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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 28.09.1903
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-28
- Sprache
- German
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030928013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903092801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903092801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-28
- Monat1903-09
- Jahr1903
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Müller das zum Konkurs ko«ppe tzehStig« große Warenlager, darunter WirtschattSgegenpäUdk in Emaile, Glas, Blech, und Holz-, Kurz-, Gttümtrrir- sowie «iseuwitreu, Hänge-, Tisch- und RüWtNlckMPeM u. v. m. vssrntlich gegen Barzahlung versteigert werde». Sod»»r«okm1üt, Zillalrichtn. kViedrehslt« Aa<hricht«n. Aus dem gestrigen Sonntagsblatte wiederholt, weil zu spät eingctroffen, um auch in dem frühzeitig nach aus- wärt» versendeten Leit« der Auflage Aufnahme finde» zu könne«, * Berlin, 28. September. (Telegramm.) Der Polizeipräsident hat 1000 Belohnung für die Er greifung des Mörders der Austine Grabowski ausgesetzt. * Wie», »s. September. (Telegramm.) Abgeord netenhaus. An der Debatte über di« Dringlich, keitde » AntragsDcrschatta drücken alle Redner ihre Entrüstung Über den Erlast des Kriegsmiuisters, be treffend den Armeebefehl, auS. Die meisten sprechen ihre Genugtuung über -en Armeebefehl auS, mit dem den Be strebungen gegen die Einheitlichkeit in der Armee Einhalt reboten sei. Schalk tritt für Personalunion und Be- chaffung einer selbständigen österreichischen Armee, sowie llr einen schnelleren wirtschaftlichen und politischen An- chlust an das Deutsche Reich «in. Schließlich wurde die Dringlichkeit de» Antrages angenommen. Bei der hierauf folgenden Beratung von Meritums Antrag beantragt DzieduSzycki einen Zlksatz, der vollständig dem gestrigen Anträge SkeneS entspricht. Bei der Abstimmung des Antrages wurde -aS entsprechende Gesetz, betref fend EinretSuna der Rekruten, in allen Lesungen angenommen. Hierauf verhandelt das Haus Notstandsvorlaaen. * Pest, 26. September. (Telegramm.) Der Minister des Innern erließ eine Circularverorb- nung, durch welche die Beschlüsse der Stadtvertretungen, die Annahme freiwilliger Stenerleistung zu verweigern, für ungültig erklärt werben. * Madrid, 26. September. (Telegramm.) Ter republikanische Deputierte Neugues ist auf Antrag der Militärbehörden in Tarragona verhaftet worden. Die Anklage lautet auf Preßdelikt. * Ko«fta»ti«opel, 26. September. (Telegramm.) Nach vertraulichen Meldungen soll die Leitung der tnakebonischen Cvmites, auS Verzweiflung über die großen Verluste an Menschenleben und Material bei den Bandenkämpfen in der letzten Zeit, sowie über die ge scheiterten Hoffnungen auf eine Intervention, beschlossen haben, die anarchistischen Mittel in ver stärktem Maße auch gegen Fremde und fremdes Eigentum anzuwenden. Die Pforte hat die Ucber- wachungS- und Sicherheitsmaßregeln verstärkt. letzte Nachrickten. * Berlin, 27. September. Der Reichskanzler Graf v. Bülow, der sich, wie gemeldet, nach dem Besuche in der Deutschen Städte-Ausstellung in Dresden über Berlin zum Besuche seines Neffen nach KlJFlott- beck zurückbcgeben hatte, wird nach den bisher getroffenen Dispositionen diesen Montag von dort die Rückreise nach Berlin antreten. * Brrli», 27. September. Die Meldung, daß die SiN'ührüng von Rohrrttcklaufgeschützen beschlossene Sache sei, wirb im Kriegsmintstcrium als ganz unbegründet bezeichnet. Selbst für den Fall, baß die Geschütze im letztem Manöver ausprvbicrt worden seien, sei es ganz unmöglich, in der seither ver flossenen kurzen Frist einen Bericht darüber zu formu- liereu und einzureichen und einen Beschluß darüber zu fassen. Auch die angegebenen Zahlen seien lediglich Phan- tasiegcbtlbe und ließen einen Rückschluß auf die Sach- unkenntniS des Urhebers der Meldung zu. Fereillst-ir. Ludwig ttichter. Zu seinem IM. Geburtstage, 28. September. Bon Theodor Lamprecht. iX«<ddriick rkrbotrn. Es gibt itt der Kunstgeschichte goivtfse Meister, die wir in besonderem Grade aiS deutsche empfinden. Wenn wir nach den Eigenschaften forschen, «die diese Empfindung bet un» erwecken, so werden wir darunter immer eine finden, die der Treuherzigkeit. Treuherzigkeit: ein schöne» Wort und eine schöne Sache; wohl dem. der treuen Herzen» ist! Solch ein treues Herz war Dürer und ist heute Han» Thoma: und solch ctne treue und reine Seele war auch Ludwig Richter. Alles Ungesunde, Ge machte, Berwtyelte, Dekadente lag weit ab von ihm. Er war treu keinem Gotte, treu seinem Vaterlands, treu seiner Kunst. Seine Kunst war ihm ein Heiligtum, das er nie entwürdigte, war ihm ein Attar, auf dem er opferte zu Ehren der Allmacht und der Schönheit; und -aS ist es, wa» einen eigentümlichen Zug der Reinheit, der Weihe un- Heiligkeit selbst in -aS bescheidenste Scherzbild von seiner Hand bringt. Die Moden kommen un- gehen. Unsere Zett ist nichts weniger als Ludwig Richiersch; und dennoch hat sich sein Ansehen bet ibr nicht allein ungeschmälert erhalten, sondern es ist sogar in fortgesetztem Steigen begriffen. Sein Name ist ein Schlachtruf für ganze künstlerische Parteien bet un» geioorden; seine Stich«, Schnitte/Zeich nungen stehen im Range großer Kostbarkeiten. E» mutz also etwa» an ihm und seinem Schassen sein, was für unsere Zeit von lebendigem Werte ist. Dieser Mann, -er sich im letzten Jahrzehnte seine» Lebens so vereinsamt in der Leutschen Kunstwelt empfunden hat, muß etwa» haben, wa» die heutige Zeit wieder braucht und was st« in ihm ahnt ober erkennt. «S ist hier nicht der Ort, eine ausführlich« Biographie des verehrten Meister» zu geben, wie sie ja sein Schüler Paul Mohn in der vortreff lichen Ludwig Richter-Monographie jetzt dem deutschen Volke geschenkt hat. Dir wollen un» vielmehr darauf beschränken, fein Leben auf die Momente hin zu bc- trocvten, die aus seine Kunst einen entscheidenden Einfluß au-geübt «ttd sie gebildet haben. Da ist eS denn vor allem von Bedeutung, baß Richter in einer echt kleinbürgerlichen Atmosphäre aufwuchs. Eine gute alte Kleinbürgersvadt war dazumal Dresden, ein« kleinbürgerliche Welt die Familie Richter». Der Vater war Kupferstecher, der eine Großvater hatte ein Kaufmannslädchen, der andere betrieb die Uhrmacherei. SS war eine Welt de» gesunden Menschenverstände», der einfachen Empfindungen, der genügsamen Behaglichkeit, de» saueren Kanrpfr» um» liebe Brot; Hmrmelstürmrrtum >«»d Pha»>tast<ret sanden da keinen Platz. Allein e» blieb doch die Phantasie des Knaben in diesem Kreise nicht un genährt. Das Rembrandtsche Helldunkel des großväter lichen Kaufmannsladens schien allerlei Geheimnisse zu bergen, un- wurde, wenn des Abends vor dem großen blanken Messtngmonde die Lampe angezündet wurde, zu einem strahlenden Fcenpalastc, darin Sirupständcr, Jngwerpläychen, Kalmus und Johannisbrot alle Herr lichkeiten Eldorado- und Golkondas vertraten. Dann war binten am Hause der Großeltern ein herrlicher, ge räumiger, alter Garten. Im Uhrladcn des anderen Großvaters gingen geheimnisvolle Alchymisten und ori ginelle Jübengcstalten ein und aus. Und noch gab es in Dresden däunnernde Winkel, verlassene poetische Stellen, malerische Häuser, kurz: von jenem Ballast der alten sentimentalen Zeiten die Hülle und Fülle, den unsere er leuchtete moderne Gegenwart so eilig wie möglich hinweg- zufegen sucht, um Städten un- Menschen nach dem Lineale Platz zu machen. Einen Ludwig Richter hat sie dabei freilich noch nicht hervorgebracht. Zeitig wurde -er Sohn vom Vater (eben wie Adolf Menzel) zur Hülfe herangezogcn und begann zu -eichüen und zu stechen. Der Stil, in dem der Vater arbeitete, war der der Zopfzeit, ein streng geregelter, frostiger, der Natur entfremdeter Stil. In -cm jungen Adrian Ludwig aber lebte ein starker und uvsprüuglicher Trieb zur Natur. Es war der Trieb, der, dem Frühlingswinbe gleich, damals durch die ganze deutsch« Kunst ging, als Cornelius, Overbeck und die Ihren in Rom den Anschluß an die Frische der Primitiven suchten, als Friedrich in Dresden die Augen für die einfache Schönheit öffnete und Dahl die Kraft und Herbheit seiner norwegischen Heimat in das sitßliche Zopfwesrn hineinbrachte. Der still« und beschekdene Dresdener Kupfcrstechersvhn war von all' diesen ein Geistesverwandter, und das Herz ging ihm auf, wenn er, etwa in den Zeichnungen Erhards, einen Stil fand, -er der Natur näher stand un- über die trockene akademische Manier htnauSftthrte. SS kam der Tag, da die Knospe sich öffnen sollte; es kam der Tag, -a der Kunsthändler Arnold den beglückten Jüngling mit einem Stipendium auf drei Jahre nach Rom schickte. Nom ward der Wendepunkt seines Lebens. In Rom genoß er, waS jeder Mensch einmal in seinem Leben ge nießen muß, soll er zur Reife kommen: dir volle und ganze Sonne, «ns der Kählheit der Enge, der Nüchternheit des Vaterhauses sah er sich in Weite, Glanz, Herrlichkeit und Poesie versetzt. Wertvolle Menschen, wie der Tiroler Koch und wie Schnorr von LarolSfeld, nahmen sich des lieben Jünglings an; Anregurig, Laune, Geist erfüllte den Kreis, in dem er lebte. Und nun vollends die Natur, die sich ihm bot! Da war eS nicht mehr nötig, sorglich nach Motiven zu suchen, die Schönheit aus rauhem Kern herauszuholen, wie man die Nuß aus -er Schafe heraus holt: da bot sie sich in «verquellendem Reichtum, und in Jahrhunderte langer Arbeit hatte der Mensch cs ver standen, diese Schönheit der Natur zum vollendeten Aus- drucke zu bringen, und seine eigenen Werke, seine Häuser, Dörfer, Brunnen, Gärten, Straßen, in -vollen Einklang mit ihr zu setzen. Dies himmlische Entzücken über den * Berlin, 27. September. Einer grvßerenAus- fchreitung machten sich a wsst ä n'-kg e Omni- busangestellte gestern mittag am Moritzplatze schuldig. Nach Schluß der i!w dem Buggenhagenschen Restaurant abgehaltenen Versammlung wurden die an der dortigen Endhaltestelle der OmnibuSlinicn befind lichen arbeitswilligenKutscher un- Schaff ner von denStreikenden belästigt und be droht. Obwohl ein starkes polizeiliches Aufgebot den Morthplatz besetzt hielt, konnte nicht verhindert werden, baß an einzelnen Omnibussen Scheiben zertrümmert wurden. Als es der Polizei endlich gelang, den Platz zu räumen, griffen die von einer großen Menge Neugieriger unterstützten Ercedenten in der Oraniewstratze einen Omnibus der Linie Oranienplatz—Stettiner Bahnhof an. Die Pferde wurden ausgcspannt und die Stränge zer schnitten, sodaß der Wagen nicht weiterfahren konnte. Schutzleute zu Fuß und zu Pferde griffen ein, u)i- eS gelang ihnen auch, das wettere Zerstvrungsmerk zu ver hindern. Zahlreiche Excebenten, unter denen sich jedoch nnr drei Aus ständige befanden, wurden sistiert. Aus einem zur Abfahrt berettstehenden Wagen wurden sämtliche Insassen von den Streiken den hinausgeworfen, bis ein Schutzmann einen Mann zur Wache führte. Geringfügigere Ausschreitungen fanden iauch an anderen Stellen statt, ohne daß es zu ernsten Konflikten mit der Polizei kam. — Im übrigen gilt der Streik der Omnibusangestellten als gescheitert. Von den 371 Wagen der Gesellschaft konnten gestern früh alle bis ans 39 in Dienst gestellt werden; und da noch fort während Angebote von Arbeitskräften einlaufen, so hofft die Direktion, am nächsten Montag den vollen Betrieb wieder aufnehmcn zu können. Sie wird sich unter keinen ttntständen aus Einigungsverhandlungen vor dem Gc- wcrbegericht cinlassen, und ebensowenig augenblicklich Streikende künftig wieder einstcllen. * Berlin, 27. September. Der des Mordes an seiner Fran verdächtige Schlächter Grabowski ist gestern hier verhaftet worden. Er leugnet die Tat. * Kiel, 27. September. Auf eine Anfrage erklärte KrtegsgcrichtSratRosenberger, der Ankläger im Prozeß Hühner, daß er gegen das Urteil des! Reichtum und die Prägnanz der italienischen Natur ist es, das aus Richters damals entstandenen Gemälden spricht, und es ist wundersam, zu sehen, wie er sacht, nach und nach, doch unaufhaltsam die Hülle der heimischen Enge zerreißt, erst tastend, dann freier die Flügel spannt und in Zeichnung, Komposition und Farbengebung von Bild zu Bild wächst. Am 1. Sipril 1827 nahm Ludwig Richter am Ponte Molle von Rom und den römischen Freunden Abschied und wanderte gen Norden. Er sollte wicderkommcn — er kam nie. Eine schwere Zeit trat für ihn ein. Er wurde als Lehrer an die Meißener Zeichenschule berufen und installierte sich mit seiner jungen Krau auf dem Meißener Burgberge. Das Häuschen war behaglich, der Blick auf Burg und Dom und über das Elbtal schön; allein seine Tätigkeit befriedigte ihn nicht und zentnerschwer lastete auf ihm die Sehnsucht nach dom Lande -er Sonne und der Kunst. Endlich, endlich war ein Sümmchen zusammen, das ihn wenigstens bis nach Obcritalien bringen konnte; da erkrankte seine Frau, Arzt und Apotheker verschlangen die Reisekasse und es blieb nur eben noch genug zu einer kleinen Rette ins Elbtal und nach Böhmen übrig. Un- da machte Richter seine große Entdeckung. Er machte die Entdeckung, daß man Italiens Schönheit auch in die deutsche Landschaft hineintragcn könne. Er begriff, daß es gelte, -er deutschen Landschaft jene vollkommene Schön heit zu entlocken, die die Italiener in der ihren aus gebildet hatten. Seit dieser Zeit erst war er von der Sehnsucht nach Italien geheilt, wurzelte er in der Heimat fest, und wir verdanken ihm, daß er uns die Schönheiten dieser Heimat begreiflich machte. Im Jahre 1836 siedelte Richter als Lehrer an die Aka demie in Dresden über, wo er dann Jahrzehnte lang ein gesegnetes Wirken entfaltet hat. In seiner Kunst hatte sich allmählich ein Umschwung in -em Verhältnisse zwischen Lan-sclmst und Staffage vollzogen. Hatte er ursprünglich die Staffage ganz tm Sinne der Zopfzeit be handelt, so stieg er allmählich dazu auf, sie mit der Land schaft in inneren Zusammenhang zu setzen, Mensch und Landschaft durcheinander zu -eilten; und je länger, desto mehr trat die Darstellung des Menschen in den Vorder grund seines Schaffens. Zur Vollendung kam diese Seite, als er die Form der künstlerischen Beteiligung fand, durch die er unsterblich geworden ist: die Betätigung als Illustrator. Es ist unmöglich, hier auch nur über die Hauptwerke eine Ucbcrsicht zu geben, die er auf diesem Gebiete geschaffen hat. 3334 Blätter zählt ,nan, die er für die Vervielfältigung gezeichnet hat. Märchen und Gedichte, Klassiker und Romantiker, Bibel und Kinder lieber hat sein Griffel geschmückt. Im Mittelpunkte dieses umfänglichen Kunstreiches steht -er deutsche Philister. Es ist leicht, Uber den deutschen Philister zu spotten; aber man erinnere sich an Raabes treffendes Wort, daß ohne ihn auch Schiller und Goethe nicht denk bar wären. Er gleicht der breiten, geduldigen, nahr haften Muttererde, deren auch die phantastischste Blume bedarf, soll sie das Licht erblicken. Er bildet das gesunde Bleigewicht, das de» oft in blaue Kernen entstürmcnden Oberkrtegsgerichts keine Revision einlegen werde. (B. L.-A.) 0. Breslau, 27. September. (Privaitelegramm.) Die Königin-Witwe Carola trifft am 16. Ok tober zu mehrwöchigem, König Georg am 4. No vember zu mehrtägigem Aufenthalte in Sibyllenort ein. * Breslau, 27. September. Zu Ehren beS früheren Oberpräsidenten Fürsten v. Hatzfeldt fand gestern nachmittag eine Abschiedsfeier statt, an der die Herren des Oberpräsidiums, die Regierungspräsidenten von Liegnitz und von Breslau und die dienstfreien Land räte teilnahmen. O. Benthe«, 27. September. (Prioattelegr.) In Sosnowice wurde ein Amsterdamer Kaufmann verhaftet, welcher für IZH Millionen Mark ge schliffene Edelsteine über die Grenze schmuggeln wollte. * Marie«wcrder, 27. September. Wie die „Neuen Westpreußischen Mitteilungen" melden, wurde bei der heutigen Präsentationswahl zum preußischen Herrenhause im Landschaftsbezirke Marienburg- Land der Freiherr v. Buddenbrock auf Kl.-Ottlau einstimmig gewählt. * Freyburg a. -. U«str»t, 27. September. Unter zahl- reicher Beteiligung deutscher Turner wurde heute das von der Deutschen Lurnerschaft gegründete Jahn- Museum in Freyburg a. -. Unstrut cingeweiht. Als Ehrengäste waren Ausschutzmitalieder der Deutschen Tur- nerschaft, Vertreter -er deutschen Turnfeststkdte und Turn veteranen aus vielen deutschen Gauen anwesend. Zur Vorfeier fand Las alljährlich wiederkehrende Wetttrrnen von 68 deutschen Turnern statt, von denen 35 durch Stadt schulrat Dr. Rühl-Stettin mit dem Siegerkranz geschmückt wurden, als erste Müller - Leipzig un- Hänsgew- Naumburg. Heute morg«« bewegte sich ein Festzug von 1000 Turnern zum neuen Muscumsbau, wo -er Vor sitzende der Deutschen Turnerschaft, vr. Götz - Lcipzig, die Wetherede hielt. Bürgermeister Ehlert dankte für das herrliche Geschenk und überreichte vr. Götz den Ehrenbürgcrbrief. Ein Festmahl vereinte darauf die Teilnehmer. Dabei brachte vr. Götz das Kaiserhoch aus, Kloß-Freyburg dankte den Turnern tm Namen der Stadtvertretung, Vr. Rühl-Stettin der Stabt, Kanzleirat deutschen Geist an der Erde fcskhält. In und mit der Familie lebend, bildet er die Urzelle unserer Kultur. Bon der trüben Flut des modernen Lebens hat er sich — oder hatte er sich doch in Richters Tagen — nicht über schwemmen lassen, sondern sich einen Kreis natürlichen Lebens bewahrt. Und das ist der Heiltrunk, den Richter unserer modernen Kunst bietet. Denn nur in der Be handlung einfacher und natürlicher Motive und Verhält nisse bewahrt sich die Kunst ihre Gesundheit, leistet sie Großes. Griechische Ringer, Raphaels Madonnen, Richters Philister — so unendlich verschieden sie von einander sind, -ie Natürlichkeit -eS Lebens und der Motive ist ihnen gemeinsam. Und in dieser Enge welche Fülle! Die ganze Heiter- keit und Unschuld des Kinberlcbenö, das Glück junger Liebe, die Freude der Mutter, die stille Wehmut -es Alters, die Arbeit ans dem Felde und im Hause, die Bitternisse und die Feste, Mensch un- Tier, Irdisches und HimmlischeS — alles hat Meister Ludwig in diesem engen Kreise darzustellen, aus ihm hcrauszuholen vermocht. Gewiß lag bei diesem Stoffgebiete die große Gefahr oor, süßlich zu werden, „sinnig und minnig". Mein Ludwig Richter hatte ein Gott die Gabe gegeben, die rechte Linie zu finden, — wörtlich und bildlich. Als Künstler hat er die seltene Fähigkeit, daß die Linien, die sein Stift zeichnet, gleichsam das Leben selbst zu sein scheinen, daß diese zarten, feinen Striche Unschuld und Reinheit, Heiterkeit und Heiligkeit verkünden, daß sie mit -em feinsten Takte jedes Zuviel und jedes Zuwenig vermeiden. Allein diese Gabe bewährte er auch in -er Weisheit, mit der er die Elemente seiner Darstellungen zu mischen wußte. Arbeit un- Liebe, Freude und Ernst durchdringen, ergänzen, er läutern und heben da einander. Freilich hat er in ge wissem Sinne über dem Kreise gestanden, den er -arstellte. Er hat den Strom reicher Bildung auf ihn gelenkt: ja, er hat den Philister idealisiert. Idealisiert, wie Ghirlan- dajo die Florentiner, Raphael die Römerinnen, Milet den Bauern idealisiert hat, indem er ihr bestes herausholte und für immer auSprägte. Er hat den ganzen Reichtum des deutschen Bütgerstandes, er bat die Fülle -er in ihm ruhenden Kräfte sichtbar gemacht un- einen Typus LeS dcntschen Bürgertums für immer erhalten, der jetzt dem Untergänge oder -och der Umwandlung geweiht zu sein scheint. Richter erlebte diese Zeiten der Verwandlung und der Gärung noch. Er überschritt die Achtzig. Er sah alle» um sich her stürzen, wanken und sich ändern und wußte schließlich nicht mebr, woran er war. Und nun, da kaum zwanzig Jahre kett seinem Tode verflossen sind, beginnt die deuttche Kunst und Welt schon wieder zu ihm zurück- zukebrcn So dürfen wir seinen 100. Geburistag in dem reinen Grüble der Freude begeben, daß da» Fruchtbare in seinem Werke sortwirki und sein Erbe dem -cuischen Volke fortgesetzt zum Segen gereicht.
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