« der Tarif«
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